Im Zeichen der Vereinigung von Wort und Musik standen die Winterfestspiele in Baden-Baden 2009. Außer der mit Spannung erwarteten Neueinstudierung von Herbert Wernickes Salzburger Inszenierung des Rosenkavalier in absoluter Starbesetzung war eine Reihe von Konzerten zu hören, in denen die geglückte Symbiose beider Ausdrucksformen zu erleben war.
Der Schauspielstar und die Musik:
Klaus Maria Brandauer mit dem KlavierDuo
GrauSchumacher im Sommernachtstraum
Umrahmt wurde das ideenreiche Konzertprogramm von zwei Abenden, an denen Literatur und Musik gleichberechtigt neben einander standen: zu Beginn eine Hommage an Pauline Viardot, welche um die Mitte des 19. Jahrhunderts von ihrem Domizil in Baden-Baden aus magische Anziehungskraft auf Musiker und Dichter ausgeübt haben muss, unter anderen auch auf Iwan Turgenjew, dessen Lied von der triumphierenden Liebe von Gudrun Landgrebe gelesen und mit Musik aus dem Kreis der Viardot umrahmt wurde.
Als Abschluss gab es dann einen Abend, der wenige Tage vor seinem 200. Geburtstag Felix Mendelssohn gewidmet war. Es erklang die ganze Sommernachtstraum-Musik in des Komponisten eigener Bearbeitung für Klavier zu vier Händen, dazu erzählte und spielte Klaus Maria Brandauer aus, von und den Sommernachtstraum. Wenn man die silbrig flirrenden Klänge der Ouvertüre in der Orchesterfassung im Ohr hatte, wirkten die ersten Klaviertöne noch ein wenig fremd. Doch das leichte und sprudelnde Spiel von Andreas Grau und Götz Schumacher ließ bald die ganz eigenen Qualitäten der Klavierfassung von Mendelssohns jugendlichem Geniestreich erkennen, so farbenreich und agil bewegten sich ihre 20 Finger auf der Tastatur und ließen Mendelssohns musikalische Phantasmen sich entfalten.
Brandauer geizte nicht mit Gags und Effekten, virtuos sprang er zwischen den Rollen Oberon und Titania, Puck und Zettel, zwischen den Elfen, Kobolden und närrischen Handwerkern aus Shakespeares Traumkomödie hin und her. Ein Manko nur, dass eine zauberhafte Atmosphäre in dem großen Saal des Festspielhauses nicht so recht aufkam, dazu war die Verstärkeranlage zu laut und die Beleuchtung zu sachlich. Mit der Wahl des neobarocken kleinen Stadttheaters aus der kurstädtischen Glanzzeit des 19. Jahrhunderts hatte man zur Viardot-/ Turgenjew- Feier sicherlich ein stimmungsvolleres Ambiente gewählt.
Lyrisch als Prinzip:
Diana Damrau und Xavier de Maistre
Eine gute Idee der diesjährigen Winterfestspiele war es, eine Sängerin von einer Harfe begleiten lassen und als eine der besten sogar entpuppte sie sich deswegen, weil diese Sängerin Diana Damrau hieß und ihr Harfenbegleiter Xavier de Maistre. An diesem Abend wurde wahr, was man eine Sternstunde nennt nicht allein, weil die Atmosphäre stimmte. Das Publikum saß auf der Bühne des Festspielhauses, die breit und tief genug ist, um 300 Personen zu fassen, und der Blick konnte in den weiten Raum des Saales schweifen, also von den Welt bedeutenden Brettern dort hinab, wo man sonst ergriffen den Künstlern zu lauschen pflegt.
Schon mit dem ersten Lied schlugen Diana Damrau und Xavier de Maistre so in ihren Bann, dass man diese Kombination von Stimme und Instrument als das Allernatürlichste in der Welt des Liedgesangs empfinden musste. In Schumanns Nussbaum entfaltete sich Damraus Stimme in perfektem Legato und in natürlichstem Piano über der hier nun wirklich einmal wie Blätterrauschen im leichten Sommerwind anmutenden Begleitung. Und mit der Zugabe von Bach/Gounods Ave Maria bewiesen sie eindrucksvoll, wie geschmackvoll so ein abgedroschen erscheinendes Stück auch präsentiert und wie einfühlsam es gesungen und gespielt werden kann, ohne falsche Sentimentalität.
Intime Töne, weiter Blick:
Diana Damrau und Xavier de Maistre
Dazwischen gab es vielerlei Entdeckungen zu machen bei Liedern von Fauré und Debussy und Solostücken dieser Komponisten. Auch sechs Lieder von Richard Strauss standen auf dem Programm, das reizvoller nicht hätte sein können. Kein besseres Plädoyer für das Kunstlied wäre denkbar als der bestechend schöne Gesang Diana Damraus, die feinfühlige Begleitung Xavier de Maistres und das vollendete Zusammenspiel beider Künstler an diesem Abend.
Feinfühligkeit mal vier: Das Quatuor Ysaye mit Luc-Marie Aguera (Violine), Yovan Markovitch (Violoncello), Miguel da Silva (Viola) und Guillaume Sutre (Violine)
(Foto: Christoph Wurzel)
Zusammen fühlen ist das Wichtigste so bezeichnete im Gespräch Luc-Marie Aguera auch das Leitprinzip des Quatuor Ysaye. Zuvor hatten dies die vier Herren in ihrer Sonntagsmatinee mit Quartetten von Mozart und Beethoven eindrücklich bestätigt. Seit rund 25 Jahren spielen sie zusammen und gaben in Baden-Baden eine Probe ihrer hohen Spielkultur. Ohne jede Prätention war hier absolute Musik zu hören, die sich ebenso durch expressive Klanglichkeit wie durch strukturelle Klarheit auszeichnete. Die instrumentale Klangkultur bestach durch höchste Qualität und wurde auch den verwöhntesten Ansprüchen an die musikalische Königsklasse Streichquartett gerecht.
