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Musikfestspiele
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Winterfestspiele 2006

Aida
Oper in vier Akten
von Giuseppe Verdi
Text von Antonio Ghislanzoni

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 1/4 Stunden (eine Pause)

22., 24. und 26. Februar 2006
Besuchte Vorstellungen: 22. und 26. Februar 2006

Eine Produktion des Théatre Royal de la Monnaie in Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden, London


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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Bilder aus Raum, Licht und Bewegung

Von Christoph Wurzel / Fotos von Andrea Kremper

Bisweilen schreibt die Rezeptionsgeschichte einer Oper eine bestimmte Qualität zu - meistens freilich eine falsche. Im Falle der Aida ist dies besonders fatal, denn vom Image des Pyramidenschinkens kann sie sich bis heute nicht gänzlich befreien - der Preis ihrer Beliebtheit. Regisseure, die dieses Werk als ein großartiges Stück Musiktheater ernst nehmen, fühlen sich daher gedrängt, Verdi gegen solche Art Operntradition in Schutz zu nehmen. Das mittlerweile allzu pauschal in Verruf geratene "Regietheater" hat hier das Pendel freilich bisweilen allzu heftig in die andere Richtung ausschlagen lassen und etwa zum pathetischen Triumphmarsch in drastischen Bildern zerlumpte, gepeinigte gefangene Soldaten aufmarschieren lassen. Auch solch kräftige Überbilderung kann dem Werk Unrecht tun, vor allem dann, wenn sie die Musik zur Klangkulisse degradiert.

Wo liegt der Königsweg? Robert Wilson sieht ihn nicht in der Mitte zwischen (falscher) Historisierung und (aufgesetzter) Aktualisierung, sondern in einem dritten Weg: "Meine Verantwortung als Regisseur ist es, etwas Sichtbares auf der Bühne zu schaffen, das mir das Hören leichter macht", bekundet er angesichts der Einschätzung, dass in "99 Prozent" seiner Opernbesuche die Musik nicht zur Geltung käme. Seine Konsequenz daraus ist es, die Bühnenaktion so zu gestalten, dass Denken, Fühlen und Handeln der Bühnenfiguren für den Zuschauer mit allen Sinnen erfahrbar werden. Wie ein Jagdtier mit dem ganzen Körper auf seine Beute lauscht, so solle der Zuschauer die Handlung verfolgen können. Wilson kehrt das Innere der Figuren nach außen, ins Sichtbare, um zu verdeutlichen, was gerade geschieht, um mit dem Publikum zu kommunizieren.

In der Oper ist das Medium natürlich in erster Linie die Stimme, aber in Wilsons Inszenierungen sind es auch zugleich die Haltung des Körpers, der eingenommene Raum und die Bewegung in ihm und zwischen den Figuren, die "sprechen" oder übersetzen, was in und was zwischen den Figuren vorgeht: der Regisseur also als Dolmetscher, nicht als Interpret im Sinne dass er eine Deutung vorschlägt.


Vergrößerung in neuem Fenster "Ruhm sei Ägypten und Isis, die den heiligen Boden verteidigt."
von links: Figur in Rot als Symbol des Schicksals ( Stella Spitaleri),
Ramfis ( Orlin Anastassov), König (Guido Jentjens),
Radames (Richard Margison) und Amonasro (Mark S. Doss)

Die Inszenierungen von Robert Wilson muten eher an wie Choreografien und sind alles andere als der Versuch eine Handlung realistisch abzubilden. Wilson nimmt die Oper gerade dadurch ernst, dass er ihre Künstlichkeit hervorhebt, statt irgendeinen Realismus zu erzeugen. Er bleibt streng bei den Figuren und bei dem, was sie im Moment ausdrücken. Er lässt sie mit dem ganzen Körper sprechen: die feste Verankerung am Boden, das ruhige sichere Schreiten, die sanfte oder auch heftige Bewegung des Körpers, die Haltung von Armen und Händen - jede Geste gewinnt eigene Ausdruckskraft und macht erfahrbar, welches innere Erleben die Figur bewegt.

