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Bayreuther Festspiele 2005

Gedenkkonzert für Cosima, Siegfried und Winifred Wagner

Von Ralf Jochen Ehresmann


Für Liebhaber von Jubiläumsveranstaltungen sind die Bayreuther Festspiele ein dankbares Subjekt. Genau 75 Jahre trennen die ersten Festspiele 1876 von ihrer Wiedereröffnung als ‚Neu-Bayreuth’ 1951, und dass noch Richards NachfolgerInnen im Leitungsamte Cosima und Siegfried Wagner einerseits kurz nacheinander sowie Winifred andererseits im Abstand von genau 50 Jahren verstarben, macht es den Freunden solcher Jubiläen leicht, eine Gedenkveranstaltung für Witwe, Sohn und Schwiegertochter Richard Wagners gleichzeitig zu deren 75. bzw. 25. Todestag anzusetzen.

Vergrößerung

Der Größe des Anlasses entsprechend entschloss man sich heuer zu einem Gedenkkonzert der besonderen Art, indem nicht wie in der Vergangenheit Beethoven IX. Sinfonie im Festspielhaus oder der Markgräflichen Oper aufgeführt wurde – diesmal sollten sämtliche Dirigenten der laufenden Festspielsaison gemeinsam auftreten und dabei Auszüge aus "ihren" Musikdramen leiten, ergänzt um weitere Werke der komponierenden Familie von Siegfried Wagner und von Franz Liszt, Cosimas Vater und somit Siegfrieds Opa.

Gleichzeitig ging es darum, nunmehr schon zum 4. Male seit 1994 im erheblich vergrößerten Rahmen von knapp 3000 Plätzen in der Oberfrankenhalle, einem komplett charmefreien Sportzweckbau der 70er Jahre, auch der Bayreuther Bevölkerung einen Dank abzustatten, die trotz der räumlichen Nähe zum Geschehen auch nicht öfter an Festspielkarten kommt. Dabei handelte es sich zudem wieder um ein Benefizkonzert, dessen Erlös diesmal dem Kinderhaus Bayreuth zugute kommen soll.

Die Ouvertüre zum Fliegenden Holländer kennt im Opernbetrieb mehrere Fassungen, deren Finalvarianten direkt konträre Deutungen der Handlung erklären. Erklingt sie in sinfonischen Konzerten, wird üblicherweise fast ausnahmslos diejenige mit verklärender Erlösung gespielt, weil das doch so viel wirkungsvoller klingt. Marc Albrecht als Dirigent der ersten beiden dieser insgesamt 8 Konzertteile widerstand dieser Versuchung und brachte die Erlösungsverweigerung zu Gehör, die der aktuellen Inszenierung entspricht und deswegen dort auch so gespielt wird.

Dem Blech in seiner Intensität hörte man an, dass dieses Orchester für gewöhnlich unter Bedingungen spielt, wo der mystische Abgrund des vollständig verdeckten Grabens einen Rahmen stellt, dass seine BläserInnen nicht wie sonst im gewöhnlichen Konzert- oder Theaterbetrieb sich mäßigen müssen. Von Albrecht angefeuert und späterhin auch immer mehr angetrieben, entfaltete sich eine Klangwucht auch unter diesen akustisch ungünstigen Bedingungen, die allerdings mit zunehmendem Tempo auf Kosten der Genauigkeit ging. Im folgenden Chorsatz verhielt es sich kaum anders. Allerdings hatte man hier für die Geisterstimmen über den normalen Festspielchor einen Sonderchor engagiert, der mittig platziert hinterher nicht abtreten konnte und also bei allen weiteren Chornummern funktionslos mit aufstehen musste. Dazu wollte es allerdings gar nicht passen, die Bühnenmusik des Hölländerschiffes vom Band einzuspielen!

Peter Schneider darf in Sachen „Lohengrin in Bayreuth“ gewiss als alter Hase gelten, war er doch schon in den frühen 90ern mit diesem Amt betraut. Sein Vorspiel zum 3. Aufzug mit anschließendem Brautchor kam ähnlich gepfeffert daher, ohne doch je martialisch zu wirken. Der Einsatz des Chores allerdings war ein überzeugender Beweis für die stetige Verlässlichkeit dieses Klangkörpers: Das „Chorwunder von Bayreuth“ – hier wurde es wieder greifbar. Dieses Maß an perfekt austariertem Mischklang, diese Balance der Kräfte sucht ihresgleichen vergeblich!

