Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
Die Utopie vom neuen MenschenVon Stefan Schmöe / Fotos von Ursula Kaufmann
"Subjektive Handlungsübersicht Der "Schmelzofen": Zentrale Bühnenplastik und Projektionsfläche für die Videosequenzen
Einen riesigen zylindrischen Turm, den Schmelzofen, stellt die katalanische Künstlergruppe La Fura dels Baus (die einst für wildes Aktionstheater berüchtigt war) einen in das Zentrum der Bühne der Bochumer Jahrhunderthalle. Natürlich liegt die Assoziation Schmelzofen Stahlguss an diesem Ort, an dem bis in die 60er-Jahre die Energie für die Hochöfen erzeugt wurde, nahe, und die Gerüstkonstruktion auf der Bühne setzt die Industriearchitektur der Halle fort. Der Turm auf der Bühne wiederum erinnert stark an den Oberhausener Gasometer, und das nicht nur wegen der frappierend ähnlichen Form, sondern auch wegen der Videosequenzen, die immer wieder auf dessen Außenhaut projiziert werden: War doch der Gasometer vor Jahresfrist Schauplatz von Bill Violas Videoinstallation Five Angels for the Millennium. So sprach Triennale-Intendant Gerald Mortier in seiner Werkeinführung von einer Hommage an das Ruhrgebiet. Der Stahlguss transzendiert hier über das Gießen von Menschen zum (Aus-)Gießen von Seelen nicht im Sinne des Frankenstein-Mythos (der freilich permanent im Raum steht), sondern in einer Innenschau der Seele. Für Mortier ist dies ein exemplarischer Brückenschlag zwischen Erdgebundenheit (die hier gleichzeitig als eine Heimatgebundenheit aufgefasst werden kann) und Utopie und darunter kann auch, als eine von vielen Deutungsmöglichkeiten, die Utopie vom Selbst-Bewusstsein der Region verstanden werden. Wie wohl keine andere Produktion berührt diese den Kern der Ruhrtriennale. Das Frappierende aber ist: Sie ist gar nicht für diesen Ort konzipiert sondern war bereits bei den Salzburger Festspielen 1999 (in fast identischer Besetzung) zu sehen. Menschenguss: Der Ofen wird zum Symbol des Unterbewusstseins
Natürlich wird auch Mortier sofort aufgegangen sein, wie groß die Kongruenz von Aufführungsort und ästhetischer Idee ist, und daher ist es mehr als legitim, die Produktion aus dem verspielten Salzburg in die neu kultivierten Brachlandschaften des Ruhrgebiets zu versetzen, auch wenn es keine "neue" Inszenierung ist - neu allerdings ist der Kontext, den die Umgebung hier stellt und der Teil des Kunstwerkes ist. Denn auch wenn man den etwas verquasten psychoanalytischen Umdeutungen nicht folgen mag, wird man von der visuellen Wucht der Inszenierung überwältigt. Die Uneindeutigkeit der irrealen Bilder ist keineswegs eine Schwäche, sondern schafft eine weitere Dimension, und viele Assoziationen werden angestoßen, aber nicht zu Ende gedacht und das erhebt die Inszenierung zu einer würdigen Festspielproduktion, die singulär über den Opernalltag herausragt. Jaume Pensa und seine Kollegen wollen nichts erklären, sondern Fragen aufwerfen, aber in erster Linie zieht die unmittelbare Wirkung der Bühnenskulptur in den Bann. Vision: Méphistophélès versetzt Faust in einen Opiumrausch