Dem d-Moll-Quartett KV 421 gewannen die Instrumentalisten delikate dynamische Feinheiten ab, das exzellente Zusammenspiel erlaubte feinste klangfarbliche Nuancen, die besonders die Allegro-Variationen des Schlusssatzes zum Leuchten brachten. Beethovens letztem Streichquartett mit dem spirituell empfundenen Mittelsatz der heiligen Danksagung an die Gottheit ließ das Ysaye-Quartett einen beeindruckend weiten Raum zur Entfaltung der musikalischen Gedanken. Dabei bleib die Binnenspannung zwischen den Teilen durch ein wunderbares Timing in höchstem Maße erhalten.
Um Kontur bemüht:
Ivo Pogorelich und die Polnische Kammerphilharmonie
unter der Leitung von Wojciech Rajski
Nicht nur gute Nachrichten gibt es aus den Sinfoniekonzerten zu vermelden, in denen vor allem die Solisten nicht so restlos überzeugten. Woran es gelegen haben mag, dass Ivo Pogorelich schon beim Betreten des Konzertpodiums eine gewisse Lustlosigkeit ausstrahlte, wird unerfindlich bleiben und dass er dann weitgehend auch in dieser Haltung Rachmaninows zweites Klavierkonzert herunterhackte, war mit einigermaßen offenen Ohren nicht zu überhören. Derart unterkühltes Engagement war von Pogorelich nicht zu erwarten gewesen, der vor etwa zwei Jahren mit einem Soloabend in Baden-Baden mehr als überzeugt hatte. Dieses Mal enttäuschte er schwer. Auch die Polnische Kammerphilharmonie konnte Rachmaninows üppiger und süffiger Spätromantik kaum Kraft und Saft einflößen und überdeckte stellenweise den Pianisten durch zu laute Begleitung. Mendelssohns Schottische blieb ebenfalls blass und uninspiriert; eine verschenkte Gelegenheit inmitten der aktuellen Mendelssohn-Aufmerksamkeit! Einziger Lichtblick blieb die Repertoire-Rarität von Witold Lutoslawski, eine Kleine Suite, die kompositorisch wenig ambitioniert, aber durch nette folkloristisch angehauchte Melodik und pfiffige Instrumentation Interesse wecken konnte.
Ein Schau-Spieler:
Mischa Maisky am Cello
Dass Mischa Maisky es liebt, Lieder für das Cello zu bearbeiten, erwächst offensichtlich aus seiner großen Begabung, auf dem Cello zu singen. Mehrere Aufnahmen in dieser Richtung liegen bereits vor, Kompilationen verträumter Stückchen in romantischem Outfit. Und dass Maisky ein fulminanter Cellospieler ist, bewies auch sein Auftritt in Baden-Baden, dass er gleichermaßen ein begnadeter Selbstdarsteller ist, allerdings ebenfalls. Das singende Cello konnte Maisky in diesem Konzert als Versprechen wahr machen besonders in der elegischen sechsten der Rokoko-Variationen führte er mit seinem Instrument wirkungsvoll vor, was kantables Spielen bedeutet mit einem gesättigten, weichen und warm umschmeichelnden Klang. Die Lenski-Arie aber aus Eugen Onegin, als Lied ohne Worte selbst für sein Cello bearbeitet, überfrachtete er derart mit Effekten, dass deren lyrische Linie zerbrach. Heftige dynamische Sprünge, immer wieder eingesetzte Drücker und überpointierte Phrasierungen dürfte sich ein Sänger dieser Arie nicht erlauben, ohne kräftige Buhs zu ernten. Auch in der Cello-Bearbeitung erfreut Derartiges nur wenig.
Russische Seele, deutsche Präzision, italienisches Brio:
Daniele Gatti und die Münchner Philharmoniker
mit Tschaikowskys Pathétique"
Unter Daniele Gatti entfachten die Münchner Philharmoniker in diesem reinen Tschaikowsky-Konzert üppigen orchestralen Glanz. Die musikalisch-dramatische Bilderwelt der Romeo und Julia Ouvertüre erstand plastisch, furios und packend, die rhythmischen Finessen kamen mit enormer Präzision.
Spannungsgeladen auch die Pathétique - ohne Gefühlskitsch gelang Daniele Gatti eine emotional intensive Deutung dieses Abschieds vom Leben, dieser Trotz-, Schmerz- und Trauermusik Tschaikowkys, deren Zusammenhang mit seinem eigenen Sterben immer wieder zu Spekulationen Anlass gibt. Hat er darin das Todesurteil eines ominösen Femegerichts anklingen lassen, das ihn wegen seiner Homosexualität verdammte? Und hat er bei der Uraufführung wenige Tage vor seinem Tod gewusst, dass dies sein letztes Werk bleiben wird? Wie auch immer die Darbietung durch die Münchner Philharmoniker ließ tiefe emotionale Schichten dieser aufwühlenden Musik erspüren. Und sie war ein Fest großartig virtuoser Orchesterkultur.
FAZIT
Musik und Wort waren bei diesen Festspielen zumeist im Gleichklang, ergänzten und beflügelten sich gegenseitig.