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Das Netz ausgeworfen…


Die Berliner MaerzMusik erlebt 2004 ihren dritten Festival-Jahrgang


Bericht von der Festival-Woche 18. bis 28. März 2004


Von Sebastian Hanusa

Es sei ein Neuanfang im Zeichen der "Vernetzung", so Matthias Osterwold, als er 2001 mit dem neugestalteten Festival MaerzMusik die Nachfolge der Berliner Musik-Biennale antrat. Es sollte ein Festival sein, dass die Grenzen der klassischen Neuen Musik sprengt, mit knapp 50 verschiedenen Veranstaltungen an exponierter Stelle die verschiedensten Spielarten aktueller Musik/Klangkunst konfrontiert und die eingetretenen Pfade der unterschiedlichen Szenen verläßt. Von der zeitgenössischen elektronischen Musik über die Improvisations-Szene und Klanginstallationen bis hin zu Konzerten mit großen Instrumental-Besetzungen spannte Osterwold diesjährig bereits zum dritten Mal den programmatischen Bogen - immer im Spannungsfeld zwischen unerwarteten Verbindungen im scheinbar Widersprüchlichen und der Gefahr einer beliebiger Heterogenität.
Schwerpunkte des diesjährigen Festival-Jahrgangs und zugleich dessen Übervater war Charles Ives, dessen fünfzigster Todestag dieses Jahr und zugleich sein hundertdreißigster Geburtstag gefiert wird. Mehrere zentrale Kompositionen Charles Ives' waren ebenso in den Konzertprogrammen vertreten wie aktuelle Musik aus den USA, die auf die eine oder andere Art in der von Ives begründeten Tradition einer amerikanische Moderne steht. Ergänzt wurde der Programmschwerpunkt durch ein zweitägiges Symposium zu den Themen "Ives und das Komponieren heute" sowie "Politik und Ästhetik".


Vergrößerung in neuem Fenster Charles Ives, Nestor der amerikanischen Moderne.



Im Zentrum des Ives-Schwerpunkts stand ein Konzertsonntag mit knapp zehn Stunden Musik. Er wurde eröffnet von Heather O'Donnell mit einem Klavierrezital im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses. Neben kürzeren Klavierwerken Ives' kam eine Reihe von Auftragswerken zur Uraufführung, die im Zeichen der kreativen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Charles Ives' standen. James Tenneys Essay (after a sonata), Frederic Rzewskis Johnny Has Gone For A Soldier, Michael Finnissys Song of Myself, Georg Flynns Remembering sowie Walter Zimmermanns the missing nail at the river, Oliver Martin Schnellers And tomorrow… und The Celestial Potato Fields des in Berlin lebenden Amerikaners Sidney Corbett. Der Konzerttag setze sich in den ehemaligen Studios des Deutschen Fernsehfunks an der Nalepastraße fort.
Für die Fahrt zu den Studios bestand die Möglichkeit, das Schiff zu nehmen: von der Jannowitzbrücke über die Spree, zwischen sanierten Lofts, Industrieruinen und Resten der Grenzbefestigungen. Gestaltet wurde der Schiffstransfer durch Malcolm Goldsteins Violin-Solo Soundings (in the spirit of Ives and Thoreau). Eine "strukturierte Improvisation", konzentriert und mit einem außerordentlichen Gefühl für den musikalischen Spannungsverlauf, ein Solo, mit dem Goldstein die Passage in musikalisch erfüllte Zeit zu verwandeln wusste.
Das Gerüst des knapp siebenstündigen Konzertmarathons bildeten drei Hauptwerke Ives': Heather O'Donnell spielte mit einer überragenden Souveränität die gewaltige Concord-Sonata und das kanadische Quatuor Bozini bot eine wundervoll durchdachte Interpretation des zweitem Streichquartett. Mit der spektakulären Aufführung des Live Pulse Preludes für 20 Schlagzeuger - der polymetrischen Basisstruktur der unvollendet gebliebenen fünften Sinfonie - beschloss das Studio Percussion graz den Konzertag.
Daneben brachten die Grazer Musiker neben John Cages Living Room Music ungefähr zeitgleich entstandene, heute jedoch fast vergessene Schlagzeug-Musik von William Russell, Lou Harrison und Henri Cowell zur Aufführung, das Bozini-Quartett spielte das fünfte Streichquartett von Gloria Coates und die Uraufführung von Tom Johnsons Combinations. Während die mikrotonalen, statischen Klangblöcke in den ersten beiden und die glissandierenden Flächen im dritten Satz von Coates' Streichquartett ein wenig blass blieben, wurde die Uraufführung von Combinations zu einem der Höhepunkte des Tages: In fünf knapp formulierten Sätzen wird jeweils eine musikalische Kombinations-Regel durch- und vorgeführt. Ein Stück, dass sich ganz auf ein formales Prinzip beschränkt und das ebenso durch Klarheit besticht wie durch sensible Klangbehandlung.
Eher enttäuschend war dagegen der Auftritt der Janacek Philharmonie aus Ostrava, die unter der Leitung von Petr Kotík vier verschiedene Kompositionen für drei Orchestergruppen präsentierte. Einzig Phil Niblocks Three Orchids vermochte zu fesseln: Volker Straebel hatte Niblocks graphische Partitur für Orchester eingerichtet. Statische, endlos langsamen Veränderungen unterworfene Tontrauben, mikrotonale Drones - die zu realisieren sich das Orchester jedoch schwer tat. Nicht immer gelang die Umsetzung von Niblocks Schwebungsharmonik, nicht immer war die Interpretation von einem hier wenig passenden Pathos frei. Der kommunikative Aspekt von Christian Wolffs Ordinary Matters ging bei den versammelten Orchestermassen leider etwas verloren, während Olga Neuwirths locus…doublure…solus eher unter die Kategorie gut gearbeiteter Durchschnitt fiel. Die Uraufführung von Petr Kotíks Variations hinterließ eine gewisse Ratlosigkeit. Kurze Sektionen wurden durch lange Generalpausen unterbrochen, die Form entwickelte sich aus der allmählichen Veränderung dieser Sektionen. Aber anders als bei manchem Stück Morton Feldmans, der ästhetisch Pate gestanden haben dürfte, entwickelte sich bei Kotík keinerlei formale Spannung. Gerade in der Reduktion der Mittel und der Ereignisdichte ergab sich eben kein intensiveres Erleben der musikalischen Zeit. Die Komposition zerfiel in eine Abfolge einzelner Teile und hörte genauso unvermutet auf, wie sie sich vordem fortgesetzt hatte.


