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Musikfestspiele
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21.
Tage Alter Musik
in Regensburg

12. bis 16. Mai 2005




Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Avantgarde der historischen Aufführungspraxis
Die Tage Alter Musik in Regensburg bleiben dem Trend auf der Spur

Von Ingo Negwer

Am Pfingstwochenende war das Interesse der Alte-Musik-Gemeinde wieder ganz auf Regensburg gerichtet, wo zum 21. Mal die Tage Alter Musik stattfanden. Das Interesse an historischer Aufführungspraxis ist nach wie vor ungebrochen. So konnten die Veranstalter für 2005 erneut einen Besucherrekord verzeichnen. Etwa 8000 Zuhörer kamen in die vielfach ausverkauften Veranstaltungen. Auch dieses Mal wurde der Besuch des Festivals, das nach über zwanzig Jahren zu den weltweit führenden zählt, mit hervorragenden musikalischen Erlebnissen und bemerkenswerten Entdeckungen belohnt.

Zum Auftakt gastierte bereits am Donnerstag das ungarische Barockorchester Concerto Armonico mit einem Sonderkonzert anlässlich der Bewerbung Regensburgs um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“. Am Freitagabend folgte die „eigentliche“ Eröffnung des Festivals mit dem Orchester I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis. Im Zentrum standen Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in einer hypothetischen „Dresdener Fassung“ mit hinzugefügten Bläserstimmen – einer für Johann Georg Pisendel bezeugten Praxis, der seinerzeit für die Dresdener Hofkapelle Konzerte Vivaldis ähnlich arrangiert hatte. Die Schweizer Barockspezialisten interpretierten die „Quattro Stagioni“ als quicklebendige virtuose Skizzen einer ländlichen Idylle. Der feine, leider nicht immer ganz sichere Pinselstrich hatte Vorrang vor dem kontrastreichen Farbauftrag. Grundlegend neue Erfahrungen durch die „Dresdener Fassungen“ blieben nicht zuletzt deshalb aus, weil zwei der vier Konzerte(!) ohne zusätzlich Bläserstimmen wiedergegeben wurden.

Im anschließenden Nachkonzert stellten sich Les Boréades des Montréal mit sehr beachtenswerten Wiedergaben französischer Barockmusik vor. Die Kanadier trafen ganz vorzüglich den eleganten, delikaten Stil dieses Repertoires, etwa in Couperins Triosonate „Le Parnasse ou l'Apothéose de Corelli“. Auch die Kompositionen von Boismortier, Charpentiers, Corette und Rebel wurden mit temperamentvollem Esprit, unaufdringlicher Vitalität und geschmeidiger Melodik vorgetragen. Am Samstagmorgen setzten Les Boréades des Montréal ihr Regensburger Gastspiel mit einem außergewöhnlichen Programm fort. Die Songs der Beatles 35 Jahre nach Auflösung der legendären Band in einem Festival für Alte Musik aufzuführen, ist sicherlich einen berechtigten Versuch wert. Dass man sich dabei gar des Instrumentariums eines Barockorchesters bedienen kann, wussten die Musiker um Eric Miles (Cembalo) dem begeisterten Publikum ebenso überzeugend wie mitreißend zu vermitteln!

Vergrößerung in neuem Fenster Les Boréades des Montréal
(Foto: Hanno Meier)

Raritäten aus dem barocken Prag stellte das tschechische Collegium Marianum nachmittags im Reichsaal vor. Das Programm verzeichnete Werke weitgehend unbekannter Komponisten, wie Jan Josef Ignác Brentner oder Václav Karel Holan Rovensky. Lediglich die Namen von Jan Dismas Zelenka, Johann Joseph Fux oder Antonio Caldara dürften dem Zuhörer bekannt gewesen sein. Mit frischen Interpretationen und einem hohen Maß an Identifikation nahm sich das Collegium Marianum dieser Musik an. Die jungen, lyrischen Stimmen von Hana Blazíková (Sopran) und Marián Krejcík (Barition) fügten sich harmonisch in das homogen aufspielende Ensemble ein.

