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Musikfestspiele
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Stockstädter Musiktage
22.05.-24.05.2009

Alte Musik im Grünen
Die Stockstädter Musiktage feierten ihr 25-jähriges Bestehen

Von Ingo Negwer

Eine Mehrzwecksporthalle mit Bühne dient als Konzertsaal, eine weitere Sporthalle, zum Schutz des empfindlichen Bodens provisorisch mit Teppichboden ausgelegt, beherbergt die Instrumenten- und Notenausstellung. Draußen, auf dem grünen Rasen findet ein Jugendfußballspiel statt. - Wer zum ersten Mal zu den Musiktagen nach Stockstadt am Rhein kommt, reibt sich verwundert die Augen: Ein Festival für Alte Musik im Grünen, direkt am Naturschutzgebiet Kühkopf gelegen. Eine eigene Website wird man im Internet vergebens suchen, aber Eintrittskarten zu den Konzerten bekommt man für zwölf Euro an der Abendkasse. Oder man ruft bei Familie Becker an, um sich seine Tickets zu bestellen. Eine Postadresse gibt es übrigens auch... Und das Programm der Stockstädter Musiktage kann sich sehen lassen: Neben renommierten Namen, wie Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700, oder dem Flanders Recorder Quartet, gaben sich in diesem Jahr die Ensembles La Caccia und Red Priest, das Quadriga Consort, Stefan Temmingh (Blockflöte) und Olga Watts (Cembalo) sowie das junge Ensemble L'Ornamento in der kleinen südhessischen Gemeinde ein musikalisches Stelldichein.

Zum 25. Male fand dieses außergewöhnliche Festival der Alten Musik nun dank des unermüdlichen Einsatzes von Eva und Wilhelm Becker statt. Zunächst versuchte man es einmal in Darmstadt, dann schlug man für elf Jahre seine Zelte in Rüsselsheim auf, ehe das Ehepaar Becker schließlich in seiner Heimatgemeinde Stockstadt eine Heimat für die Musiktage gefunden hatten. Hier haben sich die "Stockstädter Musiktage" inzwischen fest etabliert. Das Publikum reist von nah und fern an, um die Konzerte in der auch für die Alte-Musik-Szene außergewöhnlichen Atmosphäre zu genießen. Auf dem Parkplatz vor dem Sportzentrum entdeckt man Kfz-Kennzeichen aus ganz Deutschland. Auch aus dem europäischen Ausland kommen Gäste. Zum Teil dienen Wohnmobile während der Musiktage als Quartier.

Vergrößerung in neuem Fenster Eva und Wilhelm Becker, André Henrich
(Ensemble 1700)
(Foto: Ingo Negwer)

Bürgermeister Thomas Raschel ehrte das Ehepaar Becker am Samstag Nachmittag unter tosendem Beifall für sein langjähriges beeindruckendes Engagement, ehe Dorothee Oberlinger und das Ensemble 1700 mit gewohnter Virtuosität und Spielfreude das Publikum in den Bann der Musik von Georg Philipp Telemann, Jean-Baptiste Forqueray, Giuseppe Sammartini und Arcangelo Corelli zog. Dorothee Oberlinger und Lorenzo Cavasanti glänzten mit makellosem Blockflötenspiel und bildeten in Sammartinis Sonata a due flauti d-Moll op. 2/6 und Telemanns drittem Duo Es-Dur (original B-Dur) ein homogenes Duo. Vittorio Ghielmi (Viola da Gamba), André Henrich (Laute, Barockgitarre) und Alexander Puliaev (Cembalo) bildeten eine versierte, an Klangfarben reiche Continuo-Gruppe. Ghielmi zeigte mit drei Stücken aus der Feder des französischen Gambisten Jean-Baptiste Forqueray auch als Solist seine außergewöhnliche Klasse. Die sechs Arien der Partita Nr. 1 aus Telemanns "kleiner Cammer-Music", mit alternierenden Solostimmen der Blockflöte (Oberlinger) und der Diskantgambe (Ghielmi) interpretiert, bildete einen weiteren Höhepunkt des Konzerts. Nach dem spritzig dargebotenen Concerto Nr. 4 D-Dur von Corelli (in einer zeitgenössischen Bearbeitung für zwei Flöten und Continuo) ließ es sich Dorothee Oberlinger nicht nehmen, sich persönlich bei Eva und Wilhelm Becker mit einem großen Blumenstrauß zu bedanken, ehe sich das Ensemble 1700 mit zwei Zugaben vom begeisterten Publikum in der fast voll besetzten Altrheinhalle verabschiedete.

