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Musikfestspiele
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20.
Tage Alter Musik
in Regensburg

28. bis 31. Mai 2004



Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Eine Festival mit Tradition
Die 20. Tage Alter Musik in Regensburg

Von Ingo Negwer; Mitarbeit: Renata Grunwald

Als 1984 erstmals die Tage Alter Musik Regensburg stattfanden, mag wohl kaum jemand geahnt haben, dass diese Veranstaltung zwanzig Jahre später zu den europaweit renommierten Festivals der historischen Aufführungspraxis zählen würde. Einerseits ist die weit ausstrahlende Bedeutung der Tage Alter Musik dem unermüdlichen Engagement der Initiatoren von Pro Musica Antiqua zu verdanken, andererseits aber auch der außergewöhnlichen Atmosphäre der altehrwürdigen ehemaligen Reichsstadt Regensburg mit ihren zahlreichen geschichtsträchtigen Aufführungsorten. Das Festival hat inzwischen ein großes Stammpublikum für sich gewonnen; Regensburg ist auch eine Art Szene- oder Familientreffen. Bekannte Gesichter in den Konzerten, in der Verkaufsaustellung im Salzstadel, im Hotel, auf den Straßen und in den Gassen der Altstadt - man kennt sich halt...

Traditionell am Pfingstwochenende fanden nun die 20. Tage Alter Musik mit fünfzehn Konzerten statt, in denen Musik von der Renaissance bis zur Romantik dargeboten wurde. Bei der Programmauswahl hielten die Veranstalter an ihrem bewährten Rezept fest: einer wohl dosierten Mischung einerseits aus Stars der Alten Musik die mit ihrem Namen gleichsam für Highlights bürgten, andererseits von bislang eher unbekannten Ensembles oder musikalischen Raritäten, die man mit Spannung erwarten durfte. Und schließlich gab es festliche Konzertereignisse, die die Tage Alter Musik gebührend umrahmten. Da wäre zunächst das Eröffnungskonzert mit Haydns Oratorium "Die Schöpfung" zu nennen, mit dem das Festival am Freitagabend seinen Auftakt nahm. Die Regensburger Domspatzen und die Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner sangen und spielten auf höchstem Niveau. Insbesondere der homogene, in allen Stimmlagen wohl besetzte heimische Knabenchor stellte einmal mehr unter Beweis, dass er zu den Besten seinesgleichen gehört. Die Solisten - Katharina Fuge als Gabriel und Eva, Marcus Ullmann als Uriel sowie Sebastian Noack als Raphael und Adam - fügten sich bruchlos in das überzeugende Gesamtbild ein.

Musikalische Highlights boten auch Dorothee Oberlinger und die Sonatori de la Gioiosa Marca in der St.-Oswald-Kirche und das spanische Ensemble Al Ayre Español. Die Sonatori sind in Regensburg alte, gern gesehene und gehörte Bekannte. Dieses Mal sprangen sie kurzfristig für das französische Ensemble Matheus ein, das aufgrund einer Erkrankung seine Deutschlandpremiere absagen musste. Stattdessen nach 1994, 1999 und 2001 wieder einmal das Spitzenensemble aus Italien. Zusammen mit der hochvirtuosen Blockflötistin Dorothee Oberlinger begeisterten die Sonatori de la Gioiosa Marca mit einem spritzig und temperamentvoll dargebotenen Programm mit Konzerten von Antonio Vivaldi. Ein vor allem akustisch weniger leichtes Spiel hatten die Spanier in der großen, halligen Minoritenkirche. Wo waren die sonst üblicherweise hinter den Ausführenden aufgestellten Schallwände? So musste man leider die Ohren schon sehr spitzen, um den feinen, nicht allzu großen Countertenor von José Hernández Pastor in aller Deutlichkeit vernehmen zu können; zu sehr schoben sich Oboe und Violinen in den hörenswerten spanischen Kantaten aus mittelamerikanischen Archiven in den Vordergrund. Die in toto vorzüglichen Interpreten von Al Ayre Español unter der Leitung von Eduardo López Banzo hätten (ebenso wie das Publikum) bessere Rahmenbedingungen verdient.

Vor allem durch seine großen Plattenerfolge ist das Ensemble L'Arpeggiata in jüngster Zeit zu den Stars der Alten Musik avanciert. Mitreißende Interpretationen auf höchstem Niveau und der Mut, neue Wege in der historischen Aufführungspraxis zu gehen, haben diesen Erfolg entscheidend mitbestimmt. Dabei ist man auch bereit, stilistische Grenzen zu überschreiten. In seinem Programm „La Tarantella. Antidotum Tarantulae, Magie, Mythos und Heilung“ setzte sich L'Arpeggiata in der St.-Oswald-Kirche sowohl mit den traditionellen Wurzeln als auch mit der Gegenwart des in Süditalien beheimateten Tanzes auseinander. Diese Region war seit jeher ein Schmelztiegel der Kulturen: Italienisches, Spanisches und Orientalisches gelangte dort zur Synthese, Folklore und Kunstmusik inspirierten und beeinflussten sich gegenseitig. In den Darbietungen von Christina Pluhar und ihrem Ensemble wurden alle diese Bezüge nicht nur deutlich hörbar, sondern lebten in den temperamentvollen, von vitalem Rhythmus durchpulsten Interpretationen neu wieder auf. Dies war nicht zuletzt auch ein Verdienst der vorzüglichen Sänger Lucilla Galeazzi und Luciano Catapano.

