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Rossini Opera Festival

Pesaro, 9. - 22. August 2010


La Cenerentola

Dramma giocoso in zwei Akten

Libretto von  Jacopo Ferretti

Musik von Gioachino Rossini


in italienischer Sprache mit italienischen Übertiteln

 

Aufführungsdauer: ca. 3 h 30' (eine Pause)

Premiere der Wiederaufnahme in der Adriatic Arena Pesaro am 11.08.2010
(Rezensierte Aufführung: 14. August 2010)

 

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Rossini Opera Festival

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Ein Belcanto-Feuerwerk in der Adriatic Arena

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival / © Studio Amati Bacciardi


Es war einmal... eine Zeit ohne Handyklingeln. Aber die gehört auch im Theater der Vergangenheit an, und obwohl vor der Vorstellung in Italienisch, Englisch, Deutsch und Französisch darum gebeten wurde, die Mobiltelefone auszuschalten, haben es wohl nicht alle verstanden, so dass nicht nur ein Handy klingelte - wie in Bayreuth bei der Lohengrin-Premiere - sondern gleich dreimal Rossinis Wohlklang durch Misstöne unterbrochen wurde, bis Don Magnifico (Paolo Bordogna) es ein wenig genervt in seine grandiose Arie "Sia qualunque delle figlie", in der er sich seine glorreiche Zukunft als Schwiegervater eines Prinzen vorstellt, mit einem "Pronto" aufnahm. Aber nicht nur dieser spontane Einfall machte ihn zum eigentlichen Star des Abends. Die Haare zu zwei Teufelshörnern toupiert, spielte er sich erst im grünen Morgenmantel, später im samtgrünen Frack mit einer überbordenden Bühnenpräsenz und buffonesker Grandezza, zahlreichen Tanzeinlagen und kurzen Ohnmachtsanfällen schnell in die Herzen der Zuschauer. Der Abend hätte schnell zu einer One-Man-Show werden können, hätte man nicht mit Lawrence Brownlee (Don Ramiro) und Marianna Pizzolato (Cenerentola) zwei weitere hochkarätige Sänger aufgeboten.


Vergrößerung in neuem Fenster Cenerentola (Marianna Pizzolato) und Don Ramiro (Lawrence Brownlee) bei ihrem ersten  Treffen

Die Besetzungsliste und die steigende Popularität des Werkes, das nach Alberto Zedda Rossinis Barbiere di Siviglia vielleicht noch den Rang ablaufen kann, waren wohl die Hauptgründe dafür, dass diese Produktion nicht im Teatro Rossini sondern in der Adriatic Arena stattfand, einer Mehrzweckhalle, die mit rund 1.200 Plätzen für dieses Spektakel knapp doppelt so vielen Besuchern Platz bietet wie das kleinere Theater im Herzen der Altstadt. Die Halle ist jedoch eher für Sportveranstaltungen gedacht und verfügt für klassische Musik über keine ideale Akustik, so dass Operninszenierungen  vor allem an den Pianostellen leiden und selbst ein sehr spielfreudiges Ensemble zu häufigem Rampensingen zwingen.

Zu  Beginn der Oper blickt man auf eine völlig überfrachtete Bühne, auf der Stühle, Sofas, Tische und Kommoden im Fin-de-Siècle-Stil wahllos übereinandergestellt von einer Skyline amerikanischer Wolkenkratzer eingepfercht werden. Das soll wohl andeuten, dass die Zeit des Don Magnifico, eines heruntergekommenen Adligen, vorbei ist und er jetzt mit seinen Töchtern Clorinda und Tisbe auf engstem Raum leben muss. Als Regie-Einfall ist diese Idee nicht schlecht und die szenische Ausgestaltung des Bühnenbildes von Margherita Palli ist grandios, aber kann man auf diesem Möbelhaufen spielen? Man kann. Manon Strauss Evrard (Clorinda in gelbem Kostüm) und Cristina Faus (Tisbe in zartem Türkis) gehen in karikierter Überheblichkeit und Eitelkeit wortwörtlich über Tische und Bänke. Im linken Bühnenviertel steht ein großer Backsteinkamin. Hier sitzt eine wohlgenährte Cenerentola (Marianna Pizzolato) und singt mit warmem wohl-timbriertem Mezzo von dem König, der sich bei der Brautwahl für die Unschuld und Güte entscheidet, was das Ende der Oper also schon vorwegnimmt. Als ob die Bühne nicht schon voll genug wäre, fährt jetzt auch noch ein riesiger Rolls Royce auf den Möbelhaufen, dem das Gefolge des Prinzen, schließlich auch der Prinz Don Ramiro (Lawrence Brownlee) und sein Kammerdiener Dandini (Nicola Alaimo) entsteigen. Prinz und Kammerdiener haben die Rollen getauscht, damit der Prinz unbeobachtet die möglichen Heiratskandidatinnen ins Visier nehmen kann. Nicola Alaimo legt die Rolle des vermeintlichen Prinzen wunderbar unbeholfen an. Auch bei ihm paaren sich eine bewegliche baritonale Stimme mit buffonesker Spielfreude, wobei er allerdings in dem großartigen Buffo-Duett mit Don Magnifico im zweiten Akt "Un segreto d'importanza" von letzterem fast an die Wand gespielt wird.


