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Diverse Kunst zwischen Kontemplation und Beliebigkeit

Zum zweiten Teil von "Schichtwechsel 03" mit den Performances "Kammerstücke" und "Brass Attack" und dem Konzert des "Gotan Project"


Berichte von den Wochendenen 19.-21. und 26.-28. September 2003


Von Sebastian Hanusa und Nora Heyos

In den letzten zwei Wochen von Schichtwechsel 03 waren insgesamt drei Veranstaltungen dezidiert musikalischer Natur: In den weiten Hallen des ehemaligen Bergwerks in Neunkirchen-Reden hatte der in Köln lebende Schlagzeuger Dirk Rothbrust die konzertante Installation "Kammerstücke" organisiert, am selben Wochenende stand der Sonntag ganz im Zeichen der Blechbläser-Kultur. Am Abschluß-Wochenende gastierte mit dem Pariser "Gotan Project" eine der kommenden Formationen der europäischen Club-Kultur in der Alten Schmelz St. Ingbert. Für OMM berichtet Nora Heyos aus Neunkirchen-Reden, die beiden anderen Veranstaltungen bespricht Sebastian Hanusa:

Selbstbedienung ist Zeitgeist. Jeder nimmt sich, was er mag, soviel er mag, solange der Vorrat reicht. So funktioniert es am Partybüfett, im Internet, beim Fernsehen und beim Schichtwechsel 03 im Bergwerk Reden. Nun, das Angebot hier ist vielfältig. Es gibt einen Kunst- Event- Park mit Live-Performances, Klanginstallationen, Kammermusik und dies alles simultan. Ein Festival für Zapper, Surfer und Naschkatzen. Ein wenig von Diesem, ein wenig von Jenem. Man begeistert sich hier, verwundert sich dort - es gibt ja so viel zu sehen und womöglich im nächsten Zimmer was Besseres.

Nicht, dass nicht jeder selbst entscheiden sollte, wodurch er sich als nächstes anregen lässt... Nicht, dass nicht jeder selbst Sinn stiften kann, so er denn will. Und auch nicht, dass man nicht einfach so drauflos rezipieren kann, oder gar, dass alles Ungewohnte wortreicher Auslegungen bedarf. Aufgeschlossenheit, gesunde Neugier und Unterhaltungswille sind gute Vorraussetzungen, um in Reden einen erfreulichen Abend zu verbringen. Nur mit Selbstbestimmung hat das nichts zu tun. Die Idee von Rezipientenmündigkeit verkehrt sich in Reden zum Blindversuch. Der mündig-unmündige gehaltene Zuschauer ist mehr oder weniger verdammt sich treiben zu lassen. Denn gerade Experimentell- Künstlerisches und Neu-Musikalisches (und dererlei Beiträge gibt es nicht wenige) erschließt sich oft keineswegs aus sich selbst, und ein paar wenige einführende Erläuterungen würden auch dem ungeübteren Ohr/Auge auf die Sprünge helfen, bzw. Perspektiven öffnen. Aber ein "Entscheiden" seitens der Besucher ist nur möglich wenn dieser wissen darf, wozu er sich entscheidet und insbesondere in Reden wäre so viel mehr zu entdecken, wenn darauf aufmerksam gemacht würde, worauf man achten kann.

Am Entree reicht man einen Faltplan: Es zeigen sich drei Etagen Kunst und Kultur zum "auf eigene Faust-Erkunden" und eine, ein wenig nachlässige Dramaturgie. Zum Goutieren gedruckt sind nämlich leider nur die Vitae der namhaften, oft kulturförderpreis- dotierten Nachwuchskünstler. Soll heißen: Es gibt Qualität. Nur leider ohne jegliche Erläuterungen. So scheint es zumindest, als interessiert hier das Wer mehr als das Was. Schade.

Spannend ist die Veranstaltung allemal. Ernsthaft und durchrationalisiert muten Laptops, Mischpulte, meterlange Effektgerätleisten und Kabelakkumulationen an, aber wenn Pierre Ampere alias Robin Hoffmann vom Projekt "Superman lesen" von der "Mannigfaltigkeit des Nagergeschlechts" ins Mikro artikuliert und bald darauf zum knarcksenden und nagenden hin, elektronisch manipulierte E-Gitarren Geräusche aus den Lautsprechern rumoren, huscht manchem Zuschauer ein befreites Lächeln übers Gesicht. Amüsieren erlaubt?!?

