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Musiques à la Chabotterie

Atys

Tragédie en musique en un prologue et cinq actes
Libretto: Philippe Quinault
Musik: Jean-Baptiste Lully

Aufführungsdauer: 3:30h (1 Pause)

Konzertante Aufführung: 12. August 2009
Logis de la Chabotterie (La Vendée, Frankreich)
im Rahmen des 13. Festival «Musiques à la Chabotterie»

Homepage

Musiques à la Chabotterie
(Homepage)
Hohes Niveau zu niedrigen Preisen

Von Bernhard Drobig

Man mochte es beim ersten Blick in den Prospekt des 13. Festival «Musiques à la Chabotterie» (21.07. bis 12.08.2009) für einen Druckfehler halten, dass der Besuch einer vollständigen konzertanten Aufführung von Lully's ATYS, Tragédie lyrique in einem Prolog und fünf Akten nur achtzehn, bzw. zehn Euro kosten solle, und doch entsprach es den Tatsachen, mehr noch, wurde man zudem noch mit einem nachfolgenden, zu Rameau-Tänzen verblüffend genau synchronisierten Feuerwerk und einem abschließenden allgemeinen Empfang beschenkt. Ein wahrhaft beglückender Opernabend, der nicht nur mit hohem musikalischen Niveau überraschte, sondern auch insofern, als man in dem auf drei Seiten von Mauerwerk unterschiedlicher Höhe umschlossenen Cours d'honneurs des aus dem 17./18. Jahrhundert stammenden Logis de la Chabotterie eine für Freiluftaufführungen unwahrscheinlich gute Akustik vorfand, absolut störungsfrei im weiträumigen Parkgelände und am Himmel, dessen Eindunkelung hin zum Sternenbaldachin das in warmes Mattgelb getauchte Szenario ergänzte. Und trat gar, wie geschehen, die laue Abendluft nach heißem Sonnentag hinzu, war der Traum an Sommernachtszauber perfekt: «savoir vivre» wie aus dem Lehr-, wenn nicht gar Märchenbuch.

Vergrößerung in neuem Fenster Feuerwerk im Schlosspark
Foto: © Accent Tonique

Was aber steht dahinter, neben zwölf anderen Konzerten mit Madrigalen, Kammer- und Orchestermusik, Oratorien- und Tanzprogrammen des Barock auch groß besetztes Lully'sches Musiktheater so publikumsfreundlich anzubieten? Es ist der besondere Ehrgeiz von Präsident und Kulturattaché des Conseil Générale de la Vendée, jenes 600.000-Seelen-Departements südlich der Loiremündung, das eher wegen seines 200 km langen Atlantikstrandes als beliebtes Urlaubsziel und wegen seiner Agrikultur als «Jardin de France» bekannt ist, Historikern auch wegen der wenig rühmlichen Niederwerfung des Royalisten-Aufstandes gegen das Revolutionsheer. Singulär in Frankreich setzt man in der Vendée darauf, bei Erwachsenen wie Jugendlichen die Liebe zum regionalen und nationalen Kulturerbe, hier insbesondere zur heimischen Barockmusik zu fördern, indem man den Zugang auch denen erleichtert, die sich die Hochpreisangebote in der Metropole und bei anderen renommierten Festivals nicht leisten können oder vielleicht auch deswegen gar nicht erst anstreben, weil sie nie mit dem tönenden Reichtum des grand siècle bekannt geworden, nie mit deren Vermittlern in nähere Berührung gekommen sind.

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Begrüßung durch den Kulturattaché
des Départements La Vendée
Foto: Bernhard Drobig

Künstlerischer Leiter des sich über drei Wochenenden hin erstreckenden Barockmusikfestes ist Hugo Reyne; als vielfach ausgezeichneter Flötest und Oboist vierzehn Jahre am ersten Bläserpult von Les Arts Florissants, gründete er 1987 sein Chor- und Instrumentalensemble La Simphonie du Marais, ist CD-Sammlern durch viele hoch bewertete Produktionen, darunter die kontinuierlich wachsenden Lully- und Rameau-Serien bekannt, Insidern auch durch seine Editionen alter Partituren. Nun also wagte er es als erster nach William Christie's legendärer Wiederentdeckung des ATYS von 1987, sich für seine Lully-Serie mit einer neuen Generation von Sängerschauspielern (alle unter dreißig) dieser 1676 vor Louis XIV uraufgeführten Tragédie en musique mit dem nach Ovid entwickelten Libretto von Philippe Quinault zuzuwenden, einem Werk, das nicht zuletzt wegen seiner langen, nur selten und eher unmerklich von melodischen Airs durchsetzten Rezitativstrecken gerade an neu zu gewinnende Freunde keine geringen Anforderungen stellt, andererseits wegen der sich ohne Nebenstränge entwickelnden, auch durch die Divertissements kaum aufgehaltene Handlung unablässig in Spannung zu halten vermag.

Vergrößerung in neuem Fenster Nachmittägliche Probe
Foto: Bernhard Drobig

Zur Erinnerung: Atys, ein phrygischer Jüngling göttlichen Geblüts, erwartet erregt das Erscheinen der großen, aller Kreatur und den Göttern Leben spendenden Muttergottheit Cybèle, die Nymphe Sangaride das ihres königlichen, von Neptun abstammenden Bräutigams Célénus: doch der eigentliche Grund der Erregung ist heimliche Liebe. Indes liebt auch Cybèle insgeheim Atys, macht daher ihn, nicht Célénus zu ihrem Opferpriester. Atys beklagt den damit besiegelten Verzicht auf Sangaride, sieht sich im Traum von Cybèle geliebt und gewarnt, sollte er sie verschmähen. Beim Tête-à-Tête taucht Sangaride auf, will Cybèle bitten, sie von Célénus zu entbinden, findet sich nun aber von Atys aufgegeben. Eine Aussprache mit ihm und der Schwur ewiger Liebe führt in die Katastrophe. Als Atys Sangarides Verbindung mit Célénus kraft seines Priesteramtes untersagt und mit ihr entschwindet, rächen sich Célénus und Cybèle: In geistiger Umnachtung tötet Atys Sangaride, wieder bei Sinnen sich selbst. Cybèle bleibt nur Trauer und die Verwandlung des Atys in eine immergrüne Pinie.

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Vorstellung der Künstler, von links:
Heim, Dominguez, de Villoutreys, Champion,
Reyne, Tauran, Lievre-P, Ryaux, Lefèvre
Foto: Bernhard Drobig

Hugo Reyne, der unmittelbar vor der Ouvertüre gefällig gelöst seine Protagonisten und ihre Rollen vorstellte, hatte das fünfstimmige Streichorchester (20) mit Lully-spezifischen Instrumenten der Violon-Familie vor einem erhöhten Podest platziert, auf dem zur Linken sechs Holzbläser, zur Rechten die Continuogruppe mit Gambe, Violon, drei Theorben und Cembalo saßen und im Zwischenraum die Sängerschauspieler auftraten, während der Chor (19) die hintere Begrenzungsreihe bildete, Männerstimmen übrigens von den sie gelegentlich begleitenden Flöten ebenso weit getrennt wie Frauenstimmen von den tiefen Violons. Diese Aufstellung wirkte sich ausgesprochen vorteilhaft auf die Transparenz der musikalischen Faktur aus, sicherte dem Wechsel- wie Zusammenspiel der Instrumentalchöre schön konturierte Klangprofile. Die Streicher wirkten generell relativ herb, in der Traumszene hingegen umso sphärischer, die Holzbläser insgesamt wärmer und mit runderem Ton, der Basse continue war sinnvoll auf die zu stützenden Stimmungsgehalte der Szenen hin differenziert. Aus alledem sprach Hugo Reyne's lange Vertrautheit mit Lullys Tonsprache, mehr noch und deutlicher auch durch die Wahl adäquater Tempi und die Ausgewogenheit der Klangkombinationen untereinander. Nicht zuletzt verriet insbesondere die federnde Rhythmik in den Tanzsätzen ein hohes Maß an akribischer Detailarbeit.

