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Musikfestspiele
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Sommerfestspiele 2005

Mariinsky - Theater St. Petersburg
Werke von Peter I. Tschaikowsky

11. - 17. Juli 2005
Festspielhaus Baden-Baden

Homepage

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
Ausführliche Tschaikowsky - Hommage

Von Christoph Wurzel / Fotos: pr Festspielhaus

Die Zusammenarbeit zwischen dem Baden-Badener Festspielhaus und dem Mariisky-Theater in St. Petersburg ist lang und intensiv - so lang wie das Festspielhaus existiert und so intensiv, dass Ensemble, Ballett, Orchester und vor allem der Leiter des Mariinsky-Theaters Valery Gergiev jährlich mehrmals in Baden gastieren. So hat man hier die ausgedehnten Gastspiele im Sommer zu "Festspielen" geadelt. In diesem Jahr war das Programm ausschließlich Peter Tschaikowsky gewidmet und gewährte dem Baden-Badener Publikum eine in dieser Dichte hierzulande wohl kaum zu überbietende Begegnung vor allem mit Tschaikowskys Opern. Vor zwei Jahren hatte die russische Bühne bereits Tschaikowskys Oper "Mazeppa" vorgestellt, allerdings als plüschig pathetischen Ausstattungsschinken. In diesem Jahr konnten sich die Aufführungen dagegen sehr wohl als hochinteressante Auseinandersetzungen mit den Werken präsentieren, versehen zudem mit einem beträchtlichen Anspruch auf Authentizität.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Leiter des Mariinsky-Theaters und Matador
der Sommerfestspiele in Baden-Baden
Valery Gergiev

Von Tschaikowskys immerhin zehn Opern werden im Westen allenfalls die zwei Puschkin-Stücke regelmäßig gespielt, "Eugen Onegin" wohl noch häufiger als "Pique Dame". Ab und an zieht auch die "Jungfrau von Orleans" über eine Bühne, aber wer kennt z.B. den "Wojwoden", Tschaikowskis erste Oper oder "Jolanthe", seine letzte? Auch seine achte Oper "Die Zauberin", 1885 -87 entstanden und am Mariinsky uraufgeführt, ist in unseren Breiten nahezu gänzlich unbekannt- und das, jedenfalls nach dem Eindruck, den sie nun hinterließ, ist nicht ganz zu rechtfertigen.

Das Sujet wurzelt zwar, wie die meisten seiner Opern bis dahin, noch in historischen Stoffen, weist aber in großen Teilen auf eine gesellschaftliche Konfliktlage der Gegenwart ihrer Entstehungszeit hin. Die Oper erzählt in vier spannungsgeladenen Akten von Nastassja, die am Rande der Stadt eine Schankwirtschaft betreibt und ob des dort gepflegten libertären Lebensstils zur Zauberin und Hexe dämonisiert wird. Sie nimmt sich die ungeheure Freiheit, den Sohn des despotischen Fürsten zu lieben, welch letzterer wiederum sich ihrer Ausstrahlung nicht entziehen kann - allerdings ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Die moraleifernde Fürstin beschließt daraufhin, ihre vermeintliche Nebenbuhlerin mit Gift aus dem Wege zu räumen und vollendet den bösen Plan ausgerechnet als verkleidete Pilgerin. In seiner musikdramatischen Wucht erinnert das Finale an das Schluss-Inferno des Don Giovanni: Das ganze Gebäude aus Intrige und Doppelmoral stürzt zusammen. Der Fürst erschlägt im Streit den zur Rache bereiten Sohn. Vater und Mutter fallen angesichts der Katastrophe in den Wahnsinn.

Selbst wenn man dem Werk einige Längen und dramaturgische Unglücklichkeiten anlasten kann, so ist es insgesamt ein szenisch wirkungsvolles und lebenssprühendes Stück Musiktheater. Dies gilt insbesondere auch für die musikalische Seite. Tschaikowsky hielt diese Oper für seine beste. In der Tat ist ihm eine Synthese aus ursprünglicher Volkstümlichkeit, die in Szenen derber Kirchenverspottung bisweilen zur satirischen Überspitzung getrieben wird und instrumental fein charakterisierten lyrischen Seelenzuständen gelungen, was diese Oper durchaus beachtenswert macht.

