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26. Tage Alter Musik in Herne
14. - 18. November 2001

Festspielbericht

Von Markus Brudereck, Ingo Negwer und Gerhard Menzel



Ausstellungskatalog-Vergrößerung

Das Motto der 26. TAGE ALTER MUSIK IN HERNE lautete Wiener Stil und Englische Manier - Hammerflügel und Tafelklaviere, Clavichorde. Die dazugehörige Ausstellung von Neu- und Nachbauten in- und ausländischer Werkstätten fand wie immer im Foyer des Kulturzentrums Herne statt. Dazu hatten sich 19 Instrumentenbauer aus Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Belgien, Großbritannien und aus Deutschland eingefunden und ausgewählte Instrumente ausgestellt.

Begonnen hatte das Festival allerdings mit einem Symposium zum Thema Fundament aller Clavirten Instrumenten - Das Clavichord in der Martin-Opitz-Bibliothek, zu dem sich zahlreiche Spezialisten und Wissenschaftler in Herne einfanden.

Größte Aufmerksamkeit muss man aufbringen und ein feines Gehör besitzen, wenn man einem Instrument lauschen möchte, das vielleicht das intimste und sensibelste von allen ist, die heute existieren: das Clavichord. Im Hause der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne hätte man am ersten Tag des Symposiums "Fundament aller Clavirten Instrumente: Das Clavichord" die berühmte Stecknadel fallen hören können, als der ungarische Clavichord-Virtuose Miklós Spangy seinen Soloabend gab. Das Instrument an dem er saß war der Nachbau eines Clavichords von Christian Ernst Friederici aus dem Jahre 1765, einer Zeit, in der sich das Instrument gerade in seiner Blüte befand. Schon bald im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch verlor sich die Tradition des Clavichordbaus ebenso wie die des Musizierens auf dem Instrument. Lange Zeit dienten die kastenförmigen und wie langgezogene, elegante Tische aussehenden Clavichorde zum Üben für angehende Organisten, als Ort empfindsamer Versenkung oder auch zum Komponieren.
Beim Clavichord entsteht der Ton nicht durch Anzupfen der Saite mit einer Feder wie beim Cembalo oder Spinett. Und auch vom Tafelklavier, bei dem die Saite mit einem kleinen Hammer angeschlagen wird, unterscheidet es sich: Beim Clavichord wird eine sogenannte Tangente aus Messing, die auf dem hinteren Tastenhebel steht, beim Niederdrücken der Taste an die Saite gedrückt und erzeugt dann den Ton, der auf Grund der besonderen Art seiner Erzeugung wenig tragfähig, sehr leise, aber sehr nuancierfähig ist. Zweifellos war das geringe Klangvolumen des Instrumentes der Grund, dass das Clavichord im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam in Vergessenheit geriet. Auch bei Tonaufnahmen stellt sich diese Eigenschaft als fatal heraus und führt stets zu einem verzerrten Klang, der nicht selten als zu laut erscheint oder gar an ein Cembalo erinnert. Dass in dieser Hinsicht nichts über das unmittelbare Konzerterlebnis geht, bewies nicht zuletzt Solist Miklós Spányi. Zusammen mit zwölf weiteren Wissenschaftlern und Instrumentenbauern trat er auf der Herner Tagung auch als Referent auf. Beim Symposion ging es sehr ins Detail: Geometrische und bautechnische Eigenheiten wurden diskutiert, bei denen etwa die Wurzel aus Fünf und der goldene Schnitt eine Rolle spielten. Man versuchte in fast detektivischer Manier unleserliche Handschriften zu entziffern oder nahm einzelne Instrumente eingehend unter die Lupe.
Im letzten Jahrzehnt hat sich in der Forschung Wesentliches getan. Auch in den Gebieten, von denen man bisher dachte, dass sie das Clavichord eigentlich nicht geschätzt hätten - wie etwa in Italien und Frankreich - waren die Instrumente in viel größerer Zahl verbreitet als vorher angenommen. Zudem waren die Wissenschaftler bisher davon ausgegangen, dass in bestimmten Regionen das Instrument kurz nach 1800 weitgehend ausgestorben war. Vermutlich aber hat es das ganze 19. Jahrhundert überdauert. Und auch hinsichtlich der Fertigung, der Fertigungstechnik, den Neubauten und den Kopien hat man in den letzten Jahren vieles gelernt. Dass heute Clavichorde und Tafelklaviere akustisch befriedigender nachgebaut werden als noch vor zwölf Jahren - damals waren historische Tasteninstrumente schon einmal Thema einer Ausstellung in Herne - liegt auf der Hand.
Eine Art Renaissance des Instrumentes innerhalb der Szene der alten Musik ist ebenfalls zu beobachten. Auf dem Symposion in Herne bewies die Wissenschaftlerin Sally Fortino zudem, dass das Clavichord auch zur Begleitung von Gesang diente. Zahlreiche Lobgedichte an das empfindsame Instrument wurden vertont. Einige Kostproben hiervon gab Fortino zusammen mit der Sängerin Almut Hailperin. Glühende Verehrer also hatte das Clavichord zu allen Zeiten. Auch heute, wo auf der ganzen Welt Clavichord-Vereine existieren, hat sich daran nichts geändert.
(Markus Brudereck)

