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Musikfestspiele
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Herbstfestspiele 2009


Bertolt Brecht / Kurt Weill: Die Dreigroschenoper

Konzerte mit Rafal Blechacz,
Pierre-Laurent Aimard und dem Chamber Orchestra of Europe,
Dorothee Mields, Hille Perl und Lee Santana,
Anne Sofie von Otter, Daniel Hope, Bengt Forsberg und Bebe Risenfors


1. - 4. Oktober 2009


Homepage

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
Zwischen schrill und zerbrechlich

Von Christoph Wurzel / Fotos: Lesley Leslie-Spinks, Andrea Kremper und Marcus Gernsbeck

Der Höhepunkt dieser Herbstfestspiele ereignete sich im Stillen, in einem Moment, als Anne Sofie von Otter zum Abschluss der Sonntagsmatinee ein kleines Wiegenlied sang und der ganze Saal des Festspielhauses den Atem anhielt, konzentriert, ergriffen und bewegt von der schlichten Weise für ein Kind in Theresienstadt. So kommt es nicht selten hier in Baden-Baden, dass die wahren Preziosen nicht unter den mit beträchtlichem Werbeglamour annoncierten Großereignissen zu finden sind, sondern in einer Programmnische entdeckt werden können.


Foto kommt später Dreigroschenopernfinale (Ensemble)
(Foto: Lesley Leslie-Spinks)

Als Hauptevent dieser Herbstfestspiele war Robert Wilsons Inszenierung der Dreigroschenoper angekündigt, die schon im September 2007 im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm Premiere hatte. Eine Übernahme also, die aber angesichts von Wilsons Freischütz-Realisation zu Pfingsten ins Festspielhaus zu passen schien. Wer allerdings die sonst hier gewohnten musikalischen Hochgenüsse erwartet hatte, dürfte ziemlich enttäuscht gewesen sein. Denn besonders die musikalische, respektive orchestrale Seite erwies sich als Schwachpunkt dieser Aufführung, zumindest wenn man den originalen Klang von Kurt Weills Geniestreich im Ohr hatte. Denn was Weill subtil mit allem süffisant ironischen, provokanten, aber eben auch sehr eleganten musikalischen Raffinement komponiert hat, das kam hier aus meist viel zu laut ausgesteuerten Boxen vornehmlich als aufgepeppter Sound daher geschwappt. So klang die vom Ensemble zwar schmissig gespielte Musik doch ziemlich einförmig und schrill. Wie genüsslich das anders geht, hatte – vor mehreren Jahren - an dieser Stelle das Ensemble Modern unter HK Gruber einmal vorgeführt. Die Hauptrolle sollte diesmal also wohl die Szene spielen (eine Befürchtung, die Kurt Weill schon anlässlich der Uraufführung 1928 geäußert hatte, nämlich dass seine Musik auf die Schauspielbegleitung reduziert werden könnte).


Foto kommt später

Spelunkenjenny (Angela Winkler) und Mackeath (Stefan Kurt) denken an schöne Zeiten zurück
(Foto: Lesley Leslie-Spinks)

