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Senior-Berater in Transition-Phasevon Stefan Schmöe / Fotos von Arno Declair
Oper handelt eigentlich immer von den großen Gefühlen, vor allem von der Liebe. Man muss schon sehr lange nachdenken, um ein Werk des Repertoires zu finden, bei dem es nicht darum geht. Deshalb fällt ja auch zeitgenössischen Komponisten das Komponieren von Opern so schwer: Machen sie's genauso, bleiben sie an der Tradition kleben; machen sie's anders, kommt keine ordentliche Oper heraus. Jörn Arneckes jetzt in Bochum uraufgeführtes Musiktheater Unter Eis gehört in die zweite Kategorie.
Ruhrtriennale-Intendant Jürgen Flimm hat (ohne jeden erkennbaren Bezug zum Motto der Treinnale-Saison Der Mensch im Mittelalter) eine Oper in Auftrag gegeben: Die Vertonung von Falk Richters Theaterstück Unter Eis, das in der Spielzeit 2003/2004 an der Schaubühne Berlin zu sehen war. Ein sehr zeitgemäßes Theaterstück, denn es handelt von Unternehmensberatern, die kühl kalkulierend unsere Welt durch größtmögliche Effizienz retten wollen. Für Liebe ist da kein Platz: oder dass man sich mal mit dem anderen Geschlecht befasst, das andere Geschlecht auch mal zum Essen einlädt und dann nach einem anregenden Glas Wein auch durchaus den Akt vollzieht, das baut Spannungen ab und macht durchlässig für Neues. erklärt der erfolgreiche Top-Berater Karl Sonnenschein. Die Pointe des Stückes ist, dass die Berater selbst natürlich auch den Gesetzen unterworfen sind, an denen sie die Welt ausrichten, und der alternde Berater Paul Niemand ist zunehmend ineffizient, weil er an der Sinnhaftigkeit seines Tuns zweifelt. Um seinen beruflich-emotionalen Absturz geht es: Im Consulting-Deutsch könnte man wohl von einer Transition-Phase sprechen, dem Übergang in einen anderen Beruf oder den (Vor-)Ruhestand - wobei hier auch der Tod nicht fern scheint. Sinnbild dafür diesen Absturz ist das Ertrinken einer Katze im Eiswasser, das Paul Niemand irgendwann mit angesehen hat. Das Eis des Titels ist natürlich auch Metapher für die Gefühlskälte dieser unserer auf Effizienz getrimmten Gesellschaft.
Consulting ist auch die Kunst des geschickten Argumentierens zumindest vordergründig wird der Verstand angesprochen. Wozu braucht es da in der ersten Consulting-Oper der Musikgeschichte, wie die Veranstalter kokettieren, überhaupt Musik? Gar nicht. Paul Niemand darf nur deshalb singen, weil er bereits ein Aussteiger ist und diese Welt emotional hinter sich gelassen hat. Seine Widersacher sind die durch und durch erfolgreichen jungdynamischen Berater Karl Sonnenschein und Aurelius Glasenapp, und die reden, reden, reden und haben mit Musik nichts am Hut. Glasenapp darf zwar kurz parodistisch singen und über ein absurdes Musical schnabulieren, aber nur, weil dadurch die Distanz zur wahren Kunst umso größer wird. Dann gibt es noch fünf namenlose Berater, die ab und zu ein paar Töne singen dürfen (wieso eigentlich?), aber die fallen kaum ins Gewicht, und am Ende erscheint als alter ego des Paul Niemand ein altersloser Knabe, der mit seinem Knabensopran satzzeichenlos eine düstere Vision von der Ausweglosigkeit der Berater-Existenz singt: Das Leben das vor mir liegt wurde schon tausendmal gelebt.
Arnecke bietet 20 Streicher, 4 Hörner und 4 Schlagzeuger auf, die über weite Teile wie Filmmusik das Gerede der Berater untermalen. Hörner und Schlagzeug fungieren als Signalinstrumente, die Streicher bilden einen Klangteppich meist chromatisch abfallender Linien. Stellenweise kann man das als verkappte Tonmalerei Eis! Erstarren! auffassen. Paul Niemand bekommt eine elegische Stimmung als Grundlage, und das ist ein weiteres Problem: Vom ersten Moment an ist klar, wohin sich diese Oper entwickelt, oder genauer: eben nicht entwickelt. Ein zweistündiger Abgesang auf Paul Niemand, kontrastiert durch Erläuterungen über das Consultingwesen. Arnecke hat ganz brav Klänge beigesteuert, die stets irgendwie vertraut und auch ganz hübsch klingen (mitunter, wenn sie das Musical-Unwesen unserer Tage karikieren möchten, aber auch ziemlich plump), die man aber eigentlich für das Funktionieren des Stückes nicht bräuchte. Eine nicht unattraktive Musik, die aber zu wenig Substanz hat, um eigenständig neben dem textlastigen Sujet zu bestehen.
