Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Sommerfestspiele 2010

Gioachino Rossini: Il Viaggio a Reims

Konzerte mit Musik von Gubaidulina, Mussorgsky, Liszt, Verdi und Wagner

Mit Solisten, Chor und Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg
sowie Anne Sophie-Mutter,  Susan Foster, Gary Lehman und René Pape

Vom  16. bis 20. Juli 2010

Festspielhaus Baden – Baden

Homepage

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
Valery hier, Gergiev dort... 

Von Christoph Wurzel / Fotos von Andrea Kremper

Es ist schon eine merkwürdige Art des Wartens, die Rossini und sein Librettist Balloco sowohl dem Publikum als auch den Personen der Handlung ihrer Oper „Il Viaggio a Reims“ zumuten. Das Publikum wartet 2 1/2 Stunden nahezu vergeblich auf die Entwicklung einer spannenden Opernhandlung und die Figuren warten einen ganzen Tag darauf, endlich eine Reise antreten zu können, die nie stattfinden wird. Zweieinhalb Stunden lang passiert eigentlich nichts, aber dennoch verlebt man einen höchst vergnüglichen Opernabend.
Achtzehn Personen aus allen möglichen Regionen Europas, sehr unterschiedlichen Temperaments und mit den absonderlichsten Interessen treffen in einem Badeort aufeinander, um gemeinsam nach Reims zu reisen, wo ein neuer König gekrönt werden soll. Ähnlich wie bei Beckett warten sie auf etwas, das niemals eintritt – die Abreise wird nicht stattfinden. Die Angelegenheit hier wirkt allerdings weniger absurd als vielmehr äußerst unterhaltsam. Statt sich voran zu bewegen, kreist die Handlung um die  mehr oder weniger bedeutenden Sorgen dieser Opernfiguren.  Von Garderobeproblemen bis hin zu Eifersuchtsdramen reicht das Spannungsfeld. Zum Trost für das Publikum reiht sich wie an einer Perlenschnur  eine Bravourarie an die andere. Allein zehn höchst anspruchsvolle Belcantopartien gibt es in dieser Oper. Auch für das Opernpersonal lösen sich natürlich am Schluss alle Probleme in Wohlgefallen auf und jeder darf beim abschließenden Jubelfest noch kräftig seinen patriotischen Gefühlen freien Lauf lassen. So hat sich für beide Seiten das Warten gelohnt.

Vergrößerung in neuem Fenster „Der Hut ist wieder da!“: Larissa Yudina bejubelt als Gräfin von Folleville die Lösung ihres Problems

Dies gilt besonders auch dann, wenn man diese Opernfarce in der Inszenierung des St. Petersburger Mariinsky-Theaters erleben konnte, wie sie, dort  bereits 2005  herausgekommen,  als spritziges Sommervergnügen nun den Kern der diesjährigen Sommerfestspiele in Baden-Baden bildete. Die Inszenierung von Alain Maratrat setzte auf komödiantische Leichtigkeit und wurde dabei wirkungsvoll durch die phantasievolle Garderobe der Protagonisten, entworfen von der Schweizer Modedesignerin Mireille Dessigny, unterstützt. Bühnenbildner Pierre Alain Bertola hatte die Bühne durch einen Laufsteg ins Publikum verlängert und ließ das Orchester hinter den Akteuren Platz nehmen. Als dandyhafter Maitre de Plaisir fungierte Dirigent Valery Gergiev, nachdem er durch den Zuschauerraum das Theater betreten hatte. Mit Esprit und federnder Leichtigkeit spielte das Mariinsky-Orchester auf, das an den anderen Tagen mit wesentlich schwererer Kost aufzuwarten hatte. Dass die Musik, obwohl sie aus dem Hintergrund kam, doch nicht in denselben gedrängt wurde, war der konzentrierten Leitung Gergievs gutzuschreiben. Ein moussierender, leichter Rossini-Klang wurde auf der Hinterbühne produziert und drang zumeist deutlich, jedenfalls beschwingt in den Saal. Auch konnten die größtenteils fabelhaften Sängerinnen und Sänger (nur die italienische Diktion fiel manchen nicht so leicht) dadurch den direkten Kontakt zum Publikum finden und mit vokaler Brillanz unmittelbar glänzen. Mit großer Spielfreude nutzten diese Gelegenheit höchst präsent vor allem Olga Pudova als modenärrische Gräfin und in der Rolle der gestressten Hotelbesitzerin Anastasia Kalagina. Anfangs waren die Herren nicht ganz so locker dabei, sich gleich auf diese Art des rampenlosen Musiktheaters einzustellen, spielten sich aber mit der Zeit auch frei. 