Immerhin: auf der Bühne bekam man Perfektion geboten. Der oft als „Theatermagier“ gerühmte Robert Wilson hat eine spektakuläre Bühnenshow erfunden, die zuerst einmal durch Architektur und Farbe beeindruckt, was ja Wilsons eigentliche Domäne ist. Gepaart ist dies mit ausgeklügelter Choreografie und gibt der Aufführung eine kühle Künstlichkeit, die besonders die karikierenden Facetten des Stücks eindrucksvoll betont. Die Figuren sind stark typisiert, im Aussehen wie in der Körpersprache erinnern sie an Comicfiguren, individuelle Züge gewinnen am ehesten Macheath (souverän, androgyn und aalglatt: Stefan Kurt) und seine Frau Polly (piepsig, scheinbar naiv, zugleich auch gerissen: Christina Drechsler). Eher als Panoptikum-Typen gerieren sich die Eltern Peachum (brillantes Muttertier: Traute Hoess und cooler Zyniker: Veit Schubert) und vor allem die Kleingauner-Gossen-Gang um den „Captn“, die Meisterstücke aus Slapstick und Kintopp auf die Bretter legen. Wilson jongliert gekonnt mit den Bühnenmitteln aus Trash, Film und Revue, alles aber auf einem hochartifiziellen, ästhetischen Niveau. Glänzend eingebaut ist ein Chaplinzitat mit Tramp, Stöckchen und Mädchen. Ganz skurril guckt Angela Winkler aus ihrem Hurenkostüm. Abgelebt geschminkt, leidenschaftslos gelangweilt sinniert sie mit Macheath in der Zuhälterballade über „das halbe Jahr in dem Bordell, wo unser Haushalt war“. Das hat schon seine eigene Komik. Aber bei allem ist es auch kein weiter Schritt mehr zur Kunst um der Kunst willen. Gut gelingt das Parodistische in dem Stück, die schräge Hochzeitsszene ebenso wie das aberwitzige lieto-fine-Finale. Nur ist in Brechts Text vom Ende der Zwanziger Jahre auch eine ganze Portion frecher, anarchischer Sozialkritik enthalten und viel latenter Protest. Diese Seite des Stücks aber wurde deutlich unterbelichtet. Die nur schwache Reaktion auf das berühmte Bonmot über das Bankenwesen mag als Indiz dafür gelten. Brechts Dialektik wurde dann doch etwas zu gefällig die Spitze gebrochen, durch l'art pour l'art entschärft. Eine Provokation, die sich in überschaubaren Grenzen hielt.


Foto kommt später Solist und Maestro: Pierre-Laurent Aimard und das Chamber Orchestra of Europe
(Foto: Andrea Kremper)

Recht ungetrübt waren dagegen die anderen Musikgenüsse. Schon im April hatte Pierre-Laurent Aimard mit dem Chamber Orchestra of Europe die ersten drei Klavierkonzerte von Beethoven vom Flügel aus dirigierend aufgeführt. Den seinerzeit großen Erfolg konnten die Musiker nun leicht wiederholen. Es gab einen schlackenlosen und unpathetischen Beethoven zu hören, dessen progressive Ungeduld jeden Takt durchpulste. Die relativ kleine Besetzung von rund 50 Musikerinnen und Musikern erlaubte ein transparentes Klangbild, das vor allem den Bläsern motivisches Durchkommen erlaubte, kein fetter Streicherteppich deckte deren schöne Stellen zu. Auch das Klavier, durch spezielle Schallflügel auf dem Resonanzkorpus domestiziert, fügte sich gut in den Gesamtklang ein. Ein gleichberechtigtes Konzertieren gelang auch, weil Aimard und das Orchester einen gespannt aufmerksamen Kontakt hielten, im fünften Konzert allerdings intensiver und noch geglückter als im vierten. Aimards Kunst zeigte sich vor allem darin, den Geist der Musik vollendet sprechen zu lassen, die Mittelsätze in großer Ruhe anzugehen, den Schlusssätzen die nötige Verve mitzugeben und doch dabei jeden Ton klar artikuliert zu setzen. Das ganz unprätentiöse Auftreten Pierre-Laurent Aimards schaffte zudem die ganz natürliche Konzertatmosphäre, in der Musik vom Herz zum Herzen zu sprechen vermag.


Foto kommt später

Exzellenter Botschafter Chopins: der 24-jährige Rafal Blechacz
(Foto: Andrea Kremper)

