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Musikfestspiele
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Rinaldo
Oper in drei Akten (HWV 7a )
von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Std. 30' (zwei Pausen)

Premiere am 27. Mai 2004
in der Stadthalle-Göttingen Weitere Aufführungen: 29. Mai und 1. Juni 2004


Homepage: Göttinger Händel Festspiele

Mensch und Welt - wie einst, so heute

Von Gerhard Menzel / Fotos von Dorothea Heise

Händels erste für London fertiggestellte Oper Rinaldo gehört zu den spektakulärsten und dramatischsten Werke seiner Zeit. Rinaldo war nicht nur zwischen 1711 und 1717 in London ein riesiger Erfolg (durch wechselnde Sängerbesetzungen nahm Händel einigen Änderungen vor), sondern er wurde 1715 auch in Hamburg und 1718 sogar in Neapel nachgespielt. Damit war Rinaldo zu Händels Lebzeiten die einzige seiner "Londoner" Opern, die auch in Italien gespielt wurde.

Musikalisch enthält das Werk nicht nur herrlich melodiöse, ausladende und vielfältig instrumentierte Arien, sondern auch ungewöhnlich viele Instrumentalsätze. Zudem schrieb Händel in der Partitur des Rinaldo eine der größten Orchesterbesetzungen für eine seiner Opern vor. In dieser Beziehung war es ein erheblicher Vorteil, dass die Aufführung in der Stadthalle stattfand und sich das Orchester nicht in den kleinen Orchestergraben des Deutschen Theaters zwängen musste.

Andererseits war es kaum vorstellbar, wie gerade Rinaldo, der wegen seiner beträchtlichen Ausmaße an Zaubereien schon nach seiner Uraufführung (1711) erhebliche Kritik einstecken musste, an einem Ort ohne große bühnentechnische Möglichkeiten adäquat realisierbar wäre.

Wie schon bei der Rodelinda im Jahr 2000 gelang Igor Folwill (Regie), Manfred Kaderk (Bühnenbild) und Wolfgang Scharfenberger (Kostüme) aber erneut, eine fast schon spektakuläre Umsetzung des Stückes. Diese ausgeklügelte, tiefsinnige, handwerklich geschickt gearbeitete und emotional Herz und Kopf gleichermaßen einbeziehende Produktion überzeugte so sehr, dass sie sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Das Problem der Raumgestaltung in der Stadthalle wurde gelöst, indem eine leicht schräg gestellte Scheibe im Zentrum des Raumes mit einem breitem Laufsteg umbaut wurde, von links vorne nach hinten rechts ansteigend (mit Bodenklappen für schnelle Auf- und Abtritte). Während der Laufsteg links vorne als vorgezogene Spielfläche diente, konnte sich im rechten vorderen Bereich das groß besetzte Orchester problemlos postieren. Dass sich daraus für das Publikum sehr unterschiedliche, nicht überall optimale Hörpositionen ergaben, musste dadurch natürlich in Kauf genommen werden.

Der Bühnenraum wurde im hinteren Bereich durch die Aufnahme der Holzkonstruktion der Wände des Stadthallensaales (mit drei riesigen, integrierten Türen) abgeschlossen. Auf der linken Seite begrenzte eine gewaltige Steinmauer, auf der rechten ein Prospekt mit einer Wüstenlandschaft (bzw. später auch mit in leuchtenden Farben erstrahlenden orientalischen Ornamenten) den Raum. Tetrapoden, Stacheldraht und Sandsäcke verdeutlichten die Absicherung des christlichen Heeres gegen die Wüste und deren fremdartige Bewohner.


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Dominique Labelle (Armida).

Zunächst fungierte die Steinmauer als Malfläche für den grübelnden und ob seiner Mission unsicher wirkenden Krieger Rinaldo, der auf diese Totenkreuzen zeichnete. Wie trügerisch die scheinbare Sicherheit einer Mauer sein kann, erwies sich nur einige Zeit später. Mit Getöse, Blitz, Donner und Dampf durchbrach Armida bei ihrem in der Tat eindrucksvollen Auftritt diese Mauer und zeigte damit deutlich die Grenzen auf, die die aschfarbene Welt der Christen beherrschte. Ein Stuhl und eine grüne Fahne mit Kreuz dienten als deren äußerliche Symbole.


Vergrößerung in neuem Fenster Diana Moore (Rinaldo), Cécile van de Sant (Goffredo)
und Cyndia Sieden (Almirena).