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"Die Zauberin"
Olga Sergeeva als Nastassja
und Viktor Chernomortsev
als Fürst Nikita Kurljatev

Und es war dann auch besonders der musikalische Sektor, der die Aufführung der "Zauberin" in Baden-Baden uneingeschränkt legitimierte. Ein weitgehend hervorragendes Sängerensemble stand zur Verfügung, das dem Stück wie angegossen schien: zuförderst Olga Sergeeva in der Titelpartie und Olga Savova als Fürstin beherrschten als starke Frauen die Szene. Präsent auch, doch weniger als schöne denn als kernige Stimme hervortretend gab Viktor Chernomortsev den herrischen Fürsten Nikita, während Vladimir Grishko in der Rolle des Sohnes sich mit zu schwachem Piano, zu stark forcierter Höhe und manchen zu tief angesetzten Spitzentönen besonders durch seine Arie im 4. Akt quälte. Großartig der vielbeschäftigte Chor und ebenso farbenreich wie angespannt spielend das Orchester des Mariinsky-Theaters. Hier bewegte man sich hörbar auf wohlbekanntem Terrain.

David Pountny hatte die Handlung aus der Ferne des mittelalterlichen Russland und aus der Düsternis einer Waldschänke in den bürgerlichen Salon des 19. Jahrhunderts verlegt. Das Einheitsbühnenbild von Robert Innes-Hopkins erlaubte mit wenigen Veränderungen ein flexibles Interieur einer Welt, die zunehmend in Schieflage und aus den Fugen gerät. Doch bleib Pountnys Regie dem Stück so manches schuldig, vor allem gelang keine konsequente Personenführung und der gut gemeinte gesellschaftskritische Ansatz blieb allzu häufig in Klischees stecken.

Vergrößerung in neuem Fenster "Eugen Onegin"
Irina Mataeva als Tatjana

Eine rundum gelungene szenische Übersetzung war am Folgetage mit "Eugen Onegin" zu erleben - ästhetisch perfekt, psychologisch glaubhaft dargestellt und gestisch elegant choreografiert von Moshe Leiser und Patrice Caurier, dem besonders in Frankreich erfolgreichen Regieduo. Tschaikowskys "Lyrischen Szenen" hauchten sie leise Nostalgie und innige Intimität ein. Wie man obwohl sparsam mit Requisiten dennoch eine dichte atmosphärische Wirkung erzielen kann, war beeindruckend zu sehen. Ein darstellungsfreudiges und -begabtes Sängerensemble vermochte dem Werk zu einem großen Opernabend zu verhelfen. Ergreifend ohne kitschig zu werden die Abschiedsszene des Lenski und das Duell, festlich erhebend der Einzug der Gäste zu Beginn des 4. Akts und dramatisch packend, allein aus der Psychologie der Personen heraus entwickelt, der deprimierende Schluss der Oper. Das Bühnenbild von Christian Fenouillant bewies dessen Gespür für die Wirkung des Weglassens und die Beschränkung auf das Wesentliche: ein paar mobile Wände, angedeutete Birkenstämme, das Nötigste an Mobiliar, der schlicht edle Ballsaal, ein fahler Winterhimmel und am Schluss die schwarze Kutsche auf einsamer Straße schafften eine anrührende Atmosphäre für diese traurige Liebesgeschichte.

Gergiev ließ der Musik viel Raum zur Entfaltung, er entwickelte die Lyrismen in großer fließender Linie, weniger auf Dramatik angelegt wie in der "Zauberin", weit mehr die Innerlichkeit betonend. Und die Sängerinnen und Sänger erschufen die Figuren in nahezu makelloser musikalischer Klarheit, allen voran die innige Intimität der Tatjana von Irina Mataeva und der strahlend schwärmende Lenski des Evgeny Akimov. Überzeugend auch die Olga der Nadezhda Serdyuk, mit warm timbrierter Altstimme. Zauberhaft wurde das Triquet-Couplet von Vladimir Felenchak gebracht. Der Onegin des Vladimir Moroz erschien darstellerisch präsenter als stimmlich, wenn er sich bisweilen vom Orchester zudecken ließ. Leider ein bisschen kehlig sang Mikhail Kit als Fürst Gremin.

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"Pique Dame"
Olga Guriakova als Lisa und
Vladimir Galuzin als Hermann

Eine nicht ungeschickte Lösung hatten Alexander Galybin (Regie) und Alexander Orlov (Bühne) für die sperrige "Pique Dame" gefunden und die Oper auf die enthaltenen gesellschaftlichen Konflikte zugespitzt. Indem die Handlung vom Ende des 18. Jahrhunderts in die Gegenwart Tschaikowsys verlegt wurde, ließen sich die wahnwitzige Geldgier des Außenseiters Hermanns mit den erzkonservativen Normen der Grafin konterkarieren.