Außerdem war die Deutschen Clavichord Societät zu Gast in Herne, die einen Workshop zur Stimmung und Pflege von Clavichorden anbot.

Eine sechsstündige Exkursion ins Münsterland zum Sportschloss Velen, wo nach einer beeindruckenden Führung durch die Orangerie zwei historische Tasteninstrumente der Familie Landsberg-Velen von Prof. Dr. Christian Ahrens (Ruhr-Universität Bochum) vorgestellt und von Miklos Spanyi (Finnland) gespielt wurden, bildete eine weitere Bereicherung des Festival-Programms der TAGE ALTER MUSIK IN HERNE.




Konzertprogramm-Vergrößerung ALLIANZEN – MUSIK UND POLITIK
in Werken vom Mittelalter bis zur Romantik

Musik aus dem öffentlichen bzw. politischen Leben, sowohl weltlicher als auch geistlicher Provenienz, stand auf dem reichhaltigen Programm der neun Konzerte, die der WDR unter der Konzeption von Dr. Barbara Schwendowius im Kulturzentrum der Stadt Herne und der benachbarten Kreuzkirche veranstaltete.

Quer durch die Jahrhunderte hindurch verstreut, richtete sich das Augenmerk auf die Zentren politischer Macht in Österreich, Frankreich, Deutschland, England, Italien und Polen. Dabei war die Sololiteratur für Tasteninstrumente ebenso vertreten, wie Kammer- und Ensemblemusik, ja erfreulicher Weise auch wieder eine Opernentdeckung.

Die Beziehungen zwischen Politik und Musik aus den historischen Quellen heraus lebendig werden zu lassen, war das Anliegen des diesjährigen Herner Festivals. Alte Musik sollte durch die Einbeziehung zeitgenössischer Texte dem heutigen Hörer zugänglich und verständlich gemacht werden. Leider gelang dieses nur in einigen Veranstaltungen (z.B. in der Einführung zum Konzert mit dem Orlando Consort).
Nach der Abkehr von den Themen bezogenen Konzertprogrammen - zum jährlich im Zentrum stehenden Instrument bzw. einer Instrumentengruppe - zu allgemein gefassten, oft landschaftsbezogenen kompositorischen Schwerpunkten, bedarf das Konzept der Tage Alter Musik in Herne wohl erneut einer Überarbeitung. Außerdem vergraulen von Jahr zu Jahr die unsäglichen Live-Übertragungen immer mehr Interessenten (die dadurch bestimmten Pausen reichten manchmal nur zu einem "kleinen Geschäft"), was auch den anbietenden Buch-, Noten- und CD-Händlern äußerst missfällt. Dieses Mal wurden immerhin wieder vier der neun Konzerte live auf WDR 3 übertragen.

Ausschnitte der Konzerte aus dem letzten Jahr zum Thema DAS REICH, IN DEM DIE SONNE NICHT UNTERGEHT - Musik aus der Welt Karls V. und seiner Nachfolger sind als CD-Kassette (mit 4 CDs) erschienen, die für 60,00 DM (30,00 €) beim Kulturamt der Stadt Herne erhältlich ist.


Die Konzerte

Coronatio Augusta
Österreich und seine musikalischen Kaiser
Ferdinand III., Leopold I., Joseph I., Karl VI.