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Der Scivias-Chor in der Minoritenkirche
(Foto: Hanno Meier)

Der Abend stand ganz im Zeichen mittelalterlicher Musik. Zunächst führte der Berliner Scivias-Chor Hildegard von Bingens Mysterienspiels „Ordo Virtutum“ in einer Inszenierung von Gislinde Strunz auf, wobei die Minoritenkirche für Auge und Ohr das passende Ambiente bot. In schlichten Bildern stellten die Interpreten das Ringen der Seele (Anima: Rebecca Bain) mit dem Teufel (Elio Popolo in der Sprechrolle) um ihr eigenes Heil in schlichtem Schwarz-Weiß-Effekt in den Raum. Der Scivias-Chor zeigte sich unter der Gesamtleitung von Norbert Rodenkirchen als kompetenter Sachwalter der Musik Hildegard von Bingens. Improvisationen auf Fidel (Susanne Ansorge), Traversflöte und Harfe (Norbert Rodenkirchen) zogen akustische Verbindungslinien zwischen den Stationen. Anschließend konnte man das Mittelalterensemble Liber unUsualis in der Regenburger Dominikanerkirche erleben. Rund um das Thema „Heiligenverehrung im Mittelalter“ präsentierten Melanie Germond (Sopran), Carolann Buff (Mezzosopran) und William Hudson (Tenor) geistliche Musik des 14. und 15. Jahrhunderts. Die drei Sänger bilden bei aller Individualität der hervorragenden Einzelstimmen ein wunderbar aufeinander abgestimmtes Vokalensemble. Die plastische Gestaltung der Melodiebögen im polyphonen Geflecht der Motetten u.a. von Guillaume Dufay, Guillaume de Machaut, Johannes Cicona war geradezu mustergültig.

Vergrößerung in neuem Fenster Liber unUsualis
(Foto: Hanno Meier)

Am Pfingstsonntag gab das Ensemble Estro Cromatico aus Mailand sein Deutschland-Debut im Rahmen des Regensburger Festivals. Die Herkunft des Ensembles und die Tatsache, dass sein Leiter, der Blockflötist Marco Scorticati, ein Schüler von Giovanni Antonini ist, sollten nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten! Estro Cromatico findet einen gänzlich anderen Zugang zur italienischen Musik des Barock als Il Giardino Armonico. Quasi selbstverständlich wird auch hier frisch und mit souveräner Virtuosität musiziert. Doch pflegt das junge Ensemble einen beinahe grazilen Ton unter weitgehendem Verzicht auf exaltierte Kontraste. Nach anfänglichen leichten Unsicherheiten löste sich sehr bald die Anspannung und Estro Cromatico bot mit seinen hervorragenden Solisten sehr stimmige Interpretationen. Stellvertretend sei nur das wunderschön gespielte Concerto g-moll „La Notte“ von Antonio Vivaldi genannt. Herausragend waren die Darbietungen der jungen spanischen Sopranistin María Espada, die mit weichem, leicht dunkel gefärbtem Timbre ihre Beiträge gestaltete. Den Höhepunkt dieses schließlich vom Publikum enthusiastisch bejubelten Konzerts bildete Händels Kantate „Armida abbandonata“, in der María Espada eine von ihren Gefühlen hin- und hergerissene verlassene Geliebte gab.

Nachdem es am Nachmittag mit dem Blockflötisten Maurice Steger und Ursula Dütschler (Cembalo) kammermusikalisch zuging, brachte das Capriccio Stravagante Renaissance Orchestra opulente venezianische Klänge des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zu Gehör. Sowohl mit prächtiger Klangentfaltung im tutti und in der Mehrchörigkeit als auch in den kleiner besetzten, von virtuosen Improvisationen beherrschten Kompositionen wusste das hervorragende Ensemble um den Cembalisten Skip Sempé zu überzeugen. So kam der ganze Facettenreichtum der „Balli, Canzone e Madrigali“ von Giorgio Mainerio, Diego Ortiz, Claudio Monteverdi, Giovanni Gabrieli u.v.a. bestens zur Geltung.

Der Pfingstsonntag ging musikalisch mit einem Nachtkonzert des Londoner Binchois Ensembles zu Ende. Die aus sechs Sängern und dem Leiter Andrew Kirkman bestehende Gruppe zeigte sich in der Dominikanerkirche als erstklassige Formation bester britischer Vokaltradition: In nahezu perfektem, auf Transparenz bedachtem Zusammenklang interpretierten sie die Missa Sancti Anthonii Viennensis, die (so das wieder ausgezeichnete Programmheft) wahrscheinlich aus der Feder von Guillaume Dufay stammt. Im Sinne eines musikalisch gestalteten Gottesdienstes des späten 15. Jahrhunderts ergänzten zwei Motetten von Gilles Binchois und ein Rondeau von Dufay das Programm.

