Raubtier Salome
Von
Christoph
Wurzel
/ Foto von Andrea Kremper
Welch
lange Reihe großer Namen von Sängerinnen der Titelpartie prägt doch die
Aufführungsgeschichte dieser Oper! Angefangen von Marie Wittich, die in
der Uraufführung zwar nur sang und sich beim Schleiertanz doubeln ließ,
dennoch aber am triumphalen Erfolg der Oper sicher nicht unschuldig
war, enthält die Liste legendäre Sopranistinnen wie Emmy Destinn, Ljuba
Welitsch, Birgit Nilsson, Leonie Rysanek oder Hildegard Behrens. Seit
ihrem erfolgreichen Rollendebut in München vor 5 Jahren (unsere Rezension) ist Angela
Denoke gegenwärtig wohl die gefragteste Darstellerin dieser
mörderischen Partie, die sängerische Kondition bis zum Schluss
verlangt, wo nach mehr als 1 ½ Stunden Bühnenpräsenz samt Tanz und
Ansingen gegen meist üppigen Orchesterklang noch lyrische Töne der
Verzückung ( „Ich habe deinen Mund geküsst“) gefragt sind. Doch
die Denoke bewältigt dies in schier unglaublicher Perfektion. Sie
verfügt genau über die für diese Rolle nötige Wandlungsfähigkeit,
welche alle Spielarten der Berechnung vereint: Naivität, Trotz,
sirenenhaftes Locken, extrovertiertes Verlangen und unerbittliches
Fordern bis hin zur erlösenden Entspannung, wenn sie endlich mit der
Präsentation von Jochanaans Kopf auf der silbernen Schale ans Ziel
ihrer Wünsche gelangt ist. Denoke singt diese Facetten eines
neurotischen Rollen-Charakters eindrucksvoll stimmig und technisch
souverän, wie sie die Stimme der Situation anpasst und alle Sprünge und
harmonischen Brüche der Musik expressiv aussingt.
Am Ziel: Salome (Angela Denoke) mit dem Kopf
des Jochanaan (Pappmasché)
Enorm ist die Bühnenpräsenz von
Angela Denoke. Sie spielt das grenzenlose, dekadente Verlangen dieser
Figur wie ein angespanntes Raubtier, das seine Beute umschleicht,
einkreist und dann in der Erwartung des Sieges einen haltlosen Tanz
vollführt, um ganz am Schluss ihren Sieg zu genießen. In diesem Bogen
zwischen nervöser Ziellosigkeit, zügellosem Verlangen und
narzisstischem Triumph hält Angela Denoke die Spannung über den Abend
intensiv aufrecht. So führt der Schleiertanz denn auch in dieser
Inszenierung weniger eine erotisch affizierte Klimax vor, sondern das
fast schon selbstvergessene Ritual einer Jägerin, die sich ihrer Beute
schon gewiss ist. Erotisch ist dieser Tanz wohl eher in den Augen des
ältlichen Herodes, der seine Stieftochter lüstern begehrt. Dieser in
jeder Inszenierung mit Spannung erwartete Schleiertanz mag zur
Enttäuschung vieler hier in Nikolaus Lehnhoffs Regie und der
Choreografie von Denni Sayers unspektakulär erschienen sein, in der
Logik dieses Regieansatzes jedoch ist er stimmig.
Berechnende
Anschmiegsamkeit: Angela Denoke (Salome) und Kim Begley (Herodes)
Nikolaus Lehnhoff lässt die
Handlung in einem schon demonstrativ hässlichen, kalten Ambiente
spielen. Man sieht beschädigte Betonwände mit Treppen und Absätzen,
unter denen sich Müll angesammelt hat. In einer oberen Nische steht ein
Sportwagen als Symbol des Luxus, wie auch die Kostüme des Hofstaats
geschmacklose Luxussucht verraten. Es ist also eine heruntergekommene
Gesellschaft, die diese Zügellosigkeit der Handlung hervorbringt. So
ganz neu ist freilich dieser Gedanke nicht, zu dem Lehnhoff noch durch
die Gestalt von Jochanaans Henker, einen muskulösen Lustknaben im
Ledertanga aus unverkennbar homoerotischem Milieu, einen durchaus
entbehrlichen Fingerzeig hinzufügt.
Jedenfalls sind die Figuren prägnant gezeichnet. Jochanaan erscheint
als weltfremder Guru mit teilrasiertem Schädel. Alan Held singt ihn mit
dröhnender Stimme aus dem Verließ und im Prophetenton
entsprechend pathetisch. Kim Begley ist ein nervös getriebener Herodes,
gehetzt in seiner Fixierung auf Salomes Gunst. Nicht immer bleibt er
über dem Orchester hörbar. Doris Soffel zeigt Herodias als hysterische
Hexe, verzerrt im Spiel wie im Singen. Reine Karikatur ist das
Judenquintett in seiner albernen Hektik ebenso wie die Nazarener, deren
Erscheinungsbild von kitschig-katholischen Heiligenbildchen abgeschaut
ist.
Kaputte Gesellschaft, kaputte Welt: Doris
Soffel (stehend) als Herodias
Stefan
Soltesz lässt im Orchester alle Farben der Partitur aufs Reinste
erstrahlen: wunderbar der Schleiertanz! Das sind die schönsten Momente
der Aufführung. Die andere Seite ist eine bisweilen die Schmerzgrenze
erreichende Klangexplosion in rein orchestralen Passagen. Doch dann,
wenn gesungen wird, lässt Soltesz die Sänger durchkommen, so dass sogar
der Text gut verständlich ist.
FAZIT
Alles in allem zeigt die Szene professionelle Routine, doch nur wenig
Inspiration. Das Orchester bringt die Partitur zum Leuchten. Die
Besetzung ist prächtig, Angela Denokes Salome exorbitant.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Stefan Soltesz
Inszenierung
Nikolaus Lehnhoff
Bühnenbild
Hans-Martin Scholder
Kostüme
Bettina Walter
Licht
Duana Schuler
Tanz-Choreografie
Denni Sayers
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Solisten
Salome
Angela Denoke
Herodes
Kim Begley
Herodias
Doris Soffel
Jochanaan
Alan Held
Narraboth
Marcel Reijans
Page der Herodias
Jurgita Adamonytè
Fünf Juden
Jeffrey Francio
Benjamin Hulett
Timothy Robinson
Pascal Pittie
Reinhard Dorn
Zwei Nazarener
Steven Humes
Roman Grübner
Zwei Soldaten
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Artur Grywatzik
Ein Cappadocier
Roman Grübner
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