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Musikalisch-literarisches Gesellschaftsportraitvon Stefan Schmöe / Foto von Marco Borggreve
Edmund de Goncourt (1822 – 1896) und sein Bruder Alfred (1830 - 1870) waren wohlhabende Literaten und Literaturkritiker, die neben Romanveröffentlichungen seit 1851 scharfzüngig in Tagebüchern das Leben der Pariser Gesellschaft festhielten. Mit boshafter Ironie legen sie Sitten und Unsitten ihrer Zeit offen – darin geistesverwandt dem Komponisten Jacques Offenbach, der mit seinen komischen Opern und Operetten im eigenen Pariser Theater, den Bouffes-Parisiens, ab 1855 Erfolge feierte. Seine Stoffe waren bekanntlich Persiflagen auf den hehren Ton der Grand opéra und des darin transportierten Ehren- und Moralkodex. Wenn die Brüder de Goncourt den Abend einer Theatervorstellung im Jahr 1855 beschreiben, dann könnte das so ähnlich auch bei den Uraufführungen Offenbachs abgelaufen sein. Ein Opernrecital eines großen Stars mit einer Lesung zu kombinieren hat bei der Ruhrtriennale schon Tradition. So las Julia Stemberger Texte aus dem Umfeld romantischer Komponisten, deren Tenorhelden Neil Shicoff anvertraut waren, und Peter Simonischek rezitierte Gedichte zwischen den Koloraturarien Cecilia Bartolis – wirklich plausibel gelang diese Mischung allerdings nicht. Das ist an diesem Abend ganz anders. Nicht nur passen wortwitziger Text und geistreiche, bewusst nicht zu „schwere“ Musik blendend zueinander, scheinen sich gegenseitig geradezu anzufeuern; auch gelingt dem Rezitator Jan Josef Liefers das Kunststück, der Sängerin beinahe den Rang abzulaufen. Gestenreich liest er derart inspirierend, dass der Text gegenüber der Musik eine starke Stellung einnimmt und keineswegs nur Füllwerk bleibt. Dass um das Orchester herum eine Rückwand mit verblichenen Rokoko-Ornamenten aufgebaut ist (Raumgestaltung: Joachim Janner), die auf den morbiden Charme der Pariser Gesellschaft hindeutet, aber im starken Spannungsverhältnis zum umgebenden Industrieraum der Jahrhunderthalle steht, rundet den Abend auch optisch überzeugend ab.
Vesselina Kasarova setzt Glanzlichter vor allem im zweiten Teil, mit dem Couplet der Eurydike aus dem ersten Aufzug von Orpheus in der Unterwelt sowie zwei Nummern aus dem späten Einakter Pomme d'api (1873), in denen sie mit ihrer vollen, dunkel eingetönten Stimme und großer Präsenz sehr genau nuanciert und auch alle musikkomödiantischen Register zieht. Nicht alles ist auf diesem hohen Niveau; in manchen Arien (etwa bei der schönen Helena) ist die Stimme in der tiefen Lage kehlig, fast dumpf angesetzt und wird diese Eintrübung dann die ganze Nummer hindurch nicht mehr los – was zu matten, manchmal auch forciert klingenden Spitzentönen führt. Auch neigt Frau Kasarova dazu, durch textgenaue Deklamation einzelne Silben urplötzlich ins Pianissimo zurückzunehmen, wodurch die musikalische Linie abrupt unterbrochen wird – das klingt dann doch recht manieriert. Als Großherzogin von Gerolstein oder in den eingangs genannten Arien dagegen ist die Stimme präsenter, die musikalische Gestaltung flüssiger und homogener, und trotzdem behält die Interpretation Wortwitz und Musikalität.
In hervorragender Verfassung (mit einem exzellenten, hochmusikalischen Solo-Klarinettisten) präsentieren sich die Duisburger Philharmoniker. Dirigent Michael Güttler vermeidet plakative Effekte, sondern verleiht der Musik Brillanz und den hintergründigen, satirisch geschärften Esprit, den sie braucht und der sie zum Widerpart der Goncourt'schen Tagebücher macht. Da spielen sich in den besten Momenten drei große Künstler und ein formidables Orchester die musikalisch-literarischen Bälle zu, dass es eine Freude ist zuzuhören. Nur bei den heftig akklamierten Zugaben, da erwiesen sie sich als arg geizig.
Ein unterhaltsamer Abend mit viel Charme und Esprit.
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Vesselina Kasarova, Mezzosopran Jan Josef Liefers, Rezitation Die Duisburger Philharmoniker Michael Güttler, Dirigent Raum: Joachim Janner Programm: Auszüge aus den Tagebüchern von Edmund und Jules de Goncourt Ouvertüren und Arien aus Werken von Jacques Offenbach: La Grand-Duchesse de Gérolstein: Ouvertüre La belle Hélène: "On me nomme Hélène la blonde" La Périchole: Ouverture "O mon cher amant, je te jure" "Ah! Quel diner je viens de faire" La Grand-Duchesse de Gérolstein: "Vous aimez le danger" "Ah! que j'aime les militaires" Orphée aux enfers: Ouverture "La femme dont le coeur reve" Barbe-Bleue: Ouverture "Y'a des bergers dans le village Pomme d'Api: Ouverture "Bonjour, monsiuer, je suis le bonne" "J'en prendrai un, deus, trois" Programmheft (Gestaltung: Karl-Ernst Herrmann) Homepage der Ruhrtriennale weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2008 weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2005 - 2007 (Intendant: Jürgen Flimm) Berichte von der Ruhrtriennale 2002 - 2004 (Intendant: Gerald Mortier) |
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