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Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Musik und Dichtung von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 40' (zwei Pausen)

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper am 27. Mai 2012

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 13.07.2012) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Ein Bühnenbild aus Menschen

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Schon seit dem Rheingold macht das Regie-Team um Andreas Kriegenburg mit dem Einsatz von 100 Statisten deutlich, dass es den Ring als einen Mythos versteht, den Menschen an andere Menschen weitererzählen, indem sie ihn theatralisch darstellen. Während die Statisten in der Walküre aber eher als Akteure in der Handlung wirken - als gefallene Krieger auf dem Kampfplatz und als beim Publikum recht umstrittene Walküren mit rhythmischem Ausdruckstanz - übernehmen sie im Siegfried zusätzlich zahlreiche Bühnenbildfunktionen. Der Dramaturg Olaf A. Schmitt begründet dies mit Wagners These, dass die Erneuerung der Kunst immer aus dem Menschen selbst entstehe, und nennt die Inszenierung auch ein soziales Ereignis. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Auch den Siegfried als die "erzählerischste" Oper im Rahmen der Tetralogie zu bezeichnen ist sicherlich diskutabel, da die Götterdämmerung mit der Nornenszene zu Beginn und Siegfrieds Waldvogel-Erzählung einen ebenso hohen narrativen Anteil haben dürfte.

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Siegfried (Lance Ryan, links) und Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, rechts) (mit den Statisten im Hintergrund)

Gerade nach dem ersten Aufzug muss das Regie-Team auch feststellen, dass ein Großteil des Publikums diese Deutung nicht akzeptiert, und so mischen sich in den Applaus zahlreiche Buhrufe, die erst mit dem Auftreten der Solisten verstummen. Dabei haben sich Zenta Haerter mit der Choreographie und Andreas Kriegenburg mit den 100 Statisten gerade in diesem ersten Aufzug extrem viel einfallen lassen. Nur wäre hier vielleicht weniger mehr gewesen. Der Abend beginnt mit den weiß gekleideten Statisten, die einen großen Kreis bilden, der in wellenförmigen Bewegungen zunächst die Befürchtung aufkommen lässt, man bekomme jetzt wie im dritten Aufzug der Walküre einen modernen Ausdruckstanz geliefert. Allerdings setzt die Musik sehr schnell ein und lässt die Statisten sich während des Vorspiels langsam auf einen Amboss zubewegen, der in der Mitte der Bühne positioniert ist. Die Lichtregie von Stefan Bolliger legt nahe, dass es sich bei diesem Menschenknäuel um Feuer handeln könnte, dass der Schmied für seine Arbeit benötigt. Bei Mimes Auftritt spannen die Statisten ein großes weißes Tuch über den Amboss, der durch Lichtprojektionen ebenfalls feurig flackert.

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Alberich (Wolfgang Koch) vor der Höhle des Drachen (im Hintergrund Statisten)

Mit diesem Bühnenbild hätte man sich eigentlich anfreunden können. Deswegen ist man irritiert, wenn plötzlich eine relativ kleine, aber realistisch anmutende Hütte mit einem Ofen und grauen Wänden, die die Statisten herbeitragen, und ein gewaltiger Abzug, der aus dem Schnürboden herabgelassen wird, aufgebaut wird. Dieses Bild ist zwar schön, aber man muss sich schon entscheiden, was für ein Konzept man denn eigentlich will, zumal bei jeder Erzählung die Hütte wieder aufgelöst und die von den Figuren erzählte Szene im Hintergrund dargestellt wird. So sieht man Sieglinde im roten Kleid in einem von grün gekleideten Statisten gebildeten Kreis liegen und Mime ihr neugeborenes Kind und die Stücke des Schwertes anvertrauen. Noch undurchsichtiger wird der Regieansatz beim Auftritt des Wanderers. Dass der Wanderer über eine grüne Sonnenblumenwiese zu Mime tritt - die Sonnenblumen werden durch die Arme der Statisten dargestellt, die durch die Löcher eines riesigen grünen Tuchs nach oben ragen -, ist zwar optisch schön, entbehrt aber jeglichen Zusammenhangs. Gleiches gilt für das Fragespiel zwischen Mime und dem Wanderer. So wird bei Mimes Fragen die Hütte, die nach der Sonnenblumenwiese wieder aufgebaut worden ist,  jeweils wieder aufgelöst, und dahinter werden die Nibelungen beziehungsweise die Riesen auf den großen Würfeln sichtbar, wie man sie bereits im Rheingold erlebt hat.

Bei Siegfrieds Schmiedeszene tragen die Statisten nun alles zusammen, was in entferntester Weise mit dem Schmiedevorgang in Verbindung gebracht werden kann, wobei sich auch hier nicht alles erklärt. Die Flammen die an langen Stäben über einen Scheinwerfer gehalten werden, der als eine Art Holzkohlegrill aufgebaut wird, wirken ebenso dilletantisch wie die vier als Heinzelmännchen gekleidete Statisten, die die Buchstaben HERD auf ihrem Rücken tragen. Glücklicherweise entschädigt die musikalische Umsetzung für manche Regieunstimmigkeit. Kent Nagano lässt mit dem Bayerischen Staatsorchester keine Wünsche offen und lotet die Partitur differenziert aus. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke begeistert als Mime mit hellem Tenor, und Thomas J. Mayer gibt den Wanderer mit profundem Bass. Lance Ryan verfügt als Siegfried über einen großen Heldentenor, der in den Höhen allerdings bisweilen ein wenig forciert. In dieser Partie wirkte er im Frankfurter Ring ein bisschen überzeugender.

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Siegfried (Lance Ryan) im Kampf mit dem Drachen (Statisten)

Der zweite Aufzug gelingt Andreas Kriegenburg dann wesentlich stimmiger, was vor allem an der wunderbaren Darstellung der Drachenhöhle liegen dürfte. Harald B. Thor hat für den Eingang zur Höhle zwei Gittergestelle konzipiert, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden und in denen sich die Statisten wie Ungeziefer einnisten, das die Figuren schon vor dem Eingang zur Höhle erschaudern lässt. So wird Mime des Öfteren Opfer ihrer Angriffe und verliert dabei seinen Mantel. Der Drachenkopf ist ein Drahtgestell, das durch die Statisten, die daran befestigt sind, ein beeindruckendes Eigenleben entwickelt. Auch die Bäume, die von den Statisten gebildet werden, erfordern von den Akteuren einige akrobatische Fähigkeiten und formen ein ästhetisch schönes Bild für das Waldweben. Warum der Waldvogel gedoppelt wird, ist nicht klar. Anna Ressel führt an einer langen Stange ein kleines schwarzes Vögelchen durch das Bühnenbild, während Elena Tsallagova als Stimme des Waldvogels ebenfalls anmutig mit zwei weißen Flügelchen durch das Bühnenbild flattert. Bei der Grazie, die Tsallagova im Spiel besitzt, wäre sie als Waldvogel durchaus ausreichend gewesen. Mit ihrem leuchtenden Sopran lässt sie die Partie zu einem Höhepunkt des Abends werden. Doch auch Rafal Siwek als Fafner und Wolfgang Koch als Alberich überzeugen stimmlich auf ganzer Linie. Dass letzterer ständig zur Zigarette greifen muss, ist das einzige Ärgernis des zweiten Aufzuges, weil dies nun wirklich absolut unmotiviert und für die Stimme schädlich ist.

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Brünnhilde (Catherine Naglestad) erwacht (unter ihr: Statisten).

Faszinierende Bilder gelingen auch im dritten Aufzug. Wie im Rheingold ist Erda auch hier von zahlreichen kriechenden Kreaturen umgeben, die im Vergleich zum Vorabend aber dunkler geworden sind. Jill Grove stattet die Wala mit einem voluminösem Alt aus. Beeindruckend ist auch, wie diese Kreaturen sich nach Erdas Abgang zu einer Wand formieren, vor der der Wanderer Siegfried den Zugang zum Walkürenfelsen verweigern will. In der Auseinandersetzung zwischen Siegfried und dem Wanderer kommt es dann zu einem kleinen Bühnenunfall, da die eine Hälfte des zerbrochenen Speers in den Orchestergraben hinabfällt und einen Musiker trifft, der kurzfristig den Graben verlässt, dann aber zum Glück doch unverletzt weiterspielen kann. Nachdem Siegfried den Wanderer besiegt hat, wird ein großes durchsichtiges Tuch über die Statisten gezogen, das mit der geschickten Beleuchtung wie das lodernde Feuer wirkt, das der Held nun durchschreiten muss. Die Statisten unter dem Tuch bilden im Folgenden auch die Lagerstätte für Brünnhilde. Hier ist allerdings fraglich, warum Siegfried nicht nah genug an die Walküre herankommt, um ihr die Brünne zu brechen, sondern dies durch die Statisten erfolgt, was diese Szene ein wenig statisch wirken lässt.

Ästhetisch ebenfalls schön ist das Bild der Schlussszene zwischen Brünnhilde und Siegfried, für die ein großes weites Bett unter einem riesigen wallenden roten Tuch auf die Bühne gebracht wird. Das feurige Rot als Zeichen der Liebe und Ende der Jungfräulichkeit die Bühne beherrschen zu lassen, kann von der Idee zunächst einmal als gelungen betrachtet werden. Die Umsetzung in der Personenregie ist es dann aber weniger, da nicht nachvollziehbar wird, wieso Brünnhilde Siegfrieds Drängen wirklich nachgibt. Im Zusammenspiel wirkt er nämlich als der deutlich schwächere Part, was einige Selbstverteidigungsgriffe der Walküre deutlich machen. Auch stimmlich kann der Schluss nur bedingt überzeugen. Catherine Naglestad lässt in der Partie der Brünnhilde bisweilen ein zu starkes Vibrato erklingen, und Lance Ryan wirkt zwar auch nach über fünf Stunden noch stimmlich frisch, hat aber in den Höhen die bereits erwähnten Probleme, so dass die "leuchtende Liebe" und der "lachende Tod" am Ende vom Publikum nicht ganz so frenetisch aufgenommen werden, wie man es sich für den Abschluss des dritten Teils wünschen würde.

FAZIT

Andreas Kriegenburg hat für den Siegfried viele gute Ideen, überfrachtet jedoch mit den zahlreichen Bildern die Inszenierung, so dass die Wirkung verpufft. Musikalisch überzeugt die Produktion mit den genannten kleinen Abstrichen.

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2012

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Andreas Kriegenburg

Bühne
Harald B. Thor

Kostüme
Andrea Schraad

Licht
Stefan Bolliger

Choreographie
Zenta Haerter

Dramaturgie
Marion Tiedtke /
Olaf A. Schmitt

 

Bayerisches Staatsorchester

Hornruf
Franz Draxinger

Statisterie der
Bayerischen Staatsoper


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegfried
*Lance Ryan /
Stephen Gould

Mime
*Wolfgang Ablinger-Sperrhacke /
Ulrich Reß

Der Wanderer
*Thomas J. Mayer /
Juha Uusitalo

Alberich
*Wolfgang Koch /
Tomasz Konieczny

Fafner
*Rafal Siwek /
Steven Humes

Erda
*Jill Grove /
Qiulin Zhang

Brünnhilde
Catherine Naglestad

Stimme eines Waldvogels
Anna Virovlansky /
*Elena Tsallagova

Waldvögelchen
Anna Ressel


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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