Frieden ist die schwere Lösung
Von Roberto Becker
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Foto von Pascal Victor / Artcomart
Mit Marc-Antoine Charpentiers (1643-1704) Tragédie en musique zur biblischen Freundschaft von David und Jonathan aus dem Jahre 1688 setzt das Musikfestival in Aix-en-Provence einen deutlich französischen Akzent. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie schwer es ist, Frieden zu halten. Und wie schwer es der Mann auf dem Thron hat. Am Ende wird David zwar Sauls Nachfolger und der neue König. Aber sein Freund Jonathan, Sauls Sohn, ist tot.
In Andreas Homokis Inszenierung flieht der neue König sogar vor dem Thron, den ihm Saul im Sterben vererbt. Das Volk teilt sich (wieder) bedrohlich in zwei einander gegenüberstehende Gruppen. Doch die Mitte, die die Kraft haben müsste, alles zusammenzuhalten, die bleibt leer. So wie es hier erzählt wird, ist die Lebensfreundschaft der Titelhelden, die möglicherweise sogar noch etwas mehr war, kombiniert mit den Kämpfen um die Vorherrschaft in König Sauls Reich.
Jonathan und David spielen " Blinde Kuh"
David ist dabei der auf Ausgleich und Versöhnung bedachte, seine Beziehung zu Sauls leiblichem Sohn nur die ins Persönliche gespiegelte Seite seines Charakters. Saul hingegen ist, ebenso wie Joabel auf der anderen Seite, im Vorurteil der Scharfmacher befangen, die sich selbst nur durch die Gegnerschaft zu den anderen" begreifen und definieren. Homoki macht daraus zwar keine direkt in unsere Gegenwart verlegte Parabel über den schweren Stand der Vernunft in den Zeiten von Hass und Gewalt, er holt aber den Stoff unmissverständlich und weit genug an uns heran, um alle Bürgerkriegsassoziationen aufzurufen, die in unseren Köpfen bereitstehen.
Es ist ein Nachteil des üblich gewordenen Koproduzierens in Aix-en-Provence, dass immer häufiger die Fassade des erzbischhöflichen Palastes im Théâtre de l'Archevêché ignoriert wird. Das ist zwar aus rein praktischen Gründen verständlich, aber schade ist es dennoch.
David trauert um seinen ermordeten Freund Jonathan
Auch Bühnenbildner Paul Zoller hat diesen Hintergrund völlig verschwinden lassen. Immer wieder öffnen sich in der vorgebauten schwarzen Holzwand mit hellem Holz ausgeschlagene Räume. Der zentrale optische Clou der Inszenierung besteht darin, dass sich diese Räume verwandeln und so der gerade vorherrschenden Stimmung anpassen können. Wenn die Angst vor dem Krieg oder die Sorge um die anderen vorherrscht, dann schieben sich die Wände so eng zusammen, dass man meint, sie würden alle zerquetschen. Als Saul die Sorge um seine Zukunft überwältigt, wird auch der Raum um ihn herum knapp. Wenn er von einer Wahrsagung heimgesucht wird, dann liegt hinter jeder Tür, die er öffnet, um einen Raum mit den Erscheinungen seiner verstorbenen Frau zu verlassen, der nächste, in dem er wieder ihrem Abbild begegnet. Und wenn die Momente dominieren, in denen Davids Einsatz für Frieden und Eintracht die Oberhand gewinnt und die Scharfmacher auf beiden Seiten schweigen, dann weitet sich dieser Raum über die ganze Bühnenbreite und bietet genügend Platz für eine große Tafel für das ausgelassen und gemeinsam feiernde Volk.
Das Volk in einer beklemmenden Lage
Zusammen mit den Kostümen von Gideon Davey, die von der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts inspiriert sind und die Menschen in zwei verschiedene ethnisch religiöse Gruppen teilen, mag das alles etwas didaktisch sein und überdeutlich aufs Exemplarische zielen. Doch es funktioniert bei einer Geschichte, die man sich heutzutage nur schwerlich als Bibelillustration oder wie zu Zeiten des Sonnenkönigs Louis XIV. vorzustellen mag. Der Verdaulichkeit des Stückes bekommt der dramaturgische Eingriff Homokis, der den Prolog mit der prophezeienden Hexe Pythonisse (mit komödiantischem Witz: Dominique Visse) und die Geisterscheinung Samuels als Vision Sauls ins Zentrum der Oper verlegt.
König Sauls Visionen die Wiedergängerinnen seiner Frau
Für die musikalische Belebung dieser Ausgrabung aus dem Jahre 1688 sind William Christie und seine Les Arts Florissants genau die richtigen Spezialisten. Christie erweckt mit dosierter Opulenz und souveräner, sinnlicher Selbstverständlichkeit diese Musik zum Leben, die noch ohne die Effekte und theaterwirksamen Pendelschläge auskommen muss, mit denen Rameau oder Händel ihr Publikum entzückten, die aber besonders in einer lauen südfranzösischen Sommernacht erheblichen Charme zu entfalten vermag. Aus dem Ensemble ragt der junge Tenor Pascal Charbonneau als David heraus, an seiner Seite vermag sich aber auch Ana Quintans als Partner(in) Jonathas eindrucksvoll zu profilieren. Neal Davies stellt sich der Aufgabe einen vernagelt unsympathischen Saul glaubwürdig zu verkörpern, der in dem stets aufs Dreinschlagen versessenen Joabel von Kreimir picer seine fanatische Entsprechung findet.
FAZIT
Mit David et Jonathas kann der aktuelle Festivaljahrgang in Aix-en-Provence einen musikalisch edlen und szenisch interessanten französischen Akzent vorweisen.
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