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Musikfestspiele
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Vergrößerung Händel-Festspiele in Halle (Homepage)
 6. - 17. Juni 2002

The King shall rejoice

Von Gerhard Menzel und Annette van Dyck-Hemming

Nach den groß gefeierten 50. Händel-Festspielen im vergangenen Jahr, gab es auch dieses Jahr wieder zahlreiche Jubiläen, die Eingang in das Festspielprogramm fanden. Nicht nur die Tatsache, dass sich vor 300 Jahren Georg Friedrich Händel als Student in die Jura-Matrikel der Alma mater halensis einschrieb, sondern auch die Gründung der Wittenberger Universität vor 500 Jahren (die 1933 ihren heutigen Namen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erhielt), das 350. Gründungsjahr der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der 250. Geburtstag von Johann Friedrich Reichardt bildeten programmatische Schwerpunkte während der zehn Festivaltage. Die insgesamt 37 Veranstaltungen an 17 Veranstaltungsorten, für die über 1.500 Künstler engagiert waren, zogen mehr als 33.000 Besucher an, die eine festlich geschmückte Stadt Halle vorfanden. Der Kartenverkauf wurde dabei erstmals über Ticket-Online abgewickelt.

Das Erscheinungsbild der Stadt dominierten während dieser Tage blaue, rote und weiße Banner, Flaggen und Plakate, die die Festspiele allgegenwärtig werden ließen. Auch der jährliche Schaufensterwettbewerb, an dem über 30 Geschäfte teilnahmen, trug seinen Teil zum festivalgeprägten Stadtbild bei.

Ein umfangreiches Begleitprogramm, das mit Unterstützung zahlreicher ansässiger Unternehmen der privaten Wirtschaft ermöglicht wurde, gewährleistete, dass Interessierte auch ohne Opern- und Konzertkarten eine abwechslungsreiche Festspielzeit erleben konnten. So fand das auf dem Markt installierte Händels Open (nach dem Motto "hören, essen und trinken") erstmals nicht nur an einem Wochenende statt, sondern zog während der gesamten Festspielzeit - bis in die tiefe Nacht hinein - ein bunt gemischtes Publikum an. Neben einer Podiumsdiskussion sorgten vor allem die Veranstaltungen mit Klassik, Jazz und "Weltmusik" für ein reges Treiben auf und vor der großen Bühne am Rathaus.

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Blick auf den Marktplatz in Halle
Foto: Gerhard Menzel


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Händels Open
"Der Himmel hängt voller Geigen"
Jeanett Wernecke und die Salon-Philharmoniker
Foto: Gerhard Menzel
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Alessandro De Marchi
Foto: Jens Schlüter

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Oberbürgermeisterin Ingrid Häusler
überreicht den Händel-Preis der Stadt Halle
an Jean-Claude Malgoire
Foto: Jens Schlüter

Jean-Claude Malgoire profilierte sich nicht nur als Musiker (Oboe und Englischhorn), sondern vor allem als Dirigent, Chorleiter, Musikwissenschaftler und Opernregisseur. 1966 gründete er das Orchester "La Grande Ecurie et la Chambre du Roy", mit dem er ein großes Repertoire erarbeitete und dadurch einen enormen Beitrag zur Verbreitung barocker Musik in historischer Aufführungspraxis leistete. Dabei hat er von keinem anderen Komponisten mehr Aufnahmen eingespielt, als von Georg Friedrich Händel. Außerdem liegt ihm viel an der Arbeit mit jungen Musikern. Besonderes Aufsehen erregte sein aus dem reichhaltigen Opernschaffen Händels zusammengestelltes Pasticcio, das im Rahmen der Händel-Festspiele in Karlsruhe 1985 seine Uraufführung erlebte und auch für das Fernsehen aufgezeichnet wurde.

Einen unerwarteten Höhepunkt lieferte gleich zu Beginn der Festspiele das Festkonzert in der Georg Friedrich-Händel-Halle. In den letzten Jahren mehr eine Repräsentationsveranstaltung mit umrahmender Musik, wurde es in diesem Jahr seinem Namen "Festkonzert" in der Tat gerecht.

Schon in den zwei einleitenden Sätzen aus Händels Wassermusik (Suite II D-Dur, HWV 349) sorgte Dirigent Alessandro De Marchi mit dem blendend aufgelegten Händelfestspielorchester des Opernhauses Halle für "frischen Wind" und machte auf das Kommende neugierig.

