In diesem Jahr wurden bei den TAGEN ALTER MUSIK IN HERNE gleich zwei Jubiläen gefeiert: zum einen das 25jährige Bestehen dieses ältesten Festivals seiner Art in Deutschland, zum anderen 500 Jahre Kaiser Karl V.
Obwohl das Festival seinen festen Platz im internationalen Festivalbetrieb hat und weltweit geschätzt wird, taucht immer mal wieder die Frage auf: "Wie geht es weiter?"
Nach zahlreichen, mehr oder weniger Spezialthemen ausführenden Vorträgen, demonstrierten Roland Wilson, Graham Nicholson und Christoph Anselm Noll in dem das Symposium abschliessenden Werkstattkonzert, wie Zink, Cornettino, Naturtrompete und Zugtrompete in Werken des 16. und 17. Jahrhunderts eingesetzt wurden. Die Sopranistin Veronika Winter sorgte dabei mit ihrer klaren und leicht geführten Stimme für vokale Glanzpunkte.
Viele Besucher wurden zudem enttäuscht, da sich einige Instrumentenbauer erst viel zu spät in Herne einfanden. Wer andererseits erst am Sonntag die Ausstellung besuchen wollte, fand sogar ein - bis auf eine Ausnahme - schon vollständig geräumtes Foyer vor! Da hatten sich die Noten-, Buch- und CD-Anbieter wesentlich besser vorbereitet, obwohl auch diese - wie die Instrumentenaussteller - von der zeitlich schlechten bzw. ungünstigen Wahl der Veranstaltungsorte in Mitleidenschaft gezogen wurden; so fand am Sonntag nur das Abschlußkonzert im Kulturzentrum statt! Kein Wunder also, dass die Aussteller, immerhin elf aus dem europäischen Ausland und drei sogar aus Übersee, diesen "verschenkten" Tag zur Abreise nutzten, denn Publikum gab es tagsüber so gut wie gar nicht, da das Nachmittagskonzert in der Kreuzkirche angesetzt war.
Eine Bereicherung des Veranstaltungsprogramms der TAGE ALTER MUSIK IN HERNE war auch eine Exkursion zur Kirche St. Johannes in Cappenberg (Stiftskirche des ehemaligen Prämonstratenserklosters) und zur Burg Vischering, einer der bedeutendsten Wasserburgen Westfalens aus dem 13. Jh.
DAS REICH, IN DEM DIE SONNE NICHT UNTERGEHT Musik aus der Welt Karls V. und seiner Nachfolger Karl V.-Ein Reich, in dem die Musik nie verklingt (1) Schiarazula Marazula: Zwischen Balkan und Mare Balticum Armonico Tributo Austria Leitung: Lorenz Duftschmid
Die musikalische Reise durch das Reich Karls V. begann in den Niederlanden, wo Karl am Hofe seiner musikliebenden Tante Margarethe von Österreich in Mechelen erzogen wurde und so von klein auf mit den damals bedeutensten Werken der Musik in Berührung kam.
Das Konzert mit dem Ensemble Armonico Tributo Austria unter der Leitung von Lorenz Duftschmid, unvergessen durch ihr eindrucksvolles Konzert bei den letztjährigen TAGEN ALTER MUSIK, präsentierte zunächst Kompositionen aus den Niederlanden. Über Italien wurde dann die Brücke nach Deutschland, Polen, Österreich und Ungarn geschlagen.
Da die Musik im 15. Jahrhundert hauptsächlich von Komponisten aus dem nordfranzösisch-burgundisch-flämischen Raum dominiert wurde, war an den musikalischen Zentren in Europa in etwa das gleich Repertoire zu hören. Die Besonderheit dieses Konzerts bestand nun vor allem darin, im Laufe des Programms vor allem die regionalen Eigenheiten vorzustellen, eine Tendenz, bei der sich im 16. Jahrundert zahlreiche eigenständige "kunstmusikalische" Traditionen herausbildeten.
Obwohl die Sopranistin Hedwig Westhoff-Düppmann kurzfristig für die erkrankte Mieke van der Sluis einspringen musste, bestach das Ensemble durch Homogenität und Spielfreude. Da zahlte sich aus, dass sie mit diesem Programm zusammen schon vorher gemeinsam aufgetreten sind.
