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Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
08.08.2012 - 26.08.2012


La Stellidaura vendicante (Die Rache der Stellidaura)

Oper in drei Akten
Libretto von Andrea Perrucci
Musik von Francesco Provenzale

In italienischer Sprache und altkalabrischem Dialekt mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 45' (zwei Pausen)

Premiere im Tiroler Landestheater in Innsbruck am 8. August 2012
(rezensierte Aufführung: 10.08.2012)




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Romeo und Julia mit Happy End

Von Thomas Molke / Fotos von Rupert Larl (© Innsbrucker Festwochen)


Francesco Provenzales La Stellidaura vendicante zählt als das letzte für die weltliche Bühne bestimmte Werk des im 17. Jahrhundert in Neapel führenden Komponisten, Kirchenmusikers und Opernkapellmeisters, welches mit den Elementen der Commedia dell'arte und den Einflüssen der spanischen Theatertradition im damals unter spanischer Herrschaft stehenden Neapel den Prototyp der neapolitanischen Oper darstellt. Dieser neapolitanische Opernstil unterscheidet sich von der bis dahin vorherrschenden venezianischen und römischen Oper dadurch, dass er durch die Mischung von komischen und tragischen Elementen gewissermaßen als Urform einer Opera semiseria betrachtet werden kann. Anders als im französischen Theater der damaligen Zeit, bei dem es strenge Regeln für den Handlungsablauf gab, standen beim spanischen Theater eher die Reaktionen der Protagonisten als die Handlung im Mittelpunkt. Dass die Oper, die 1674 als ein gelegentliches Ereignis für einen festlichen Spätsommerabend in der adeligen Gesellschaft Neapels uraufgeführt worden war, einen großen Erfolg darstellte, lässt sich auch daraus ableiten, dass es im 17. Jahrhundert noch mehrere Wiederaufnahmen gab. In den darauf folgenden Jahrhunderten gerieten allerdings sowohl das Werk als auch sein Komponist in Vergessenheit, so dass sich außer einer Aufführung in Brüssel in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts keinerlei Wiederaufnahmen belegen lassen. Von daher ist es sehr löblich, dass man sich bei den diesjährigen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik nicht nur diesem vergessenen Barockschatz widmet, sondern die Aufführungen auch für eine CD-Produktion mitschneidet.

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Stellidaura (Jennifer Rivera) pflegt ihren verwundeten Geliebten Armidoro (Adrian Strooper).

Auch wenn die Handlung der Oper absolut konfus ist, soll an dieser Stelle ein Versuch unternommen werden, sie einigermaßen verständlich wiederzugeben. Orismondo, der Fürst von Claro, und sein Hofritter Armidoro lieben beide dieselbe Frau: Stellidaura, eine adelige Dame unbekannter Herkunft. Da Stellidaura aber nur die Gefühle Armidoros erwidert, verübt Orismondo einen Anschlag auf den Hofritter, der jedoch misslingt. Armidoro entdeckt zwar, dass der Fürst hinter dem Attentat steckt, lässt sich aber nichts anmerken und steht Orismondo weiterhin treu zur Seite, während Stellidaura den Mordversuch rächen will. Als sowohl Orismondo und Armidoro Stellidaura einen Liebesbrief schreiben, die aber zunächst verloren gehen und dann von den Dienern vertauscht überbracht werden, erhält Armidoro über Stellidauras Pagen Armillo die Abfuhr, die eigentlich für Orismondo bestimmt ist, während Orismondos Diener Giampetro seinem Herrn den für Armidoro bestimmten Brief überbringen will, der dann aber von Armidoro abgefangen wird, so dass dieser Stellidaura Treulosigkeit vorwirft. Als ein weiterer Mordanschlag auf Armidoro von Stellidaura vereitelt wird, versucht sie, als Mann verkleidet Orismondo zu töten, was wiederum von Armidoro verhindert wird. Unerkannt wird sie in den Kerker geworfen und zum Tod durch Gift verurteilt. Als Armidoro von Armillo erfährt, dass der Attentäter die verkleidete Stellidaura ist, versucht er, die Hinrichtung zu verhindern. Doch Stellidaura liegt bereits aufgebahrt in einer Gruft. Ohnmächtig bricht Armidoro an ihrer Seite zusammen. Als  Stellidaura erwacht, da ihr Giampetro statt des Giftes ein Schlafmittel gegeben hat, und den leblosen Geliebten an ihrer Seite findet, plant sie erneut, Rache an Orismondo zu nehmen. Doch der hat mittlerweile erfahren, dass die unbekannte Stellidaura seine ältere Schwester ist, die sein Vater während eines Volksaufstandes dem Fürsten von Delos anvertraut hat. So ist er natürlich bereit, auf Stellidaura zu verzichten und sie Armidoro als Lohn für dessen Treue zur Frau zu geben.

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Die Zwillingselfen (Aurélie Remy und Morgane Lambinet) als gute Geister

Um eine gewisse Struktur in dieses verworrene Handlungs-Chaos zu bringen, hat das Regieteam um François De Carpentries zwei Zwillingselfen als stumme Geister eingebaut, die immer dann in das Geschehen eingreifen, wenn die Logik des Handlungsablaufs unhaltbar durchbrochen wird. So platzieren sie bereits während der Ouvertüre an der Bühnenrampe in einer kleinen Sanddüne eine große Flasche, die sich am Ende als eine über das Meer angespülte Flaschenpost entpuppt, die Orismondo darüber aufklärt, dass Stellidaura seine ältere Schwester ist. Dadurch wird wenigstens halbwegs plausibel, wieso Orismondo erst nach der vermeintlichen Hinrichtung davon erfährt. Auch beim Vertauschen der Briefe greifen die Elfen ein, indem sie Armidoros Brief heimlich aus seiner Hosentasche entwenden, während Giampetros Brief von Orismondo beim Essen einfach vom Tisch fällt. So glaubt Armidoro, dass der auf dem Boden liegende Brief aus seiner Hosentasche gefallen sei und übergibt Armillo den falschen Brief für Stellidaura. Dem über den Verlust des Briefes besorgten Giampetro hingegen übergeben die Elfen den gestohlenen Brief, so dass auch diese verworrene Wendung in gewissem Maße nachvollziehbar wird.

Auch der Ohnmacht Armidoros misstraut De Carpentries, so dass Giampetro dem Hofritter eine Ampulle reicht, die dieser für Gift hält und am vermeintlichen Leichnam Stellidauras in der Gruft trinkt. Wenn Stellidaura erwacht und den leblosen Geliebten an ihrer Seite findet, fühlt man sich folglich unwillkürlich an Shakespeares Romeo und Julia erinnert, wobei die einzigen Unterschiede darin bestehen, dass Stellidaura den Dolch nicht wie Julia gegen sich selbst richtet, sondern Rache an Orismondo nehmen will und Armidoro nicht wirklich tot ist, da auch in seiner Ampulle nur ein Schlafmittel war, und einem Happy End somit nichts mehr im Wege steht. So bleibt zwar der Schluss, bei dem plötzlich jeder jedem verzeiht und sich relativ unkritisch mit den neuen Realitäten abfindet, immer noch unglaubwürdig, wird aber durch die zahlreichen ironischen Brechungen im Verlauf der Handlung zumindest akzeptabel und ruft beim Publikum eine gewisse Heiterkeit hervor.

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Diener unter sich: Giampetro (Enzo Capuano, links) und Armillo (Hagen Matzeit, rechts)

Karine Van Hercke verzichtet bei den Kostümen auf eine Aktualisierung und macht durch die bunten Farben und aufwendigen Schnitte deutlich, dass es sich um Theaterfiguren handelt, die keinen Anspruch auf Realität erheben. Besonders gut gelingt ihr dabei der Kontrast zwischen den eher tragischen Figuren Stellidaura, Orismondo und Armidoro im Vergleich zu den komischen Dienerfiguren, der sich vor allem in den Perücken und der Farbgestaltung ausdrückt. Auch die zahlreichen Szenenwechsel meistert sie abwechslungsreich. So lässt sie beispielsweise im zweiten Akt die Elfen kleine Stellwände hereintragen, die dann jeweils beschreiben, ob man sich bei Stellidaura befindet, was durch einen blauen Nachthimmel mit Sternen angedeutet wird, oder bei Orismondo, bei dem der silber-graue Hintergrund wesentlich nüchterner gestaltet ist. Im dritten Akt arbeitet sie vor allem mit dem Hauptvorhang und lässt einzelne Szenen davor spielen, während hinter dem Vorhang die Bühne umgebaut wird. Als Konstante bleiben im Bühnenbild auf der rechten und linken Seite hohe rot marmorierte Säulen, die den Spielcharakter der Inszenierung unterstreichen und belegen, dass hier keineswegs versucht wird, irgendeine Realität abzubilden. So gelingt dem Regieteam eine fantasievolle Inszenierung, die die unbekannte und verworrene Geschichte nachvollziehbar und verständlich auf die Bühne bringt.

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Orismondo (Carlo Allemano) beklagt die vermeintlich sterbende Stellidaura (Jennifer Rivera).

Musikalisch lässt das Stück an zahlreichen Stellen den Einfluss Monteverdis erkennen, was sich aber vor allem auf die drei ernsten Figuren beziehen lässt. Mit Blick auf Orismondos Diener Giampetro entwickelt Provenzale einen ganz eigenen Stil, der sich zum einen in der folkloristischen und exotischen Instrumentierung ausdrückt, die durch die Straßenmusiker von den fahrenden Theatern beeinflusst worden ist, und zum anderen mit dem altkalabrischen Dialekt, in dem Giampetro spricht und der von den anderen kaum verstanden wird, eine absolute Neuheit darstellt. So unterbricht Giampetro als einfacher Mann aus dem Volk die tragischen Momente der Oper, indem er zum Beispiel, während Armidoro seiner Verzweiflung über Stellidauras vermeintlichen Tod freien Lauf lässt, kurzerhand in einem fröhlichen Arioso lapidar feststellt, dass, wenn man eine Geliebte verloren hat, 100 neue Frauen warten. Bei der Perkussionseinlage kurz vor dem Mordversuch Stellidauras an Orismondo im dritten Akt, mag man auch gar nicht glauben, dass diese modern anmutende Musik in der damaligen Zeit komponiert worden ist. Dass allerdings nach dem vermeintlichen Tod des Liebespaares die Elfen bereits mit einem Schild das Ende des Stückes verkünden und von Giampetro in ihre Schranken verwiesen werden, da doch das Happy End noch fehle, geht allerdings weniger auf das Libretto als vielmehr auf einen Regieeinfall zurück, mit dem De Carpentries die Komik des Dieners noch einmal steigert, da der kalabrische Bassist Enzo Capuano mit dem Dialekt nicht die geringsten Probleme hat.

Gesungen wird auf hohem Niveau. Carlo Allemano verleiht dem Orismondo mit fast schon baritonal klingendem Tenor große Dramatik in den tragischen Passagen, zeigt sich aber seinem Nebenbuhler gegenüber bei dem Mordversuch absolut skrupellos. Adrian Strooper überzeugt als Liebhaber Armidoro mit lyrischem Tenor, der auch in den Höhen geschmeidig klingt. Jennifer Rivera changiert als Stellidaura mit kräftigem Sopran glaubhaft zwischen rächender Furie und treu liebender Frau, die vor allem in ihrer Arie im Kerker kurz vor ihrem vermeintlichen Tod bewegende Momente findet. Hagen Matzeit begeistert als Diener Armillo mit warmem Countertenor, der problemlos von inniger Tragik mit seiner Herrin zu komödiantischem Spiel mit dem Diener Giampetro wechseln kann. Enzo Capuano gibt den Diener Giampetro mit fundiertem Bass und natürlicher Komik, die deutlich macht, dass diese Figur ein absolut liebenswerter Charakter ist, der niemandem ein Haar krümmen kann und eine gute Flasche Wein und eine deftige Mahlzeit über alles andere stellt. Alessandro De Marchi arbeitet mit der Academia Montis Regalis die Klangvielfalt der Partitur differenziert heraus und rundet den Abend zu einem großen, ungewöhnlichen Erlebnis ab. Folglich gibt es am Ende lang anhaltenden Applaus, der auch das Regieteam, das bei der zweiten Aufführung ebenfalls vor den Vorhang tritt, einhellig einbezieht.

FAZIT

Wer diese Opernrarität in Innsbruck verpasst, hat die Möglichkeit, sie in einer Radio-Übertragung am 15. August 2012 um 19.30 Uhr auf Ö1 zu erleben. Ansonsten bleibt nur, die CD-Einspielung abzuwarten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alessandro De Marchi

Regie
François De Carpentries

Ausstattung
Karine Van Hercke

Licht
Florian Weisleitner



Academia Montis Regalis


Solisten

Orismondo, Fürst von Claro
Carlo Allemano

Armidoro, Hofritter
Adrian Strooper

Stellidaura
Jennifer Rivera

Giampetro, Diener des Fürsten
Enzo Capuano

Armillo, Page der Stellidaura
Hagen Matzeit

Zwillingselfen
Aurélie Remy
Morgane Lambinet


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