Derartige Charakterisierungen passen auch auf den zweiten Klavier-Solisten der diesjährigen Herbstfestspiele, den jungen polnischen Pianisten Rafal Blechacz. Ihm gelang 2005 das seltene Kunststück, als Pole den Chopin-Wettbewerb in Warschau zu gewinnen, und zwar den (mehrmals zuvor nicht vergebenen) 1. Preis, zugleich noch die Konkurrenten auf Distanz zu halten (ein 2. Preis wurde nicht vergeben) und obendrein noch sämtliche weiteren Spezialpreise für die jeweils beste Interpretation Chopinscher Werke vom Konzert bis zur Mazurka einzuheimsen. Das war auch angesichts der Jugend des Pianisten eine Sensation, der damit in die Fußstapfen solcher Künstler wie Martha Argerich, Maurizio Pollini oder Krystian Zimerman trat. Natürlich spielte Blechacz auch in Baden-Baden Chopin, die Ballade As-Dur, die vier Mazurken op. 17 und die poetisch versonnene Polonaise-Fantaisie As-Dur, op. 61, sein letztes größeres Werk. Ein begnadeter Chopinspieler war da zu hören, der in solchem Höchstmaß den Anschlag differenzierte, dass der Klang des Klaviers zu singen begann, so wie es der große Artur Rubinstein einst gefordert hatte. Neben der Noblesse in der Tongebung zeichnete sein Spiel besonders auch das delikate Farbenspiel aus, das er in der Polonaise-Fantaisie auskostete und die geradezu seismografisch ausgelotete Dynamik in den Mazurken.
Aber Blechacz lässt sich nicht auf Chopin reduzieren, wiewohl er bei dieser Musik in andere Sphären zu schweben scheint. Das „Beiprogramm“ enthielt Bach (aus „reiner“ Musik: das Italienische Konzert F-Dur) und Mozart (in klassischer Klarheit mit nuancenreichem Anschlag: die B-Dur-Sonate KV 570) sowie ein frühes Werk von Karol Szymanowski, dem hierzulande viel zu selten gespielten großen Komponisten Polens aus der 1. Hälfte des letzten Jahrhunderts. Seine Variationen op. 3 sind zwölf Chopin verpflichtete Charakterstücke, die er seinem Freund Artur Rubinstein gewidmet hatte. Mit Hingabe ließ Blechacz jede der Miniaturen im eigenen Charakter aufblühen, voller Neugier auf die überraschenden Klangspiele darin.

Auch John Dowlands Musik ist schön, zum Weinen schön. In elegischen Harmonien und absteigenden melancholischen Linien der Melodie hat der Hofkomponist Heinrichs VIII. wohl auch einen Teil des damaligen Zeitgeistes in Musik nachempfunden. Seine Pavane „Flow my Tears“ stand am Anfang des kurzen Nachtkonzerts der Herbstfestspiele, in dem vor kleinem Publikum in der spätgotischen Spitalkirche Musik aus der englischen Renaissance geboten wurde. In solch konzentrierter Atmosphäre konnte diese sanfte, zerbrechliche Musik schnell die Zuhörer erreichen. Lee Santana hätte aber die einzelnen Stücke nicht durch Erläuterungen zerreden sollen, hilfreicher wäre der korrekte Abdruck der Liedtexte auf dem Programmzettel gewesen. Aber die intensive Expressivität der musikalischen Darbietung, Dorothee Mields leichter, heller, nahezu vibratolos schwebender Sopran, das animierte Gambenspiel Hille Perls und die zarten Lautentöne Santanas trugen die Stimmung der Musik dennoch eindrucksvoll durch den Raum.


Foto kommt später Daniel Hope (Violine), Bengt Forsberg (Klavier), Anne Sofie von Otter (Sopran) und Bebe Risenfos (Kontrabass) spielen Musik der Verfolgten aus Theresienstadt
(Foto: Markus Gernsbeck)