Nach der Begrüßung durch die Oberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale) Frau Ingrid Häusler und dem Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt Wolfgang Böhmer präsentierte Massimiliano Toni mit dem Offertorio per Organo von Giovanni Morandi ein erfrischendes Orgelzwischenspiel.

Es folgte die Ansprache des Schirmherrn der diesjährigen Festspiele, Sir Geoffrey Howe, der sich zunächst als Schatzkanzler, dann als Außenminister (als langjähriger Amtskollege und Freund des Hallensers Hans-Dietrich Genscher) und schließlich als Vizepremierminister stark für ein geeintes Europa eingesetzt hatte.

Anschließend überreichte Oberbürgermeisterin Ingrid Häusler den mit 10.000 EURO dotierten Händel-Preis der Stadt Halle an den französischen Dirigenten Jean-Claude Malgoire (Frankreich ist auch das Thema der Festspiele 2003). Malgoire, ein Wegbereiter der historischen Aufführungspraxis mit einem besonders ausgeprägten Interesse an den Werken Händels, dirigierte übrigens in den letzten beiden Jahren je ein Konzert in der in Galgenbergschlucht.

Mit Händels Peace Anthem "How beautiful are the feet on them" (Anthem für die Feier des Friedens von Aachen, HWV 266) und einigen Sätzen aus der Ode for St. Cecilia's Day "From Harmony, from heav'nly Harmony" (HWV 76) konnte Alessandro De Marchi und das Händelfestspielorchester das eingangs so vielversprechende hohe musikalische Niveau sogar noch steigern. Neben dem klaren, leuchtenden Sopran von Lynne Dawson und den weiteren Solisten Sylvie Althaparro (Alt), Leonardo de Lisi (Tenor) und Frédérik Caton (Bass), sorgten der Stadtsingechor zu Halle (Einstudierung: Helmut Steger) und der Kieler Knabenchor (Einstudierung: Hans-Christian Henkel) - deren (gemeinsame) Alt-Stimmen allerdings etwas sehr zart klangen - mit federnd leicht und sinnvoll gestalteten musikalische Einheiten, für einen regelrecht "swingenden" Händel im besten Sinne des Wortes.

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Als Zugabe präsentierte Alessandro De Marchi noch eine sehens- und hörenswerte "gemischte" Ensembleaufstellung, wie er sagte, eine "Entdeckung" aus einer wohl sehr gelungenen und effizienten Probenarbeit.
Foto: Gudrun Hensling

So wurde ein "Festkonzert" in lockerer und fröhlicher Stimmung beschlossen, das alle Anforderungen erfüllte und die Erwartungen weit übertraf.

Das Ergebnis einer fruchtbaren musikalischen Zusammenarbeit präsentierte auch die 59. Inszenierung einer Händel-Oper am Opernhaus Halle. Die unter der musikalischen Leitung von Alessandro de Marchi nach der neu edierten Fassung der Hallischen Händel-Ausgabe einstudierte Oper Deidamia (HWV 42), erwies sich als ein weiterer musikalischer Höhepunkt der Festspiele.

Als Wiederaufnahme aus dem letzten Jahr kam noch einmal Axel Köhlers unterhaltsame Inszenierung von Händels Rodrigo unter der Leitung von Andreas Spering zur Aufführung. Mit zwei Umbesetzungen im Vergleich zum Vorjahr wirkte die Aufführung unverändert frisch und unverbraucht. Für die Partie der Esilena fehlte es Martina Rüping zwar etwas an lyrischer Wärme und Ausdruckskraft, doch ihre Gestaltung wirkte insgesamt sehr ansprechend und spannungsvoll. In der Männerrolle des Evanco machte Ulrike Schneider eine wirklich heldenhafte Figur und wurde ihr auch stimmlich mehr als nur gerecht. Die eigentlichen "Stars" der Aufführung waren aber wiederum Romelia Lichtenstein (Florinda) und Kobie van Rensburg (Giuliano).

Leider (aus finanziellen Gründen) nur konzertant kam Händels Oper Arianna in Creta (HWV 32) auf die Bühne des Goethe Theaters Bad Lauchstädt, das in diesem Jahr sein 200 jähriges Bestehen feiern konnte. Christophe Rousset und sein exzellentes Orchester "Les Talens Lyriques" reiste dazu mit einem exquisiten Solistenensemble an.

