Ritterfestspiele streng nach Faktenlage
Von Stefan Schmöe
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Fotos von den Salzburger Festspielen, © Silvia Lelli
Geisterstunde auf Schloss Salzburg: Beim Bankett erscheint Macbeth der Geist des gerade ermordeten Banko, nur ihm, dem durch Gewalttaten an die Herrschaft gekommenen König, sichtbar. Jedenfalls eigentlich nur ihm. In der Salzburger Felsenreitschule können ihn außerdem noch die Festspielgäste sehen, denn dieser Geist wird aus dem Unterboden hochgefahren und kehrt auf umgekehrtem Weg wieder in sein Geisterreich zurück. Macbeth inspiziert sorgfältig die Stelle, an der er aufgetaucht und entschwunden ist, und das macht stutzig: Auch ein Usurpator mit minderen intellektuellen Fähigkeiten sollte hier auf den Gedanken kommen, dass ein (ziemlich schlichter) Theatercoup vorliegt. Aber wenn das Textbuch eine Geistererscheinung verlangt, dann liefert Regisseur Peter Stein auch brav eine: Ich biete keine Interpretation an, sondern die Fakten, die im Libretto und vor allem in der Partitur stehen", lässt er sich im Programmheft zitieren.
Unheimliche Begegnung der Stein'schen Art: Macbeth und Geist
Die Aneinanderreihung von Fakten ist nicht nur in der beschriebenen Szene allerdings reichlich altbacken geraten. In geschmackvoll historisierenden Kostümen (Annamaria Heinrich) auf leerer, mit Filzmatten zu leicht welliger Hügellandschaft umgeformter Riesenbühne (Ferdinand Wögerbauer) erzählt Stein die Geschichte im Stil der Vorregietheaterzeitalters nach. Mit demütig niederknieenden Rittern und großformatigen Schwertkämpfen. Wenn dann auch noch der Gang zwischen Orchestergraben und der ersten Stuhlreihe als Aufmarschfläche genutzt wird, ist man mittendrin in den Ritterfestspielen Salzburg und im Mittelalterschmock. Man darf dem Regiealtmeister Stein unterstellen, demütig hinter das Werk zurücktreten zu wollen aber unter den durchaus ansehnlichen Kostümen verlieren sich leider auch die Verdi'schen Charaktere, werden zu Kostümträgern und Klischeebildern degradiert, da auch die Gestik arg opernkonventionell geraten ist.
Nach dem Königsmord: Macbeth und Gattin
Wirklich streng an die Fakten hält sich Stein dann doch nicht. Bei Verdi gibt es einen ganzen Hexenchor, in der Shakespeare'schen Vorlage sind es gerade einmal drei Hexen - und das findet Stein besser. Also wird dieses Verdi-Faktum umgedeutet, es bleibt bei drei Hexen (von Männern mit Frauenbrüsten gespielt, wobei die Faktenlage doch auf Frauen mit Bärten verweist!), und der Chor wird als Gestrüpp verkleidet und darf total hexenmäßig herumtollen jede Jahrmarktgeisterbahn ist da garantiert furchteinflößender. Ansonsten gibt es nicht viel zur Regie zu sagen. Macbeth' Vision der zukünftigen Könige wird mit Portrait-Projektionen britischer Monarchen bis in die Gegenwart bebildert, was Lacher im Publikum hervorruft. Und zum Schlussakkord geht nach dreidreiviertel Stunden im Dunklen (nun gut, Macbeth ist ein Nachtstück) zur Krönung Malcolms die Saalbeleuchtung an. Warum eigentlich? Ob mit Malcolms Regentschaft jetzt die aufklärerische Sonne über Verdi-Piave-Shakespeares mordlüsternem Schottland aufgeht, darf man bezweifeln.