Vor allem die Hände: sie sprechen von Abwehr, Angst, Hoffnung, Sehnsucht, Falschheit, Abschied, Freiheit oder Gefangenschaft. Wenn Aida und Radames am Schluss des 3. Aktes von ihrer Flucht aus Ägypten in das ideale Land "voll Balsam, Blumen und Wiesen" träumen, streben ihre Hände zwar zueinander, berühren sich aber nicht. Alles bleibt nur ein Traum, es kann nicht vollendet werden. Zuvor war Radames ein paar Schritte von Aida weg nach hinten und aus dem Lichtschein getreten, als Schattenfigur nur ist er noch wahrnehmbar, während er zweifelt, ob er die Flucht aus seinem Vaterland wagen soll. Bewegung, Haltung, Raum und Licht sind die Vokabeln dieser Inszenierung.


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!"Das Vaterland aufgeben und die Altäre unserer Götter?" (3. Akt)
Richard Margison als Radames und Norma Fantini als Aida

Mit größter Beschränkung der äußeren Mittel erreicht Wilson die intensivste Wirkung. Kaum Requisiten sind nötig, kein Siegeskranz, keine Standarten der Krieger und keine Fesseln für die Gefangenen, allenfalls ein langes Tuch als Amneris` Hochzeitsschleier. Als Bühnenbildner hat Wilson beeindruckend kunstvolle Assoziationen an unsere inneren Bilder vom antiken Ägypten angestoßen - an Darstellungen der Prozessionen von Priestern auf steinernen Stelen oder an die strengen Posen der Pharaonen auf entsprechenden Herrscherbildern.

Auch die Kostüme sind von erlesener und zugleich schlichter Schönheit. Die Arrangements der Ensembles folgen streng geometrischen Figuren, die Balletteinlagen sind elegant und unaufdringlich choreografiert und integrieren sich vollkommen in den stilisiert ritualisierten Rahmen der jeweiligen Szenen. In den Solonummern und Zweier- oder Dreierensembles ist die Beleuchtung meist auf Gesicht und Hände der Protagonisten konzentriert oder sie stehen ganz im Lichtkegel, so dass die Konzentration allein auf die Figuren gerichtet ist. Als Kulisse gibt es nur ein paar schwarze Säulen, die sich zueinander oder auseinander bewegen und Räume schaffen für den Aktionsrahmen der Sänger. Nur einmal erscheinen als Strichzeichnung die Pyramiden als Symbol jenes Landes, in dem Aida ihre Liebe zu Radames gefunden hat und zugleich als Vorahnung des Ortes ihres Liebenstodes. Im 3. Akt zeichnen sich ganz klein im Hintergrund wie an einem fernen Horizont die Ruinen des zerstörten Äthiopien ab, wenn sich Aida nach der Heimat sehnt und ihr Vater sie mit Visionen der Verwüstung und Vernichtung zum Verrat anstiftet.


Vergrößerung in neuem Fenster "Kann ich diese glühende Liebe vergessen,
die mich Sklavin hier wie ein Sonnenstrahl beglückte?"
Norma Fantini in der Rolle der Aida

Ein optischer Genuss war diese Bühnengestaltung also allemal. Und als sängerfreundlich erwies sie sich eben auch. Dies mochte das ohnehin starke Sängerensemble noch zusätzlich beflügelt haben. Norma Fantini sang eine anrührende Aida mit allen Facetten zwischen lyrischer Innerlichkeit und dramatischem Aufbegehren. Ihr Sopran verfügt über genügend Strahlkraft in der Höhe ebenso wie die Weichheit der Trauer und Sehnsucht. Wirklich ergreifend war ihre Klage "O patria - quanto mi costi!"