Vergrößerung in neuem Fenster Die Ban on a Can All-Stars.



Charles Ives' vierte Sinfonie war am Vorabend im großen Saal der Philharmonie in einer fesselnden Interpretation des SWR Sinfonieorchesters unter Sylvain Cambreling zu erleben. Am Beginn des Konzert stand Georg Friedrich Haas' in Donaueschingen uraufgeführtes Orchesterwerk natures mortes, es schloss sich die Uraufführung von Tristan Murails Terre d'Ombre an. Bereits Ives Vater war mit den Schriften Hermann von Helmholtzs bekannt und Charles Ives selber hatte als einer der ersten mit Mikrotönen komponiert. Hierin erschöpften sich jedoch die Gemeinsamkeiten mit der spektralistischen Ästhetik von Haas und Murail, so dass die programmatische Anbindung ihrer Musik an den thematischen Schwerpunkt Ives eher lose war.
Unabhängig davon blieb die mit Spannung erwartete Murail-Uraufführung eher blass. Wieder einmal erwies sich der Komponist als einer der ganz großen Instrumentatoren unserer Zeit - dessen Kunst jedoch von einer zunehmenden Tendenz zur Koloristik geprägt ist. Eine zwingend hörbare Verbindung von Klang und Form, wie in Murails früheren Werken, stellte sich nicht ein, die Komposition hinterließ den Eindruck selbstgenügsamen Schönklangs. Mehr Kontur hatte dagegen Haas' natures mortes. Formal ist das Stück sperrig mit seinen drei höchst unterschiedlichen Teilen, die nahezu unvermittelt nebeneinanderstehen. Innerhalb der drei Teile gelingt Haas jedoch die überzeugende Umsetzung einer bestimmten musikalischen Charakteristik, so im zweiten Teil eine durch das Orchester schweifende Achtel-Pulsation oder im Schlussteil die kühle Klanglichkeit nahezu statischer Spektral-Akkorde.