Goffredo, der General der christlichen Armee des ersten Kreuzzuges, durch den Jerusalem von den Sarazenen befreit werden sollte, gab sich streng, nüchtern und zielstrebig. Cécile van de Sant (Mezzosopran) gestaltete diese Partie stimmlich und darstellerisch so überzeugend, dass die Figur des entschlossenen Generals weit über das Maß an Profil gewann, als es die Musik eigentlich vorgibt.


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Christophe Dumaux (Eustazio)
und Cécile van de Sant (Goffredo)

Ausdrucksstark präsentierte sich auch Christophe Dumaux (Alt) als Eustazio, der mit seinem dreiteiligen, ausklappbaren Tragaltar, heiliger Schrift und Kerze ausgerüstet, für den geistlichen Beistand der Chirsten verantwortlich war. Dessen Tryptichon korrespondierte übrigens mit den drei ebenso geformten Spiegeln der Armida, die mit ihrem Blendwerk nicht nur ihre unmittelbaren Opfer, sondern auch einen Teil des Publikums traktierte.

Armida, die in der Tat mit ihrem Kopf durch Wand ging, war mit Dominique Labelle, (Sopran) phänomenal gut besetzt. Ihre dominante Bühnenerscheinung und ihre herrliche Stimme ver- und bezauberte nicht nur Freund und Feind, sondern auch das Publikum.


Vergrößerung in neuem Fenster Dominique Labelle (Armida).

Die runde Spielfläche im Zentrum des Raumes, umgeben mit einem Rundhorizont und einem Lichtkreis, diente zum einen als geschlossener Raum, zum anderen auch als Bannkreis Armidas. Hier ließ sie den künstlichen Zaubergarten mittels einer grünen Stoffbahn und roten Blüten entstehen, in den sie Almirena und Rinaldo lockte um Almirena zu entführen. Dort wurde diese an einen Stuhl gebunden und zwischen Armidas drei Zauberspiegeln gefangengehalten. Auch Rinaldo wurde dort später, nachdem ihn die Sirenen mit ihrem verführerischen Gesang (ganz reizend die jungen Sopranistinnen Irmela Brünger und Theresa Nelles) und ihren goldfarbenen Röcken eingewickelt hatten, mit Seilen an Händen und Füßen gefesselt.


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Dominique Labelle (Armida).

Die zauberhaften Täuschungen Armidas, in denen sie zum Beispiel die Gestalt Almirenas annahm, wurden mit einfachen, aber sehr wirkungsvollen Mitteln erzielt. Von einem grünen Tuch verhüllt sah man zwar ihre Lippenbewegungen, hörte aber die Stimme von Almirena aus dem Off. Auch die Erscheinung des falschen Spiegelbildes Almirenas gelang perfekt. Armidas Zauberkünste hatten es wohl auch Händel so angetan, dass er diese in ihrer finalen Arie des zweiten Aktes mit seinen "musikalischen Zaubereiens", bzw. Improvisationskünsten am Cembalo, zusammenführte. Wie sonst sind die zahlreichen und ausgedehnten Cembalozwischenspiele in dieser Arie zu erklären. Igor Folwil choreographierte diese so einzigartige Musik, indem er eine Verfolgungsjagd Armidas inszenierte, die Argante zur Rede stellen will, da dieser der entführten Nebenbuhlerin Almira schöne Augen machte.


Vergrößerung in neuem Fenster Andrew Foster-Williams (Argante).

Argante seinerseits erhielt von Händel wohl eine der gewaltigsten Auftrittsarien der Operngeschichte. Mit 4 Trompeten und Pauken erstürmt er die Szene und wirft hier siegessicher den Koffer mit den Waffenstillstandsdokumenten provozierend vor die Füße Goffredos. Gebrochen wird diese eigentlich bedrohliche Szene durch den "komischen" Habitus, den Argante charakterisiert. Andrew Foster-Williams ist mit seiner gewaltige Bassstimme, seinem polternden Tonfall und seinen darstellerischen Fähigkeiten, die menschlichen Schwächen eines verliebten Gecken auszuleben, sicherlich eine Idealbesetzung für diese Partie.


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Andrew Foster-Williams (Argante)
und Dominique Labelle (Armida).

