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Bayreuther-Festspiele 2004

25. Juli - 28. August 2004


Von Hasen und Hunden

von Stefan Schmöe

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Bayreuth, auf den Hund gekommen: Diese possierlichen Tierchen, Wagners Haushund nachempfunden, hat Ottmar Hörl in großer Stückzahl im Stadtzentrum verteilt. Sie helfen dem durch Schlingensief'sche hasen verwirrten Festspielgast, "Wagner für das 21. Jahrhundert" zu finden.

Im vorigen Jahr haben wir, und dafür entschuldigen wir uns bei unseren geneigten Lesern in aller Form, in unserem Festspiel-Bericht über das Wetter (!) schreiben müssen – so friedlich ging es am Bayreuther Grünen Hügel und darunter zu. Das ist in diesem Jahr ganz anders! 1000 (in Worten: Eintausend) Plastikhunde nämlich beherrschen das Bayreuther Stadtbild (möchten es jedenfalls beherrschen), und das hehre Ziel der Aktion ist es, Richard Wagner dem 21. Jahrhundert nahe zu bringen – toll! Nicht irgendein x-beliebiger Hund, nein, des Meisters Neufundländer persönlich ist hier in edlem Kunststoff abgegossen und an jeder städtischen Bank angekettet, auf dass er nicht entwendet werde (Liebhaber mögen sich für Euro 190,- ihr persönliches Exemplar für den Vorgarten sichern). Im heiligen Bezirk rund um das Festspielhaus ließ die Stadt allerdings die blöde dreinschauenden Tiere schnell wieder entfernen. Ob Wagner-Enkel Wolfgang der tierische Kunstanspruch Hörls, der schon die Berliner Mitte mit vielen (immerhin unterschiedlich gestalteten und ästhetisch weit weniger missglückten) Plastikbären bestückte, wohl zu peinlich war? Der Hund jedenfalls hebt sehr eindrucksvoll die Provinzialität des oberfränkischen Mittelzentrums hervor – als wolle man den Festspielen einen kleinbürgerlich-miefigen Unterbau geben, von dem sich die hohe Kunst besonders schön abhebt.

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Bayreuth, auf den Hund gekommen: Dieser hier posiert werbend für Reizwäsche. (Pfusch am Kunstwerk? Der Goldüberzug ist womöglich nicht im Suinne des Künstlers!)

Auch einen Wohnwagen und ein paar Kleinwagen hat Hörl im Stadtgebiet aufstellen lassen, als „Opernhäuser für das 21. Jahrhundert“, aus deren Autoradios Wagner ertönt. Das wirkt wie ein schwacher Reflex auf Alt-Aktionskünstler und Jung-Regiesseur Christoph Schlingensief, der in früheren Beschäftigungen mit dem Komponisten sowohl Robben als auch Salami mit Wagnermusik beschallte (die Salami soll darauf ihren Geschmack verbessert haben; von den Robben ist uns diesbezüglich nichts bekannt). Schlingensief sorgte mit seiner Parsifal-Inszenierung bereits im Vorfeld für einen Medienwirbel, wie ihn die Festspiele noch nicht erlebt haben. Unser Tipp: Man lese online die aktuellen Mitteilungen „In eigener Sache“ der Festspielleitung nach – dann ahnt man, was Schlingensief für Bayreuth bedeutet. Dass die Premiere dann doch kein richtiger, also handgreiflicher Skandal wurde, lag wohl auch am auf größte Katastrophen vorbereiteten Publikum. Das Potenzial für erheblichen Unmut hat Schlingensiefs Regie, die weniger eine Inszenierung des komponierten Parsifal als vielmehr eine Großinstallation zur Parsifal-Thematik ist, durchaus, und sie könnte der Festspielleitung noch ungewollt lange im Magen liegen.

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Bayreuth, auf den Hund gekommen: Zumindest der hier scheint ein Autogramm von der aktuellen Elisabeth haben zu wollen.