L'Arpeggiata beherrscht vor allem ein Metier, dessen Bedeutung in der jüngsten historischen Aufführungspraxis immer mehr an Gewicht gewinnt: die Improvisation. Der quasi spielerische Umgang mit dem überlieferten Werk, eine grundlegende Praxis der „vor-romantischen“ Musik, wird im zunehmenden Maße substantieller Bestandteil der heutigen Szene. Auch das britische Ensemble Red Priest mit Piers Adams (Blockflöten), Julia Bishop (Violine), Angela East (Violoncello) und Howard Beach (Cembalo) folgten im nächtlichen Reichsaal mit ihrem Programm "Nightmare in Venice - ein nächtliches Barockspektakel" diesem Trend eines unkonventionelleren Umgangs mit Barockmusik - hier Kompositionen von Vivaldi, Johnson, Castello, Bach u.a., die sehr lebendig und mit starker Bühnenpräsens dargeboten wurden.

Die konsequente Suche nach neuen Perspektiven der historischen Aufführungspraxis setzte einmal mehr das belgische Orchester Anima Eterna unter der Leitung von Jos van Immerseel fort und widmete sich bei seinem dritten Gastspiel in Regensburg mit Werken von Borodin und Rimski-Korsakov der russischen Orchestermusik des 19. Jahrhunderts.

Nach der fulminanten Aufführung der "Liberazione di Ruggiero" von Francesca Caccini vor fünf Jahren war erstmals wieder eine Oper bei den Regensburger Tagen Alter Musik zu erleben. Lorenzo Fioroni inszenierte die kürzlich entdeckte Opera seria "Amor und Psiche" von Joseph Schuster (1748-1812). In den Solopartien des zweiaktigen Werks hinterließen Jörg Waschinksi (Amor), Salome Kammer (Piche), Gudrun Sidonie Otto (Venere), Bernhard Schafferer (Zeffiro) und Andreas Post (Palemone) einen soliden Eindruck. Das Vokalensemble Würzburg und das Münchener Orchester La Ciaccona unter der musikalischen Gesamtleitung von Wolfram Graul trugen ihren Teil zu einem gelungenen, kurzweiligen Opernabend bei. Ob sich Schusters Bühnenwerk im Schatten der "Großen" einen Platz im heutigen Repertoire erringen kann, darf jedoch bezweifelt werden.

Unter dem Aspekt der Neuentdeckungen gab es auch ansonsten dieses Jahr nicht die großen Überraschungen. Alte Bekannte in Regensburg sind Grant Herreid, Paul Shipper und Daniel Swenberg, die sich zusammen mit Christa Patton und Robert Mealy als Ensemble Visceral Reaction mit spanischer und italienischer Musik für Lautenensembles (bereichert um Vihuelen, Gitarren, Harfe, Violine und Perkussion) vorstellten. Der entscheidende Funke wollte leider nicht recht überspringen, obwohl teilweise auf beachtlichem Niveau musiziert wurde, etwa in der Canzón 3 von Bartolomeo de Selma y Salaverde mit einem schönen Violin-Solo von Robert Mealy. Letztlich trübten jedoch die Defizite der Gesangsstimmen den insgesamt positiven Eindruck. Auch The Song Company aus Australien blieb mit ihrem "Hohelied"-Programm, gemessen an dem für Festivals dieser Güte herrschenden Standards, eher blass. Aufhorchen ließ jedoch das Main-Barockorchester Frankfurt. Das junge deutsche Ensemble überzeugte mit hoher Spielkultur und engagierten Auseinandersetzungen mit "Leipziger Allerlei" - bestehend aus Ouvertüren, Konzerten und Sinfonien von Telemann und Fasch. Unter den blendend aufgelegten Solisten stach insbesondere Christian Leitherer (Barockklarinette und Chalumeau) hervor.

Hörenswerte Raritäten präsentierte die italienische Cappella Artemisia unter der Leitung von Candace Smith in der Dominikanerkirche. Orientiert an der liturgischen Form einer Vesper, wie sie in einem Mailänder Nonnenkloster um 1650 gefeiert worden sein könnte, führte das achtköpfige Vokalensemble geistliche Werke von Chiara Margarita Cozzolani auf. Instrumental unterstützt wurde die Capella von Maria Christina Cleary (Harfe), Francesca Torelli (Theorbe), Bettina Hoffmann (Viola da Gamba) und Miranda Aureli (Orgel). Die Kompositionen Cozzolanis sind von beachtlicher Qualität und bezeugen einmal mehr, dass Frauen auch im Barock zu herausragenden kreativen Leistungen fähig waren - sofern man ihnen (z.B. im Kloster) den nötigen Freiraum gewährte. Die Capella Artemisia interpretierte die Psalmvertonungen schlicht und andachtsvoll; sie pflegt - bei gelegentlichen Defiziten in den Einzelstimmen - einen homogenen Gesamtklang. Mit weit mehr als anderthalb Stunden Aufführungsdauer stellten die Musikerinnen die Aufnahmefähigkeit des Publikums in diesem Nachtkonzert jedoch auf eine harte Probe.

Festlich wie sie begonnen hatten, endeten die 20. Tage Alter Musik am Abend des Pfingstmontag mit einer Marienvesper in der Dreieinigkeitskirche. Auf dem Programm standen geistliche Kompositionen von Heinrich Ignaz Franz Biber, dessen Todesjahr sich in 2004 zum 300. Male jährt. Bibers geistliches Schaffen steht nach wie vor im Schatten seiner Bedeutung als Violinvirtuose und Schöpfer von Instrumentalwerken. Im Abschlusskonzert des Festivals konnte man diese noch unterbelichtete Seite des großen Barockkomponisten in weitgehend vorzüglichen Interpretationen erleben. La Capella Ducale und Musica Fiata Köln, durchweg mit hochkarätigen Spezialisten besetzt, musizierten unter der Leitung von Roland Wilson auf dem gewohnt hohen Niveau und machten die "Vespro della Beata Vergine" zu einem klangprächtigen Ereignis.




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