Das von der Gesellschaft für neue Musik vom 2.-17. Februar veranstaltete Festival präsentierte sich vielfältig. Ob das leere und doch leicht bewegte Raunen "singender Flammen", der glasklare Klang der Steinharfe oder die Clusterkomposition "Volumina" des Komponisten György Ligeti - farbenreich war es auf jeden Fall.
Klanginstallation Andreas Oldörp
"Time is on my side" lautete das vieldeutige Motto. Aber abgesehen von der Binsenweisheit, dass Musik als Zeitkunst sich auf verschiedene Weise mit der Gestaltung von Zeitabläufen beschäftigt, suchte man vergeblich nach einer gemeinsamen inhaltlichen Konzeption. Auch die individuell ausfallende Unterstützung durch lokale Einrichtungen wie Musikhochschule, Kirche und Theater verdeutlichte diesen Eindruck.
Im Programmheft ist die Rede von der Vision der musikalischen Zeit "in Gestalt einer Kugel", ohne B.A. Zimmermann als Urheber dieser Idee auch nur zu erwähnen, geschweige denn im Rahmen des Festivals Werke dieses, für musikalische Zeitkonzeptionen so wichtigen Komponisten, vorzustellen. Zimmermann begriff seinerzeit Musik als im Bewusstsein des Hörers vorhandene Einheit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Thematisieren demnach nicht "historische" Werke eben so wie die in Münster uraufgeführten zeitgenössischen Werke diese subjektive Zeitvision?
Es gab interessante Projekte wie zum Beispiel die fünfköpfige Gruppe "Powerbooks unplugged", hervorgegangen aus einem Seminar des Instituts für Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Die Musiker sitzen im Zuschauerraum verteilt hinter drahtlos vernetzten, aufgeklappten Laptops. Die Bühne bleibt leer. Wer glaubt, das für die körperlos schwebenden, klopfenden, manchmal verzerrten Weltraumsounds zuständige Instrument ausfindig gemacht zu haben, täuscht. Die Musiker greifen mithilfe einer selbst entworfenen Software in die Klangwelten eines der anderen Laptops ein, verändern und bearbeiten sie. Ein rational durchorganisiertes Zufallspiel, bei dem auch das Publikum miteinbezogen wird, etwa wenn Raumklänge anhand laptopinterner Mikrofone eingefangen und in den Improvisationsprozess zurückgeschleust werden.
Auch für die Komponistengruppe "Wandelweiser" ist Musik ein an Karlheinz Stockhausen erinnerndes Experimentierfeld von Klang, wiederholten Zeitmaßen und Raum. Konzentriert, manchmal an körperliche Grenzen stoßend, konnten sich die Instrumentalisten mit der Erzeugung eines Tones und seinen mikrotonalen Schattierungen sowie der klangfarblichen Einbettung in Stille und Raumgeräuschwelten beschäftigen. Während dieses Langzeitkonzert bereits etwa vier Stunden dauerte und noch von zwei halbstündigen Pausen unterbrochen wurde, präsentierte das Pellegrini Quartett in einer anderen Langzeitveranstaltung das 2. Streichquartett von Morton Feldmann.
Dieses einsätzige, fünfeinhalb Stunden dauernde Werk wurde in zu bewundernder Konzentration und Spielfreude von den Musikern dargeboten. In dem 1983 entstandenen Stück erscheint der musikalische Zeitablauf als pausenlose variierte Wiederholung abgeschossener Einheiten. Feldmann äußerte sich so zum Hören und Spielen von Musik, die sich herkömmlichen Erwartungen widersetzt: "Wissen Sie, was ich unter Kommunikation verstehe? Für mich bedeutet es, dass Menschen sich nicht verstehen. Denn dann entsteht aus einem selbst ein bestimmter Grad von Bewusstheit, aus dem heraus eine Anstrengung unternommen wird". Dem Komponisten scheint bewusst zu sein, dass bei seinem Werk nicht nur das Spielen, sondern auch das Hören einer Anstrengung bedarf, die dem Publikum pausenlos abverlangt wird.
Camilla Hoitenga
Nicht alle Konzertbeiträge waren so speziell, mehr von Sendungsbewusstsein als von ästhetischem Genuss getragen, zum Beispiel die 2003 entstandene Komposition "The Moon of Shighira" der japanischen Komponistin Harue Kondoh. In ihren plötzlichen Ausdruckwechseln und sprachähnlichen Klanggesten erinnert die Komposition an Berios "Sequenza III". Das von der Flötistin Camilla Hoitenga beeindruckend lebendig interpretierte Werk vermittelte ein wenig die der Musik innewohnenden Poesie und dramatisch-emotionalen Kraft, die die körperlose, elektronische Klangwelt so häufig vermissen lässt.
Schwerpunkt der Städtischen Bühnen und des Sinfonieorchesters war ein gelungener Einblick in das kompositorische Schaffen Luciano Berios. Mit "un re in ascolto" wurde ein selten aufgeführtes, absurdes, sich den traditionellen Erwartungen an Operndramatik widersetzendes, konzertant anmutendes Opernwerk vorgestellt (OMM-Kritik von Stefan Schmöe), während im Sinfoniekonzert der geniale Orchesterfarbenkünstler unter Einbeziehung der Komponistenvorbilder Mahler und Schubert im Vordergrund stand. Das Orchesterwerk "Requies" entstand 1984 und ist dem Andenken der berühmten "Sequenza III" - Interpretin Cathy Berberian gewidmet. In "Chemins V (su sequenza XI), einer sinfonischen Einbettung der Sequenza XI für Gitarre, kontrastierten die sprechenden Klanggesten des durch 2 Harfen, Marimabaphon, Akkordeon und Tenorsaxophon erweiterten Kammerorchesters mit den geradezu farblos wirkenden Klangmöglichkeiten der Konzertgitarre.
Abgerundet wurde das Komponistenbild an der 2006 generalüberholten und erweiterten Schuke-Orgel der Kirche St.Lamberti. Der Organist Thomasz Adam Nowak, Professor für Künstlerisches Orgelspiel und Improvisation an der Hochschule für Musik Detmold stellte Berios Orgelkomposition "Fa-Si" vor.
Thomasz Adam Nowak
Es handelte sich dabei um eine klangfarbliche und harmonische Studie über den Tritonus f-h, für Orgel mit Registranten aus dem Jahre 1975. Zusammen mit weiteren Orgel-Klassikern der Moderne wie Ligetis "Volumina" aus den 1960er Jahren, Giselher Klebes "Passacaglia op.56" und im Andenken an den 100.Geburtstag Olivier Messiaens eine beseelte Interpretation einiger Sätze des Zyklus "Les Corps glorieux" stellte der Organist damit eine gelungene Zusammenstellung im Rahmen des Festivals vor.