Peter Schneider war es auch, der sich des an diesem Abend gewiss spannendsten Programmpunkte annahm und dirigierte, was vor und mit ihm noch keiner der fünf Dirigenten je auf dem Notenpult liegen hatte: Die Ouvertüre zu Siegfried Wagners Das Flüchlein, das Jeder mitbekam. Ursprünglich waren gar noch längere Einheiten daraus sogar unter Chorbeteiligung vorgesehen gewesen, doch hatte es sich im Verlauf der näheren Planungen auf dieses Orchesterexzerpt reduziert. Dennoch: Welche Wohltat, endlich wieder einmal diese Musik am Orte ihres Schöpfers zu hören, gehörte es doch seit kurz nach Siegfrieds Tod konstant zur Bayreuther Familiengeschäftspolitik, Aufführungen seiner Werke zu behindern, auch dann noch, wo durch die Stiftung gesichert kein Familienuternehmen mehr darum kämpfen brauchte, dass es nur einen Wagner geben könne.

Von Siegfried Wagner hätte es angesichts seiner 18 Opern gewiss noch reichlich Musik gegeben, die eingängiger und damit vielleicht noch besser geeignet gewesen wäre, genau dem Publikum präsentiert zu werden, das wahrscheinlich zum überwiegenden Teile bislang kaum Gelegenheit gehabt hatte, den Kompositionen von Richards Sohn zu begegnen, denn von den TeilnehmerInnen der Erstaufführung dieses Vorspiels im Festspielhause 1934 dürfte außer Wolfgang Wagner persönlich bzw. seiner Schwester Verena – gleichfalls hier anwesend – keiner mehr dabei gewesen sein.

Schneider als mit Siegfried Wagner gänzlich unbeleckter Dirigent hat sich diesem Gebiete wie ein Vertrauter genähert und traf sehr gut den elegisch-schwermütigen Ton, der bestens auf die gar nicht lustige Handlung einstimmt. Möge dies hoffentlich nur der Anfang einer neuen Zuwendung zu einem stets unterschätzen Gegenstande werden!

Aber auch Pierre Boulez ist ein Wiedergekommener, noch dazu nach viel größerem zeitlichen Abstand. Aus dem Bühnenweihfestspiel selbst wollte man an diesem wenig weihevollen Orte naturgemäß nicht zitieren, und so fiel ihm es zu, die Wesendonck-Lieder zu dirigieren. Dabei ist gewiss die Orchestrierung von Felix Mottl die gängigste, doch war gewiss hier der rechte Ort, auf Wagners eigene Orchesterfassung zurückzugreifen, die zumindest vom 5. Lied vorliegt und nur selten irgendwo anzutreffen ist.

Überhaupt ist es höchst bemerkenswert, diese Musik in einem solchen Zusammenhang zu hören, könnte man diese Programmgestaltung doch auch als posthume Widerlegung Winifreds deuten, die ihrerseits noch 1944 sich gegen deren Aufführung als Taktlosigkeit gegenüber der Familie Wagner verwahrte. So weitreichender Familienmoral scheint die weitere Geschichte wohl den Boden entzogen zu haben...

Für Ricarda Merbeth, die Elisabeth diesen Sommers, bestand die kaum lösbare Aufgabe, durchzudringen in einer Riesenhalle, wo keine Kulisse nach hinten den Schall absichert und dieser stattdessen prima sich verfängt im reichlichen Mehrzweckgestänge unter der Decke. Faszinierend, wie Merbeth angesichts dessen so perfekt artikulierte, dass noch in den hinteren Reihen verständliche Klarheit ankam. Daran trug auch Boulez’ Dirigat wesentlichen Anteil, der in äußerster Behutsamkeit die Singstimme zu stützen wusste und dabei zugleich hier weniger hervortrat mit dem, worin im wesentlichen sein Ruhm besteht: der analytisch-scharfe Kristall-Klang!

Ist Boulez’ Parsifal heute genauso wie vor fast 40 Jahren einer der schnellsten, die es in Bayreuth je gab, so ließ er hier der Entfaltung schmerzträchtigster Empfindung breitesten Raum. Es war, als wolle er en passant beweisen, dass er zugleich der bessere Tristan-Dirigent gewesen wäre.