Über einen strahlenden Heldentenor verfügt der Kanadier Richard Margison, den er metallisch glänzend und kraftvoll, aber auch schwärmerisch empfindsam einsetzte. Als Amonasro gab Mark S. Doss eine starke Figur ab und setzte der strengen Statik der ägyptischen Priesterkaste einen fremden, geheimnisvollen Akzent entgegen. Seine kernige, überaus präzise geführte und deutlich artikulierende Stimme gab der Rolle markantes Profil. Überragend war jedoch Michaela Schuster als Amneris - sowohl in darstellerischer wie in gesanglicher Hinsicht. Ihre stimmliche Ausdrucksbreite ist außergewöhnlich und in keiner Lage von irgendeiner Trübung oder Unsicherheit begrenzt.

Den seelischen Konflikt dieser Figur zwischen Liebe, Eifersucht, Hass und Entsagung beglaubigte sie stimmlich wie darstellerisch in höchstem Maße. In der Gerichtsszene des 4. Akts teilt sich die Dramatik allein durch ihre Bewegungen mit. Während die eigentlichen Vorgänge von der Hinterbühne her nur musikalisch vermittelt werden, drückt die Sängerin in körperlichen Reflexen ihre seelische Reaktion darauf aus. So wird wirklich sichtbar, welcher Schrecken in Text und Musik eingegraben ist.

Auch die übrigen Rollen waren genau ausgefeilt und sängerisch hervorragend besetzt, nichts bleibt in dieser Inszenierung unbeachtet, jedes Detail erhält Gewicht und Bedeutung. Einzig der Chor war nicht an allen Stellen genügend homogen im Klang.


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"Er ist unschuldig, rettet ihn, o Götter!"
Michaela Schuster als Amneris, Statisten und Chor

Als Opernorchester bewährte sich zum wiederholten Male das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Höchst differenziert in den Klangfarben und präzise artikuliert kam die Musik aus dem Graben. Ob die dramatische Großfläche oder die pastellartige Stimmungsmalerei, dieses Orchester beherrscht alle Facetten kontrolliert und perfekt. Die zusätzlichen Triumph-Trompeten fügten sich von der Hinterbühne organisch in die Klangkulisse ein. Kazushi Ono war darauf bedacht, kein übertriebenes Pathos und keinen Klangbombast aufkommen zu lassen - sein Beitrag von der musikalischen Seite zur Entrümpelung dieser Oper. Ono achtete auch stets auf eine perfekte Balance zwischen Graben und Bühne, die Sänger wurden nie zugedeckt. Auch dank seines Dirigats konnten sich die Schönheiten des Orchesterparts wunderbar entfalten.


FAZIT

Das Wort vom Gesamtkunstwerk passt hier sogar einmal zu Verdi: hochästhetische Bühnenaktion, sensible musikalische Gestaltung und blendende Sängerleistungen ergaben ein vollkommen rundes Ganzes.

Die Winterfestspiele 2006






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kazushi Ono

Inszenierung, Bühne, Beleuchtung
Robert Wilson

Kostüme
Jaques Reynaud

Regie-Mitarbeit
Jean-Yves Courregelongue

Choreografie
Makram Hamdan

Chorleitung
Piers Maxim

Dirigent der Bühnenmusik
Peter Tomek



Chor des Théatre Royal
de la Monnaie, Brüssel

SWR Sinfonieorchester
Baden-Baden und Freiburg


Solisten

Aida
Norma Fantini

Radamés
Richard Margison

Amneris
Michaela Schuster

Ramfis
Orlin Anastassov

Amonasro
Mark S. Doss

König
Guido Jentjens

Priesterin
Marianne Kienbaum

Bote
Cristiano Cremonini



Ein Mitschnitt der Aufführungen
wird im Programm von SWR2
am 18.06.2006 ab 20.03 Uhr
zu hören sein.


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)




Da capo al Fine

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