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Musikfestspiele
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29.
Händel-Festspiele
in Karlsruhe

17. bis 27. Februar 2006


Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)


Homepage des Badischen Staatstheaters Karlsruhe

Zurück in die Zukunft
oder: Die Karlsruher Händel-Festspiele in der Zeitmaschine

Von Gerhard Menzel

Zeitreisen in die Vergangenheit - so fiktiv sie auch sein mögen - können erhellende Einsichten liefern und wegweisend für die Zukunft sein. Auf dem Gebiet der musikalischen Aufführungspraxis hat sich dieses ja bereits als erfrischende und inspirierende Bereicherung erwiesen. Bei den 29. Händel-Festspielen in Karlsruhe „wagte“ man nun erstmals, die schon seit vielen Jahren im Rahmen der INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE Karlsruhe - sowohl während der Kurse, als auch im jährlich stattfindenden wissenschaftlichen Symposium - gewonnenen Erkenntnisse im Bereich der szenischen Aufführungspraxis im 18. Jahrhundert, auch auf der großen Bühne des Badischen Staatstheaters zu präsentieren. Das, was in Karlsruhe als neu und quasi revolutionär gefeiert wurde, ist allerdings genauer betrachtet bereits ein „alter Hut“. Schon Anfang der 1990er Jahre war es Nicolas McGegan, der in Göttingen nicht nur dem akustischen Klangbild der Opern Händels zu neuem Leben verhalf, sondern - in dem dafür vorzüglich geeigneten Deutschen Theater - auch die Szene (Drew Minter) in ihrer adäquaten Form wieder erstehen ließ. Leider wurden diese Bemühungen im Laufe der Jahre nicht konsequent weiter verfolgt, sodass dieser einzigartigen Konzeption in Göttingen kein anhaltender Erfolg beschieden war. Nun schickt sich also Karlsruhe an, die Zusammenführung von Ton und Bild in Angriff zu nehmen. Wie groß in Karlsruhe allerdings die Angst vor einer derartigen, hier revolutionären Visualisierung war, zeigte die Neuproduktion von Händels Oper Lotario.

Lotario-Rezension
  Lotario

Neben dieser einzigen Opernproduktion stand vor allem noch Georg Friedrich Händels Oratorium ISRAEL IN EGYPT (HWV 54) im Mittelpunkt des - im Gegensatz zu früheren Jahren - sehr „übersichtlichen“ Festspielprogramms. Dieses, vor allem durch die große Chorpräsenz geprägte Werk, begeisterte zwar das Publikum, konnte aber an die herausragende Qualität vergangener Oratorienaufführungen (vor allem mit dem Clare College Choire aus Cambridge) nicht heranreichen. Dafür klang der Chamber Choir of Europe trotz seiner Präzision zu glanzlos und das Orchester der Deutschen Händel-Solisten unter der Leitung von Generalmusikdirektor Anthony Bramall zu uninspiriert. Daran konnten auch die Solisten des Badischen Staatstheaters, Susanne Cornelius (Sopran I), Antonia Bourvé (Sopran II), Tim Mead (Countertenor), Bernhard Berchtold (Tenor), Klemens Sander (Bass I) und Mika Kares (Bass II) mit ihren wenigen, aber ausdrucksstarken Soli nichts ändern. Händels farbenprächtige, stimmungs- und effektvolle Musik erwies sich allerdings wieder einmal als unverwüstlich und äußerst publikumswirksam.

Ein solistisches Feuerwerk an dramatischen und tief empfundenen Händelarien präsentierte Ewa Wolak im Konzert „VERGNÜGTE RUH, BELIEBTE SEELENLUST“ - ORGEL- UND ORCHESTERWERKE VON HÄNDEL UND BACH, das in der Evangelischen Stadtkirche Karlsruhe in Kooperation mit dem Badischen Staatstheater stattfand. Die für den damals berühmtesten Kastraten Senesino komponierten virtuosen Arien „Rompo i lacci“ aus Flavio (HWV 16) und „Agitato da fiere tempeste aus Ricardo primo (HWV 23) gestaltete Ewa Wolak mit ihrer üppigen, samtigen, volltönenden und dennoch flinken und flexiblen Altstimme ebenso beeindruckend wie die gefühlvolle und anrührende Arie „Deggio morire, o stelle“ aus Siroe (HWV 24).
Dagegen klang die Kantate BWV 170 „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ von Johann Sebastian Bach wie „Bach meets Mahler“. Die emphatische Gestaltung und das romantisch schwelgende Orchester entsprachen der - im Gegensatz zur Dramatik von Händels Opernarien - kontemplativen Ausdruckswelt Bachs in keinster Weise.

Auf der anderen Seite gestalteten die unter der Leitung von Andreas Spering erstaunlich flexibel und aufmerksam musizierenden Mitglieder der Badischen Staatskapelle Händels Concerto grosso op. 6, Nr. 5 D-Dur äußerst spritzig und differenziert.

Gänzlich enttäuschend gerieten allerdings Händels Orgelkonzerte op. 7, Nr. 5 g-Moll und Nr. 4 d-Moll. Vor allem der von Christian-Markus Raiser gespielte Orgelpart klang unpräzise und verhuscht (was allerdings verschiedene Gründe haben kann). Trotz allem hätte dieses Konzert, das immerhin mitten im Stadtzentrum stattfand, mehr Besucher veredient gehabt.

Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Karlsruher Händel-Festspiele 2006 waren die ebenfalls in der Evangelischen Stadtkirche aufgeführte Ode DAS ALEXANDER-FEST, das alljährliche KAMMERKONZERT der Deutschen Händel-Solisten, ein Konzert für Kinder (HÄNDEL STRENG GEHEIM) und das PREISTRÄGERKONZERT der Jugend-Barockreihe der Händelgesellschaft Karlsruhe.

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 Ewa Wolak
Symposiumsbericht 2001-2004
  Band 8
  der Veröffentlichungen der
  Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe
  www.karlsruhe.de/Kultur/Haendel-Akademie/

Bei der 21. Internationalen Händel-Akademie fiel dieses Jahr - neben den Instrumentalkursen und der Orchester-Akademie - vor allem der von Sigrid T'Hooft geleiteten Tanzwerkstatt besondere Aufmerksamkeit zu. Auch das diesjährige SYMPOSIUM der Internationale Händel-Akademie befasste sich im zweiten Teil mit dem so genannten „Karlsruher Experiment – Ein Neuanfang?“, ihrer auf historischen Erkenntnissen beruhende Inszenierung des zweiten Aktes der diesjährigen Operproduktion Lotario im Stile der Aufführungspraxis von Händels Zeit.

Sigrid T'Hooft, Regisseurin und Spezialistin für historische Schauspielkunst und Achim Thorwald, Generalintendant des Badischen Staatstheaters und Regisseur, der den ersten und driten Akt des Lotario in Szene setzte, sowie die Teilnehmer des Symposiums diskutierten lebhaft und leidenschaftlich über die Funktion und die Aufgaben von Regie und Inszenierung im Allgemeinen und speziell über Händels diesjährige Lotario-Produktion im Besonderen.

Der wohl nicht so erwartete allgemeine Erfolg dieser Inszenierungsform schien Achim Thorwald so zu irritieren, dass er - so wie es auch viele seiner Kollegen machen - darauf hinwies, dass ja Schiller seine Protagonisten auch in seine Zeit versetzte und die Stücke nicht so wie im Mittelalter spielen ließ. Dabei wird narürlich immer außer Acht gelassen, dass Schiller & Co. aus diesen „historischen“ Stoffen selbst geschriebene, „neue“ Werke schufen, im Gegensatz zu heutigen Regisseuren, die vorhandenen „alte“ Srücke nach ihrem Belieben „modernisieren“. Zwar beteuern sie immer ihre zeitgemäße „Erneuerung“ der „alten“ Werke und den Wandel der Zeit, aber in Wirklichkeit treten sie schon seit vielen Jahren auf der Stelle, verfallen in immer wieder gleiche Klischees, balsamieren ihre längst verstaubten Regie- bzw. Ausstattungskonzepte ein und langweilen damit das Publikum in zunehmendem Maße. Mit diesem „neuen“, „barocken“ Inszenierungsstil scheint Sigrid T'Hooft da einen wesentlich „moderneren“ und „zeitgemäßeren“ Ansatz gefunden zu haben, der beim heutigen Publikum auf große Zustimmung stieß.

Der erste („historische“) Teil des von Prof. Dr. Siegfried Schmalzriedt (Karlsruhe) geleiteten Symposiums stand unter dem Motto "Häufig, selten oder gar nicht aufgeführt: Zur unterschiedlichen Akzeptanz der Opern Händels und seiner Zeitgenossen". Während Dipl. phil. Annette Landgraf (Halle an der Saale) über die allgemeine Situation Händels und der Aufführung seiner Werke zu dessen Zeit referierte, suchte Prof. Dr. Wolfgang Ruf (Halle an der Saale) nach Gründen für den besonderen Erfolg von Händels Giulio Cesare. Dem Schicksal der Opern Giovanni Bononcinis widmete sich Prof. Dr. Hartmut Krones (Wien) und Prof. Dr. Michael Talbot (Liverpool) befasste sich mit der Überlieferung und den Inszenierungen der Opern Antonio Vivaldis. Auch diese Referate werden im Rahmen der Veröffentlichungen der Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe veröffentlicht werden. Dieses Jahr erschien der inzwischen Band 8 mit den Beiträgen der Symposien der Jahre 2001 bis 2004.

FAZIT

Auf der einen Seite - mit einem immer reduzierteren Programmangebot und nur einer Opernproduktion - verabschiedet sich Karlsruhe langsam von der internationalen (Händel-) Festspielszene, während mit dem „neuen" Ansatz bei der szenischen Interpretation gerade ein deutliches Zeichen für die Zukunft gesetzt wurde. Gerade mit Sigrid T'Hooft könnte Karlsruhe ein sehr lebendiges Opernzentrum werden. Dabei böte sich das Große Haus für die „modernen" und das Kleine Haus für die „historischen" Interpretationen an, die - nach einigen „Aufbaujahren" - sogar (fast) vollständig von den Teilnehmern und Dozenten der INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE produziert werden könnten. Trotz der Herausforderungen finanzieller und organisatorischer Art, zeigen sich doch künstlerische Perspektiven, die eine volle Unterstützung von allen Seiten her (auch vom ansässigen Rundfunk und Fernsehen) verdient haben.




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