Das strahlende Weiß des Schlussbildes ist Ausdruck einer nicht mehr verbalisierbaren Utopie und verweist auf Messians Saint Francoise d'Assise, der im Vorjahr am gleichen Ort aufgeführt worden ist (unser Bericht) und zu dem sich, auch was die Inszenierung betrifft, manche Querverbindungen erkennen lassen. Das Nachtblau der Marguerite-Szenen schafft Assoziationen an ein anderes Nachtstück, das Mortier (leider) nicht auf den Spielplan gesetzt hat, das aber in seiner Anti-Utopie einen spannenden Kontrast hätte geben können: Wagners Tristan und Isolde. Dass man die Inszenierung an vielen Stellen beinahe romantisch erleben kann, ist ein Zeichen der Vieldeutbarkeit des Konzepts, dass das fragile Gleichgewicht von Bild und Musik jederzeit wahren kann. Auch die musikalische Interpretation bewegt sich auf allerhöchstem Niveau. Das Sinfonieorchester des SWR Baden-Baden und Freiburg spiel mit einer Klangkultur, die ihresgleichen sucht homogen und transparent, dabei nie forciert, im Forte, mit vibrierendem Innenleben und kammermusikalischer Eigenständigkeit jedes einzelnen Musikers auch noch im leisesten Pianissimo. Mit diesen Qualitäten zählt das Orchester zu den allerersten Klangkörpern nicht nur hierzulande. Dirigent Sylvain Cambreling dirigiert große Klangflächen, innerhalb derer die melodischen Linien Farbveränderungen darstellen. Das Klangbild ist hörbar geschärft durch die intensive Beschäftigung mit moderner Musik, dirigiert aus einem Blickwinkel, der nicht nur die Eleganz der französische Operntradition, sondern auch Ligeti und Lachemann umfasst. Cambreling fordert nicht nur das exakte Spielen, sondern auch das exakte Hinhören, von den Musikern wie vom Publikum, und die wichtigsten Dinge passieren im ungeheuer fein abgestimmten Piano. Dreikampf: Faust und Méphistophélès ringen um Marguerite
Waren die Chöre aus Pamplona und San Sebastian am Vortag bei Berlioz' Requiem schon zu großer Form aufgelaufen, so war hier nochmals eine Steigerung zu erleben: Leuchtend und unangestrengt, niemals fest im Klang und ungeheuer homogen. Hinzu kamen die ebenfalls exzellenten Knabenstimmen der Chorakademie Dortmund, wo sich offenbar ein hochkarätiges Ensemble heranbildet. Wie schon bei der Totenmesse besticht der klare, durch kein Vibrato eingetrübte Chorklang, und dies unterstützt den flächigen Charakter von Cambrelings Interpretation. Utopie: In strahlendem Weiß erstrahlt der Turm zum ätherisch ausklingenden Finale
Paul Groves ist ein überzeugender Faust, mit elegant lyrischer, dabei aber tragfähiger und ausdauernder Stimme. Der herbe, leicht hauchige Charakter des Baritons von Willard White ist im Vergleich dazu zunächst gewöhnungsbedürftig; sieht man von der fehlenden Sonorität einmal ab, besitzt White in der tiefen wie in der hohen Lage alle Mittel, um den Méphistophélès packend zu gestalten. Charlotte Hellekant singt die Marguerite mit hoher Intensität keineswegs als unnahbaren Engel, sondern als sinnliche und selbstbewusste junge Frau. Die Stimme ist leicht eingedunkelt und tendiert zum Dramatischen. Andreas Macco als Brandner vervollständigt souverän das Solistenquartett. La Damnation de Faust steht in dieser Interpretation in einem Netztwerk von musikalischen wie außermusikalischen Querbezügen. Wie die Jahrhunderthalle ein Ankerpunkt der verschiedenen Themenrouten ist, auf denen man das Ruhrgebiet unter industriehistorischen Aspekten erleben kann, so bildet diese Produktion einen Ankerpunkt für die drei Triennale-Jahre unter der Leitung von Gerald Mortier.
Ein kleines "Wunder von Bochum" - Musik, Bühne und umgebender Raum verbinden sich zu einem wuchtigen Gesamtkunstwerk. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Konzeption
Regie
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Solisten
Faust
Marguerite
Méphistophélès
Brandner
Darsteller
|
- Fine -