Sicher bedeutet dieser Parsifal den größten Einschnitt in die Festspielgeschichte seit Patrice Cheraus Ring-Inszenierung von 1976 (auch damals war Pierre Boulez der Dirigent). Grund genug, die Bayreuther Rezensionsgeschichte des Parsifal kritisch zu untersuchen. Festspiel-Mitarbeiter Klaus Schultz hat im Neuen Rathaus eine kleine Ausstellung mit dem Titel Wege zu Parsifal eingerichtet, die leider ziemlich nichtssagend bleibt. Weder werden Änderungen in den teilweise sehr lange gespielten Inszenierungen sorgfältig dokumentiert (selbst die Hängung der Fotos bleibt unübersichtlich), noch versucht Schultz eine Einordnung der Inszenierungen oder gar eine Analyse der veränderten Sicht auf das Werk. Eher wollen die Kurzkommentare die nun wahrlich nicht wegweisende Inszenierung Wolfgang Wagners von 1989 als Höhepunkt der Parsifal-Deutung verstanden wissen. Angesichts des Traditionsbruchs, mit dem Schlingensief aufwartet, wirkt die Ausstellung (in der die Neuinszenierung konsequent ignoriert wird, als könne es nie einen Schlingensief in Bayreuth geben) hoffnungslos veraltet – Wagner für das vergangene 20. Jahrhundert.

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Bayreuth, auf den Hund gekommen: Hier bewacht einer ein "Opernhaus für das 21. Jahrhundert" (gemeint ist der schwarze Kleinwagen in der Bildmitte, der durch einen entsprechenden Schriftzug von Ottmar Hörl zur mobilen Wagnerbühne geweiht wurde.

Schlingensief, Schlingensief, Schlingensief – der Mann beherrscht die Festspiele, und bei allem Ärger über die Inszenierung bringt das viel frischen Wind nach Bayreuth, der manchen Staub wegbläst. So erscheint Phillippe Arlauds bunt dekorativer Tannhäuser in diesem Kontext auf einmal wohltuend konzentriert, und die ästhetische Strenge von Claus Guths Fliegendem Holländer bildet geradezu einen Gegenpol zur totalen Schlingensief'schen Unordnung. (Dagegen steht die Abschiedsvorstellung von Jürgen Flimms Ring ein wenig im Schatten der Frage, welchen Regisseur die Festspielleitung dem geplagten Publikum für die Neuinszenierung 2006 vorsetzen wird). An Gesprächs- und Diskussionsthemen jedenfalls herrscht heuer kein Mangel.

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Bayreuth, auf den Hund gekommen? Per Brief bitten die Solisten der Festspiele um Verständnis in schweren schlingensiefschen Zeiten. (Zum Vergrößern Bild anklicken).

Die Videosequenz mit dem Hasenkadaver, die den Parsifal beschließt, hat schon fast so etwas wie Kult-Status bekommen – am Parsifal-Hasen entzünden sich die Gemüter. (Die Urheberschaft für den Kalauer „Hasifal“ wollen wir gerne dem engeren Schlingensief-Kreis zugestehen.) Indes werden wohl kaum die 1000 Hörl-Hunde (die nicht einmal bellen, geschweige denn beißen) des Hasen Tod bedeutet haben. Schlingensiefs provokativer Multi-Kulti-Parsifal-Coctail hat das 21. Jahrhundert kräftig eingeläutet. Wenn die biederen Hunde nichts als ein episodischer Nachklang des vorigen Jahrhunderts blieben - für die Bayreuther Festspiele wäre es ein hoffnungsvolles Zeichen.

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"Parsifal" im Bayreuther Festspielhaus 1882 - 2001

Wege zu PARSIFAL

Ausstellung im Neuen Rathaus Bayreuth vom 25.7. - 28.8.2004

Konzeption und Leitung:
Klaus Schultz



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CD: Werkschau: Parsifal

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Premiere Bayreuth 2004

Eine Einführung in die Oper von Richard Wagner
und die Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen 2004

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