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Cenerentola (Marianna Pizzolato) schützt den als Bettler verkleideten Alidoro (Alex Esposito) vor ihren Stiefschwestern Clorinda (Manon Strauss Evrard) und Tisbe (Cristina Faus).

Während das Libretto der Märchenvorlage von Perrault die übernatürlichen Aspekte nimmt, baut die Regie mehrfach auf magische Kräfte. So kommt Alidoro (Alex Esposito mit fundiertem Bass), Philosoph und Lehrer Don Ramiros als Bettler getarnt wie Santa Claus durch den Ofen geflogen und entfacht im zweiten Akt mit magischen Kräften vom Sims des Kamins aus in einer akrobatischen Glanzleistung das Gewitter, in dem Don Ramiros Wagen just vor Don Magnificos Haus zusammenbricht. Cenerentola besteigt nicht eine Kutsche, um zum Palast zu kommen, sondern klettert in den Ofen, um aus dem Schornstein in einem feuerroten Kleid wie Phoenix aus der Asche zu entsteigen und von einem Storch zum Schloss des Prinzen geflogen zu werden, wo sie wieder durch einen Kamin auftaucht. Man mag diesen Regieeinfall als zu plakativ oder kitschig betrachten. Vom Publikum jedenfalls wurde die Szene mit stürmischem Applaus goutiert.


Vergrößerung in neuem Fenster Alidoro (Alex Esposito) tröstet Cenerentola (Marianna Pizzolato) und verspricht ihr, dass sie auch auf den Ball des Prinzen gehen kann.

Für einen Bühnenbildner ist die Oper eigentlich sehr undankbar, vor allem dann, wenn es keinen Vorhang gibt, weil sämtliche Umbauten während der Akte stattfinden. Da die Bühne so  aufwendig gestaltet ist, stellt sich die Frage, wie sich dieser Möbelhaufen in den Palast des Prinzen verwandeln soll. Während das Publikum nach Cenerentolas Abflug allmählich zur Ruhe kommt, werden zehn Stahlseile von der Decke heruntergelassen, an denen Bühnentechniker das komplette Bühnenbild mit Ausnahme des Kamins befestigen. Anschließend wird die komplette Konstruktion in die Höhe gezogen und ein grüner Marmorböden freigelegt. Die Hochhäuser öffnen sich zu einem herrlichen Schloss im Stile Versailles, wobei jede Stellwand einen Kamin darstellt - das ist dann vielleicht doch ein bisschen zu plakativ. Während dieser erste Umbau auf das Publikum noch eine gewisse Faszination ausübt, wirkt er beim zweiten und dritten Mal dann allerdings etwas langwierig, zumal keine Musikpassagen dem Umbau unterlegt werden können, da es dafür ohne Vorhang einfach zu laut ist.

Im zweiten Akt kommt dann auch endlich die lang ersehnte Tenorarie "Si, ritrovarla io giuro", auf die Lawrence Brownlee und das Publikum wahrscheinlich schon die ganze Zeit gewartet haben. Don Ramiro bekräftigt, dass er die schöne Unbekannte (Cenerentola) wiederfinden und heiraten wird. Und mit welchen Tönen Lawrence Brownlee dieses Bekenntnis schmettert, ist schönster Belcanto. Bis in die höchsten Töne sauber intoniert und ohne zu pressen, reißt er das Publikum zu einem nicht endenden Beifallssturm hin, kommt aber dem Publikumswunsch nicht entgegen, nach seinem Abgang noch einmal zum Verbeugen aufzutreten oder womöglich, wie in Verona beim Gefangenenchor, ein Da capo zu geben. Nach dieser Arie setzt Brownlee seine Stimme aber doch ein wenig vorsichtiger ein, da die bereits erwähnte Akustik sie vielleicht doch stärker beansprucht als beispielsweise die Met.