Natürlich fängt ein so dermaßen aktuelles Zeitstück wie dieses bereits draußen im Foyer an, wo sich eine Gruppe von Stewardessen geschäftsmäßig unters Volk mischt, und auf dem Weg zum eigentlichen Veranstaltungsort kommt man an ein paar Musikern vorbei, die hin und wieder ein paar Töne spielen man kennt ja solche offenen Abende, wie sie seit 30 Jahren modern sind. Spektakulär ist dann allerdings die szenische Umsetzung der eigentlichen Oper. Spielort ist ein klinisch sauberes Zelt mit Publikumstribüne, dass in die Halle und auf ein Wasserbecken gebaut ist und auf dessen Wände Videoprojektionen eingeblendet werden . Diese Raumlösung (Alex Harb) ist in ihrer unterkühlten Schönheit beeindruckend. Drinnen sitzt man wie in einem Hörsaal oder Kongresssaal, vorne ein Podium für die Herren Berater. Die Musiker sitzen um das Zelt herum; rechter Raumklang will dennoch nicht aufkommen. Im Finale wird das Podium samt Beratern vom Zelt abgekoppelt und fährt in das Wasserbecken hinein auch dies ein wirkungssvoller Effekt. Die Inszenierung (Librettist Falk Richter führt auch Regie) setzt auf klare Bilder. Dazu gehören auch die Video-Einspielungen von Meika Dresenkamp (die u.a. mit Christoph Schlingensief zusammenarbeitet und auch für dessen Bayreuther Parsifal die Videos gestaltet hat.) - Bilder aus der Jugend des Paul Niemand, und natürlich überdimensionierte Berater.
Bariton Markus Brück meistert die etwas eintönige Partie des Paul Niemand souverän; auch im Forte behält die klar geführte Stimme ihren sonoren und vollen Klang. Die fünf Chorsolisten des Philharmonia-Chores Wien singen, was Tonfärbung und Gestaltung betrifft, sehr uneinheitlich. Der Knabensolist der Chorakademie Dortmund (im Programm werden zwei Namen genannt) schlägt sich wacker, aber erreicht weder die Genauigkeit der Intonation noch die klangliche Präsenz, die an dieser Stelle, an der die Musik unentschlossen um Sekund- und Terzschritte ringt (die dann aber punktgenau getroffen werden müssten), erforderlich wären. Das Ensemble Resonanz, an diesem Abend umsichtig dirigiert von Yuval Zorn (der ansonsten dem musikalischen Leiter der Produktion, Johannes Debus, assistiert), spielt zuverlässig, könnte aber noch bissiger sein. Brillant sind die beiden Schauspieler Thomas Wodianka und noch mehr André Szymanski als Berater Glasenapp und Sonnenschein. Man hat nach diesem Abend eine Vorstellung von Tricks und Strategien eines Consulters bis in die Körpersprache hinein. Ein Lerneffekt ist also vorhanden. Die Oper ist dabei Nebensache.
Zweifellos eine tolle Rauminstallation - rein musikalisch betrachtet aber ziemlich schlechte efficiency: Mit dem Etat dieser Produktion hätte man mindestens 10 qualitativ hochwertige Kammermusikabende mit größerem musikalischem Gewinn veranstalten können. Aber auch jenseits solcher Consulting-Schnellschüsse bleibt die Feststellung, dass die musikalische Ausbeute mager ist.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
SolistenPaul NiemandMarkus Brück
Karl Sonnenschein
Aurelius Glasenapp
Fünf Berater
Jörg Espenkott Martin Hulan Kurt Kempf Dominik Rieger
Kind
Carlo Wilfart Programmheft (Gestaltung: Karl-Ernst Herrmann) Homepage der Ruhrtriennale weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2005 - 2007 Berichte von der Ruhrtriennale 2002 - 2004 (Intendant: Gerald Mortier) |
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