Viele komische Elemente entstehen aber vor allem durch die Tatsache, dass sich die beiden miteinander verbändelten Verbündeten, Armida und Argante, sich jeweils in feindliche Gegenspieler verlieben. Armida in den christlichen Krieger Rinaldo und Argante in die Tochter des Generals Goffredo, die zugleich die zukünftige Braut Rinaldos ist.


Vergrößerung in neuem Fenster Diana Moore (Rinaldo)
und Cyndia Sieden (Almirena).

Mit Diana Moore (Sopran) als nachdenklichen und gar nicht so heldenhaften Rinaldo und Cyndia Sieden (Sopran) als Energie spendende "Lichtgestalt" der Almirena, war das leidgeprüfte Liebespaar, deren Stimmen sich in ihrem Duett "Scherzando sul tuo volto" zu einem zärtlich neckenden Zwiegespräch zusammenfanden, fabelhaft besetzt.


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Andrew Foster-Williams (Argante)
und Dominique Labelle (Armida).

Igor Folwill konfrontierte in seiner Inszenierung Typen der barocken Opernkonvention und aus den Märchen aus 1001 Nacht mit der Jetztzeit, in der, wie schon zu der Zeit der Kreuzzüge, falscher Erlösungswahn und die Dokumentation der eigenen Macht eine große Rolle spielen. Als idealer Vermittler zwischen den Zeiten fungiert schon bei Händel ein Magier mit seiner Zauberkugel, die hier als riesige Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Bilder bzw. Filmcollagen diente. Auf ihr erschien nicht nur das Abbild des Planeten Erde, sondern auch Zeichnungen, Gemälde, Fotos und ganz Filmsequenzen, die den Bogen von den Kreuzzügen des Mittelalters bis zur aktuellen Kriegsberichterstattung von militärischen Angriffen und deren leidvollen Opfern reichte.

Besonders eindrucksvoll und bewegend wirkte das Bild, in dem sich Armida links und Argante rechts der magischen Kugel, auf die die sich drehende Erde projiziert war, gegenseitig mit wachsender Begeisterung mit Todes- und Vernichtungsparolen anfeuerten.


Vergrößerung in neuem Fenster Schlußszene.

Gar nicht unlogisch erschien daraufhin der Bruch in der Inszenierung, der eigentlich gar keiner war. Die Protagonisten der Oper konnte es nach den Folgen des fanatischen Krieges einfach als handelnde Darsteller nicht mehr geben, sondern nur noch als akustische Vermittler der Komposition bzw. der Utopie Händels, dass es doch noch ein gutes Ende geben würde. Die "konzertante Präsentation" vermittelte wiederum der Magier, der hinter den Solisten wie ein gekreuzigter stand, während auch auf dessen weißem Gewand die eingespielten Kriegsfilmsequenzen und deren Opfer zu sehen waren. Der in diesem Zusammenhang erklingende Marsch, in dem in Rinaldo das christliche Heer gegen die "Ungläubigen" aufmarschiert, erklang hier in seiner ganzen martialischen Gewalt mit Pauken und Trompeten, wobei das Concerto Köln seine ganze klangliche Pracht präsentierte. Überhaupt erwies sich das Concerto Köln wieder einmal als perfektes Opernorchester. Jede Situation und jede Szene wurde dynamisch und agogisch bis ins letzte Detail ausgelotet und bekam durch die schier entfesselte Leitung von Nicholas McGegan noch seinen letzten Schliff. Dramatik pur!


FAZIT

Alles, was man im letzten Jahr bei Deidamia an szenischer und musikalischer Spannung und Ausdruckskraft schmerzlichst vermisst hatte, präsentierte die diesjährige Produktion in Hülle und Fülle !
Alt und Modern - weder musikalisch, noch szenisch ein Widerspruch, jedenfalls wenn es so gelingt, wie bei der Rinaldo-Produktion der Göttinger Händel-Festspielen 2004 !




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Nicholas McGegan

Regie
Igor Folwill

Bühne
Manfred Kaderk

Kostüme
Wolfgang Scharfenberger



Concerto Köln


Solisten

Rinaldo
Diana Moore

Armida
Dominique Labelle

Almirena
Cyndia Sieden

Goffredo
Cécile van de Sant

Eustazio
Christophe Dumaux

Argante
Andrew Foster-Williams

Sirenen
Irmela Brünger
Theresa Nelles

Mago / Herold
Jean-Sébstian Stengel


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Göttinger Händel Festspielen
(Homepage)




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