Ganz schön gruselig: die Hexen
Der Interpretationsverzicht der Regie könnte ja der Musik Freiräume verschaffen. So recht genutzt werden die aber nicht. Die Wiener Philharmoniker sind ein exzellentes Orchester, aber auch nicht völlig frei von Schlendrian und brauchen im ersten Akt immer ein paar Takte, um das Tempo aufzunehmen. Riccardo Muti kann den Macbeth natürlich perfekt dirigieren, notfalls sicher auch rückwärts, er phrasiert stets elegant und wirkungsvoll, aber dadurch schleicht sich schnell auch eine etwas behäbige Routine ein. Die ersten beiden Akte legt er sehr konventionell an, viel Umtata, wie es typisch für den frühen Verdi ist, wenig von den unheimlichen Neuerungen, die in dieser Partitur stecken. Nach der zweiten Pause wird es vielschichtiger, aber die Rafinessen der Instrumentation präsentiert Muti wie Sahnehäubchen auf einer schmissigen Partitur. Das könnte schon noch um einiges schärfer, pointierter, auch hässlicher und letztendlich existenzieller klingen.
Blick zum Himmel: Macduff mit seinen ermordeten Kindern
Das färbt natürlich auf die Sänger ab. Zeljko Lukic legt die Titelpartie mit sonorem und kraftvollem Bariton eher auf Schönklang an, behält stimmlich durch und durch souverän immer die Kontrolle. Da er die Töne in der Regel weich ansetzt, hat er auch im Untergang noch eine gewisse Eleganz. Andererseits ist gegen eine tadellos gesungene Partie natürlich nichts einzuwenden (und die maßvolle Expressivität der Regie übertrifft er gesanglich allemal). Dass die Lady Macbeth nicht (nur) schön singen soll, hat schon Verdi gefordert. Auf puren Wohlklang ist auch Tatjana Serjan, deren Stimme in den hochdramatischen Ausbrüchen an Farbe verliert, nicht aus. Ihr fehlt mitunter die Kraft, bei den entscheidenden Tönen noch einmal zuzulegen auch weil der Stimme die (hier wünschenswerte) Schärfe fehlt. In den leisen Passagen gelingen ihr berückende, nuancierte Farben und auch das Abgründige der Rolle wird hörbar. Insgesamt legt sie die Partie aber recht konventionell, soll heißen: immer kontrolliert und manchmal fast ein bisschen altmodisch, an. (Die Lady dürfte ja ruhig einmal die Fassung verlieren. Tut sie aber nicht.)
Großes Festspiel-Theater: Beweinung von König Duncans Tod in mittelalterlichem Ambiente.
Dmitry Belosselskiy ist ein sehr solider, klangschöner Banko, ohne der Figur allzu viel individuelle Züge zu verleihen, Antonio Poli ein unauffälliger, nicht unangenehmer Malcolm. Giuseppe Filianotte gestaltet den Macduff eindrucksvoll mit kraftvollem, aber immer lyrisch geschmeidigem Tenor. Aufhorchen lässt der leuchtende Mezzo von Anna Malavasi in der kleinen Partie der Kammerfrau. Den Hexenchor hat Verdi als dritte Hauptpartie bezeichnet, und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor meistert diese wie auch alle anderen Chorpassagen mit Bravour. Die warmen, sehr homogenen Frauenstimmen können zu irisierenden Klängen verschmelzen, und mit den zupackenden Männerstimmen entsteht eine Klangwucht, die ihresgleichen sucht das sind musikalische Glanzpunkte.
FAZIT
Musikalisch keine schlechte, aber insgesamt doch eher routiniert als inspiriert gesungene und gespielte Aufführung. Die museal anmutende Regie von Peter Stein mag man als geschmackvolle Zurückhaltung werten, aber sie legt sich leider auch wie Mehltau über die Szenerie. Etwas mehr Interpretation hätte Verdis geniales Werk, Fakten hin oder her, dann doch verdient.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Riccardo Muti
Inszenierung
Peter Stein
Bühne
Ferdinand Wögerbauer
Kostüme
Annamaria Heinreich
Licht
Joachim Barth
Choreographie
Lia Tsolaki
Chöre
Thomas Lang
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Mitglieder der Angelika Prokopp Sommerakademie
der Wiener Philharmoniker,
Bühnenmusik
Wiener Philharmoniker
Solisten
Macbeth
Zeljko Lucic
Lady Macbeth
Tatiana Serjan
Banco
Dmitry Belosselsky
Macduff
Giuseppe Filianoti
Malcolm
Antonio Poli
Kammerfrau der Lady Macbeth
Anna Malavasi
Arzt
Gianluca Buratto
Diener Macbeths
Andrè Schuen
Ein Mörder
Liviu Gheorghe Burz
Ein Herold
Ion Tibrea
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