Zugleich blieb Raum für die individuelle Beziehungstragödie zwischen der reichen Erbin Lisa und dem mittellosen Hermann, in der sich auf einer tieferen Ebene Tschaikowskys eigene Lebensgeschichte spiegeln mag in Gestalt seiner materiellen Abhängigkeit von der "Gönnerin" Nadeshda von Meck, die ihm wenige Monate nach der Komposition und kurz vor der Uraufführung der Oper die finanzielle Unterstützung aus ungeklärten Gründen entzog - wonach Tschaikowsky selbst in Depressionen verfiel. Vorweggenommen zu haben scheint er im Schluss der Oper sein eigenes verzweifeltes Ende drei Jahre später.

In deutlichen Bildern konnte die Inszenierung die vielfältigen Schichten der Handlung auffächern, sei es die obzessive Sucht Hermanns, die schwärmerische Verliebtheit Lisas, das affirmative Pathos der Ballszene oder den unerbittlichen Anachronismus der Gräfin, schließlich die gespenstische Düsterkeit des Schlussaktes. Und es gelang auch den Sängerdarstellern atmosphärische Dichte herzustellen und die Gestalten plausibel zu verkörpern. Dabei wurde perfekt gesungen, voran Olga Guriakova als Lisa und Vladimir Galuzin als Hermann. Evgeny Nikitin nahm in der Rolle des Tomsky ebenfalls besonders ein. Als stimmgewaltige Gräfin beeindruckte Irina Bogacheva, der allerdings die Kostümbildnerin allzu viel Stoff umgehängt hatte.

Tschaikowskys große Liebe zu Mozart wurde in den rokokoesken Balletteinlagen des 3. Akts geschickt aufgenommen. Gergiev brachte mit dem Orchester die expressiv erzählende Musik zum Glühen und auch der Chor des Mariinsky-Theaters konnte hier wiederholt mit Glanzleistungen aufwarten.

Seine Klasse beweisen durfte das Orchester insbesondere auch in zwei Konzerten mit den drei letzten Sinfonien Tschaikowskys und Ausschnitten aus dem "Nussknacker"-Ballett. Hier wurde dem Hausgott natürlich mit Engagement gefrönt und die Ausdruckspalette in denkbar größter Breite aufgefächert. Der romantischen und zugleich hochdramatischen Farbigkeit der Sinfonik Tschaikowskys blieben die Musiker wahrlich nichts schuldig. Das St. Petersburger Dreigestirn aus Komponist, Dirigent und Orchester erstrahlte aufs Schönste


FAZIT

Wenn es der Sinn von Festspielen ist, das Besondere zu bieten, so war hier erfüllt, was man sich wünschen kann. Im kommenden Jahr lässt sich überprüfen, ob das Mariinsky-Theater nun auch zu Wagners "Ring" einen überzeugenden Zugang gefunden hat; denn vom 13. bis 19. Juli 2006 gastiert die St. Petersburger Bühne erneut mit der Tetralogie und "Tristan und Isolde" im Baden-Badener Festspielhaus.

Peter I. Tschaikowsky


"Die Zauberin"
Oper in vier Akten
Libretto von Ippolit Schpashinsky
nach seiner gleichnamigen Tragödie

Inszenierung
David Pountny
(11. Juli 2005)


"Eugen Onegin"
Lyrische Szenen in drei Aufzügen
Libretto vom Komponisten
und Konstantin Schilowsky
nach dem gleichnamigen Versroman
von Alexander Puschkin

Inszenierung
Moshe Leiser und Patrice Caurier
(12*. und 15. Juli 2005)


"Pique Dame"
Oper in drei Aufzügen
Libretto von Modest Tschaikowsky
nach der gleichnamigen Novelle
von Alexander Puschkin

Inszenierung
Alexander Galybin
(14*. und 16. Juli 2005)

* besuchte Aufführung



2 Orchesterkonzerte:

Sinfonie Nr. 4 f-Moll Op. 36
Sinfonie Nr. 5 e-Moll Op. 64
(13. Juli 2005)

Sinfonie Nr. 6 h-Moll Op. 74 "Pathétique"
Auszüge aus der Musik zum Ballett
"Der Nussknacker"

(17.Juli 2005)


Solistinnen und Solisten des
Mariinsky-Theaters St. Petersburg

Chor des Mariinsky-Theaters
St. Petersburg

Chordirektor
Andrei Petrenko

Orchester des Mariinsky-Theaters
St. Petersburg

Dirigent
Valery Gergiev

Alle Opern in russischer Sprache
mit deutschen und englischen Übertiteln



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