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Chaos und Kommunikationvon Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Michael Kneffel
Die letzte Kreation der Ruhrtriennale 2009 beschäftigt sich mit autistischen Sprach-, Kommunikations- und Erlebniswelten. Die Zuschauer sitzen im Bauch eines kreisförmigen Bassins auf drehbaren Stühlen, die auf einer rotierenden Scheibe montiert sind. Auf der erhöhten Bassinrampe sind vereinzelt Requisiten aufgestellt, hier z.B. zwei Regiestühle und ein ausgestelltes, schulterfreies Hochzeitskleid, dort vier nummerierte Rednerpulte. Links von einem Sofa und einer Lampe thront eine Frau in festlichem, pinkfarbenen Kleid. Sie trägt eine wunderschöne, pinkfarbene Blume im zu einer Aufsteckfrisur montierten, schwarzen Haar. Zu einem späteren Zeitpunkt wird sie stampfen, pfeifen, dirigieren, dem Chaos Tempo und Richtung der organisierten Marschstruktur eines instrumentalen What shall we do with the drunken sailor-Liedes gegenüberstellen oder mit ihrem schlanken, hohen Sopran und trillerähnlichen Wechselmotiven die Zuhörer betören.
Bevor jedoch ein mit zu vielen Pausen durchsetzter Wechsel von kleinen Schauspielszenen und Chordarbietungen a capella beginnt, wird man bei langsamer Rückwärtsdrehung und abgedunkeltem Raum von der elektronischen Komposition von Genoel von Lilienstern in den Bann gezogen. Es ist ein beeindruckendes, sich langsam aufbauendes vielstimmiges Klanggewitter aus metallischen Pfeif- und Stampfgeräuschen, die aus jedem Winkel des Raumes aufzusteigen scheinen, zu einem fast ohrenbetäubenden Getöse anwachsen und sich schließlich in einem endlosen dumpfen, stampfenden Puls vereinen. Chaos erinnert an die Entstehungszeit der Jahrhunderthalle, an maschinenbegeisterte Geräuschkompositionen der Bruitisten und führt zugleich eindrücklich ins Herz der autistischen Lebenswelt, lässt die häufig als Bedrohung empfundene Reizüberflutung und Einsamkeit anschaulich nachvollziehen.
Nach einem Moment der Stille beginnt das Hauptstück mit kleinen Szenen und Vertonungen von Sergej Newski. Die Chormitglieder sitzen unter den Zuschauern und formen Texte aus Atemgeräuschen, lautmalenden Konsonanten, Tönen und Stimmgesten wie Wimmern oder Weinen. Später werden sie in Anlehnung an die polyphonen Formen der flämischen Hochrenaissance - ziellos durch die Reihen eilen oder im Kreis gehen.
Aber solche eindringlichen Momente sind in der Inszenierung von Beate Baron selten. Dazu sind Schauspiel und musikalische Darbietung zu heterogen aneinandergereiht, überlagern sich zu selten. Selbst das Drama von eskalierendem Chaos und Gewaltverbrechen wirkt angesichts der akustischen Reizüberflutung der elektronischen Musik zu Beginn bis auf einige Schüsse merkwürdig nackt und prosaisch.
Einige bewegende Momente, aber keine wirklich große Produktion.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Sounddesign
Elektronische Komposition
Dramaturgie
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- Fine -