Vergrößerung in neuem FensterEnsemble 1700, v.l.n.r.: André Henrich, Alexander Puliaev,
Dorothee Oberlinger, Lorenzo Cavasanti und Vittorio Ghielmi
(Foto: Ingo Negwer)

Randbezirke der historischen Aufführungspraxis durchstreifte am Abend das österreichische Quadriga Consort mit "Ship ahoy! Lieder von Wind, Wasser und Gezeiten". In Arrangements seines Leiters und Cembalisten Nikolaus Newerkla, die ihre Nähe zur aktuellen Folk- und Popmusik nicht verleugnen konnten und wollten, bot das Ensemble traditionelle Musik aus England, Irland und Schottland. Nikolaus Newerkla führte mit Witz und Charme durch das kurzweilige Programm. Folkmusik, auf Kopien alter Instrumente gespielt, lässt ihre Wurzeln in der Geschichte ahnen, klingt aber vor allem - kompetent interpretiert - aufregend neu. Elisabeth Kaplan sang die alten Seemannslieder und Balladen von Piraten, Heimweh und verlorener Liebe mit schlichter Natürlichkeit. Reels, Jigs und andere Instrumentalstücke der britischen Inseln setzten schwungvolle Kontrastpunkte.


Vergrößerung in neuem FensterPiers Adams (Red Priest)
(Foto: Ingo Negwer)

Nicht allein dem "Originalklang" der Barockmusik ist das englische Ensemble Red Priest auf der Spur, sondern der "wahren Bedeutung" des Begriffs "Barock" - dem Bizarren, Irregulären, dem "Stylus phantasticus" im allerwörtlichsten Sinne. Und in der Tat: wer die in langen dunkelroten Umhängen gekleideten Musiker, mit schwarzen Masken vor dem Gesicht, auf der Bühne agieren sah, wird auch bei künftigen konventionellen Aufführungen von Vivaldis Concerto "La Notte" stets an den gespenstischen Auftritt von Red Priest erinnert. In den Tanzsätzen englischer Masques traten skurile Figuren auf, spielten Hexen auf quietschenden Geigen zum Tanz, schnitten Fratzen und fielen schließlich in ein diabolisches Gelächter ein. Und doch zeigten sich die "dunklen Seiten des Barock" auf höchstem musikalischen Niveau. Selten habe ich das Recercada segunda über den Passamezzo moderno von Diego Ortiz in einem solch atemberaubendem Tempo gehört. Das wunderschön dargebotene Prelude aus Johann Sebastian Bachs Suite c-Moll für Violoncello hatte Transparenz und Tiefe (Angela East). Piers Adams (Blockflöte) ließ Jacob van Eycks "English Nightingale" nach Herzenslust jubilieren. Julia Bichop (Violine) brillierte, von Howard Beach am Cembalo begleitet, mit Giuseppe Tartinis "Teufelstrillersonate". Unter dem Motto "Nightmare in Venice - a Baroque Fantasy" fügten sich die vielgestaltigen musikalischen Bilder zu einer stimmigen Einheit. Den Schlusspunkt bildete die bizarre "Fantasy on Corelli's La Folia", ein Arrangement von Red Priest über Corellis berühmtes Stück, in dem die uralte Folia-Melodie auf ihrem Weg über die hochvirtuose Barockmusik, vorbei an orientalischen Anklänge bis hin zu Elementen der Jazz- und Rockmusik eine wahre Odyssee durchlebte. Zum Schluss gab es stehende Ovationen für ein beeindruckendes Konzert.

Vergrößerung in neuem Fenster

Red Priest, v.l.n.r.: Julia Bishop, Howard Beach,
Piers Adams und Angela East
(Foto: Ingo Negwer)

Mit dem Konzert von Red Priest ging mein diesjähriger, erster Besuch bei den Stockstädter Musiktagen zuende. Ich habe ein beachtliches kleines Festival mit einer besonderen familären Athmosphäre erlebt, das ich wärmstens empfehlen kann. Fortsetzung folgt am 14.-16. Mai 2010. Der Termin gehört in den Terminkalender eines jeden Freundes der Alten Musik!

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