Ein Festival-Höhepunkt war eine andere, unmittelbarere "Ives-Nachfolge". Der Auftritt des amerikanischen Cellisten Charles Curtis mit La Monte Youngs Just Charles & Cello in The Romantic Chord. In einem Licht-Envirement von Marian Zazeela und umnebelt vom Geruch zahlreicher Räucherkerzen überlagerten sich Live-Instrument und zugespielte Cello-Klänge zu einem faszinierenden Klanggewebe: unmerklich sich ändernd, eine betörende Schwebungsharmonik erzeugend und hin und wieder durch melodiös-ornamentale Einwürfe des Cellos unterbrochen.
Ein scharfer Kontrast zum kontemplativ-konzentrierten Auftritt von Charles Curtis war das Konzert der Bang on a Can All-Stars. Mit Kompositionen der Ensemble-Gründer David Lang, Julia Wolfe und Michael Gordon stand das Programm für den Crossover zwischen Neuer Musik - hier speziell Minimalismus - und Rock. Während das Ensemble mit seiner außergewöhnlichen Präzision auch in den rhythmisch vertracktesten Passagen begeisterte, machten sich in den Kompositionen der Ban on a Can-Gründer Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Die Stücke des Programms waren bis auf die für Ensemble transkribierten Nancarrow-Studies und Louis Andriessens Workers Union Kompositionen jüngeren Datums. Sie folgten jedoch weitestgehend dem Muster, mit dem die New Yorker Ende der 80er Jahre die Neue Musik durcheinanderwirbelt hatten. Sie erreichten aber bei weitem nicht mehr deren Frische, während sie kompositorisch nichts Neues zu präsentieren wussten.
Erfrischend anarchisch und gänzlich unverbraucht wirkte dagegen John Zorns Cobra, auch wenn das Konzept dieses musikalischen Gesellschaftsspiel mittlerweile über zwanzig Jahre alt ist. Realisiert wurde Cobra durch Musiker der Berliner Improvisations-Szene unter der Leitung des Komponisten, der als "Prompter" auf Pappkarten verschiedene Kommunikations- und Spielzusammensetzungen des Ensembles anzeigte und somit den Verlauf einer reichlich schrillen Improvisation organisierte. Im ersten Teil des Konzerts hatte das Kairos Quartett Zorns The Dead Man - 13 specimen for string quartet gespielt. Knapp formulierte Miniaturen von außergewöhnlicher Prägnanz, die eine gänzlich andere Seite der Musik John Zorns zeigten.


Vergrößerung in neuem Fenster Vogeltrainer Helmut Mossmann.



Unter dem Motto "Szene Frankreich" standen in erster Linie zwei Konzerte: der Auftritt des Ensemble Intercontemporain und der von Sphota: Das Ensemble Intercontemporain unter Jonathan Nott verband die deutsche Erstaufführung von Georges Aperghis Dark Side für Mezzosopran und Ensemble mit Berios Laborintus II von 1963-65. Dark Side basiert auf der Orestie des Aischylos und ist eine traumatische Vision Klytemnestras im Rückblick auf ihr Leben. Es ist ein imaginäres Musiktheater, das in der Tradition der Erwartung die wechselnden Seelenzustände der Hauptfigur musikalisch begleitet, kommentiert und spiegelt. Auch der Grundgestus von Laborintus II ist musiktheatralisch, auch wenn hier eine klare Thematik fehlt. Der Text ist eine Collage aus Werkauszügen verschiedenster Herkunft, die der Dichter Eduardo Sanguineti - zusammen mit eigenen Texten - für die Komposition zusammengestellt hat. Sowohl den theatralischen Gestus der beiden Stücke, wie auch den Ausdrucksgehalt von individueller Vision und "labyrinthischem" Geflecht gestalteten die Pariser Musiker mit großer Plastizität. Star des Abend war jedoch Federico Sanguineti, der die Rezitation in Laborintus II übernommen hatte und mit größter Präsenz und einem eindrücklichen Vortrag den Texten seines Vaters eine Stimme verlieh.
Unbekümmert stellen sich die vier jungen Franzosen von Sphota in die Tradition Kagels oder Aperghis' und gehen dabei unbekümmert, witzig und unbelastet ans Werk. In Video-Einspielungen werden Geschichten aus dem Alltag erzählt, Begegnungen in Zügen, ein versehentlicher Raubüberfall, eine Studioproduktion. Teilweise wird selbstbezüglich das Leben der Musiker dargestellt und - ironisch gebrochen - von den Instrumentalisten live begleitet, während sich musikalisch Elemente der Neuen Musik mit Einflüssen des Jazz und des aktuellen französischen Chanson zu einer erfrischenden Mischung verbinden.

