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Hightech-"Tosca" auf dem BodenseeVon Bernd Stopka / Fotos von Karl Forster
Es ist ein gigantisches Auge, das uns in Bregenz anblickt: 50 Meter breit, 25 Meter hoch und 300 Tonnen schwer. Dahinter, darin und darunter verbirgt sich eine ausgeklügelte, verblüffende Technik, die nicht nur die Iris und die Pupille beweglich macht, sondern auch die ganze Wand nach hinten klappen lassen kann. Die farbintensive Beleuchtung, der etwas schüchterne Dampf und aussagekräftige Projektionen tragen ihrerseits zu einem außergewöhnlichen virtuellen Erlebnis bei. Ein gigantisches Auge
Nachdem in den letzten beiden Jahren ein sehr eindrucksvoller "Troubadour" den Mittelpunkt der Bregenzer Festspiele bildete, steht in diesem und dem nächsten Jahr Giacomo Puccinis "Tosca" auf der Seebühne. Für Philipp Himmelmanns Inszenierung hat Jorge Jara die Darsteller in Kostüme der heutigen Zeit gekleidet, Johannes Leiacker gestaltete das Bühnenbild, das nicht nur durch seine Dimensionen sondern auch durch seine technischen Effekte die Produktion dominiert. Ein bis zum Schluss gut gehütetes Geheimnis, das Anlass zu vielfältigen Spekulationen gab: Springt sie oder springt sie nicht in den Bodensee? Ganz unmittelbar denkt man beim Blick auf die Bühne an die eifersüchtige Diva, die es nicht ertragen kann, dass ihr Geliebter seinem Madonnengemälde die blauen Augen ihrer vermeintlichen Rivalin gegeben hat und nicht ihre eigenen schwarzen. Doch der Maler hatte wohl größere Schwierigkeiten sich zu entscheiden, denn auf der Bühne stehen Entwürfe von Augen in vier verschiedenen Farben. Tedeum
Aber das Auge steht auch für den Überwachungsstaat, für die absolute Kontrolle und Macht. Himmelmann zeigt sehr eindeutig Grausamkeiten eines von Willkür und Gewalt beherrschten Volkes. Vor dem Tedeum werden Priester überfallen, Gefangene werden in ein Verließ gesperrt und nachdem aus dem Wasser ein riesiges Kreuz vor der Bühne hochgefahren ist, wird wild und wahllos durch die Gitter geschossen. Ein krasser Kontrast zum in vollem Ornat aufgefahrenen Klerus. Vissi d'arte
Die kammerspielartigen Elemente des zweiten Aktes wirken auf der riesigen Bühne eher verloren, da nützt es wenig, dass sich der Spielort auf die waagerecht ausgefahrene Iris beschränkt. Der plakative Aktionismus der Personenregie grenzt hier zuweilen sogar ans Lächerliche. Auch hier arbeitet das Team mit vielen Projektionen. Die singende Tosca wird eingeblendet, während Cavaradossis Folterung werden stilisierte, aber deutliche Bilder der Zerstörung in die Iris projiziert, blutig und brutal, und zum "Vissi d'arte" schließt sich ein samtig-roter Bühnenvorhang. 3. Akt
Die eindrucksvollste Szene der Inszenierung gelingt im dritten Akt. Die Iris ist senkrecht in die Höhe und weit nach vorn gefahren, die Pupille ist als Podium ausgeklappt und bildet Cavaradossis einsame Standfläche. Am oberen Rand der Iris - in schwindelerregender Höhe - steht Tosca, ebenso einsam. So nah und doch so fern geben sie sich im Duett der trügerischen Hoffnung hin, dass doch noch alles gut wird. Zur Erschießung wird der Sänger dann geschickt gegen einen Stuntman ausgetauscht. Der Maler fällt, die Pupille senkt sich und lässt den Körper aus gehöriger Höhe ins Wasser fallen. Einmal "platsch" muss sein in Bregenz. Statistik: Von den letzten 200 Aufführungen mussten nur 13 wegen schlechten Wetters abgebrochen, bzw. ins Festspielhaus verlegt werden. Das wundert den Besucher der hier besprochenen Aufführung nicht: Bei pünktlich zu Beginn einsetzendem, strömendem Regen wurde die Aufführung durchgespielt. Das lässt Mitleid mit den Sängern aufkommen - ist aber auch für den Zuschauer lästig, der unter seiner Pelerine nicht nur den Regen auf das plastikumhüllte Haupt prasseln hört, sondern auch die Geräuschkulisse von 7000 sich in unüberhörbar raschelnden Regenschutz einpackenden Besuchern. Da ist man dankbar für jeden trockenen Moment, in dem man sich die Kapuze vom Kopf ziehen und ungedämpft zuhören kann (auch wenn dann alle Kapuzen wieder rascheln...). Tosca und Cavaradossi im ersten Akt
Der Eindruck, den die Sängerleistungen unter diesen widrigen Umständen hinterlassen, kann daher nur vorsichtig umrissen werden. Für alle gilt: Hut ab vor soviel Souveränität und Durchhaltevermögen.
Über die Maßen wurde die neue Beschallungsanlage, die BOA (Bregenz Open Acoustic), von den Veranstaltern im Voraus gelobt. Was sie kann lässt an einigen Stellen aufhorchen, wenn der Orchesterklang kurz transparent, räumlich und brillant wird. Doch das System scheint noch nicht ausgereift zu sein, denn den überwiegenden Teil des Abends klingt die Liveübertragung des Orchester aus dem Festspielhaus undifferenziert und etwas dumpf - auch in den Fünf-Minuten-Intervallen, in denen es während der besprochenen Aufführung nicht geregnet hat. Am Wetter wird es also nicht gelegen haben. So bleibt es schwierig einzuschätzen, welche Klangvorstellungen Dirigent Ulf Schirmer mit den Wiener Symphonikern umsetzen wollte und letztlich umsetzen konnte. Auch die gelegentlichen Koordinationsprobleme zwischen Orchester und Bühne können der Technik zu verdanken sein. Ach ja: Sie springt. Natürlich springt sie. Aber nicht ins Wasser, sondern symbolisch. Als Film wird ihr Sprung in die Pupille projiziert. Mit wallendem Gewand schwebt sie in eine virtuelle Tiefe. Das "Tosca"-Plakat der Bregenzer Festspiele
FAZIT Eine Produktion mit durchaus starken Aussagen, die es aber schwer haben neben der gigantischen Bühnenmaschinerie Eindruck zu hinterlassen. So ist diese "Tosca" ist in erster Linie ein technisches Spektakel - aber auch "Spektakel müssen sein"... Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungUlf Schirmer
Regie
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Akustikdesign
Chorleitung
Projektionsdesign
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Floria Tosca
Nadja Michael Tatjana Serjan
Mario Cavaradossi
Andrei Richards Zoran Todorovich
Baron Scarpia
Gidon Saks Peter Sidhom *
Cesare Angelotti
Matias Tosi *
Ein Mesner/Ein Kerkermeister
Martin Winkler
Spoletta
Alexander Krawetz
Sciarrone
Adrian Clarke *
Ein Hirtenknabe
Roberti
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