Der Regie oblag es vor allem, der Situationskomik Raum zu lassen und die Personen genussvoll zu karikieren. Dies gelang zumeist als subtile Feinzeichnung, mit einigen Ausflügen in die Comedy. Hübsche Effekte wurden vor allem erzielt, wenn die obligaten Begleitinstrumente (Harfe, Flöte) zu den Arien auf die Bühne zitiert wurden. Etwas parodistische Selbstironie auf das – hiermit mittlerweile wohl vergangene -  plüschige russische Opernpathos  blitzte im Auftritt des russischen Generals Libenskof auf (gut bei Stimme: Daniil Shtoda), der auf einem lebendigen Pferd mit Pelzmütze und Wodkaflasche ins Geschehen einritt. Jedenfalls gingen der Regie während des kurzweiligen Abends die Einfälle nicht aus.

Vergrößerung in neuem Fenster Musikalischer Reiseleiter: Valery Gergiev öffnet den Vorhang zu Rossinis Opera buffa
 

Gegenüber solchen sehr diesseitigen Belustigungen, wie Rossini sie in seinem inspirierten Einakter schildert, machte sich der zweite Abend der Sommerfestspiele als extremer Kontrast aus. Denn hier ging es um die letzten Dinge. In Verdis Requiem entfachte Gergiev mit seinen Musikerinnen und Musikern ein wahrhaft dramatisches Feuer. Exzellent wurden sie dieser opernhaft mitreißenden Musik gerecht und zogen das Publikum spürbar in ihren Bann. Gergiev hatte intensiv an den Feinheiten gearbeitet. Der große Atem und die apokalyptische Wucht dieser Endzeitmusik („Dies irae“) fesselten unentrinnbar. Das Sängerquartett war vor allem solistisch überragend, im Ensemblegesang gelang ihnen die Abstimmung nicht durchweg gleich überzeugend. Vor allem im Eingangsquartett („Requiem aeternam“) sangen sie mehr neben- als miteinander, hörten noch zu wenig auf einander. Einzeln aber gelangen jedem beeindruckende Passagen, wie Olga Borodina, die mit tiefengesättigter Mezzostimme  farbenreich und wandlungsfähig den Wechsel vom objektiven Erzählbericht („Judex ergo cum sedebit“) zum Ausdruck subjektiven Schuldgefühls („Quid cum miser tunc dicturus“) ergreifend gestaltete. Mit höllenschwarzem Bass mahnte Ildar Abdrazakov an die Schrecken des Jüngsten Gerichts („Mors stupebit et natura“) und mit strahlender Höhe und lyrischer Innigkeit („Ingemisco tanquam reus“) sang Sergei Semishkur die Tenorpartie. In der Sopranpartie glänzte Viktoria Yastrebova mit leicht ansprechender, heller Tongebung. Der Chor des Mariinsky-Theaters zeigte überzeugende vokale Macht, blieb  aber in der Aussprache des  lateinischen Textes zu undeutlich. Dennoch war es ein großer musikalischer Abend.

Vergrößerung in neuem FensterWalküre, 1. Akt: Gary Lehman, Susan Foster und René Pape mit dem Mariinsky-Orchester unter der Leitung von Varey Gergiev
 

So überzeugend Gergiev mit dem Mariinsky-Orchester auch Verdi musizierte, so blieb bei Wagner doch ein Rest von Zweifel zurück. Auch hier gelangen dramatische Momente, aber der große Fluss des Wagnerschen musikalischen Erzählduktus wollte sich ungebrochen nicht recht einstellen. Das „Lohengrin“-Vorspiel (1. Akt) im ersten Konzertteil kam klangschön, aber mit wenig innerer Spannung. Der Feuerzauber („Walküre“-Schluss) blieb verhalten und sparsam im Klang. Nach der Pause sollte dann der 1.Akt der „Walküre“ den Höhepunkt bilden. Ungünstig war die inhomogene Sängerbesetzung, denn dem überragenden René Pape standen mit Susan Foster als Sieglinde und Gary Lehman als Siegmund keine ebenbürtigen Sängerpersönlichkeiten zur Seite. So wurde die Rolle des Hunding, die René Pape höchst differenziert und expressiv gestaltete, zur Hauptfigur dieses Aktes. Gary Lehman hatte stellenweise mit Intonationsproblemen zu kämpfen und Susan Foster vermochte die nötige Durchschlagskraft in der Stimme nicht durchgehend zu halten. Die vokale Kondition reichte bis zum Schlussduett kaum aus. René Pape dagegen drang mühelos durch - und dies noch mit schöner Tongebung. Im Orchester kamen wichtige Details nur recht matt (Hunding-Motiv bei seinem Auftritt) oder zu wenig ausgefeilt. Von der im Verdi-Requiem so geschliffenen Detailarbeit, war hier nicht allzu viel zu spüren.
Obwohl der Abend unter dem Titel „Stars der Oper“ lief, war es also hauptsächlich einer, der als strahlender Sängerstern durchgehen konnte: René Pape. Er hatte den Abend schon mit zwei Solonummern beeindruckend eröffnet – mit einer ergreifenden Gestaltung des Schlussmonologs des Boris Godunow aus Mussorgskys Operndrama sowie mit Wotans Abschiedsmonolog aus „Walküre“. In beiden Stücken zeigte sich Pape als faszinierender Ausdruckssänger.