Anne Sofie von Otter und Daniel Hope als Solisten mit ihren Begleitern Bengt Forsberg, Klavier und Bebe Risenfos war es in diesen Festspieltagen vorbehalten, ganz tiefe Emotionen anzurühren. „Ich wandre durch Theresienstadt, das Herz so schwer wie Blei“, dichtete Ilse Weber an diesem Schreckensort, den sie nur noch verlassen durfte, um in Auschwitz ermordet zu werden. Das Lied hat eine schlichte Melodie, die angesichts des sehnsuchtsvoll traurigen Textes tief ergriffen macht, von Anne Sofie von Otter aber in dieser Schlichtheit belassen und ohne Sentimentalität gesungen wurde. Es wurde zu einem musikalischen Denkmal für das Leid und den Schmerz, die in Theresienstadt zum täglichen Alltag gehörten. Aber es gab neben Trauer auch Hoffnung, ein „Trotz alledem“, das sich in der vielfältigen „Kultur“ dieser grausam unwirklichen Sonderwelt auch verankert hatte. Es gab hohe Kunst in Oper und Konzert und Unterhaltung in Kabarett, Revuen, Operette in diesem Vorzeigelager der Nazis. Für die Einen bedeutete Musik Trost, für Andere war sie ein subversives Mittel des Protests gegen ihr Schicksal. Hierzu gehört die Persiflage auf den Operettenschlager „Komm mit nach Varasdin“ von Emmerich Kálmán; nur geht diese Melodie hier auf den ironischen Text „Ja wir in Terezin, wir nehmen' s Leben sehr leicht hin, denn wenn's auch anders wär, wär's ein Malheur“. Dieses Couplet voll bitteren Humors gehörte ebenso zum Programm wie die jiddischen Lieder von Viktor Ullmann oder die avancierten Kunstlieder von Erwin Schulhoff und Pavel Haas. Anne Sofie von Otter gab jedem ihren eigenen Ton, ohne Sentiment aufzusetzen. So wirkten die Lieder umso intensiver und wahrhaftiger. Daniel Hope steuerte auf der Geige Klezmer-Fluidum oder Stehgeiger-Schmelz bei, spielte aber u.a. auch zwei Sätze aus der virtuosen Solosonate von Erwin Schulhoff, der 1942 im Konzentrationslager Wülzburg zu Tode kam. Es ist hochexpressive Musik, Ausdruck innerer Zerrissenheit, von Daniel Hope selbst als „Katz-und-Maus-Spiel“ bezeichnet, als vehementes Zeugnis eines unbedingten Lebenswillens. Dass diese Musik für Daniel Hope eine Herzensangelegenheit ist, war in jedem Ton zu spüren. Und dies gilt in gleichem Maße auch für Anne Sofie von Otter. Das Ensemble hat gemeinsam mit Christian Gerhaher bereits eine CD mit Musik aus Theresienstadt vorgelegt.

Fazit:

Die Herbstfestspiele boten wieder einen disparat bunten Reigen musikalischer Eindrücke, die sich gleichwohl zu einem Gefüge vieler beeindruckender Momente verdichteten.

Die Programme

1., 3. und 4. Oktober 2009
Kurt Weill / Bertolt Brecht:
Die Dreigroschenoper

Musikalische Leitung:
Hans-Jörg Brandenburg

Regie, Bühne, Lichtkonzept:
Robert Wilson

Kostüme:
Jaques Reynaud


Solisten

Jonathan Jeremiah Peachum
Veit Schubert

Mrs. Peachum
Traute Hoess

Polly Peachum
Christina Drechsler

Mackeath
Stefan Kurt

Tiger Brown
Axel Werner

Lucy, seine Tochter
Anna Graenzer

Jenny
Angela Winkler

sowie
Georgios Tsivanoglou
Mathias Znidarec
Martin Schneider
Boris Jacoby
Christopher Nell
Dejan Bucin
Jörg Thieme
Uli Pleßmann
Heinrich Buttchereit
Janina Rudenska
Ruth Glöss
Ursula Höpfner-Tabori
Anke Engelsmann
Gabriele Völsch
Gerd Kunath
Walter Schmidinger

2. Oktober 2009
Pierre Laurent Aimard,
Klavier und Dirigent
Chamber Orchestra of Europe

Programm:
Ludwig van Beethoven
Konzerte für Klavier und Orchester
Nr. 4 G-Dur op. 58 und Nr. 5 Es-Dur op. 73



3. Oktober 2009
Rafal Blechacz, Klavier

Werke von
Johann Sebastian Bach,
Wolfgang Amadeus Mozart,
Karol Szymanowski
und Frédéric Chopin


3. Oktober 2009
Dorothee Mields, Sopran
Hille Perl, Gambe
Lee Santana, Laute

Werke von John Dowland,
Orlando Gibbons,
Tobias Hume und
Richard Sumarte



4. Oktober 2009
Anne Sofie von Otter, Mezzosopran
Daniel Hope, Violine
Bengt Forsberg, Klavier
Bebe Risenfors, Akordeon,
Kontrabass, Gitarre

„Musik aus Theresienstadt“
Werke von Ilse Weber,
Karel Svenk,
Emmerich Kálmán,
Robert Dauber,
Viktor Ullmann,
Erwin Schulhoff,
Pavel Haas,
Johann Sebastian Bach,
Carlo Sigmund Taube

und Adolf Strauss



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