Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur Homepage Zur Festspielseite E-Mail Impressum



Von Maschinenmenschen und Klanggärten

"Body Work" und "in[zwischen]" im Rahmen von Schicht-Wechsel 03


Berichte vom Wochendene 12./13. September 2003


Von Sebastian Hanusa



So schwer es den klassischen Montanregionen Deutschlands fällt, den langsamen Tod von Kohle und Stahl ökonomisch zu verkraften – kulturell ist er vielerorts eine einzigartige Chance. Ehemalige Industrieflächen und bislang hinter Werksmauern versteckte Baudenkmäler werden zugänglich und die entstandenen Brachen mit Fabrikruinen und postindustriellen Urwäldern verlangen noch städtebaulichem, wirtschaftichem, aber auch kulturellem Neuanfang.

Einen solchen Impuls setzt die Veranstaltungsreihe "Schicht-Wechsel", die seit 1991 in den aufgelassenen Resten des saarländischen Montanreviers stattfindet. In einem Mix aus Volksnähe und avancierter Kunst stand diesjährig die Veranstaltungsreihe im Zeichen des Begriffs "Raum" – von seiner Bedeutung als konkretem Industrieraum bis hin zur Möglichkeitsbedingung äußerer Wahrnehmung schlechthin oder der Konfrontation von Körperlichkeit mit dem Einbruch der virtuellen Welt. Die Veranstaltungsreihe war Anfang Juli mit der Theater-Produktion "Union der festen Hand" im ehemaligen Bergwerk Göttelborn gestartet und hatte während des Sommers unter dem Titel "Sommerfabrik" diverse Workshops angeboten. Im September folgt nun eine Reihe ungewöhnlicher Projekte aus dem Bereichen Tanz, Neuer Musik und Performance.

Den Anfang machte die belgische Compagnie Charleroi/Danses – Plan K. mit der Choreographie "Body Work" ihres Leiters Frédérique Flamand. "Body Work" beschließt Flamands Trilogie "Danse et Architecture". Drei Stücke, in denen die Zusammenarbeit mit Architekten jeweils weit über das Erstellen eines Bühnenbildes hinausging, wenn ein thematischer Schwerpunkt innerhalb der Koordinaten bildnerischer und tänzerischer Raum- und Bewegungsgestaltung ausgelotet wird. Im Zentrum von "Body Work" steht die Industrie-Geschichte des Körpers. Angefangen von der industriellen Verwertung der menschlichen Arbeitskraft im Takt der Maschinen wird ein Bogen geschlagen hin zur allmählichen Auflösung der Körperlichkeit im Zeitalter des Cyberspace.

Nouvels Beitrag sind stählerne Gerüste, die auf zwei Seiten das Publikum umgeben. Aufgebaut in der Halle der ehemaligen mechanischen Werkstätten der St. Ingberter "Alten Schmelz" suggerieren sie die Maschinerie "Fabrik", in welche die Körper der Tänzer Zahnrädern gleich eingefügt sind, in Bewegung gehalten von unerbittlichen Beats der technoiden Klangspur. Zum Symbol des Cyberspace mutiert die Apparatur, indem bewegliche Wände als Projektionsflächen oder aber als Hintergrund einer Black Box fungieren; vor dem Bluescreen werden die Tänzer abgefilmt, die Bilder werden live bearbeitet und wiederum projiziert.

Kombiniert wird das Ganze mit Bildmaterial aus der Technikgeschichte. Es beginnt mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Stahlproduktion, zeigt die technische Revolution der Freizeitgestaltung durch die Erfindung des Fahrrades; später sieht man Menschen an Computern, die globalisierte Welt der Finanzmärkte und die negativen Folgen der Umweltverschmutzung. Hinzu kommen eingeblendete Schlagworte wie "Globalisierung", "Expansion" oder "Industrialisierung". Während das abstrakte Spiel der Tänzer im und mit dem Bühnenbild durch Rasanz, brillante Choreographie und faszinierende Präzision bestach, war die Ebene der Erzählung der Schwachpunkt der Produktion. Zu einfach war die Botschaft, zu schlicht die Bildersprache der gezeigten Filme. Vieles erinnerte an Peter Lustigs Löwenzahn oder die Sendung mit der Maus. Zudem war eine Verbindung zwischen der Dramaturgie der Bilder und der Abfolge der verschiedenen getanzten Szenen nicht wirklich ersichtlich.