Sandrine Piau als Arianna demonstrierte einmal mehr, welch technische und gestalterische Möglichkeiten ihrem hell strahlendem Sopran zu eigen sind. Einen sehr distinguierten Helden bot Kristina Hammarström als Teseo, stimmlich sehr schön und ausdrucksvoll, allerdings zu sehr auf sich konzentriert. Nicht einmal im Lieto Fine gönnte sie ihrer "angebeteten Arianna" einen liebevollen Blick. Da für diese Aufführung weder Übertitel noch ein Textbuch mit deutscher Übersetzung zur Verfügung standen, erschlossen sich dem nicht mit dem Stück vertrauten Zuhörer dadurch noch weniger inhaltliche Zusammenhänge.

Darstellerisch wesentlich engagierter präsentierten sich Anne Lise Sollied (Alceste), Ann Hallenberg (Tauride) und der einzige Mann im Ensemble, Evguenyi Alexejev (Minos/Il Sonno). Ewa Wolak als Carilda unterliefen manchmal etwas unschöne Registerwechsel, was bei ihr während der letzten Händel-Festspiele in Karlsruhe (Die Plagen) und in Göttingen (Alcina) noch nicht so zu hören war.

Wer Arianna in Creta 1999 bei den Händel-Festspielen in Göttingen erlebt hatte, wusste erst richtig zu ermessen, welch ein Verlust auf die Szene diese konzertante Aufführung bedeutete. Trotz allem war sie ein musikalisches Erlebnis.

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Opernhaus Halle
Foto: Gerhard Menzel


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Deidamia-Plakat

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Arianna in Creta in Bad Lauchstädt
Christophe Rousset, Kristina Hammarström,
Sandrine Piau, Anne Lise Sollied und Ewa Wolak
Foto: Gerhard Menzel
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Ton Koopman mit dem
Amsterdam Baroque Orchestra und Choir
in der Marktkirche
Foto: Jens Schlüter



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Robert King und The King Consort
im Dom zu Halle
Foto: Jens Schlüter



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Die Deutschen Händel-Solisten Karlsruhe
in der Konzerthalle Ulrichskirche
Foto: Ralf Lehmann

Zum Thema The King shall rejoice - Musik für das englische Königshaus steuerte Ton Koopman einen bemerkenswerten Teil bei. In der Marktkirche zu Halle begeisterte er das Auditorium mit seinem homogen klingenden Amsterdam Baroque Orchestra und Choir und den ausgezeichneten Solisten Henriette Feith (Sopran), Robin Blaze (Altus), Jörg Dürrmüller (Tenor) und Peter Harvey (Bass). Das einleitenden Concerto grosso op. 6 Nr. 6 g-moll (HWV 324) war durch seinen Charakter eine passende instrumentale Hinführung auf das zum Tode von Königin Caroline komponierte Funeral Anthem "The ways of Zion do mourn" (HWV 264). Nach der Pause folgte dann - als Kontrastprogramm - das feierliche, glanzvolle und von Trompeten und Pauken dominierte Te Deum für den Frieden von Dettingen (HWV 283). Dem temperamentvollen Ton Koopman und seinen hervorragenden Musikern gelang auch hier eine intensive und bewegende Interpretationen von Händels Musik.

Ein ebenfalls eindrucksvolles Konzert konnten die Besucher im Dom zu Halle erleben. Robert King präsentierte dabei den Versuch einer Rekonstruktion der Krönungsfeierlichkeiten für George II. im Jahre 1727. In diesem Zusammenhang kamen neben Händels vier Coronation Anthems für Georg II. (HWV 258-261), auch Kompositionen von Henry Purcell, Thomas Tallis, John Blow u.v.a. zur Aufführung. Die einzelnen Teile der Zeremonie wurden auch durch den Ein- und Auszug von Fanfaren, Trommlern und des Chores gegliedert. Auch wenn die musikalischen Abfolge einer der größten höfischen Zeremonien nur in einer "konzertanten" Nachstellung geboten wurde, konnte man sich die Dimensionen und Pracht dieser Krönungsfeierlichkeiten doch ansatzweise vorstellen. Robert King und The King Consort präsentierten dieses musikalische Fest mit Engagement und mitreißender Spielfreude.

