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Musikfestspiele
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Herbert von Karajan
Pfingstfestspiele 2004

Rigoletto
Melodramma in tre atti
Libretto von Francesco Maria Piave
nach dem Drama " Le Roi s'amuse (1832) von Victor Hugo
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 1/2 Stunden (eine Pause)

Premiere am 28.Mai 2004
im Großen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe
Besuchte Vorstellung am 30. Mai 2004


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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Allein musikalisch eine Offenbarung

Von Christoph Wurzel / Foto von Andrea Kremper

Auf die Opernproduktion der diesjährigen Festspiele durfte man gespannt sein, sollten doch ein Dirigent samt Orchester, die sich munter mit Erfolgen ohne Ende vor allem in der Alten Musik tummeln, Verdis Rigoletto im Originalklang präsentieren: Thomas Hengelbrock mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble. Dazu war der in Baden-Baden nicht unbekannte Philippe Arlaud als Verantwortlicher für Inszenierung, Bühne und Licht gemeldet.

Wer immer noch spottet, dass die historische Aufführungspraxis auch bereits bei romantischen und spätromantischen Werken angekommen ist, der wurde hier eines Besseren belehrt. Verdis erste wirkliche Erfolgsoper wollte Hengelbrock in einer Klanggestalt präsentieren, die derjenigen der Uraufführung am Teatro La Fenice in Venedig im März 1851 sehr nahe kommt.
Dies bedeutete Konsequenzen in mehrfacher Hinsicht, die bei der Aufführung in Baden-Baden zu erleben waren.
Überraschend und ungewöhnlich war zuerst die Sitzordnung im Orchester, nicht im gewohnten Halbrund vor dem Dirigenten waren die Instrumente angeordnet, sondern in quasi senkrechten Reihen vom Pult aus gesehen saßen links die hohen Streicher, in der Mitte die Holzbläser sich gegenüber, dann Schlagwerk und Blechbläser auf der rechten Seite. Trapezförmig eingerahmt wurde dieser Apparat von den tiefen Streichern an der Bühnen- und den Außenseiten des Orchestergrabens. Ob es diese Aufstellung war oder die Orientierung an einer ausgefeilten Klangrede, wofür das Ensemble berühmt ist, sei dahin gestellt - das Ergebnis jedenfalls war, dass sich die Verdische tinta musicale außergewöhnlich intensiv erleben ließ. Hierzu trug natürlich auch die von Verdi seinerzeit ausdrücklich gewünschte Grundstimmung von 435 Hertz (statt der heute üblichen 443 Hertz) bei. Dies machte den Klang weicher und wärmer; schließlich die Originalinstrumente bzw. Nachbauten solcher und die vom Balthasar-Neumann-Ensemble wie ein Naturvorgang praktizierte Spielweise, die sich genau an Erkenntnissen der historischen Aufführungspraktiken orientiert und die Spieltechniken der alten Instrumente perfekt beherrscht.
Sogar heutzutage "ausgestorbene" Instrumente wurden von Hengelbrock wieder dem Orchester einverleibt, wie das Cimbasso, eine Bassposaune für besondere schwarze Klangfarben, die diesem Rigoletto wie überhaupt in besonderem Maße die Bläserfarben, seinen besonderen klanglichen Reiz verliehen. So wurde Verdis Intention, das musikalische Kolorit aus dem dramatischen Geschehen heraus zu gestalten, hervorragend entsprochen. Von dieser Seite also kam das Baden-Badener Rigoletto-Projekt einer Offenbarung gleich.


Vergrößerung in neuem Fenster "Meine ganze Welt, sie liegt in dir."
Der Narr (Paolo Gavanelli) und seine Tochter (Iride Martinez).

Weitgehend mit Zustimmung wurden die Sängerleistungen quittiert, allen voran die von der jungen Iride Martinez als Gilda. Mit einem schlanken, agilen und schön timbrierten Koloratursopran ersang sie sich mit Recht in der großen Arie schnell die Sympathien des Publikums. Dank dem Sänger der Titelpartie wurde auch das Duett Gilda-Rigoletto zu einem der musikalischen Pluspunkte. Paolo Gavanelli füllte die Vaterrolle stimmlich überzeugend aus. Auch sonst war sein Rigoletto ein solides Charakterportrait, soweit es die in der psychologischen Ausfeilung doch recht abstinente Regie überhaupt zuließ.

Der aus Mexiko stammende Tenor Raúl Hernández glänze vor allem durch bisweilen scharfe Spitzentöne, ging aber ansonsten stimmlich recht cool sein Liebeswerben an. Den "Schlager" im dritten Akt ("La donna è mobile") vermochte er vokal wirkungsvoll zu präsentieren. Genügend unheimliche stimmliche Finsternis konnte Martin Snell als Monterone verbreiten, während Guido Jentjens einen allzu leichten Sparafucile abgab. Die übrigen, in dieser Oper mit Fug und Recht so zu bezeichnenden Nebenrollen waren auch solide besetzt. Markant der von Holger Speck und Helmut Sonne einstudierte Festspielchor, der den Hofschranzen stimmlich Leben verlieh.

