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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
17.05.2012 - 28.05.2012

Esther

Oratorium in drei Akten
Fassung von 1732 (HWV 50b)
Musik von Georg Friedrich Händel

in englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

Aufführung in der Stadthalle Göttingen am 17. Mai 2012

 

 

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Die Entstehung einer neuen Gattung

Von Thomas Molke / Fotos folgen

Auch wenn Georg Friedrich Händels Opern nicht nur aufgrund der zahlreichen Festspiele auf den Theaterbühnen heutzutage nahezu omnipräsent sind, ist es doch wohl vor allem seinen englischen Oratorien zu verdanken, dass er nicht wie zahlreiche andere Komponisten seiner Zeit dem Vergessen anheim gefallen ist. Mit dieser von ihm gegründeten Gattung, in der er englische, italienische und deutsche Traditionen zu einem neuen Ganzen verknüpfte, schrieb er musikalische Weltgeschichte und schuf letztendlich die Voraussetzung dafür, dass ab 1920 auch seinem Opernschaffen wieder vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dabei war die Entwicklung des Oratoriums als Gattung von Händel keineswegs beabsichtigt. Sein erstes Oratorium Esther schuf er nämlich in der Tradition der alten englischen Masque für eine private Aufführung auf dem Landsitz des vermögenden Duke of Chandos, James Brydges, in dessen Diensten er seit 1717 stand, nachdem sein erstes Opernunternehmen finanziell gescheitert war. Als der König ihn allerdings bald darauf zum musikalischen Direktor der neu gegründeten Royal Academy of Music ernannte, kehrte er wieder zur Komposition von Opern zurück und vergaß sein erstes Oratorium, bis eine Londoner Vereinigung von Liebhabern Alter Musik, die Academy of Ancient Music, anlässlich Händels 47. Geburtstag eine Aufführung der Esther im Konzerthaus der Academy organisierte und aufgrund des großen Erfolges die Londoner Presse eine öffentliche Aufführung ankündigte. Da Händel nicht zusehen wollte, wie sein Werk ohne eigene finanzielle Beteiligung weiter ausgebeutet wurde, beschloss er, eine eigene Aufführung in einer revidierten Form zu organisieren, die um zahlreiche Arien und Chorszenen auf drei Akte erweitert wurde. So hatte Händel mehr oder weniger unfreiwillig eine neue Gattung geschaffen, die die Jahrhunderte ohne Unterbrechung überdauern sollte.

Grundlage für Händels erstes Oratorium ist neben der biblischen Geschichte im Alten Testament auch Jean Racines Tragödie Esther von 1689. Der Perserkönig Ahasverus (Xerxes I.) hat, nachdem er seine bisherige Gemahlin Vasti verstoßen hat, die Jüdin Esther zur Königin gemacht. Sein höchster Beamter Haman, ist den Juden jedoch feindlich gesinnt. Daher beschuldigt er die Juden einer Rebellion und bewirkt bei Ahasverus einen Beschluss, dass die Juden getötet werden sollen. Mordecai überbringt Esther diese traurige Nachricht und bittet sie, den König um Gnade zu bitten und Hamans Intrige aufzudecken. Esther willigt ein, wohl wissend, dass jeder, der ohne Erlaubnis vor den König tritt, zum Tode verurteilt wird. Ahasverus ist zunächst über Esthers Erscheinen empört. Als sie jedoch in Ohnmacht fällt, sind seine Besorgnis und Liebe so groß, dass er ihr einen Wunsch gewährt. Esther erinnert ihn daran, dass Mordecai ihm einst das Leben gerettet habe, und entlarvt Hamans Plan zur Auslöschung der Juden als eine Intrige. Ahasverus hebt den Beschluss zur Vernichtung der Juden auf und verurteilt Haman zum Tode. Das Volk Israel jubelt über die Rettung und preist Jehovas Güte.

Der neue künstlerische Leiter Laurence Cummings gibt an diesem Eröffnungsabend nicht nur seinen Einstand als Dirigent des FestpielOrchesters Göttingen, sondern begleitet die Aufführung auch noch selbst am Cembalo. Mit großem körperlichen Einsatz führt er das Orchester und den Chor durch die vielschichtige Partitur, die zwischen hehren Dur-Jubelchören und expressiven Moll-Klagen changiert und einzelne Arien mit instrumentalen Spezialeffekten, z. B. dem Nachahmen der Harfe durch Violin-Pizzicati, ausstattet. So erntet Cummings nicht nur beim Publikum tosenden Applaus, sondern wird auch von den Musikern am Ende des Abends mit großer Begeisterung gefeiert. Dieser Abend lässt optimistisch auf die kommenden Festspiele unter dieser neuen künstlerischen Leitung blicken. Im Gespräch ist eine Zusammenarbeit bis mindestens 2020.