Vergrößerung in neuem Fenster Champion/Reyne/La Simphonie du Marais
Foto: © Accent Tonique

Ähnliches darf für die Prägnanz in Diktion und Versdeklamation gelten, wofür es ausweislich des informationsreichen Programmheftes keinen eigenen Linguisten gab, wie überhaupt alle sich in angedeuteten Zuwendungen darstellende Regie ebenso wie die dezent sprechende Garderobe der Protagonisten offensichtlich mit dem Dirigenten abgesprochene Gemeinschaftsleistung war. Wohltuend, sich ohne optischen Prunk und ohne Verfremdungen auf das Musikalische konzentrieren zu können, auch wenn dadurch ein wichtiges Element des Lully'schen Gesamtkunstwerks zu kurz kam.

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Dominguez/Reyne/Ensemble
Foto: © Accent Tonique

Auch in der Wahl der Sängerschauspieler bewies Hugo Reyne die glückliche Hand des Experten: sie alle identifizierten sich mit ihren Rollen engagiert und mit Aplomb. Star des Abends war die kraftvolle Mezzosopranistin Amay Dominguez als Cybèle, facettenreich in der Abbildung göttlicher Würde, ihrer heimlichen, dann offen bekundeten Liebe zu Atys und deren Enttäuschung, ihrer Rache, sowie der Trauer um den Verlorenen: mustergültig verstand sie es, die zunächst unmerklich erwachenden Emotionen hin zu glühender Eifersucht zu steigern und in der abschließenden Threnodie mit dem Chor verströmen zu lassen. Für ihre Rivalin und unschuldiges Opfer der Eifersucht, die von zwei Freiern begehrte Nymphe Sangaride, bot Bénédicte Tauran eine lieblich weiche Sopranstimme auf, die selbst in Verzweiflung und leidenschaftlichem Bekenntnis ihre Anmut nicht verleugnete. Atys aber fand in dem ausdrucksstarken Haut-Contre Romain Champion einen glaubwürdigen Interpreten seines Liebesbegehrens, das, zunächst durch Cybèle durchkreuzt, sich hernach umso stärker äußert, um letztendlich zu scheitern. Unter den fünf Künstlern, die sich den insgesamt zwölf Nebenrollen widmeten, sei stellvertretend der bezaubernd klare Bass von Matthieu Heim vor allem als Allegorie der Zeit im Prolog genannt. Beglückend wie die Solisten präsentierte sich auch der fünfstimmige Chor, der Begrüßungsjubel, Festfreude, Entsetzen und Trauer in überzeugend modulierte Klänge umsetzte.


FAZIT

Die von Hugo Reyne mit sechzig Künstlern sorgsam ausgeleuchtete Spannkraft der Musikalität von Lully's ATYS überzeugte auch in der szenisch reduzierten Form vollauf. Der für April 2010 angekündigten CD-Einspielung dieser Produktion darf man gespannt entgegensehen.

Atys


Musikalische Leitung
Hugo Reyne

Le Choeur du Marais
La Simphonie du Marais


Solisten
Le Prologue
Le Temps
Matthieu Heim
(Bass)

Flore
Bénédicte Tauran
(Sopran)

Zéphyr
Vincent Lièvre-Picard
(Haute-contre)

Melpomène
Amaya Dominguez
(Mezzo-Sopran)

Iris
Maud Ryaux
(Sopran)


La Tragédie
Atys
Romain Champion
(Haute-contre)

Idas
Matthieu Heim
(Bass)

Sangaride
Bénédicte Tauran
(Sopran)

Doris
Maud Ryaux
(Sopran)

Cybèle
Amaya Dominguez
(Mezzo-Sopran)

Mélisse
Maïlys de Villoutreys
(Sopran)

Célénus
Aimery Lefèvre
(Bass-Bariton)

Sommeil
Romain Champion
(Haute-contre)

Morphée
Vincent Lièvre-Picard
(Haute-contre)

Phobétor
Matthieu Heim
(Bass)

Phantase
Aimery Lefèvre
(Bass-Bariton)

Un Songe funeste
Aimery Lefèvre
(Bass-Bariton)

Sangar
Matthieu Heim
(Bass)



Weitere Informationen:
Musiques à la Chabotterie
(Homepage)



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