Ars Antiqua Austria
Leitung: Gunar Letzbor

Gunar Letzbor und das 1995 von ihm gegründete Ensemble 'Ars Antiqua Austria', die sich vor allem auf das Repertoire österreichischer Komponisten des Barock spezialisiert haben, präsentierten ein Programm, das während der Regierungszeit der vier musikalischen Kaiser Ferdinand III., Leopold I., Joseph I. und Karl VI. im 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Wien entstanden sind. Da die Musik gleichzeitig auch Macht zu präsentieren hatte, waren für die Wiener Hofkapelle immer die besten Musiker und Komponisten aus Europa engagiert.
Als exemplarische Beispiele dieser Zeit erklangen Werke von JOHANN JAKOB FROBERGER, MARCO ANTONIO FERRO, JOHANN HEINRICH SCHMELZER, GIOVANNI LEGRENZI, ROMANUS WEICHLEIN, JOHANN JOSEPH FUX, JOHANN THEODOR HEROLD, GEORG MUFFAT und ANTONIO VIVALDI.
Einen besonders aparten Klang erreichte das Ensemble durch den gleichzeitigen Einsatz von Theorbe und Barockgitarre als gleichberechtigte Teile des Basso continuo. Profunde Werkkenntnis und unprätentiöses Spiel zeichneten dieses sympathische Ensemble aus, von dem noch viel zu hören sein wird.

Sendetermin: Mittwoch, 21. November 2001, 20.05 Uhr, WDR 3

Armonico Tributo Austria



Die Stadt der Narren
Gott, Mensch und städtisches Leben im
Mittelalter in Frankreich und in der Provence

Anne Azéma, Gesang und Symphonia
Shira Kammen, Fiedel, Harfe und Rebec
Moderation: Andreas Nachtsheim

Ein anspruchsvolles Programm hatte die Sängerin Anne Azéma und ihre langjährige Instrumentalbegleiterin Shira Kammen zusammengestellt. In dem von Andreas Nachtsheim moderierten Konzert, u.a. mit Musik von PHILIPPE LE CHANCELIER, ALFONSO EL SABIO, PEIRE VIDAL, erklangen nicht nur Liebeslieder, sondern auch Stücke über das politische und religiöse Leben im damaligen Frankreich. Das reichte von Beschimpfungen des Machtmissbrauchs in Rom bis zur Anprangerung der Schandtaten der weltlichen Machthaber, in denen sich die Musiker Luft gegenüber den Mächtigen machten und ihre Zeitgenossen aufriefen, den Wegen der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit zu folgen. Dabei durften sie sich natürlich nicht "zu weit aus dem Fenster lehnen", denn viele der Sänger waren ja als "Angestellte" von Fürsten auch von diesen abhängig.
Obwohl das Programm recht umfangreich und nicht immer kurzweilig war, brachte es doch einen tieferen Einblick in die gesungene Literatur der Zeit.

Sendetermin: Mittwoch, 5. Dezember 2001, 20.05 Uhr , WDR 3

Shira Kammen und Anne Azéma



Parteien, Pietas und Propaganda
Musik für Reichspolitik und Staatsreligion
in Deutschland und England

Corona Coloniensis
Leitung: Peter Seymour

Zu dem Konzert "Parteien, Pietas und Propaganda" in der Kreuzkirche, gab Prof. Ignace Bossuyt, Ordinarius des Instituts für Musikwissenschaft an der Katholischen Universität in Leuven (Belgien) eine Einführung unter dem Motto "Staatsmotette und Politik". Hierbei wurde verdeutlicht, dass auch geistliche Musik mit politischen Inhalten besetzt werden konnte. Diese sogenannten Staatsmotetten waren oft nur bloße Gelegenheitsmusiken zu Geburten, Begräbnissen oder Hochzeiten, manchmal gab es für sie aber auch andere aktuelle politische Anlässe von internationaler Bedeutung: Huldigungen an Feldherren, an Reichskanzler und Diplomaten, Friedensschlüsse und militärische Ereignisse.
Die Corona Coloniensis unter der Leitung von Peter Seymour brachte in diesem Konzert lateinische Motetten von CLEMENS NON PAPA, NICOLAS GOMBERT, ORLANDO DI LASSO, WILLIAM BYRD u.a. zur Aufführung, die im Umkreis der Herrschaft Kaiser Karls V. entstanden und sich direkt oder indirekt auf dessen Politik bezogen. So konnte man nicht nur die Schönheit und ausgefeilten technischen Finessen der Kompositionen bewundern, sondern sie auch in ihren unmittelbaren politischen Kontext einordnen.
(Gerhard Menzel)