Mit einem Augenzwinkern versehen war der Titel "Neue Musik auf alten Instrumenten". Die Erwartung von Neuer Musik auf "seriösem" Barock-Instrumentarium erfüllte lediglich der Auftritt des Concerto di Viole mit Musik von Mauricio Kagel, Hans Ulrich Lehmann, Dieter Krickeberg und Tan Dun. Daneben gab es eine Filmvorführung, in der die Dokumentation von Sven-Åke Johanssons skurril poetischem Konzert für 12 Traktoren im schwedischen Brösarp gezeigt wurde und in den Sophiensælen die Mechanical Landscape with Bird. Nicht nur das Ambiente der Sophiensæle, auch der üppige Blumenschmuck, die Walzengrammophone und eine um sich selbst drehende Gartenlaube aus Gusseisen versetzten das Publikum zurück in die Gründerzeit. Aus dieser Zeit stammten auch die Aufnahmen von zur Klavierbegleitung singenden Kanarienvögeln, die das Grundmaterial für die von Aleksander Kolkowski konzipierte, gut einstündige Performance bildeten. Hinzu kamen das auf Trichterinstrumenten spielende Kairos Quartett, die Serinetten des Klangkünstlers Martin Riches und lebende Kanarienvögel, die durch die eingespielten antiken Aufnahmen zum singen animiert wurden. All das verband sich zu einem leichten, ironischen Spiel mit den Materialien und ihrer charmant verstaubten Aura, die das Publikum mit Esprit und einem verschmitzten Humor gefangen nahm.

Nächtlicher Treffpunkt nach den Festival-Konzerten war die Sonic Arts Lounge ein. Mit ihren eher offenen Präsentationsformen, zumeist in Club-Atmosphäre, stand sie ebenso in Kontrast zu den konzertanten Darbietungen, wie mit dem Fokus auf experimentellere, zumeist elektronische Musik. Zugleich verfolgt gerade hier Matthias Osterwold die eingangs erwähnte Idee der Vernetzung, die Verbindung von Klangkunst, Clubkultur, Improvisation und traditionellerer Neuer Musik.
Spektakulärer Höhepunkt der Reihe war der Auftritt des finnischen Elektronik-Pioniers, Nuklear-Physikers und Zukunftstheoretikers Erkki Kurenniemi. Schon in den 60er Jahren hatte Kurenniemi mit der Entwicklung und Konstruktion elektronischer Musikinstrumente begonnen, später für Nokia und an der Universität Helsinki gearbeitet und die Entwicklung virtueller Welten radikal und kompromisslos bis zur vollständigen Simulation menschlichen Lebens durch den Computer weitergedacht. Zusammen mit dem Elektro-Duo Pan sonic und dem schwedischen Künstler Carl Michael von Hauswolff bespielte Kurenniemi verschiedene seiner Instrumente. Klanglich war es eine Reise zurück ins Analog-Zeitalter und zugleich die Entdeckung ganz eigener Klangwelten, die eine schroffe Strenge mit einer kontemplativen Haltung zu verbinden verstand.
Daneben war es insbesondere der Solo-Auftritt von Pan sonic und ihren energetischen Noise-Drones der einen markanten Akzent setze. Eher blass dagegen blieb Reinhold Friedls Performance Neo-Bechstein auf dem gleichnamigen, Instrument. Das 1929/30 konstruierte erste Klavier mit Verstärkung der Saiten mittels Tonabnehmer wurde von Friedl lediglich für die Produktion einiger weniger Liegeklänge benutzt, die Sukandar Kartadinata mit einem live-elektronischen Klangschatten versah. Ähnliches ließe sich von der Performance Pascal Contets am Akkordeon und DJ RO3s am Laptop sagen. Weitere Akzent setzten hingegen COH aka Ivan Pavlov mit seinem kompromisslosen Lärmorgien und wieder einmal von Sven-Åke Johanssons, diesmal zusammen mit Rüdiger Carl mit ihrer schräg verrückten Arbeit Dschungelmusik mit Gesang.


FAZIT

Nach diesem kursorischen Überblick über die MaerzMusik 2004 bleibt letztlich ein Eindruck haften: Mit der Entscheidung für die Vielfalt der verschiedenen ästhetischen Netzwerke der Gegenwarts-Kunst geht Matthias Osterwold das Risiko programmatischer Unschärfe ein. Er gewinnt jedoch unerwartete, irritierende, abseitige aber ungemein spannende Bezüge, die sich erst aus der Kombination des scheinbar Unzusammenhängenden ergeben und setzt hiermit einen originären Schwerpunkt innerhalb der deutschen Festival-Landschaft.

Weitere Informationen zur MaaerzMusik unter: www.maerzmusik.de






Da capo al Fine

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