Woran lag es, dass man dennoch nicht das Gefühl eines homogenen Ensembles bekam? Vor allem nicht das Gefühl, dass sich hier eine Oper von höchster dramatischer Dichte vollzog? Philippe Arlaud hat bereits mehrfach in Baden-Baden Opernproduktionen verantwortet und mehr und mehr musste man den Eindruck gewinnen, dass es ihm weniger um Regie im musikalischen Drama als um das Design von Szenen geht.
Auch den Rigoletto hat er wieder benutzt, um Sängerinnen und Sänger hübsch auf der Bühne zu arrangieren, sie aber über hohle Klischees hinaus nicht wirklich als lebendige Menschen (inter)agieren zu lassen. Schon gar keine Rede davon, dass es gelungen wäre, eine theatralische Deutung des doch recht merkwürdigen Geschehens anzubieten. Rigoletto als eine geheimnisvoll widersprüchliche Persönlichkeit dieses äußerlich wie innerlich verkrüppelten Menschen, der seine Traumata offensichtlich verdrängt und in einer letztlich tödlichen symbiotischen Liebe zu seiner Tochter kompensiert, der in dieser Liebe wie auch in seinem Hass auf den Herzog maßlos ist - diesen Charakter auszugestalten, hat diese Inszenierung nicht im Ansatz vollbracht.
Genauso der Herzog: Ist er wirklich ein wahrhaftig Liebender, wie Arlaud bekundet oder doch nur der in sich selbst verliebte liebestolle Schürzenjäger, der natürlich zu den zärtlichsten Liebesschwüren fähig ist, aber in den angeblich so untreuen Frauen doch nur die Projektion seiner eigenen verborgenen Seiten zu erkennen vermag.
Einzig Gilda scheint Arlaud als Individualität interessiert zu haben. Sie hat er immerhin durch das Kostüm aus der Masse der Protagonisten herausgehoben: Als späteres Mordopfer trägt sie ein blutrotes Kleid. Aber auch ihr unbedingtes Liebesverständnis, das so tragisch endet, bleibt einfach oberflächlich und unbefragt.

Da nützen auch leider die Einfälle der Kostümgestaltung nicht viel: Arlaud, ansonsten ein Freund vieler bunter Bilder, hat sich diesmal für konsequentes Schwarz-Weiß entschieden und den Sängerinnen und Sängern entsprechend gleichwohl todchice Kostüme (Art deco) verpasst. Es wirkt ein bisschen wie von teuren Modemagazinen inspiriert.

Die Bühne ist funktional: bewegliche geometrische Elemente lassen verschiedene Perspektiven zu, das wäre pfiffig gewesen bei einer streng auf die Personenführung konzentrierten Regie. Doch nun wirkt es eher wie Sichtbeton im Luftschutzbunker. Alles funktioniert am Schnürchen, ist aber zu glatt, zu kalt und zu grau.


FAZIT

Schade - eine Chance verpasst. Zu derart spannender Musik wurde ein solch fades Spiel gegeben. Rigoletto als Drama fand nur im Orchester statt.

Die Pfingstfestspiele 2004






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Hengelbrock

Inszenierung, Bühnenbild und Licht
Philippe Arlaud

Kostüme
Toni Wiesinger
Esther Geremeus



Festspielchor Baden-Baden

Einstudierung:
Holger Speck, Helmut Sonne

Balthasar-Neumann-Ensemble


Solisten

Herzog von Mantua
Raúl Hernández

Rigoletto, sein Hofnarr
Paolo Gavanelli

Gilda, dessen Tochter
Iride Martínez

Sparafucile, ein Bravo
Guido Jentjes

Giovanna, Gildas Gesellschafterin
Mona Somm

Graf von Monterone
Martin Snell

Marullo, ein Edelmann
Alejandro Gallo

Matteo Borsa, Höfling
Musa Duke Nkuna

Graf von Ceprano
Atonia Bourvé

Gerichtsdiener
Seymur Karimov

Page der Herzogin
Martin Nyvall

Damen des Hofes
Ute Baur
Christine Niclas
Axelle Mikaeloff
Isabelle Garlitzka
Sandra Metzger

Tochter Monterones
Julia Lüdke

Hellebardiere / Diener
Thomas Dürrfeld
Michael Wolf
Robert Leible
Frank Schneider

Eine Rundfunksendung der Produktion
wird am 15. August
in swr2 zu hören sein (20.05 Uhr),
eine TV-Aufzeichnung am 28. August
im Programm 3sat.


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)




Da capo al Fine

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