Sendetermin: Mittwoch, 28. November 2001, 20.05 Uhr, WDR 3

Corona Coloniensis



Ein Hochzeitsfest in Florenz 1539
Heiratspolitik bei Cosimo de' Medici und Leonora da Toledo

Weser-Renaissance Bremen
Leitung: Manfred Cordes
Sprecher: Gudrun Schachtschneider und Alberto Trippetta

Das Ensemble Weser-Renaissance Bremen unter der Leitung von Manfred Cordes präsentierte Musik, die anlässlich der Hochzeit des Cosimo de' Medici mit Leonora da Toledo im Sommer 1539 in Florenz aufgeführt wurde.
Zunächst stand die musikalische Huldigung der toskanischen Städte an das Brautpaar im Zentrum: Florenz, Pisa, Volterra, Arezzo, Cortona und Pistoia, aber auch der Fluss Tiber machten ihre Reverenz in Form mehrstimmiger Canzonetten aus der Feder Constantino Festas, Mattio Rampollinis, Giovanni Petro Masaconis und Baccio Meschinis. Im zweiten Teil des Konzerts erlebten die Madrigale Francesco Corteccias, die bei jener Fürstenhochzeit als Intermedien zusammen mit der Komödie "Il Comodo" von Antonio Landi aufgeführt worden sind, durch Weser-Renaissance eine Wiederauferstehung.
Mit Rezitationen zeitgenössischer Berichte sollte dem Publikum der Zugang zu dem weit zurückliegenden Ereignis der politisch bedeutsamen dynastischen Verbindung erleichtert werden. So kommentierte Alberto Trippetta in der Rolle des Apoll auf Italienisch (!) den Aufzug der toskanischen Städte, während die hervorragenden Instrumentalisten von Weser-Renaissance (z. B. Paul O'Dette und Steven Stubbs - Lauten) die Hintergrundmusik beisteuerten: Wie wichtig ist uns eigentlich heute noch die Musik, wenn sie - vor allem auf diesem exzellenten Niveau - sogar in einem live gesendeten Konzert zur Nebensache wird?
In den Canzonetten und Intermedien, sowie in den einleitenden Tänzen hinterließen sowohl das Gesangs- als auch das Instrumentalensemble einen überzeugenden Eindruck. Weser-Renaissance gehört in dieser Verfassung zu den auch international ersten Adressen für die Interpretation der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts - einer musikalisch reichen Epoche, die in Deutschland nach wie vor eher stiefmütterlich behandelt wird.

Sendetermin: (live) FREITAG, 16. November 2001, 20.00 Uhr, WDR 3

Weser-Renaissance Bremen



Deutschland vor den napoleonischen Kriegen
Prinz Louis Ferdinand von Preußen
als Musiker, Politiker, Privatperson

Carole Cerasi, Hammerklavier
Schuppanzigh-Quartett:
Anton Steck, Violine
Christoph Mayer, Violine
Jane Oldham, Viola
Antje Geusen, Violoncello

Das Konzert mit dem Schuppanzigh-Quartett war dem Leben und Werk des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen gewidmet. Bernd Hahn rezitierte aus Briefen und politischen Texten des vielfach begabten Neffen des "großen" Friedrich, der jung im Krieg gegen Napoleon gefallen war. Das ausgezeichnete Schuppanzigh-Quartett stellte zusammen mit Christoph Hammer (Hammerflügel) zwei Kammermusikwerke Louis Ferdinands vor: das Andante mit Variationen B-Dur, op. 4, und das Quintett c-moll, op 1. Während das formal weit ausladende Quintett den heutigen Zuhörer nicht völlig überzeugen und insbesondere unter der quasi permanenten Dominanz der ersten Violine und des Klaviers leidet, hinterließ das Andante mit seinen reizvollen, abwechslungsreichen sieben Variationen einen tieferen Eindruck. Hier konnte man nachvollziehen, dass selbst Beethoven in dem Hohenzollern-Spross einen hochbegabten Musiker erkannte und Franz Liszt in memoriam eine "Élégie sur des motifs du Prince Louis Ferdinand de Prusse" für Klavier schrieb. - Christoph Hammer trug dieses schöne Werk voll verhangener Melancholie, die reichen Klangfarben des Hammerflügels auskostend, vor.
Anton Steck, Christoph Mayer (Violine), Jane Oldham (Viola), Antje Geusen (Violoncello) und Christoph Hammer nahmen sich der Musik Louis Ferdinands engagiert an. Gerne hätte man nach den reichlichen Aperitifs jedoch auch einmal ein Hauptmenü aus der Feder Mozarts, Haydns oder Beethovens von diesem vorzüglichen Ensemble serviert bekommen.

Sendetermin: Mittwoch, 19. Dezember 2001, 20.05 Uhr, WDR 3




Allianzen: Hannover - London
Agostino Steffani als Geheimagent

Monique Zanetti, Sopran
Musica Alta Ripa
Aus dem Briefwechsel zwischen Kurfürstin Sophie Charlotte und Agostino Steffani
lasen Gudrun Schachtschneider und Bernt Hahn.

Konzeptionelle Schwächen wurden auch in dem Konzert deutlich, in dem Monique Zanetti (Sopran) und das Ensemble Musica Alta Ripa Ausschnitte aus Agostino Steffanis "La Lotta d'Hercole" und "Tassilone" sowie Händels Kantate "Da quel giorno fatale" darboten. Von Letztgenanntem erklang zudem das Concerto grosso F-Dur, op. 3/4.
Das Konzert mit einer virtuos dramatisch auftrumpfenden Monique Zanetti und der vorzüglichen Musica Alta Ripa (Anne Röhrig, Leitung und Violine), stand unter dem Motto "Allianzen: Hannover - London. Agostino Steffani als Geheimagent". Einmal mehr gelang es jedoch nicht, mit Rezitationen - hier aus Briefen Steffanis und Sophie Charlottes von Preußen - das Verständnis der dargebotenen Musik zu vertiefen. Ein Blick in das - wie immer - vorzügliche Programmbuch gibt da weitaus mehr Informationen und lenkt die Aufmerksamkeit nicht unnötig vom Wesentlichen eines Konzerts ab, von der Musik!
(Ingo Negwer)

Sendetermin: (live) SAMSTAG, 17. November 2001, 20.00 Uhr, WDR 3

Monique Zanetti und Musica Alta Ripa



Vormärz in Wien
Zwischen Wiener Kongress und Biedermeier

Wolfgang Brunner, Hammerklavier
Peter Pikl, Rezitation

Zu einem der Höhepunkte der TAGE ALTER MUSIK IN HERNE wurde dieses Konzert mit Wolfgang Brunner (Hammerklavier) und Peter Pikl (Rezitation und Gesang). Das Musik durch huldigende oder kritisierende Texte politisch sein kann, ist jedem klar. Dass aber auch reine Instrumentalmusik politische Inhalte vermitteln kann, demonstrierte Wolfgang Brunner eindrucksvoll mit einigen typischen "Tongemälden", die in den Jahrzehnten um 1800 zu Hauf entstanden.
So erklangen die sehr plastische und emotionsgeladene Kompositionen von JOHANN BAPTIST VANHAL, "Die Bedrohung und Befreyung der k.u.k. Haupt und Residenzstadt Wien" (1797), LUDWIG VAN BEETHOVEN, "Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria" für das Piano-Forte, op. 91 (Wien 1816, komponiert 1813), IGNAZ MOSCHELES, "Triumph Einzug der verbündeten Mächte in Paris. Ein charakteristisches Tongemälde für das Pianoforte" (Wien 1814) und TOBIAS HASLINGER, "Der Courier, oder Wiens Jubel bey dem Eintreffen der Sieges-Nachricht Paris ist genommen. Ein charakteristisches Tongemälde für das Pianoforte, op. 113" (Wien 1814).
Der wie Wolfgang Brunner aus Salzburg stammende Peter Pikl leitete mit Wiener Zungenschlag durch das Programm und ließ durch seine Beiträge - Hintergrundinformationen, Gedichte und Lieder - die Zeit des Vormärz in lebensnahen Bildern wiedererstehen. Als führenden Autor seiner Zeit präsentierte Peter Pikl zahlreiche Werke von JOHANN NESTROY (z.B. ein Couplet aus "Freiheit in Krähwinkel" mit der Musik von MICHAEL HEBENSTREIT). Beide demonstrierten damit, wie man lebendig und unterhaltend Zeitgeschichte vermitteln kann, und das auf hohem Niveau.
Den Abschluss des Programms bildete ROBERT SCHUMANNs "Faschingsschwank aus Wien", op. 26, ein scheinbar unbeschwertes und heiteres Stück, das jedoch mehr oder weniger versteckt, deutlich Kritik an dem Metternich-Regime übt. Nicht einmal 10 Jahre später mehrten sich die Unruhen, die 1848 zur Revolution und zur Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und ein Jahr später zur Reichsverfassung führten.

Sendetermin: Mittwoch, 12. Dezember 2001, 20.05 Uhr, WDR 3

Wolfgang Brunner und Peter Pikl



Päpste und Gegenpäpste
Macht und Ohnmacht der Päpste um 1400 -
Musik aus der Zeit der Kirchenspaltung

Orlando Consort:
Robert Harre-Jones
Charles Daniels
Angus Smith
Donald Greig

Eine andere Art der Einführung in ein Konzert präsentierte der WDR zum Konzert mit dem Titel "Päpste und Gegenpäpste...". Hierbei handelte es sich um eine Collage aus zeitgenössischen Berichten von Klaus Pietschmann (Realisation: Gela Birckenstaedt) unter dem Motto "Neueste Nachrichten aus Rom, Avignon und Konstanz", die aus dem Off eingespielt wurde und vom Moderator Michael Müller (live) kommentiert wurde.
Im 14. und 15. Jahrhundert kam es zu einer politisch motivierten Kirchenspaltung, die dazu führte, dass es zeitweise sogar drei Päpste gab, einen im französischen Avignon, einen in Rom und einen dritten in Pisa. Der von ihnen zur Schau gestellte Luxus erregte allgemeinen Ärger, was sich auch in der Musik wiederspiegelte. Diese historischen Informationen lieferten dem Publikum den Grundstock an Wissen, das in der Moderation im Konzert dann noch detaillierter dargestellt und vertieft wurde.
Die Werke, die vom Orlando Consort in eindrucksvoller Weise interpretiert wurden stammten u.a. von PHILIPPE DE VITRY, JOHANNES CIONIA, ANTONIO ZACARA DE TERAMO, BARTOLOMEO DA BOLOGNA, JOHANNES BRASSART und GUILLAUME DUFAY.

Sendetermin: (live) SONNTAG, 18. November 2001, 20.00 Uhr, WDR 3

Orlando Consort



Allianzen: Polen und Litauen
Treffpunkt Oper

JOHANN DAVID HOLLAND (1746-1827)
Agatka (1784)
Singspiel in polnischer Sprache

Concerto Polacco
Leitung: Marek Toporowski
Moderation: Corinna Rottschy

Auch nach dem Ende des 18. Jahrhunderts Polen und Litauen, Königreich und Großfürstentum, politisch keine Allianz mehr bildeten, gab es kulturell nach wie vor Beziehungen, die durch den Austausch von Künstlern die alte Allianz über die Grenzen hinweg weiterhin lebendig erhielten.
Johann David Holland, der 1746 in St. Andreasberg/Harz geboren wurde, wechselte 1783 von Hamburg, wo er Musikdirektor der Katharienkirche war, als Kapellmeister nach Nieswiez (heute Weißrussland) in den Dienst des polnischen Fürsten Karol Radziwill. 1795 ging er nach Vilnius, die Hauptstadt Litauens, wo er als Dozent und Musikdirektor an der Universität wirkte und dort 1827 auch starb.
Sein Singspiel Agatka verknüpft die Traditionen des deutschen Singspiels und der italienischen Opera buffa (Arien, Duette, Ensembles und gesprochene Dialoge) mit den von der Volksmusik Polens herrührenden Motivik und Metren, die ein reizvolles musikalisches Werk entstehen ließen. Das in polnischer Sprache komponierte Werk, in dem sich Bauern und Adelige gegenüberstehen, erinnert auch thematisch sehr an Mozarts Le Nozze di Figaro, der 1786 in Wien seine Uraufführung erlebte.

Leider verpasste der WDR die Chance, dieses nicht nur musikgeschichtlich interessante Werk in - wie sonst eigentlich gewohnt - publikumsfreundlicher Weise aufzubereiten und zu vermitteln. Auch Moderatorin Corinna Rottschy, die am Anfang jeden Aktes eine kurze Inhaltsbeschreibung gab, konnte die Verwirrung und die fehlende Zuordnung der Sänger (immerhin 10 singende Darsteller) zu ihren Rollen nicht ausräumen. Das ein Abdruck des ganzen Librettos eine zu kostenintensive Lösung gewesen wäre ist durchaus nachzuvollziehen, aber eine DIN A4-Seite mit der Abfolge der einzelnen Arien und Ensembles (natürlich mit Angabe der Personen) hätte schon vollkommen ausgereicht, um die ganzen Nebenrollen (Tenöre und Bässe) zu identifizieren und der Handlung zuzuordnen. So verließen schon in der Pause zahlreiche "entnervte" Besucher das Kulturzentrum. Schade! Dabei hatten das Orchester und einige der Solisten musikalisch etwas zu bieten.