Sendung: Mittwoch, 15. November 2000, 20.05-22.00 Uhr, WDR 3
Karl V.-Ein Reich, in dem die Musik nie verklingt (2) Aus dem Repertoire der Capilla Flamenca Huelgas Ensemble Leitung: Paul van Nevel
Die Capilla Flamenca war ein Ensemble von auserlesenen Musikern aus den Niederlanden, das Karl V. auf seinen ständigen Reisen begleitete. Zu seinem breit gefächerten Repertoire gehörte neben den streng liturgischen Werken und repräsentativen Staatsmusiken auch die "private" Kammermusik des Kaisers, darunter auch das in Frankreich vor allem gepflegte Chanson.
Paul van Nevel und das von ihm geleitete Huelgas Ensemble, das durch seine perfekte Stimm- und Klangbeherrschung beeindruckte, präsentierte in der akustisch bestens dafür geeigten Kreuzkirche ein abwechslungsreiches Programm aus diesem reichhaltigen Repertoire der Capilla Flamenca.
Sendung: Mittwoch, 22. November 2000, 20.05-22.00 Uhr, WDR 3
El Maestro Musik der spanischen Renaissance Anne Azéma, Sopran Carol Lewis, Viola da gamba Olav Chris Henriksen, Vihuela und Renaissance-Gitarre
Das Trio Montparnasse, das sich der Musik für Singstimme, Viola da gamba und Zupfinstrumenten am Hof und auf dem Lande verschrieben hat, stellte in Herne ein Programm mit Musik der spanischen Renaissance vor. Es führte programmatisch von den "Cancionero de Palacio" und den "Chanson française" über "La Guitarra" und "Madrigali italiani" bis zu "La Folia" und "Villancios".
Im Gegensatz zu der im übrigen Europa bevorzugten Laute, wurde in Spanien die Vihuela bevorzugt, sowohl als Soloinstrument, als auch als Begleitinstrument für Singstimmen. In der thematisch gut sortierten Programmauswahl und Betonung dieser Eigentümlichkeit der spanischen Renaissancemusik, lag die Besonderheit dieses Konzerts.
Sendung: Mittwoch, 29. November 2000, 20.05-22.00 Uhr, WDR 3
El Barocco en las Españas Barockmusik aus den spanischen Ländern Compañia musical Ivette Gonzáles, Sopran Josep Cabré, Bariton Hugh Sandilands, Barock-Gitarre Anne-Catherine Bucher, Cembalo Marion Middenway, Violoncello
Ein ebenfalls interessantes Programm mit Barockmusik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts aus Spanien und Lateinamerika erklang im Konzert mit der Compañia musical. Die Vokalwerke stellten dabei die literarisch-musikalische Form der Villancicos in den Vordergrund, die vor allem durch einen vielfach wiederholten Refrain dominiert werden.
Allen Werken gemeinsam war die aussergewöhnliche Kombination italienischer, spanischer und lateinamerikanischer Stilelemente, die diese Musik so lebendig und farbig machen. (Gerhard Menzel)
Sendung: Mittwoch, 6. Dezember 2000, 20.05-22.00 Uhr, WDR 3
Auf den Spuren von Al-Andalus im Zeitalter Karls V Lieder und Balladen des 15. und 16. Jahrhunderts Mudéjar Begoña Olavide, Salterio, Qanún, Gesang Ramiro Amusategui, ´ud Daniel Carranza, Vihuela Pedro Estevan, Percussion Carlos Paniagua, Percussion Leitung: Begoña Olavide
Nach der Eroberung Granadas, der letzten Bastion der Mauren auf der iberischen Halbinsel, fand in Andalusien eine bemerkenswerte Synthese zwischen orientalischer und abendländisch-europäischer Kultur statt, denn wie die christlichen Eroberer die Bauwerke der Unterworfenen oder Vertriebenen für ihre Zwecke weiterhin nutzten, so fügten sie auch deren Musik in ihr eigenes Repertoire ein.
Das Ensemble Mudéjar ging am Samstagmorgen im Herner Kulturzentrum auf Spurensuche nach den Relikten der maurischen Musik in Andalusien. Die fünf Musiker bedienten sich dabei sowohl abendländischer als auch orientalischer Musikinstrumente. Begoña Olavide spielte auf Salterio und Qanún, einer aus Vorderasien stammenden Brettzither. Als Sängerin überzeugte sie durch einen differenzierten, dem jeweiligen Stil der Musik angepassten Einsatz des Timbres ihrer Stimme. Ramiro Amusategui auf der arabischen Laute, der ‘ud, und Daniel Carranza, Vihuela, sowie Pedro Estevan und Carlos Paniagua (Percussion) vervollständigten das vorzügliche Ensemble.