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Cenerentola (hier Statisten-Double) wird unter der Lenkung von Alidoro (Alex Esposito) von einem weißen Storch zum Ball des Prinzen geflogen.

Kurz vor dem Happy End kommt das Publikum noch in den Genuss der selten gespielten Arie der Clorinda "Sventurata! mi credea". Warum diese Arie in den meisten Inszenierungen ausgelassen wird, hat mehrere Gründe. Erstens hat Rossini sie nicht selbst komponiert, sondern von seinem Kollegen Agolini einfügen lassen. Über die Gründe dafür (Rossinis übliche Zeitnot oder eine Belohnung seines Kollegen) kann nur gemutmaßt werden. Klanglich fällt sie jedenfalls nicht als Fremdkörper auf. Zweitens ist sie inhaltlich eher irrelevant, da Clorinda nach anfänglicher Verzweiflung über Cenerentolas Glück und ihr eigenes Pech zu der Erkenntnis kommt, dass sie sich aufgrund ihrer Jugend und Schönheit durchaus auch noch einen reichen Mann angeln wird. Diese Wendung steht im Kontrast zu Clorindas demütiger Haltung Cenerentola gegenüber am Ende des Stücks. Drittens stellt sie mit ihren Verzierungen und Koloraturen sehr hohe Anforderungen an eine Sängerin, welche eine Soubrette, die an zahlreichen Häusern die Rolle der Clorinda übernimmt, überfordern dürfte. Viertens entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Schwesterpaar Clorinda und Tisbe, da es für Tisbe keine vergleichbare Arie gibt, und eventuell eine Konkurrenz für die eigentliche Primadonna. Warum bringt man diese Arie trotzdem? Manchmal wird sie für Umbauzwecke benutzt, damit während dieser Arie wieder der Palast des Prinzen aufgebaut werden kann. Das scheidet bei dieser Inszenierung schon wegen der Lautstärke des Umbaus aus. Nein, aber wenn man schon ein Belcanto-Feuerwerk mit hervorragenden Solisten abschießt und über eine Sopranistin wie Manon Strauss Evrard verfügt, die diese schwierige Partie mit scheinbarer Leichtigkeit beherrscht, dann sollte man dem Publikum auch den Genuss dieser Arie gönnen.

Die Konkurrenz braucht Marianna Pizzolato nicht zu fürchten, da sie doch im Anschluss mit ihrer Schlussszene "Non piu mesta accanto al foco", in der sie ihr Glück über die Wendung des Schicksals ausdrückt, nachdem sie ihrer Familie deren Grausamkeit verziehen hat, mit strahlenden Koloraturen erneut die Bandbreite ihrer Stimme unter Beweis stellen kann. Warum die Regie sie am Ende im grauen Aschenputtel-Kostüm den Thron besteigen lässt, bleibt fraglich. Vielleicht soll betont werden, dass sich Cenerentola trotz ihres sozialen Aufstiegs ihre Einfachheit bewahrt hat. Don Ramiro liebt sie trotzdem, auch als Aschenputtel.

Bleibt noch zu erwähnen, dass auch der Chor und das Orchester unter der Leitung von Yves Abel den Kampf gegen die Akustik mit Bravour bestanden und den Abend zu einer regelrechten Belcanto-Perle abrundeten.


FAZIT

Anhänger klassischer Inszenierungen dürften bei dieser Aufführung voll auf ihre Kosten kommen und auch die Verfechter des Regietheaters müssten wahrscheinlich zugeben, dass sie sich dem Charme einer solchen Präsentation kaum entziehen könnten.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yves Abel

Inszenierung
Luca Ronconi

Co-Regie
Ugo Tessitore

Bühnenbild
Margherita Palli

Kostüme
Carlo Diappi

Licht
Guido Levi

Choreinstudierung
Paolo Vero

Orchester und Chor des
Teatro Communale di Bologna


 

Solisten

Don Ramiro
Lawrence Brownlee

Dandini
Nicola Alaimo

Don Magnifico
Paolo Bordogna

Clorinda
Manon Strauss Evrard

Tisbe
Cristina Faus

Angelina-Cenerentola
Marianna Pizzolato

Alidoro
Alex Esposito






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