Das Concerto Polacco unter seinem engagierten Leiter Marek Toporowski spielte mit Schwung und Temperament. Wenn auch nicht der ganz hohe Standard von anderen Spezialensembles erreicht wurde, so gelang es den Musikern doch hervorragend, die faszinierende deutsch-polnische Musik des Johann David Holland mitreißend zu interpretieren. Die stimmliche Qualität der Solisten war jedoch nicht sehr einheitlich, was den sonst ausgezeichneten Gesamteindruck leider etwas schmälerte.
Marta Boberska als Agatka war jedenfalls eine Ohrenweide. Ihre herrlich geführte und farbenreiche Stimme konnten einen wirklich dahinschmelzen lassen. Neben ihr profilierten sich noch die quicklebendige Anna Mikolajczyk (Sopran) als "Schwatzweib" Plociuchowa und Ryszard Minkiewicz (Tenor) als Antek Calka, Agatkas Liebhaber.

Eine so zwiespältig in Erinnerung bleibende Schlussveranstaltung der TAGE ALTER MUSIK IN HERNE wäre nun wirklich nicht notwendig gewesen.

Sendetermin: (live) SONNTAG, 18. November 2001, 20.00 Uhr, WDR 3

Concerto Polacco und Marek Toporowski

Agatka: Marta Boberska (Sopran)
Antek Calka: Ryszard Minkiewicz (Tenor)
Plociuchowa: Anna Mikolajczyk (Sopran)
Pijaszko: Mroslaw Borczynski (Baß)
Dbalski: Cezary Szyfman (Bass):
Walenty: Bogdan Makal (Bass)
Antek Gajdak: Pietr Zawistowski (Tenor)
Maciek: Piotr Maculewicz (Tenor)
Stach: Aleksander Kunach (Tenor)
Pan (Gutsherr): Wojciech Siemion (Sprechrolle)



Geselliges Beisammensein nach den Abendkonzerteni

Die größte Peinlichkeit der 26. Tage Alter Musik spielte sich allerdings in der Tiefgarage des Kulturzentrums ab. Kurz vor dem Festival wurde die Garage auf kostenpflichtigen Schrankenbetrieb umgestellt. Das ist ja als solches nichts Außergewöhnliches. Aber ohne eine ausreichende Beschilderung derselben, irrten Besucher des Festivals nicht nur planlos durch die - zum Kulturzentrum durch ein verschlossenes Eisengitter versperrten - Garage um einen Ausgang zu finden, sondern trafen sich im Anschluss an die Abendkonzerte zu einem bis zu 45 Minuten dauernden "geselligen Beisammensein" am Parkscheinautomaten. Woanders setzt man sich zu einem schönen Tagesausklang in eine Restauration, hier ärgerte man sich gemeinsam in feuchtkaltem Ambiente über die Unfähigkeit der Verantwortlichen, zusammen mit der Nutzungsumstellung auch die entsprechenden Informationsschilder anzubringen, um solche peinlichen Zwischenfälle zu vermeiden. Da ist es doch zu Hause im warmen Zimmer vor dem Radio wesentlich gemütlicher. Freilich entgeht einem dort das Eigentliche, das unmittelbare Konzert- und Musikerlebnis!
Es gibt also genug Ansatzpunkte, dass sich die 27. Tage Alter Musik in Herne (vom 13. bis 17. November 2002) besser zu präsentieren. Die Themen sind dann: "FRAUEN IN DER MUSIK vom Mittelalter bis zur Klassik" (Konzertreihe des WDR), "TRUMSCHEIT und LIRONE, VIHUELA und VIOLINE - Alte Streich- und Zupfinstrumente" (Ausstellung von Kopien und freien Nachbauten im Kulturzentrum) und "VIOLA DA GAMBA und VIOLA DA BRACCIO" (Symposium im Hause der Martin-Opitz-Bibliothek). Viel Erfolg!
(Gerhard Menzel)


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Da capo al Fine

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