Mit rhythmischem Elan erweckten die Musiker die intimen Klänge aus Al-Andalus (so der ursprünglich maurische Name Andalusiens) wieder zum Leben und spürten die Wurzeln einer faszinierend facettenreichen Musikkultur auf. Bekannte Werke, wie z. B. Luys de Narváez‘ Ballade "Paseábase el Rey Moro" über den Fall der Stadt Antequerra, erschienen plötzlich in einem neuen Licht. So wurde in den Interpretationen von Mudéjar die Rückbesinnung auf die ursprünglichen volkstümlichen (in diesem Fall maurischen) Wurzeln der Alten Musik nicht zu einer publikumswirksamen Mode – "Auf den Spuren von Al-Andalus...." führte Mudéjar die Zuhörer auf eine spannende, bezaubernde Zeitreise nach Südspanien.
Sendung: Samstag, 11. November 2000, 22.00-23.00 Uhr, WDR 3
Oy es dia de placer Barockmusik aus Lateinamerika - Mexiko, Peru, Guatemala - Ensemble Villancico acht Sänger, Barock-Gitarre, Blockflöte, Viola da gamba, Percussion Leitung: Peter Pontvik
Eine mit Andalusien durchaus vergleichbar Situation findet man in Karls V. "Reich in dem die Sonne nicht untergeht" jenseits des Atlantiks vor: in Süd- und Mittelamerika. Hier trafen die Kulturen der indianischen Ureinwohner mit derjenigen der Eroberer zusammen, wurden unterworfen und von der abendländisch-christlichen Tradition aufgesogen.
Im Nachmittagskonzert nahm sich ausgerechnet ein schwedisches Ensemble der vorwiegend geistlichen Barockmusik aus Lateinamerika an. Doch Villancico unter seinem Leiter Peter Pontvik hat sich schon seit mehreren Jahren intensiv mit der Musik Spaniens und Lateinamerikas beschäftigt. Auf inzwischen drei CDs haben sie ihre Kompetenz hinsichtlich dieses Repertoires dokumentiert. Nun begeisterten sie auch das Herner Publikum.
Die in Lateinamerika entstandenen Kompositionen werden gänzlich von der europäischen Musiksprache des Barock dominiert, zumal die Werke in der Regel missionarischen Zwecken dienten. Interessant ist, dass sich in ihnen die Sprache der amerikanischen Ureinwohner zum Teil erhalten hat. Neben diesen indianischen Einflüssen findet man auch solche der aus Afrika als Sklaven verschleppten Farbigen. Und schließlich gelangte Musik aus Süd- und Mittelamerika auch wieder zurück nach Spanien, dokumentiert u. a. in der Sammlung "Luz y norte musical" (Madrid 1677) von Lucas Ruiz de Ribayaz. Populäre Tänze wie der Xácara wurden beiderseits des Atlantik gespielt und getanzt.
Wer jedoch in dem Programm auf die große Entdeckung eines bislang nicht beachteten Meisters aus Mexika, Peru oder Argentinien hoffte, wurde wohl eher enttäuscht. Villancico bot vielmehr eine kurzweilige Reise nach Übersee in eine bislang kaum erschlossene musikalische Welt. Das homogene Vokalensemble, unterstützt von Blockflöte, Laute, Barockgitarre, Viola da Gamba und Percussion, tat dies mit leichten, klaren Stimmen.
Im Anschluss an das Konzert hatten die Besucher die Möglichkeit, auch die neuste CD-Produktion ("A la xácara - the Jungle Book of the Baroque") des Ensemble Villancico zu erwerben. Ein Anschaffung, die man nicht bereut!
Sendung: Mittwoch, 13. Dezember 2000, 20.05-22.00 Uhr, WDR 3
Karl V. und Franz I. Ritter und Mäzene in musikalischer Gesellschaft Ensemble Doulce Mémoire - Le Concert des voix et des Instruments - Leitung: Denis Raisin-Dadre
Doulce Mémoire aus Frankreich führte das Publikum am Abend zurück nach Europa. Im Zentrum dieses Konzerts stand Musik im Umkreis der beiden "Erzrivalen" Karl V. und François I.: auf der einen Seite Nicolas Gombert, Hofkomponist des Kaisers, auf der anderen Claudin Sermisy, im Dienste des französischen Königs. Und selbstverständlich ging es auch hier um vielfältige Querverbindungen und gegenseitige Einflüsse, die aller politischen Feindschaft zum Trotz das Musikleben befruchteten.
Doulce Mémoire hat sich intensiv um die Aufführungspraxis speziell der französischen Ensemblemusik der Renaissance bemüht und neben den musikalischen Werken u. a. auch zahlreiche bildliche Zeugnisse studiert. Mit makellosen Stimmen und einem vielfältigen Instrumentarium gelang dem Ensemble eine vorbildliche Rekonstruktion des typischen vokal-instrumentalen Mischklangs des 16. Jahrhunderts. Kaum bemerkte der Zuhörer, dass man sich im Laufe der vitalen Darbietungen immer weiter von dem eingangs vorgegebenen Thema entfernte und sich mit Lust und Liebe der französischen Chanson und der Tanzmusik jener Zeit hingab. Die hohe Politik schien vergessen. Lasst sie streiten.... Ein Konzert zum genießen, solange im Saal das Handy nicht klingelt... (Ingo Negwer)
Sendung: Samstag, 11. November 2000, 20.05-22.00 Uhr, live, WDR 3
Karl V. und die Reformation Lieder und Motetten aus Flugblättern und Folianten Weser-Renaissance Leitung: Manfred Cordes
Wir schreiben das Jahr 1520. Es ist das Krönungsjahr Karls V. Drei Jahre zuvor hatte mit dem Thesenanschlag Luthers in Deutschland die Reformation begonnen. Eine politisch problematische Zeit also. Der Musik dieser Zeit hingegen wurde ein thematischer Reichtum beschert. Lobeshymnen auf Herrscher, Vertonungen reformatorischer Texte sowie viele Spottlieder gegen die Katholische Kirche und den Papst erfreuten sich großer Beliebtheit.
Das Ensemble Weser - Renaissance, auf die Musik des 16.und 17. Jahrhunderts spezialisiert, bot unter der Leitung Manfred Cordes´ einen Querschnitt durch das musikalische Schaffen der Reformationszeit. Sowohl Vokalisten als auch Instrumentalisten glänzten mit stimmlicher und intonatorischer Sicherheit sowie überzeugenden Interpretationen, was die Werke von Ludwig Senfl, Johann Walter, Heinrich Isaac und einigen anderen Komponisten zu einem wahren Hörgenuss werden ließ.
Sendung: Sonntag, 12. November 2000, 16.00-18.00 Uhr, live, WDR 3
Azis y Galatea (1708) Eine Oper am Hofe Philipp V. Barocke Zarzuela von Antonio Literes (1673-1747) in konzertanter Aufführung Text: José de Cañizares Al Ayre Español Leitung: Eduardo López-Banzo
Besondere Festtage wurden an den europäischen Höfen des 17.und 18. Jahrhunderts mit besonderer Musik gefeiert. So auch am spanischen Hof Philipps V. Zu seinem Geburtstag am 19. Dezember 1708 bekam er die Zarzuela "Acis y Galatea" geschenkt.
Der Stoff dieser Zarzuela war bekannt, vertonten doch Jean-Bapiste Lully und Georg Friedrich Händel die Geschichte der Nymphe Galatea, die sich in den Schäfer Acis verliebt, sich aber auch der Zudringlichkeiten des Zyklopen Poliphem erwehren muss.
Das Genre der Vertonung war von vorneherein festgelegt, waren Zarzuelas und Semiopern am spanischen Hof äußerst beliebt. Komponist Antonio Literes machte aus dem Stoff ein amüsantes Stück Musik, das ganz in der Tradition der spanischen Komödie verwurzelt ist und dem Beschenkten einige schöne Stunden bereitet haben mag.
Das Vokal- und Instrumentalensemble "Al Ayre Español" führte diese Zarzuela in konzertanter Form auf. Kleine szenische Einlagen verdeutlichten den Handlungsablauf genauer. Die Vokalisten füllten die ihnen aufgetragenen Rollen sowohl stimmlich-interpretatorisch wie auch schauspielerisch vollends aus. Der ungemein hohe Spaß an dieser Aufführung übertrug sich auch auf die Instrumentalisten. Vom musikalischen Leiter Eduardo López Banzo vom Cembalo aus geführt, bestach das kleine Ensemble durch viel barocke Klang- und Spielkultur, die mit spanische Akzente verfeinert wurde (Einsatz von Gitarren und Kastagnetten).
Dieses Konzert reihte sich blendend in die Reihe hervorragender Konzerte der diesjährigen 25. Tage Alter Musik in Herne ein und war zugleich ein gebührender Abschluß der Jubiläumsausgabe des Festivals. (Anke Westermann)
Sendung: Sonntag, 12. November 2000, 20.05-22.00 Uhr, live,WDR 3