Den beiden Komponisten Bach und Händel war das Konzert der Deutschen Händel-Solisten aus Halles Partnerstadt Karlsruhe unter der Leitung von Christoph Spering in der Konzerthalle Ulrichskirche gewidmet. Wirkte Bachs erstes Brandenburgisches Konzert (BWV 1046) vielleicht noch etwas "hölzern" und nicht vollkommen eingespielt, so fanden die Deutschen Händel-Solisten Karlsruhe spätestens beim Konzert für Oboe und Violine BWV 1060 zu der Form, die sie unter der Leitung von Christoph Spering zu einem der führenden Alte-Musik-Ensembles werden ließ.
Die Solisten des Konzertes waren der "ungezügelte Draufgänger" Anton Steck (Violine) und - als größtmöglichen Gegensatz dazu - die Ästhetin Katharina Arfken (Oboe), deren ausdrucksvolles musizieren zum feinsten gehört, was man überhaupt auf der Oboe hören kann.
Einen weiteren Höhepunkt des Konzertes bildete die Sinfonia aus Bachs Kantate "Ich liebe den Höchsten mit ganzem Gemüte" (BWV 174), eine Adaptation des ersten Satzes des dritten Brandenburgischen Konzertes. Mit diesem vor Temperament nur so strotzenden Satz bedankten sich auch die Deutschen Händel-Solisten Karlsruhe als Zugabe beim begeistert applaudierendem Publikum.
Homogenes und temperamentvolles Spiel in perfekter Klangbalance zeichneten auch die Interpretationen von Händels Sinfonia B-Dur (HWV 347), des Concerto grosso op. 3 Nr. 4 F-Dur (HWV 315) und des Concerto grosso op. 6 Nr. 11 A-Dur (HWV 329) aus.

Dem Jubilar Johann Friedrich Reichhardt, dessen 250. Geburtstag dieses Jahr gedacht wurde, galt nicht nur eine kleine Sonderausstellung im Händel-Haus, sondern auch mehrere Konzertveranstaltungen.

Beim Konzert in memoriam J. F. Reichardt im Dom zu Halle musizierten der Universitätschor Halle "Johann Friedrich Reichardt", Konrad Brandt an der Orgel und das Barock Consort der Bremer Hochschule der Künste unter der musikalischen Leitung von Jens Lorenz. Neben Werken von Händel, dem "Laudate Pueri Dominum" (2. Fassung D-Dur, HWV 237), in dem die Sopranistin Ulrike Fulde auf sich aufmerksam machte, dem Anthem für die Feier des Friedens von Dettingen "The King shall rejoice" (HWV 265) und sechs Orgelstücken, kam Johann Friedrich Reichardtss 65. Psalm "Der Seelen Ruhe ist es, Gott zu Zion, dich zu loben" in der Einrichtung von Konstanze Musketa zur Aufführung. Diese für den Chor dankbare Komposition wird durch die Ohren schmeichelnde Melodien in ruhig fortschreitenden Harmonien geprägt. Die wenigen eingestreuten Soli sangen Studierende der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig: Ulrike Fulde (Sopran), Heike Bader (Alt), Peter Diebschlag (Tenor) und Daniel Blumenstein (Baß).

Dank des - ansonsten sehr unbeständigen - Wetters, konnte die Johann Friedrich Reichardt gewidmete Veranstaltung Lieder, Oden, Balladen und Romanzen - Ein musikalisches Fest mit Goethe und Reichardt in Reichardts Garten wirklich zu einem gelungnen Fest werden. Die 3,36 Hektar große Anlage im englischen Stil wurde seinerzeit von dem preußischen Hofkapellmeister, Komponisten und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt selbst entworfen und steht inzwischen unter Denkmalschutz. Diese historische, öffentliche Parkanlage sowie der Amtsgarten sind übrigens neben dem Botanischen Garten und dem Wittekindpark in das touristische Landesprogramm "Gartenträume" aufgenommen worden, das bis zum Jahr 2006 vierzig wichtige Parkanlagen Sachsen-Anhalts zu einer "Straße der Gärten" vereinigen soll.

Das Programm dieses Wanderkonzertes gestalteten Studentinnen und Studenten des Instituts für Musikpädagogik (Klasse Ute Lesch), der Kammerchor des Universitätschores Halle "Johann Friedrich Reichardt" (Leitung: Jens Lorenz und Bernd Ebert, Assistent Jens Arndt), das Akademische Orchester Halle (Leitung: Matthias Erben), Mitglieder des Studententheaters der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Leitung: Anna Siegmund-Schultze), die Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle e.V. und der Kustos der Universität.

Rund 250 Besucher folgten dem abwechslungsreichen literarisch-musikalischen Programm, das, von zwei Hornisten zum jeweils nächsten Veranstaltungsort geblasen, an der Büste Reichardts begann, wo eine kleine Bühne aufgebaut war. Der Weg führte dann zu der sogenannten "Naturbühne", anschließend zu einem Wiesenhang am Goethe-Stein und letztlich zum Grab Reichardts auf dem (etwas heruntergekommenen) alten Giebichensteiner Friedhof an der Batholomäuskirche.

Neben literarischen Werken aus zeitgenössischen Quellen wurde auch einiges an interessantem Hintergrundwissen vermittelt, z.B. Reichardts Aufgaben als Salineinspektor und sein Verhältnis zu Goethe. Außer Chorgesängen, Sololiedern und Instrumentalwerken von Reichardt erklangen auch Werke von Reichardts Tochter Louise, Felix Mendelssohn Bartholdy, Antonio Salieri und Robert Franz. Ein Ausschnitt aus Reichardts Singspiel Erwin und Elmire bot einen Einblick in die Zusammenarbeit Reichardts mit Goethe, der das Libretto zu diesem Werk verfasste.
Nachdem die herrlichen Licht- und Schatteneffekte des Gartens der Abenddämmerung gewichen waren, versammelte sich die Wandel-Gesellschaft an Reichardts Grab, um dem von Bläsern begleiteten Chorsatz "Ruhig ist des Todes Schlummer" von Daniel Gottlob Türk zu lauschen, der auch zu Reichardts Begräbnis gesungen wurde.

Eigentlich eine Veranstaltung, die traditionell zum Ende eines jeden Studienjahres stattfindet, fand sie dieses Jahr (nur) auf Grund des 250. Geburtstages von Johann Friedrich Reichardt Eingang in das Programm der Festspiele. Eine sehr gute Idee! Allerdings wäre es wünschenswert, wenn diese Veranstaltung in Zukunft einen festen Platz im offizielle Programm erhielte.

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Die Büste Johann Friedrich Reichardts
in Reichardts Garten
Foto: Gerhard Menzel



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Beginn des Wandelkonzerts
an der Büste Johann Friedrich Reichardts
Foto: Gerhard Menzel



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Der Wiesenhang
in der Nähe des Goethe-Steins
Foto: Gerhard Menzel



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Der Abschluß des Wandelkonzerts
am Grab Johann Friedrich Reichardts
auf dem alten Giebichensteiner Friedhof
Foto: Gerhard Menzel
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Die Preisträger des 6. Händel-Wettbewerbs
Pierre Torwald, Jaroslav Roucek, Paolo Bacchin,
Steffen Naumann, Masaru Gushi und Tobias Willner.
Foto: Gudrun Hensling

Fester Bestandteil der Festspiele ist dagegen der Internationale Händel-Wettbewerb, der von Händels Neue Generation e.V., dem Institut für Musikpädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, den Franckeschen Stiftungen und der Direktion der Händel-Festspiele im Händel-Haus veranstaltet wird. Eine intensive Förderung erhält dieser Wettbewerb auch durch MITGAS und die Ständige Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik e.V.

Das Preisträgerkonzert des 6. Händel-Wettbewerbs, der erstmals für moderne und historische Trompete ausgeschrieben war, fand unter der künstlerischen Gesamtleitung von Prof. Burkhard Glaetzner wiederum in den Frankischen Stiftungen statt.

Die Jury bestand aus Prof. Burkhard Glaetzner (Universität der Künste Berlin), Prof. William Forman (Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin), Prof. Friedemann Immer (Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig), Prof. Peter Michael Krämer (Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig) und Dr. Edward Tarr (Trompetenmuseum Bad Säckingen).

Von den zwölf Teilnehmern aus fünf Ländern erhielten folgende Instrumentalisten einen Preis zugesprochen.
Im Wettbewerb für historische Trompete: 1. Preis, Paolo Bacchin (Italien, er war als einziger in beiden Disziplinen gemeldet), 2. Preis, Jaroslav Roucek (Tschechien) und 3. Preis Pierre Torwald (Schweden).
Im Wettbewerb für moderne Trompete: 1. Preis, Steffen Naumann (Deutschland), 2. Preis, Masaru Gushi (Japan) und 3. Preis, Tobias Willner (Deutschland).

Das Johann-Friedrich-Fasch-Ensemble Halle (mit "historischen" Instrumenten) unter der Leitung von Matthias Erben, das mit Johann Friedrich Reichardts Sinfonia F-Dur das Konzert eröffnete, begleitete die Preisträger, die ebenfalls auf historischen Instrumenten musizierten. Burkhard Glaetzner und das Neue Bachische Collegium musicum (mit "modernem" Instrumentarium), die die Instrumentalisten mit moderner Trompete begleiteten, beschlossen den Abend mit Johann Friedrich Christoph Bachs Sinfonia B-Dur (HW I/20).

Während die dritten Preisträger nur je eine kurze Fanfare vom Balkon des Saales aus blasen durften, duettierten die zweiten Preisträger in der orchesterbegleiteten Arie "The trumpet shall sound" aus Händels Messiah mit dem Bassisten Andreas Jäpel. Den ersten Preisträgern war das Trompetenkonzert D-Dur (FWV L:D1) von Johann Friedrich Fasch vorbehalten.

In diesem Raum fiel die Entscheidung für historische oder für moderne Instrumente nicht schwer. Trotz aller Versuche, ausdrucksvoll und differenziert zu spielen, klangen die modernen Instrumente viel zu laut und farbloser als die historischen, wesentlich nuancenreicher und lebendiger wirkenden Instrumente.

Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde auch das 1. Händel-Mozart-Jugendstipendium der Stadt Halle (Saale) für begabte Nachwuchsmusiker an die elfjährige Pianistin Svitlana Zvenyatska vergeben.

Mit gewohnter Klasse ließen The Sixteen und ihr Begleitensemble The Symphony of Harmony and Invention unter der Leitung von Harry Christophers die berühmte Musik von Händels Messiah in der Georg Friedrich-Händel-Halle erklingen. Wie kraftvoll oder behutsam dieser Kammerchor klingen kann! Hier stellen sich solistisch überaus kompetente Musiker und Musikerinnen ständig neu aufeinander ein. Das Gleiche gilt für The Symphony, deren Name ihr klangliches Programm bildet.
Unterschiedlichen Eindruck hinterließen die Solisten: der wenig beschäftigte Tenor (Andrew Carwood) vermittelte uns um so eindringlicher seinen Text und legte auch in seinen Arien viel Wert auf die Übereinstimmung von Inhalt und musikalischer Interpretation. Michael Georges Baß ist durch die Reife des Alters gekennzeichnet: zwar besitzt er ein starkes Tremolo, das hin und wieder mit den Tempoanforderungen kollidiert, doch George kann packende, stimmungsvolle Spannungsbögen aufbauen. Mit seiner Interpretation von "Why do the nations so furiously rage?" fand die Aufführung nach einem Qualitätseinbruch wegen der Pause wieder vollständig zum spritzigen Anfangstempo und zur konzentrierten Darbietung zurück. Dazu konnte Jean Rigbys Alt weniger beitragen. Obwohl ihre Stimme einen schönen Klang hat, wirkt sie statisch und eher kraftlos, als würde sich eine sehr gute Sopranstimme im falschen Register befinden - schade! Für den kurzfristigen Ausfall von Rosemary Joshua entschädigte uns dagegen voll und ganz Lynda Russel: ihre sehr präsente, weiche Stimme bot uns durchdacht und anspruchsvoll phrasierte Arien in dynamisch differenzierter überzeugender Interpretation - da Capo! Die Aufführung war von derart hohem Niveau, dass kleinste Störungen wie Pausen oder der Aufmarsch von Bläsern auf der Empore negativ auffielen. Dies konnte jedoch den exzellenten Gesamteindruck nicht trüben.

Den pauschalen Titel des Konzertes Barockmusik im Händel-Haus hätte man schon als Warnhinweis nehmen können. Was da von Telemann, Händel und de Fesch zu Gehör kam, wäre vielleicht besser als 'Barockmusik' im Hintergrund oder zu Tisch gedudelt worden. Als Entschuldigung für die lieblose, teils hektische, oft fehlerhafte Darbietung kann man da auch nicht gelten lassen, dass das Ensemble Moyland versucht, einen "an der barocken Spielpraxis orientierten Aufführungsstil" zu pflegen, der angeblich "die neuesten musikologischen Forschungsergebnisse einbezieht". Der einzige Lichtblick war Annelie Brinkhofs frischer, jugendlicher Sopran, der nach unglücklichem Einstieg am besten in Händels im Rahmen der Göttinger Händel-Festspiele 2001 erstaufgeführten und wahrhaftig bezaubernden Gloria von 1707 überzeugen konnte.

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Messiah in der Georg Friedrich-Händel-Halle
Harry Christophers mit The Sixteen und
The Symphony of Harmony and Invention
Foto: Ralf Lehmann
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Der Schöpfungsgarten
im Gotisches Gewölbe der Galerie Moritzburg
Foto: Jens Schlüter

Als Teil einer recht exklusiven Gruppe von Menschen fühlte man sich als Zuschauer im kreisrunden Kellergewölbe eines Turms der Moritzburg bei der Aufführung Der Schöpfungsgarten - Barthold Heinrich Brockes' Welttheater. Fast auf Tuchfühlung saßen Musiker und Schauspieler in der Mitte und unterhalb der Zuschauer, sich gegenseitig anblickend. Es war recht interessant, Texte von dem Dichter der von Händel 1716 vertonten so genannten Brockes-Passion, unisono gesprochen, ungewöhnlich, d. h. unorganisch phrasiert rezitiert zu hören. Die Texte - der neunbändigen Sammlung Irdisches Vergnügen in Gott entnommen - sind sehr langatmig, insofern konnte man für diese Art der Gestaltung schon dankbar sein, doch Begeisterung stellt sich nicht ein, dazu müsste man sich ohnehin im modernen Sprechtheater besser auskennen. Die musikalischen Einlagen verblassten gegenüber diesem Konzept etwas, die alten oder nachgebauten Instrumente kamen wenig zur Geltung. Das Publikum war sich schließlich unsicher, ob es das Ganze provinziell oder ganz gut finden sollte.

Im festlichen kleinen Konzertsaal des Händelhauses drehte es sich nicht nur um den 90. Geburtstag von Percy M. Young, sondern auch um den 100. Geburtstag von Walter Bergmann (1902-1988), der in Halle geboren 1939 nach England emigrierte und dort im Bereich der Alten Musik als Musiker und Wissenschaftler Geltung gewann. Young, 1912 geboren, gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die während der Teilung Deutschlands und sogar nach dem Mauerbau den Kontakt niemals haben abreißen lassen: seit 1959 fährt er regelmäßig zu den Händelfestspielen, beteiligte sich an den Händel-Tagungen und arbeitete mit an der Hallischen Händel-Ausgabe. Beiden Männern zu Ehren hatte sich ein kleines, feines Ensemble um den Blockflötisten und Musikmanager John Turner gebildet, die ein gemischtes Programm professionell präsentierten mit teils recht unterhaltsamen Kompositionen u. a. von Händel, Bergmann, Elgar und Percy M. Young selbst. Als Percy Young schließlich von der hallenser Bürgermeisterin eingeladen wurde, sich in das goldene Buch der Stadt einzutragen, wogte dem Geehrten die ganze Sympathie des internationalen Publikums entgegen.

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OB Ingrid Häußler gratuliert dem Jubiliar
Percy M. Young zur Verleihung der Ehrennadel
des Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt
Foto: Gudrun Hensling
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Bridges to the Classic
Jocelyn B. Smith
Foto: Jens Schlüter

Ein voller Erfolg war diesmal der 'Event' Bridges to the Classic, der eine reizvolle Kombination aus populären modernen und barocken Stücken bot. Musik von Händel, Elgar, Vivaldi, Gershwin, aber auch Interpretationen von Queen, Barbara Streisand, Whitney Houston, Simon and Garfunkel sowie Lieder des DDR-Rockstars Dirk Zöllner bildeten die Zutaten für das Abendmenü in der Galgenbergschlucht, das Bernd Wefelmeyer mit sicherem Geschmack bereitet hatte. Überraschend die Vielseitigkeit der Interpreten: Sicherlich kaum jemand hätte vermutet, dass eine Absolventin der Leipziger Musikhochschule (Anke Lautenbach) im Stil von Tina Turner röhren kann. Und Dirk Zöllner, Star der (Ex-)DDR-Rockmusikszene, erlebte man plötzlich als Interpreten einer Arie aus Serse. Letzteres gelang allerdings nicht so überzeugend wie die Darbietung seines eigenen Hits "Käfer auf einem Blatt", der mit dem Philharmonischen Staatsorchester 'im Rücken' recht repräsentativ daherkam. Dagegen bewegte sich Mike Kilian, der Frontsänger der Gruppe Rockhaus, ausschließlich im Bereich 'Rock goes Classic' mit seinen Interpretationen von Musik von Queen und John Miles. Wen dies alles und der souverän agierende Background-Chor der hallischen Stouxsingers nicht vom Hocker riss, der wurde garantiert vom vollen, kräftigen Blueswind der Stimme von Jocelyn B. Smith umgeblasen, die stilsicher so verschiedene Songs wie "Papa can you here me" aus Yentl, "I will always love you" von Whitney Houston oder die Gershwinschen "I got rhythm", "Summertime" und "The man I love" zelebrierte. - Ein Konzert für die ganze Familie, denn auch der coolste Teen bestaunte am Ende das farbenprächtige Feuerwerk, das den gelungenen Abend beschloss.

Weitere Veranstaltungen des opulenten Festspielprogramms waren eine Aufführung der 1. Fassung von Händels Oratorium Esther, eine Orgelnacht an fünf verschiedenen Orten in Halle, ein Familienkonzert im Händel-Haus und noch zahlreiche Veranstaltungen in Bad Lauchstädt (u.a. das Marionetten-Singspiel von J. Haydn Die Feuersbrunst), die Feierstunde am Händel-Denkmal auf dem Marktplatz, ein Festgottesdienst und ein Universitätsfestgottesdienst, ein Tag der offenen Tür in der Musikinsel im Händel-Viertel und ein aufschlußreicher Festvortrag von Prof. Dr. Silke Leopold (Heidelberg) im Stadthaus am Markt unter dem Motto "WeibsBilder - MannsBilder. Musikalische Menschendarstellung im Kontext höfischer Sitten".

Die Interdisziplinäre wissenschaftliche Konferenz war in diesem Jahr eine gemeinsame Veranstaltung der Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft, des Händel-Hauses, der Händel-Festspiele, des Instituts für Musikwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle und der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein. Zum Thema "Musik und Theater als Medien höfischer Repräsentation" betrachteten internationale Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln unter anderem die soziale Motivation und Zielrichtung theatralischer Handlungen der höfischen Festlichkeiten, das Zusammenspiel der Musik mit bildender Kunst, Malerei und Theater im sozialen Kontext repräsentativer Kunstausübung und die Verquickung von Kompositionen Händels mit den höfischen Zeremonien.

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Auch von hinten hat Halle einiges zu bieten.
Foto: Gerhard Menzel
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Im Wörlitzer Park
Foto: Gerhard Menzel

Neben einer Begegnung mit Künstlern und Journalisten im Hof des Händel-Hauses (Zu Gast bei Händel) und beim Händel-Brunch-Konzert im Maritim Hotel Halle, standen auch beim Barock-Dinner im Kempinski Hotel & Congress Centre Rotes Ross und bei der erstmals stattfindenden Mondscheinfahrt auf der Saale vor allem die leiblichen Genüsse im Vordergrund.

Für die geistige Erweiterung boten die Exkursionen in die Lutherstadt Wittenberg (500 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und in den Wörlitzer Park (Weltkulturerbe der Unesco 2000) mit der anschließenden Besichtigung des Schlosses Mosigkau eine gute Gelegenheit.

Auch Trevor Pinnock war in diesem Jahr wieder in Halle. Im Anschluss an sein Konzert präsentierte er seine neu erschienene Tamerlano-DVD. Es handelt sich dabei um einen Mitschnitt der Aufführungen, die mit ungeheurem technischen Aufwand im Rahmen der 50. Händel-Festspiele in Halle 2001 im Goethe-Theater Bad Lauchstädt aufgenommen wurden. Für diese doppel DVD wurde die in Halle ansässige Produktionsfirma "digital images" Anfang Juni von der amerikanischen DVD Association als einziges deutsches Unternehmen mit einem "Excellence Award" in der Kategorie "DVD-Video" ausgezeichnet.

Fazit:
Die veranstaltungsreichsten deutschen Händel-Festspiele boten auch in diesem Jahr wieder ein ungeheur reiches Spektrum von Veranstaltungen mit vielen herausragenden Aufführungen. Dank eines vergleichsweise üppigen Etats und vieler guter Ideen strahlt dieses grösste Musikfest des Landes Sachsen-Anhalt weit in die internationale Festspielszene hinein. Besonders erfreulich ist die starke Identifikation der Stadt Halle mit "ihrem" Händel!

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Trevor Pinnock mit der
DVD-Produktion von Tamerlano
Foto: Jens Schlüter


Da capo al Fine

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