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Göttliche Plagen als TerrorakteVon Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)
Als Aufführungsort hat man die Adriatic Arena gewählt, eine Mehrzweckhalle, deren bühnentechnische Möglichkeiten die des Teatro Rossini an Bühnengröße und Bespielbarkeit des Zuschauerraums übertreffen. So laufen bereits während der Introduktion verletzte Männer und Frauen auf der Suche nach ihren Angehörigen durch das Publikum und halten den Zuschauern Fotos der vermissten Personen hin. Auch Faraone stürmt am Ende der Oper mit dem Oberpriester Mambre und seinen Soldaten unter lautem Getöse durch die Halle auf die Bühne, um die ausziehenden Hebräer aufzuhalten. Musikalisch besonders ergreifend wird der Zuschauerraum genutzt, wenn die Herren des Chors auf der rechten Seite und die Damen auf der linken Seite in dem Jubelchor "Voci di giubilo" das Ende der totalen Finsternis besingen. Faraone (Alex Esposito) ist nicht bereit, die Hebräer ziehen zu lassen. Szenisch ist die Frage, wie man die alttestamentarische Geschichte um die Plagen, die Gott über die Ägypter kommen lässt, da diese nicht gewillt sind, die Hebräer ziehen zu lassen, in der heutigen Zeit überhaupt umsetzen soll. Das Regieteam um Graham Vick wählt den wahrscheinlich einzig gangbaren Weg, die Geschichte in die heutige Zeit zu übertragen und die Auseinandersetzung zwischen Ägyptern und Hebräern als Konflikt religiöser Fanatiker darzustellen. Dabei gelangen die Hebräer nicht in die eigentliche Opferrolle, sondern verursachen die von Gott verhängten Strafen als Sprachrohr des Allmächtigen selbst. So verfügen Mosè und Aronne unterhalb des Palastes über eine Schaltzentrale, in der Krieger zu Selbstmordattentätern ausgebildet werden, und allzu oft setzt sich Mosè mit seinen Predigten vor einer Kamera in Szene, um so Botschaften an seine Anhänger zu schicken. Dabei verwundert es nicht, dass er optisch ein wenig an Osama bin Laden erinnert. Doch die Ägypter sind keineswegs positiver gezeichnet. Mit offener Gewalt verbreiten schwarz gekleidete Soldaten mit Maschinenpistolen Angst und Schrecken, nehmen mutmaßliche Terroristen gefangen und foltern sie, so dass man vor dem durchaus aktuellen Problem steht, in diesem Konflikt überhaupt einen Hauptschuldigen auszumachen. Mosè (Riccardo Zanellato) beschwört sein Volk (schräg links hinter ihm: Elcia (Sonia Ganassi) mit Chor und Statisterie). Das Bühnenbild von Stuart Nunn ist dabei sehr aufwändig und detailverliebt gestaltet. Über zwei Ebenen erstrecken sich im Zentrum der Bühne die Reste eines prunkvollen Palastes, der mit rotem Teppich über dem Marmorboden an einem vergoldeten Geländer nach oben führt. Doch dieser Prunk trügt, zeigen doch die abgebrochene Treppe in der zweiten Etage und ein angebautes Gerüst auf der linken Bühnenseite, dass dieser Palast wohl Opfer eines Anschlags geworden ist und nun mehr schlecht als recht geschützt werden muss. Deshalb ist er von einer riesigen grauen Mauer mit Stacheldraht umgeben, womit angedeutet werden soll, dass es für die Hebräer aus diesem Gebiet kein Entrinnen gibt. Unter dem Palast, also im Untergrund, arbeiten die Hebräer an ihrer Befreiung, während auf der rechten Bühnenseite in zwei Ebenen ein leicht zerstörtes Gebäude angedeutet wird, in dem zum einen die hebräischen Frauen religiöse Rituale vollziehen, zum anderen Mosè seine Botschaften an sein Volk sendet. Auf der linken Bühnenseite wird in mehreren Ebenen ein ebenfalls zerstörtes Gebäude der Ägypter gezeigt. Rechts und links im Zuschauerraum prangt jeweils ein gewaltiges Portrait Faraones mit seiner Gattin Amaltea, das den Eindruck der ungebrochenen Macht der Ägypter vermitteln soll. Eine Liebe ohne Zukunft: Osiride (Dmitry Korchak) und Elcia (Sonia Ganassi). Für die einzelnen Plagen, die das ägyptische Volk heimsuchen, findet Graham Vick recht fantasievolle Deutungen. Bei der totalen Finsternis zu Beginn der Oper ist zunächst einmal die Lichtregie von Giuseppe di Iorio gefragt, der mit grellem kalten Licht im Zuschauerraum das Gefühl vermittelt, dass die Bühne eigentlich im Dunkeln liegt. Das zurückkehrende Tageslicht in Form eines gewaltigen Kronleuchters erscheinen zu lassen, der aus dem Bühnenboden auftaucht, ist Geschmackssache. Da gleichzeitig auch weitere Lampen auf der Bühne angehen, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Mosè und seine Anhänger zuvor nur die