Das 2006 gegründete FestspielOrchester Göttingen, in dem jedes Jahr Spezialisten für historische Aufführungspraxis aus namhaften Ensembles zusammenfinden, wird erneut seinem Ruf gerecht, Händels barocken Klang kongenial in seinem großen Farbenreichtum mal erhaben-machtvoll, dann wieder lyrisch oder klagend herauszuarbeiten. Auch der NDR Chor unter der Leitung von Robert Blank präsentiert sich vielseitig. So klingt der Jubel im ersten Akt "My heart is inditing of a good matter", wenn die Freude über Esthers Hochzeit mit Ahasverus ausgedrückt wird, fröhlich und leicht, schlägt aber schnell in einen traurigen Klagegesang um, wenn der Chor mit "Ye sons of Israel mourn", den bevorstehenden Untergang fürchtet. Großartig gelingt auch das Gebet im zweiten Akt "Save us, O Lord", bevor Esther vor Ahasverus um Gnade für das israelische Volk bitten will. Der Schluss des zweiten Aktes, wenn die Aussichten auf Rettung schon wieder gestiegen sind, erinnert musikalisch am Anfang bei "God is our hope" an das berühmte "Ave Maria", bevor dann der Jubel "God save the king", Anklänge an die wenig später komponierte britische Nationalhymne erkennen lässt.

Auch die Solisten lassen an diesem Abend keine Wünsche offen. Sophie Junker stattet die Israelite Woman mit glockenklarem Sopran aus. Einen Höhepunkt stellt ihre Interpretation der Arie "Tune your harps to cheerful strains" dar, in der sie zur Harfe und Violin-Pizzicati Jehovas Größe preist und ihrer Hoffnung Ausdruck verleiht, dass das israelische Volk nicht länger leiden wird. Großartig gelingt ihr auch das Duett "Blessings, descend on downy wings", in dem sie mit Daniel Taylor als Mordecai auf Rettung durch Esther vertraut. Taylor verfügt über einen sehr weichen Countertenor, der vor allem in der gefühlvollen Arie "Dread not, righteous queen, the danger", punkten kann, wenn er Esther Mut zuspricht, Ahasverus zur Rettung der Juden aufzusuchen. Njål Sparbo stattet den Bösewicht Haman mit kräftigem Bass aus, der dem Hass des persischen Beamten auf die Israeliten in seiner Arie "Pluck root and branch from out the land", in der er die Vernichtung der Juden fordert und die Musik mit den abgehackten Tönen lautmalerisch die Ausrottung unterstützt, große Glaubhaftigkeit verleiht. Am Ende gibt er sich dann in der Arie "Turn not, O queen, thy face away" sehr demütig, wenn er Esther um Vergebung für die Intrige bittet. Doch nun zeigt sich Esther in ihrer folgenden Arie "Flatt'ring tongue, no more I hear thee!" ebenso kompromisslos wie Haman zuvor. Interessant ist, dass Händel Hamans letzter Arie nicht die übliche ABA-Form verleiht, sondern ihn nach dem B-Teil abbrechen lässt, vielleicht um auszudrücken, dass Hamans Flehen nicht ernst gemeint ist oder ihm kein Glauben geschenkt wird.

Carolyn Sampson gelingt ein großartiges Rollenportrait der Titelfigur. Mit beweglichem und in den Höhen strahlendem Sopran meistert sie die schwere Partie und erntet zahlreichen Szenenapplaus. Ihre Koloraturfähigkeiten kann sie gleich zu Beginn mit einer Arie unter Beweis stellen, die nur aus dem Wort "Alleluia" besteht. Ein weiterer Höhepunkt ist das Duett mit Iestyn Davies als Ahasverus "Who calls my parting soul from death?", wenn es ihr in harmonischem Einklang mit Davies nach ihrer Ohnmacht gelingt, dass der König ihr keinen Wunsch abschlagen kann. In ihrer oben bereits erwähnten Schlussarie beweist Sampson mit durchschlagenden Koloraturen, dass Esther durchaus gnadenlos sein kann. Wenn man bei diesem hohen musikalischen Niveau von einem Star des Abends sprechen kann, ist an dieser Stelle Iestyn Davies zu nennen, dessen beweglicher und in den Höhen leuchtender Countertenor das Publikum regelrecht von den Sitzen reißt. Schon in seiner Auftrittsarie "Endless fame, thy days adorning" lässt er beim Zuhörer eine Vision entstehen, wie der Starkastrat Senesino in dieser Rolle wohl geklungen haben mag. Auch sein anmutiges "O beauteous Queen, unclose those eyes" fasziniert mit sanft timbrierter Stimmführung und macht glaubhaft, dass dieser König Esther keinen Wunsch abschlagen wird. Mit seiner Arie "How can I stay when love invites" und dem "Alleluia"-Solo, das eigentlich laut Libretto für Mordecai gedacht ist, zeigt sich Davies an diesem Abend endgültig als nahezu unschlagbarer Meister der Koloratur. Es folgt stürmischer und nicht enden wollender Beifall des Publikums für einen durch und durch gelungenen Festspielauftakt.

FAZIT

Großartiger Auftakt, mit dem das neue Leitungsteam Laurence Cummings und Tobias Wolff auf ganzer Linie überzeugen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Laurence Cummings

Chorleitung
Robert Blank



NDR Chor

FestspielOrchester Göttingen

Cembalo
Laurence Cummings

Solisten

Esther
Carolyn Sampson

Ahasverus
Iestyn Davies

Mordecai
Daniel Taylor

Haman
Njål Sparbo

Israelite Woman
Sophie Junker

First Israelite
Dantes Didiak

Harbonah / A Persian Officer
Joachim Duske

 

Weitere
Informationen

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