Der Konzertreigen des letzten Festivaltages begann mit einer Matinee von La Venexiana. Bereit 2003 demonstrierte das italienische Madrigalensemble bei den Tagen Alter Musik in Regensburg seine Extraklasse. Nun war man gespannt, in welcher Weise sich die Italiener der späten Madrigale des 7. und 8. Buchs von Claudio Monteverdi annehmen würden. Begleitet von Streichern und einem großen Generalbassensemble (Theorbe, Harfe, Cembalo, Orgel) erfüllten die acht Sänger von La Venexiana den Reichssaal mit den Klängen des Combattimento di Tancredi e Clorinda, dem Lamento della Ninfa und dem Ballo delle ingrate. Insbesondere der Combattimento wurde von den Protagonisten Giuseppe Maletto (Testo), Rossana Bertini (Clorinda) und Sandro Naglia (Tancredi) in seiner dramatischen Dichte überzeugend dargeboten; das Lamento mit Rossana Bertini als Ninfa gestaltete La Venexiana als eine herzbewegende Trauermusik. Nach der Pause viel das bis dahin hohe Niveau leider etwas ab. Neben einigen Unsicherheiten lag dies sicherlich auch an dem etwas langatmigen Ballo delle ingrate, der – die Tradition der revueartigen französischen Ballet de Cour aufgreifend – wohl doch nicht ohne umfangreichere szenische und choreographische Gestaltungen auskommt. Nichtsdestotrotz wurde das Ensemble mit Ovationen gefeiert. Schade nur, dass die Begeisterung des Publikums mit keiner Zugabe belohnt wurde.

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Nigel North im Saal der Regierung
(Foto: Hanno Meier)

Die Tage Alter Musik in Regensburg bieten dem Publikum alljährlich ein überaus reichhaltiges Menü an musikalischen Leckerbissen. Heuer waren es fünfzehn Konzerte, den Auftritt des Concerto Armonico vom Donnerstag eingerechnet, bis hin zum Abschlusskonzert der Akadêmia aus Frankreich, die unter der Leitung von Françoise Lassere Werke von Heinrich Schütz aufführte. Bei dieser Fülle des Angebots muss sich der Rezensent notgedrungen auf eine Auswahl beschränken, in dem wehmütigen Bewusstsein, hier und dort hörens- und sehenswertes versäumt zu haben. Doch glücklicherweise ist noch, von zwei schönen Konzerterlebnissen zu berichten: Im restlos ausverkauften Saal der Regierung am Emmeramsplatz gastierte der renommierte amerikanische Lautenist Nigel North. Mit großer Ruhe und sensibler Tongestaltung interpretierte er auf einer elfchörigen Barocklaute Kompositionen von Sylvius Leopold Weiss, Esaias Reusner und François Dufaut sowie eigene Arrangements von Werken Heinrich Ignaz Franz Bibers, Henry Purcells und Johann Sebastian Bachs. Am Ende des Programms bedankte sich der sympathische Lautenist beim Publikum für das aufmerksame Zuhören, „because music is so important for us today“. – Dem ist nichts hinzuzufügen…

Große Betroffenheit machte sich am Montagnachmittag unter den Festivalbesuchern breit, als bekannt wurde, dass die „grande dame“ der Alten Musik, Emma Kirkby, ihren Auftritt mit dem L'Orfeo Barockorchester wegen Erkrankung absagen musste. Kurzfristig sprang María Espada ein und wurde für diesen mutigen Schritt mit einem großen Triumph belohnt. – Das österreichische Orchester unter der Leitung von Michi Gaigg (Violine) eröffnete das Konzert mit Johann Sebastian Bachs erster Orchestersuite. Hier, wie auch nach der Pause mit dem fünften Brandenburgischen Konzert stellte L'Orfeo unter Beweis, dass es derzeit zu den besten Barockorchestern überhaupt zu zählen ist. Die vorzügliche Streicherkultur, in die sich die Bläser und das Basso continuo bestens einfügen, ist wohl kaum zu überbieten. Selten habe ich etwa das Schluss-Allegro des Konzerts BWV 1050 vom ersten Takt an so feinnervig und federnd pulsierend gehört.

Vergrößerung in neuem Fenster María Espada und L'Orfeo Barockorchester,
vorne links: Michi Gaigg
(Foto: Hanno Meier)

María Espada, dem Publikum schon durch ihren Auftritt mit Estro Cromatico bekannt, sang zunächst noch einmal Händels Kantate „Armida abbandonata“ (an Stelle der ursprünglich vorgesehenen Bach-Kantate „Mein Herze schwimmt in Blut“). Schon nach wenigen Takten wusste die Spanierin sich im Kreis der vorzüglichen Instrumentalisten gut aufgehoben und konnte in der Rolle der verlassenen Armida erneut bestens überzeugen. Schluss- und Höhepunkt des Konzerts war die Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51. Zusammen mit dem L'Orfeo Barockorchester und Anna Freeman (Trompete) zündet María Espada ein wahres musikalischen Feuerwerk, fand in der Arie „Höchster, mache deine Güte“ gleichwohl zu einer tiefen innigen Intimität, ehe sie über den Choral zu den hochvirtuosen Koloraturen des „Alleluja“ und zu einem fulminanten Abschluss gelangte.




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