Stromleitungen gekappt hätten. Bewegend inszeniert ist jedenfalls, wie die suchenden Menschen die vermissten Personen zum Teil wiederfinden, was den großen Jubel am Ende der zweiten Szene motiviert. Den Feuerregen am Ende des ersten Aktes inszeniert Vick als Sprengstoffgürtel, die die Hebräer tragen und deren Bereitschaft zur Zündung durch eine grelle rote Lampe am Gürtel angezeigt wird. Auch an dieser Stelle reicht die bloße Bedrohung aus, Faraone zu dem Entschluss zu bringen, die Hebräer nun doch endlich ziehen zu lassen. Anders allerdings gestaltet sich die Tötung der männlichen Erstgeborenen. Während Osiride, der Sohn Faraones, auf dem Thron von dem herabstürzenden Kronleuchter erschlagen wird, werden für die Vernichtung der anderen Erstgeborenen wohl chemische Waffen eingesetzt, da einige Mütter versuchen, ihre Kinder mit Gasmasken vor dem Tod zu schützen. Die größte Herausforderung einer jeden Inszenierung bleibt natürliche die Teilung des Roten Meeres. Vick lässt dazu Teile der Mauer, die den Palast umgeben, herab, auf denen die Hebräer in einem großartig inszenierten Bild die Flucht antreten. Doch schon nahen die Ägypter durch den Zuschauerraum. Wie die Soldaten mit ihren Maschinenpistolen durch die Reihen stürmen, macht ihre Gewaltbereitschaft sehr deutlich. Was würde es da bringen, wenn sich die Mauer wieder schließt? Gar nichts, und deswegen öffnet sich ein weiterer Teil der Mauer und zeigt einen riesigen Panzer, von dem die Soldaten, Faraone und Mambre niedergestreckt werden. Zu den relativ friedlichen Klängen der Musik, nachdem sich das Meer über den Ägyptern geschlossen hat, schafft Vick noch ein besonders bewegendes, wenn auch desillusionierendes Bild. Ein kleiner Junge, der das Massaker überlebt hat, veranlasst einen Soldaten, aus dem Panzer zu steigen, um ihn zu retten. Doch während der Soldat in den Palast steigt, legt der Junge sich, wie er es gelernt hat, einen Sprengstoffgürtel um, verbirgt ihn unter seinem Gewand und geht langsam auf den Soldaten zu, der ihm freundlich ein Kaugummi anbietet. In diesem Moment verlöscht das Licht und lässt dem Publikum damit doch die Hoffnung, dass der Junge den Sprengstoff nicht zündet. Eindrucksvolles Schlussbild: Ein Soldat bietet einem ägyptischen Jungen die Rettung an (Statisterie).
Musikalisch bewegt sich die Inszenierung auf sehr hohem
Niveau. Die Stars des Abends sind Alex Esposito als Faraone, Sonia Ganassi als
Elcia und der Chor unter der Leitung von Lorenzo Fratini. Esposito reißt das
Publikum mit seinem profunden Bass, der eine hervorragend klare Diktion
aufweist, zu regelrechten Begeisterungsstürmen hin. Sonia Ganassi glänzt als
Hebräerin Elcia, die verbotener Weise mit dem Sohn Faraones liiert ist, mit sehr
warmem Mezzo, der auch in den Höhen noch über eine enorme Strahlkraft verfügt.
Der Chor hat in dieser Oper Gewaltiges zu leisten und präsentiert sich sehr
homogen mit enormem Volumen, so dass man sich diese Oper fast für eine
Freilichtaufführung in der Arena di Verona wünschen könnte. Dmitry Korchak
verfügt als Osiride über einen sehr kräftigen Tenor, der jedoch in den Höhen ein
wenig an Strahlkraft einbüßt und etwas wackelt. Yijie Shi hingegen vermag als
Mosès Bruder Aronne mit auch in den Höhen noch sehr geschmeidigem und nie
gequetschtem Tenor zu überzeugen. Riccardo Zanellato bewältigt die Titelpartie
ebenfalls mit sehr kräftigem Bass. Vor allem im Gebet des dritten Aktes
überzeugt er mit Shi, Ganassi und dem Chor. Olga Senderskaya stattet Amaltea mit
einem sehr weichen Sopran aus, der die Güte der Figur unterstreicht. Auch Chiara
Amarù als Aronnes Schwester Amenofi und Enea Scala als Oberpriester Mambre
überzeugen in den beiden kleineren Rollen mit sehr schönen Stimmen. Roberto
Abbado gelingt es, mit dem Orchester des Teatro Comunale di Bologna Rossinis
Musik zum Strahlen zu bringen und zu zeigen, dass der berühmte Pesarese auch
monumentale Musik komponieren konnte, die weit von der Leichtigkeit eines
Barbiere entfernt ist.
FAZIT
Musikalisch und szenisch großes Theater in der Adriatic Arena, was hoffen lässt,
dass es in den kommenden Jahren eine Wiederaufnahme dieser aufwändigen
Produktion geben wird.
Weitere Rezensionen zu dem Rossini
Opera Festival 2011 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungRoberto Abbado Regie Bühne und Kostüme Licht Chorleitung
Solisten
Faraone
Amaltea
Osiride
Elcia
Mambre
Mosè
Aronne Amenofi
|
- Fine -