Ein besonderes Klangerlebnis ist die "Music for autosonic Gongs". Komponist Jay Schwarz bringt im großen Zechensaal seine Gongs durch elektroakustische Rückkoppelungen in ihren ureigenen Resonanzen zum Schwingen. Die Gongs fangen die Rückkoppelung zwischen Lautsprecher und Mikrofon ab und machen sich selbständig, wobei die entstandene Rückkoppelung nicht zu hören ist. Die Gongs tönen in inhärent-archaischen Klängen und dieses urtümliche Dröhnen ist von einer faszinierenden, subtilen Kraft.

Skurriles und Schräges lässt sich freilich auch entdecken. So frohlockt der Sopranist Ralf Peter in diversen Gemächern, bis er sich jeweils nackend ins Bade niederlässt. Oder das Flaschengehänge "Traurig" von Sila Blume: Hunderte von grünen Flaschen, zum durchlaufen und aufeinander knallen lassen. Ein trommelfellstrapazierender Spaß.

Ein wenig verloren ließt Alban Nikolai Herbst aus seinem Roman. Aber warum sollen sich die Leute bei "Anderswelt" aufhalten, wenn es doch "Anderswo" noch so viel effektvolleres zu sehen gibt. Besonderen Anklang findet die Live-Performerin Katrin Fischer mit "2,90 auf 3,73". In einen durchsichtigen Plastikoverall weißelt sie emsig eine Steigerbadekabine. Der alte, leerstehende Raum wird umfunktioniert und Platz geschaffen für Neues. Die Besucher jedenfalls wissen etwas damit anzufangen und geben ihrerseits eifrig handwerkliche Tipps.

Das ist die andere Seite einer solch offenen, interaktiven Veranstaltung. Denn: wen es interessiert und wer sich wagt, tritt ganz nah heran, passt einen günstigen Moment ab und fragt dann dezent bei Künstlern, Performern und Musikern nach. Und die geben gerne - und manchmal scheint es ein wenig versöhnt, ob dem entgegengebrachten Interesse - Auskunft über ihre Arbeit. So dürfen einige Besucher selbst das Theremin ausprobieren - ein Anfang des Jahrhunderts erbautes kurioses Musikinstrument, bei dem ein Tongenerator über eine Antenne auf die elektrische Kapazität der Hand des Spielers reagiert. Weniger der sonor brummende, synthetischer Ton, sondern mehr die Spielweise macht die Zuschauer staunen. Peppie Wiersma "dirigiert" berührungsfrei ihr Instrument. So arbeitet sie quasi direkt am Klang. Nicht unberührt hingegen bleiben die ehemaligen Grubenarbeiter, die sich als Besucher einfinden. Etwas wehmütig schwelgen sie in Erinnerungen.

Schichtwechsel in Reden: Das ist leider oft nur wundersame bis kurzweilige Abendunterhaltung. Der unbefriedigend didaktisierte Jahrmarktscharakter verwehrt Zugänge und entwertet das kulturelle Aufgebot zu Ramsch. "Traurig" für viele der Beiträge.



Der Sonntag nach den Redener "Kammerstücken" stand ein ganzer Tag im Zeichen des "Blech". Unter dem Titel "Moving Brass" boten die Veranstalter von Schichtwechsel 03 einen Erlebnistag mit Volksfest, Performance und ganz viel Blasmusik. Ausgangspunkt war das ehemalige Bergwerk Göttelborn, wo es einen ganzen Tag lang Besichtigungen und Aktivitäten zum Thema "Industriekultur" gab. Im Mittelpunkt standen dabei die zahlreichen Bergmanns-Spielzüge und deren reiche Tradition. Gleichzeitig begann im Göttelborner Bergwerk eine Wanderung durch Saarländische Wälder und entlang diverser industrieller Hinterlassenschaften. An verschiedenen Stationen war für leibliches Wohl, Besichtungsmöglichkeiten, aber auch immer wieder für blechbasierte Blasmusik gesorgt.

Endpunkt der Wanderung und zugleich Ort der Abschlussperformance war das weitläufige Gelände des ehemaligen Bahn-Ausbesserungswerkes in Saarbrücken-Burbach. Dort sollte es bei der "Brass Attack" zu einer von dem Kölner Trompeter Rochus Aust entworfenen Konfrontation von Avantgarde und Blasmusik kommen: Spannend in der Vorankündigung zu lesen, ging "Brass Attack" dann leider eher in Richtung Verulkung des Publikums:

Die beeindruckende Halle des alten Ausbesserungswerkes war in stimmungsvolles Dämmerlicht getaucht und eigentlich fing die Performance auch ganz vielversprechend an. Von Fluglotsen geleitet lösten sich aus entgegengesetzten Winkeln der riesigen Hallen zwei Spielmannszüge. Verschiedenen Märsche spielend bewegten sich die Musiker aufeinander zu, bevor sie sich vor dem Publikum zu einem kurzen, gemeinsam gespielten Stück trafen. Dann ging das Licht aus und es gab Industriegeräusche und Flugzeuge über Lautsprecher. Ebenfalls aus der Weite der Halle näherten sich vier blechblasende Solisten mit einer kleinen Improvisation, um anschließend die Spielmannszüge zu einer kopflosen Flucht zu veranlassen. Nummer drei war dann eine Art Popmusik, zu der die Fluglotsen mit ihren Lampen winkten und zugleich mit den solistischen Blechbläsern zusammen eine nette Melodie intonierten. Vom Band kam eine männliche Stimme, die technische Anweisungen verlas.

Nach gut dreißig Minuten war Schluß - bevor die Performance eigentlich angefangen hatte und ohne, dass irgendeine Struktur oder Intention ersichtlich geworden wären. Schade um die schöne Blasmusik des "Instrumentalvereins Eppelborn" und der "Musikvereine Frohsinn Mimbach" - und ärgerlich für das zahlende und reichlich irritierte Publikum.



Den ultimativen Höhepunkt von Schichtwechsel 03 sollten die Musiker des "Gotan Project" mit dem Abschlußkonzert in der St. Ingberter Alten Schmelz liefern. Die Band um die DJs und Produzenten Philippe Cohen Solal, Christoph H. Müller und den argentinischen Gitarristen Eduardo Makaroff zählt zu den Shooting Stars am europäischen Musikhimmel. Mit ihrer Mischung aus Tango und elektronischen Beats war bereits ihrer Single "El Capitalismo Forenao" ein sensationeller Erfolg beschieden, an den die in Paris ansässige Gruppe vor zwei Jahren mit ihrem Album "La revancha del Tango" mühelos anknüpfen konnte.

Ihr entspanntes Mix aus Elektronik und Tango-Sound hatte ein bunt gemischtes Publikum in die weitläufige Halle der ehemaligen mechanischen Werkstätten gelockt. Jugendliche Clubgänger hatten sich ebenso eingefunden, wie Freunde des traditionellen Tango und Neugierige aller Couleur und Herkunft. Leider hielt die Live-Performance nicht in allen Belangen das, was die CD versprochen hatte. Schuld hieran war in erster Linie eine nicht wirklich geglückte Abmischung:

Die massiven Beats von Turntable und Laptop waren akustisch überpräsent und zugleich nicht immer derart raffiniert, als das ein versierter Drummer nicht einen vergleichbarer Grove mit weitaus weniger Aufwand hätte produzieren können. Die anderen Musiker der Band – neben dem Gitarristen Edurado Makaroff, Sängerin Cristina Villalonga, Pianist Gustavo Beytelmann, Victor Villena am Bandoneon und ein namentlich nicht genannter Violinist – spielten einen glutvollen Tango, von dem man leider nicht allzu viel zu hören bekam. Alles Subtile, alle virtuose Geläufigkeit und – was am meisten ins Gewicht fiel – die gesamte erotische Sinnlichkeit des Tango ging in einer amorphen Delay-Sauce unter, die nur den einen oder anderen, hoffnungslos übersteuerten Einschwingvorgang von Gitarre oder Klavier entließ. Nur in wenigen glücklichen Momente und dann endlich in den Zugaben war die wirkliche Qualität des "Gotan Projects" zu erahnen.

In der ersten Hälfte des Konzerts spielte die Band zudem hinter einer halbtransparenten Leinwand, auf die wenig spannende Videos mit Tangotänzern und Aufnahmen aus der argentinischen Geschichte projiziert wurden. Während die Bilder nicht durch visuellen Reiz bestachen, hatte die Mystifizierung der nur schemenhaft erkennbaren Musiker den Nebeneffekt, daß dem Konzert alles Persönliche genommen wurde. Gerade der Anspruch der Band, mit ihren Mitteln auch politisch Stellung zu nehmen - so die angekündigte globalisierungskritik -, wurde durch die Präsentationsform geradezu konterkariert.

Insgesamt war es dank des stimmungsvollen Ambientes und überzeugender musikalischer Einzelleistungen ein netter Abend, der jedoch bei weitem nicht das hielt, was man sich eigentlich erhofft hatte: Eine spannende Entdeckungsreise zwischen verschiedenen musikalischen Welten.


Weitere Informationen zu Schichtewechsel 03 unter: www.schichtwechsel-festival.de






Da capo al Fine

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