Vergrößerung in neuem FensterAnne-Sophie Mutter mit dem Mariinsky-Musikern im Konzert für Violine und Orchester von Sophia Gubaidulina

 

Im Mittelpunkt eines weiteren Konzerts stand Anne-Sophie-Mutter, die das für sie komponierte Violinkonzert der tartarischen Komponistin Sophia Gubaidulina präsentierte. Mit dem ihr eigenen makellosen Klanggefühl, der kristallinen Klarheit ihres Tons und ihrer anscheinend mühelosen, stupenden Technik widmete sie sich mit Hingabe diesem hoch komplexen Werk. Die Komponistin hat die Solovioline besonders dadurch exponiert, dass es keine weiteren hohen Streicher im Tutti gibt. Das Konzert ist ein Dialog und stellenweise fast ein Kampf zwischen der Sologeige, dem klangfarbenreichem Schlagwerk, den Bläsern (viel tiefes Blech) und den tiefen Streichern. Anne-Sophie Mutter hat bekannt, noch nicht in alle Tiefen dieses Werks vorgedrungen zu sein, ihre Interpretation war gleichwohl von einem intensiven persönlichen Ausdruckswillen geprägt. „In tempus präsens“ lautet der Titel dieser dramatisch wie meditativ anmutenden Musik und sie scheint die Antagonismen unserer Gegenwart in musikalische Sprache fassen zu wollen.
 
Anderes hatte Liszt mit seiner „Dante-Sinfonie“ im Sinn. Hier schreitet die Musik voran: vom Inferno („Lasst alle Hoffnung fahren!“) über die Läuterung des  Fegefeuers (Purgatorium) bis zu einem verklärenden Magnifikat (von Liszt als „irdischer Abglanz“ an die Stelle von Dantes himmlischem Paradies gesetzt) – Ausdruck der im Laufe seines Lebens mehr und mehr gewachsenen tiefen Gläubigkeit des Komponisten. In einer zwingenden Interpretation boten die Musikerinnen und Musiker aus St. Petersburg dieses selten zu hörende Werk unter der Leitung von Valery Gergiev und boten wiederholt eine überzeugende Probe nuancenreichen Spiels.
 


FAZIT

Fünf Tage mit vier verschiedenen Programmen: Wieder einmal war es ein Dirigiermarathon, in dem Valery Gergiev seinen Anspruch auf Vielseitigkeit demonstrierte. Zwischen zahlreichen großen Momenten gab es auch weniger Überzeugendes, am wenigsten das Siegfried-Idyll, bei dem das große Orchester zu schwerfällig reagierte. Trotzdem: Gergievs Engagement für Baden-Baden ist und bleibt ein großer Pluspunkt für das Festspielhaus.

16. und 18. (besuchte Aufführung) Juli 2010

Chor und Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg

Musikalische Leitung:
Valery Gergiev

Gioachino Rossini
Il Viaggio a Reims
Dramma giocoso in einem Akt
Libretto von Giuseppe Luigi Balloco


Inszenierung
Alain Maratrat

Bühnenbild

Pierre Alain Bertola

Kostüme

Mireille Dessingy

Solisten

Irma Gigolaty
Anna Kiknadze
Larisa Yudina* / Olga Pudova
Anastasia Kalagina
Dmitry Voropaev
Daniil Shtoda
Edward Tsanga
Nikolai Kamensky
Ilya Bannik
Vladimir Moroz
Yuri Vorobiev
Dmitry Koleushko
Elena Sommer
Olga Legkova
Timur Abdikeev

Akademie für junge Sänger des Mariinsky-Theaters

* Alternativbesetzung


17. Juli 2010
Viktoria Yastrebova, Sopran
Olga Borodina, Mezzosopran
Sergei Semishkur, Tenor
Ildar Abdrazakov, Bass

Giuseppe Verdi 
Messa da Requiem


19. Juli 2010
Anne-Sophie Mutter, Violine

Franz Liszt
Dante-Sinfonie

Sofia Gubaidulina
In tempus praesens.
Konzert für Violine und Orchester

Richard Wagner 
Siegfried-Idyll
Trauermusik aus Götterdämmerung




20.Juli 2010
Susan Foster, Sopran
Gary Lehman,Tenor
René Pape, Bass


Modest Mussorgsky
Ouvertüre zu Chowanschtschina

Schlussmonolog des Boris aus Boris Godunow


Richard Wagner
Vorspiel zum 1. Akt der Oper Lohengrin

Wotans Abschied und Feuerzauber aus Die Walküre

Erster Aufzug der Oper Die Walküre








Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2010 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -