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Musikfestspiele
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Konzertherbst in Baden-Baden


Ein Rückblick auf Konzerte
des Lucerne – Festival – Orchestra unter Claudio Abbado,
der Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott,
des Orchesters des Mariinsky-Theaters St. Petersburg unter Valery Gergiev,
des Concertgebouworchesters Amsterdam unter Andris Nelsons
und eine Liedmatinee mit Christian Gerhaher und Gerold Huber


Festspielhaus Baden-Baden


Homepage

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
In der ersten Reihe der Konzerthäuser

Von Christoph Wurzel und Gerhard Menzel / Foto: Matthias Schweigert

Man wolle mit den Programmen des Festspielhauses Weltspitzen-Niveau erreichen, hatte Intendant Andreas Mölich-Zebhauser anlässlich des 10-Jahres-Jubliäums versprochen. Mittlerweile ist dieses Versprechen eingelöst. In Baden-Baden geben sich die musikalischen Weltstars buchstäblich die Klinke in die Hand und die Konzerte halten ein künstlerisches Niveau, das kaum zu überbieten ist. So fällt auch die Bilanz des Konzertherbstes 2011 in Baden-Baden zum Besten aus.

Bereits der Start in die Konzertsaison bot ein Konzert der Sonderklasse. Das von Claudio Abbado eigens für das Lucerne Festival gegründete Lucerne Festival Orchestra geht nur selten auf Tournee. Baden-Baden war es gelungen, dieses außergewöhnliche Orchester, das sich aus exzellenten Musikerinnen und Musikern anderer Spitzenorchester sowie namhaften Instrumentalsolisten zusammensetzt, für ein Gastspiel zu gewinnen. Wiederholt wurde ein Konzert vom Lucerne Festival 2011 mit Mozarts Haffner-Sinfonie und der Sinfonie Nr. 5 von Anton Bruckner. Claudio Abbado dirigierte. Bei Mozart gelang bereits in den ersten Takten, was schwer zu machen ist: der Musik eine Leichtigkeit zu geben, ohne sie beiläufig erscheinen zu lassen. Und wie perfekt die Orchesterstimmen aufeinander abgestimmt waren, wie durchsichtig die filigrane Instrumentierung hörbar wurde – ein Ganzes entstand wunderbar aus sich verwebenden Teilen. Das Andante wurde ein Musterbeispiel für Lieblichkeit ohne Süßlichkeit. Die Interpretation von Bruckners Fünfter Sinfonie kam in ihrer emotionalen Intensität und ihrer klanglichen Schönheit der Vollkommenheit sehr nahe. Abbado gelang eine perfekte Synthese aus tiefster kontemplativer Ruhe (vor allem am mystischen Beginn)  und der Entfaltung der inneren Dramatik (im Scherzo mit höchst konzentrierter rhythmischer Präzision). Und doch wurde es keine von Pathos getränkte Feierstunde, sondern ein Erlebnis reinsten Klangs, vermittelt durch die Weisheit und das Feingefühl des 78jährigen Dirigenten.

Bild zum Vergrößern

Claudio Abbado in Baden-Baden mit dem Lucerne Festival Orchestra in Mozart-Besetzung

In den vergangenen Jahren haben sich Jonathan Nott und die Bamberger Symphoniker gemeinsam als führende Interpreten der Sinfonien von Gustav Mahler profiliert. Mit ihren Einspielungen haben sie zahlreiche Preise eingeheimst. In Baden-Baden waren sie erst zu Pfingsten mit Mahlers Achter (unser Bericht)  zu hören gewesen. Nun gastierten Orchester und Chefdirigent mit Mahlers Vierter Sinfonie im Festspielhaus, gekoppelt mit  Schuberts Unvollendeter als erstem Programmpunkt. Diese Paarung erwies sich als nahezu geschwisterlich. Mahlers ironisch nostalgischer Ton schien in Schuberts inniger Melancholie eine ältere Schwester gefunden zu haben: Ergänzung, Kontrast und zugleich Wesensverwandtschaft. Das Orchester spielte auf höchstem technischen Niveau, modellierte allerfeinste klangliche Schattierungen und ließ die musikalische Seele beredt sprechen. Ein sparsames Vibrato sorgte besonders bei Schubert für einen schlanken, klaren Ton. Mahlers subtile Klangkoloristik wurde mit feinstem Gespür entfaltet. Nott stellte die Untergründigkeit in Mahlers Ton ohne grelle Effekte sensibel und zugleich deutlich heraus, in Feinzeichnung, nicht al fresco. Die jugendliche Stimme von Christine Landshamer gestaltete das „Eng’lische Leben“ im letzten Satz in passender Weise. Das Konzert war ein schöner Beweis für die mittlerweile errungene Spitzenposition dieses Orchesters.

Mit dem Label „Weltbestes Orchester“ versehen kam das Concertgebouworchester aus Amsterdam nach Baden-Baden. Auch dem Dirigenten Andris Nelson eilte ein famoser Ruf voraus. Man durfte also zu Recht gespannt sein. Beides wurde mit dem Konzert vollauf bestätigt. Mit Tschaikowskys Romeo und Julia – Ouvertüre als Eröffnungsstück legten Dirigent und Orchester schon die Spur zum fulminanten Finale mit Strawinskys Petruschka-Ballett. Klanglich höchst konzentriert  war schon der Einstieg mit den verhalten dunkel grundierten Klangfarben der choralartigen Einleitung. Plastisch ausgearbeitet kamen dann die Themen, bis sich das musikalische Geschehen immer weiter dramatisch anspannte und bis zum tragischen Schluss aufs Höchste steigerte. Eine ganze Oper war hier zu einer Ouvertüre verdichtet. Zu derart spannender Handlungsmusik machte das Orchester auch die burlesken Szenen eines russischen Jahrmarkts, die Strawinsky für die Diaghilev-Ballett-Truppe 1911 komponiert hatte. Auch ohne Tanz entfaltet die Musik zu Petruschka  allein schon enorme Imaginationskraft, aber die Interpretation durch das Concertgebouworchester steigerte sie noch einmal zu einem phantastischen Bilderbogen vor dem geistigen Auge des Zuhörers. Doch nicht allein die illustrative Realistik, sondern auch die stupenden spieltechnischen Raffinessen dieser Musik meisterten das Orchester brillant. Und Andris Nelsons schien mühelos dieses Geschehen anzutreiben und sich im Gegenzug davon mitziehen zu lassen. Zum Staunen war solche Präsenz am Pult, die aus dem  Orchester höchste Virtuosität herauszauberte. Dieses wirklich atemberaubende Programm wurde noch ergänzt durch eine aufregende Darbietung von Camille Saint-Saens 5. Klavierkonzert , das wegen seines orientalischen Kolorits vor allem im 2. Satz das Ägyptische genannt wird. Jean-Yves Thibaudet spielte den Klavierpart mit viel Eleganz und feinnervigem Anschlag. Auch hier bewies das Orchester große Sensibilität im Gestalten der Klangfarben. So rundete sich ein Programm, das besser für dieses exzellente Orchester nicht hätte passen können.

Alljährlich zu Gast in Baden-Baden ist mindestens einmal das Mariinsky-Theater aus St. Petersburg. Mit Valery Gergiev verbinden Intendant und das ganze Haus eine künstlerisch wie auch privat als intensiv bezeichnete Freundschaft. 2011 bestritten die russischen Künstler das Programm der Herbstfestspiele und brachten erneut Musik von Peter Tschaikowsky an die Oos. Authentischer lässt sich Musik kaum darbieten. Das Paket war übervoll gepackt: In drei Konzerten waren alle sechs Sinfonien zu hören, gekoppelt mit je einem Solokonzert, die jeweils von jungen Künstlern, allesamt Preisträger des  14. Internationalen Tschaikowsky--Wettbewerbs, bestritten wurden. Gergiev präsentierte also bewusst den Nachwuchs dem westeuropäischen Publikum, Musiker, von denen man auch hierzulande wohl noch mehr hören wird. Mit dem 1. Klavierkonzert nutzte der 1991 in Nischni Nowgorod geborene Daniil Trifonov (1. Preis) seine Gelegenheit und wurde zu Recht vom begeisterten Publikum mit ausgiebigem Applaus bedacht. Seine stupende technische Perfektion und seine Ausdrucksskala auch an Zwischentönen klangen schon sehr differenziert ausgebildet und gefestigt. Generell präsentierte er sich authentisch und seine Interpretation wie aus einem Guss. Am 2. Abend spielte der 1988 in Eriwan/Armenien geborene Narek Hakhnazaryan (1. Preis im Fach Cello) die Rokoko-Variationen mit jugendlichem Elan, viel melodischem Charme und hoher Virtuosität. Der Geiger Sergey Dogadin (2. Preis bei nicht vergebenem 1. Preis), der sich am dritten Abend den Herausforderungen des Violinkonzerts stellte, zeigte sich technisch auf hohem Niveau, musikalisch dagegen noch recht konventionell und mit noch geringem persönlichen Profil.
Den Reigen der Sinfonien eröffneten am ersten Abend die 1. Sinfonie Winterträume und die 6. Sinfonie, womit zugleich ein Bogen im sinfonischen Schaffen Tschaikowskys geschlagen wurde. Valery Gergiev und das Orchester des St. Petersburger Mariinsky-Theaters schienen zu dieser Sinfonie eine nicht so eine intensive Beziehung zu haben (so klangen u.a. die Hörner in einigen Passagen eher dezent und nicht so hymnisch dominant wie komponiert)  wie die den Abend beschließende Pathétique. Für sie gehören dieses Werk eindeutig zu den Leib- und Magen- Kompositionen. Mit großen Ruhepunkten und intensiver Spannung gestalteten Valery Gergiev und das Orchester diese emotional und trotzdem bewusst ausgewogene Interpretation, die packte und bewegte. An den beiden anderen Abenden standen sich die zweite sog. Kleinrussische und die 4. Sinfonie sowie die dritte sog. Polnische  und die 5. Sinfonie gegenüber. An diesen Abenden öffnete Gergievs zupackender Zugang die leidenschaftliche Melodik und die emotionale Expressivität in Tschaikowskys Musik sehr deutlich. Nach dem dritten Konzert riss das Orchester (ohne Dirigenten!) mit einer  zündend präsentierten Polonaise aus dem 3. Akt von Eugen Onegin das Publikum zu den verdienten Begeisterungsstürmen hin.

Zu den ganz großen Erlebnissen dieses Konzertherbstes in Baden-Baden gehörte auch die Liedmatinee mit Christian Gerhaher, der einen großen Teil der Lieder von Gustav Mahler bot. Mit Gerold Huber als Begleiter am Klavier gelangen ergreifend intime Interpretationen der Gesellenlieder, einer Auswahl von Wunderhornliedern und der Rückert-Lieder. In seinen Liedern wurzelt Mahlers musikalische Welt und Gerhaher und Schneider erfassten sie in Gesang und Spiel: das Leid (Das irdische Leben), die Hoffnung (Um Mitternacht), den Traum (Die zwei blauen Augen), die Schönheit (Ich atmet’ einen linden Duft), Ironie und Spott (Um schlimme Kinder artig zu machen) und nicht zuletzt die Liebe (Liebst du um Schönheit). Eine großartige Stunde  musikalischer Interpretationskunst und ein wunderbares Beispiel für die Harmonie zweier kongenialer musikalischer Partner. Gerhahers enorm wandelbare Stimme ergänzte Gerold Huber durch sein höchst differenziertes Spiel als Begleiter am Flügel.

FAZIT

Ob „Festspiele“ oder nur „normales Programm“: Das Festspielhaus in Baden-Baden spielt in der ersten Liga der Konzerthäuser und dies auf den ersten Plätzen.

Die Programme


6. Oktober 2011
Lucerne Festival Orchestra
Claudio Abbado, Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart: „Haffner“ – Sinfonie KV 385 D-Dur
Anton Bruckner:
Sinfonie Nr. 5 B-Dur




22. Oktober 2011
Bamberger Symphoniker Jonathan Nott, Dirigent
Christina Landshamer, Sopran
Franz Schubert: Sinfonie h-Moll „Unvollendete“
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 G-Dur





28.Oktober – 1. November 2011
Herbstfestspiele
Orchester des Mariinsky – Theaters St. Petersburg
Valery Gergiev, Dirigent
Daniil Trifonov, Klavier
Narek Hakhnararyan, Violoncello
Sergej Dogadin, Violine

Peter Iljitsch Tschaikowsky:
Sinfonien 1 – 6
Klavierkonzert Nr. 1
Rokoko-Variationen
Violinkonzert




19. November 2011
Concertgebouworchester Amsterdam
Andris Nelsons, Dirigent
Jean-Yves Thibaudet, Klavier
Peter Iljitsch Tschaikowsky: „Romeo und Julia“ Fantasieouvertüre
Camille Saint-Saens: Klavierkonzert Nr. 5
Igor Strawinsky: Petruschka





27. November 2011
Christian Gerhaher, Bariton
Gerold Huber, Klavier
Lieder von Gustav Mahler











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