Ein weiterer Schwachpunkt war die Musik. Einzelne Nummern, zumeist beat-betonte Elektronik von hoher klanglicher Qualität, konnten jeweils für sich gesehen überzeugen – Abfolge und Zusammenstellung ließen leider eine zwingende Dramaturgie vermissen. So war es vor allem der pure Tanz, der "Body Work" zu einer sehenswerten Produktion machte.

In "Body Work" wurde die klassische Bühnensituation aufgehoben, der Guckkasten wurde durch eine Situation ersetzt, in der das Publikum zwischen den beiden parallel bespielten Bühnen postiert war. Dagegen überschritt die Veranstaltung "in[zwischen]"am Samstag nacht in der großen Halle der ehemaligen Baumwollspinnerei St. Ingbert die Grenze zwischen Vorführung und begehbarer Skulptur gänzlich. In der dezent beleuchteten Weite der Halle sind die Objekte von Bernd Wegeners Klangfeld installiert – Tontöpfe, Stahlscheiben, Wasserbecken und andere Klangerzeuger – an einer Seitenwand sind die großformatigen Bilder aus dem Zyklus "Das Reale und das Symbol" des Malers Malte Dinkela zu sehen. An einer langen Tafel wird Brot und Käse gereicht, es gibt Getränke.

In einer Atmosphäre zwischen Lounge und Kathedrale beginnen die Tänzerinnen Yvonne Lachemann und Miriam Parker mit verträumten Monologen, später kommt Michael Getmann hinzu. In einem Nebengelaß sieht man durch einen verspiegelten Schacht den intimen Pas des Deux von Nina und Toby Kassell. Klanginseln sind eingestreut – Monika Lilleikes Zwiegespräche mit Fallobst, die Free-Jazz-Impros von Henk Nuwenhoud (Saxophon, Helikon und selbstkonstruiertes Hokipoki), Thomas Schmidt (Gitarre) und Bernd Wegener (Schlagzeug). Wegener bespielt sein Klangfeld, bevor die Objekte von den Besuchern akustisch erkundet werden. Zur Gruppenimprovisation kommen Lilleike und Stefan Zintel am Laptop hinzu. Dessen Solo-Performance "Raum-Oszillation" war einer der Höhepunkte des Abends: Mittels Transpondern werden die Luftsäulen in zwei metallenen Luftschächten auf ihrer Eigenfrequenz zum Schwingen gebracht. Sehr tiefe, körperliche Klänge entstehen, über denen sich allmählich reiche Obertonspektren entfalten – spannend von Zintel moduliert.

Ein wenig litt die Veranstaltung – so paradox dies klingt – unter dem regen Publikumszuspruch; leider verdrängten leiblicher Genuß und der soziale Aspekt der Veranstaltung ein wenig die Offenheit zur ästhetischen Rezeption. Insgesamt gelang es dem Kollektiv im Saarland situierter Künstler jedoch, eine schwebend leichte und zugleich konzentrierte Atmosphäre zu schaffen, in der sich Raum, Objekte und Performances zu einem schlüssigen Ganzen verbanden.


Weitere Informationen zu Schicht-Wechsel 03 unter: www.schichtwechsel-festival.de

Informationen zur Alten Schmelz St. Ingbert unter: www.alte-schmelz.de






Da capo al Fine

Zur Homepage Zur Festspielseite E-Mail Impressum

© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
- Fine -