Das könnte sogar zutreffen. Denn dessen Auszug folgte sogleich, und die Leitung von Eiji Oue, über den angeblich Kenner munkeln, ob dieser Name korrekterweise als „Aua“ oder „Oweh“ ausgesprochen werden müsse, war dazu angelegt, diesen Eindruck von soeben zu untermauern. Dabei ist es zugleich eine faszinierende Beobachtung, wie ein einziges Orchester in identischer Zusammensetzung an demselben Abend dermaßen unterschiedliche Qualität zu produzieren fähig sei und welch große Wichtigkeit der Rolle des Dirigenten auch hier zufällt, wo alle Mitwirkenden ihre Noten wirklich bestens drauf haben. Selten je habe ich diese an sich so enervierende Musik so blutleer und schwunglos gehört, so zerdehnt obwohl gar nicht langsam. Es wollte Oue trotz gewaltig rudernder Arm- und Ganzkörpergesten nicht gelingen, seine eigene Spannung auf das Orchester zu übertragen. Angesichts der technischen Leistungskraft gerade diesen Klangkörpers kann nur von einem Scheiten auf hohem Niveau gesprochen werden. Auch wurde hier eine gute Chance vertan, Wagners eigene Konzertschlussfassung zu spielen, von der Peter Emmerich im gewohnt fabelhaften Programmheft berichtet.

Christian Thielemanns Tannhäuser-Ouvertüre scheint besonders dem Gedenken Winifreds gegolten zu haben. Mit straffem Schwung rast er wie ein Feldwebel auf die Bühne hinauf, und noch wie er so dasteht, lässt es mehr an Appellhof denn an Konzertsaal denken. In halb verunglückter Furtwängler-Attitüde demonstrierte er eine schwerlich zu überbietende Arroganz, als ob er den GRÖKAZ markieren wollte. Dirigierte er mit markigen, wuchtigen Gesten, deren unmittelbare Entsprechung nicht immer hörbar wurde, so blieb doch seine quasi- militärische Strenge und Präzision, die sich einerseits in auffälliger Heftigkeit der Paukenschläge niederschlug, die ihm andererseits auch gestattete, mit teilweise sehr ambitionierten Temposchwankungen Akzente zu setzen, die man selten so hat gelingen hören. Besonders traf das zu auf die Reprise des Pilgerchorthemas, das unter seiner Stabführung zur umfassenden Hymne des Abends geriet und mit seinem Bedacht auf Wirkung kaum überraschende Beifallsstürmerei einkalkuliert zu haben schien.

Dem Schlusschor aus Liszts Faustsinfonie fehlte spürbar der Zusammenhang zum Rest dieses Werkes. Auch ließ Thielemann keinen Zweifel daran aufkommen, dass „Das Unzulängliche“ oder „das Ewig-Weibliche“ nicht wirklich seine Kategorien sind. Chor und Orchester zeigten sich auch hier in gewohnt guter Verfassung.


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Bayreuther Festspiele 2005 / Übersicht


Musikalische Leitung
Marc Albrecht
Peter Schneider
Pierre Boulez
Eiji Oue
Christian Thielemann


Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Sopran
Ricarda Merbeth

Tenor
Norbert Ernst
Arnold Bezuyen

Gesamtleitung
Wolfgang Wagner


Programm

MARC ALBRECHT
Richard Wagner
Der fliegende Holländer
  • Ouvertüre
  • III. Aufzug, Nr 7
    Chor und Ensemble,
    Steuermann
    Norbert Ernst (Tenor)

    PETER SCHNEIDER
    Siegfried Wagner
    Das Flüchlein, das jeder mitbekam
  • Vorspiel

    PIERRE BOULEZ
    Richard Wagner
  • Fünf Gedichte für eine Frauenstimme
    (Wesendonck-Lieder)
    Instrumentation von Felix Mottl und Richard Wagner
    Ricarda Merbeth (Sopran)

    PETER SCHNEIDER
    Richard Wagner
    Lohengrin
  • III.Aufzug, Einleitung
    und 1. Szene

    EIJI OUE
    Richard Wagner
    Tristan und Isolde
  • Vorspiel zum I. Aufzug und "Liebestod"
    (Konzertfassung)

    CHRISTIAN THIELEMANN
    Richard Wagner
    Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
  • Ouvertüre
    Franz Liszt
  • Eine Faust-Symphonie
    Schlussteil für Tenor-Solo und Männerchor
    Arnold Bezuyen (Tenor)
    Chor (Ltg. Eberhard Friedrich)
    und Orchester der Bayreuther Festspiele



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