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Musiktheater
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Internationale Gluck-Opern-Festspiele
Nürnberg

20.07.2012 - 28.07.2012

 

Das goldene Vlies (La Toison d'Or)

Tragédie-lyrique in drei Akten
Libretto von Philippe Desriaux nach der Tragédie-lyrique Jason ou La Toison d'Or von Jean-Baptiste Rousseau und der Tragödie La Toison d'Or von Pierre Corneille
Musik von Johann Christoph Vogel

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Konzertante Aufführung im Opernhaus Nürnberg am 26.07.2012


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Furiose Medea-Ausgrabung 

Von Thomas Molke / Fotos von Jutta Missbach


Johann Christoph Vogel hätte für die Weiterentwicklung der Reformoper eine bedeutende Rolle spielen können, wäre er nicht bereits in seinem 32. Lebensjahr, noch bevor seine zweite und letzte Oper Démophon 1789 in Paris eine umjubelte Uraufführung erlebte, an einem hitzigen Gallenfieber gestorben. Vogels Verehrung für Glucks in Paris hoch gehandelte Werke führten nicht nur dazu, dass er mit seinen Kompositionen dem von ihm hoch verehrten Idol nacheiferte, sondern mit seinem großen musikalischen Talent fand er auch eine eigene musikalische Sprache, die Glucks Ideen weiterführte und Hector Berlioz veranlasste, seine Verdienste für die Oper mit denen Webers und Beethovens auf eine Stufe zu stellen. In der französischen Metropole plante man sogar, Vogel anlässlich des großen Erfolges seiner posthum uraufgeführten zweiten Oper ein öffentliches Denkmal zu errichten, ein Vorhaben, das in den Wirren der Revolution wohl unterging, wohingegen Démophon bis ins 19. Jahrhundert fester Bestandteil im französischen Spielplan blieb. Dass Vogel in Nürnberg das Licht der Welt erblickte und er seine erste Oper La Toison d'Or Gluck widmete, hat man bei den Internationalen Gluck-Opern-Festspielen zum Anlass genommen, diesen "Nürnberger" Komponisten dem Vergessen zu entreißen.

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Hervé Niquet mit Medea (Marie Kalinine, direkt hinter ihm) und Hissiphile (Jennifer van Wanroij, dahinter)

Dass die Wahl dabei auf das bei der Pariser Uraufführung 1786 weniger erfolgreiche Erstlingswerk Vogels fiel, mag unterschiedliche Gründe haben. Zum einen sind in diesem Werk zahlreiche Anklänge an Glucks französische Opern wiederzuerkennen. Des Weiteren passt der mythologische Medea-Stoff mindestens zur Hälfte des diesjährigen Festspielmottos Gluck, Prag und die Antike. Des Weiteren ist der Intendant des Staatstheaters, Peter Theiler, dafür bekannt, mit großem Engagement die Wiederentdeckung vergessener Opernschätze zu fördern, besonders dann, wenn er von der außerordentlichen musikalischen Qualität der Stücke überzeugt ist. Auch die Live-Übertragung auf BR Klassik dürfte für die Reputation der Festspiele nicht uninteressant gewesen sein. Warum man aber wieder parallel mit dem Ballett Don Juan im Schauspielhaus und Ezio  in der Tiefgarage zwei Konkurrenzveranstaltungen laufen ließ, bleibt unverständlich, zumal so, wie schon beim Konzert Les Pragois à Paris am Montag, einige Plätze im Opernhaus leer blieben. Dabei hätte die Vorstellung in jeder Hinsicht ein ausverkauftes Haus verdient.

Gespielt wurde die zweite Fassung von 1788. Die Geschichte erzählt einen Teil der Argonautensage. Jason, der rechtmäßige Thronfolger von Iolkos in Thessalien, ist von seinem Onkel Pelias nach Kolchis geschickt worden, um dort das goldene Vlies, das Fell eines Widders, zu holen. Aietes, der König von Kolchis, stellt Jason für die Herausgabe des Vlieses drei unmögliche Aufgaben. Die Tochter des Königs, die Zauberin Medea, verliebt sich jedoch in Jason und ist bereit, gegen ein Eheversprechen Jasons den Argonauten die Bewältigung der Aufgaben zu ermöglichen. Jason verschweigt Medea bei seinem Versprechen allerdings, dass er bereits mit Hissiphile, der Königin von Lemnos, verheiratet ist. Als Hissiphile ebenfalls in Kolchis erscheint und auf Medea trifft, verlangt Medea von Jason eine Entscheidung. Da dieser nicht bereit ist, von Hissiphile zu lassen, tötet Medea ihre Konkurrentin und will Jason bei der letzten Aufgabe nicht mehr unterstützen. Als sie ihn allerdings im verzweifelten Kampf mit den Riesen erblickt, wird sie vom Mitleid ergriffen und setzt erneut ihren Zauber ein, so dass die Riesen sich gegenseitig töten. Jason erringt das Vlies, doch weigert sich, Medea zu heiraten, weil sie seine Gattin getötet hat. Medea verfolgt die abfahrenden Argonauten in ihrem Drachenwagen.

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Schlussapplaus: von links: die große Sybille (Jennifer Borghi), Medea (Marie Kalinine), Hervé Niquet, Jason (Jean-Sébastien Bou) und Arcas (Martin Nyvall), dahinter: Le Concert Spirituel und der Opernhor des Staatstheater Nürnberg

Musikalisch lässt diese Produktion aufhorchen, da man neben dem von Tarmo Vaask gut einstudierten Opernchor des Staatstheaters und einigen Ensemble-Mitgliedern hochkarätige Gäste für diese Produktion verpflichtet hat. Da ist zunächst einmal Le Concert Spirituel zu nennen, ein Orchester, das der musikalische Leiter Hervé Niquet 1987 als Ensemble für historische Aufführungspraxis gründete und das sich seitdem für die Interpretation barocker Musik etabliert hat. Mit großem Einfühlungsvermögen arbeitet Niquet mit seinem Ensemble die Vielschichtigkeit der Partitur heraus, die bei allen Anklängen an Gluck durchaus schon erkennen lässt, dass es sich hierbei um einen Vorläufer der Romantik handelt. Dabei beeindruckt, mit welchem Pathos Vogels Musik die Emotionen der Sänger ausmalt und wie er lautmalerisch den von Medea heraufbeschworenen Gewittersturm und den anschließenden Kampf der Argonauten mit den Riesen auch ohne Inszenierung vor dem inneren Auge des Zuhörers entstehen lässt. In großem Kontrast dazu steht der Mord an Hissiphile, den Medea mit einem einzigen "meurs" ohne Musikbegleitung durchführt.

Judith von Wanroij stattet Jasons Ehefrau Hissiphile mit einem warmen lyrischen Sopran aus und beeindruckt vor allem in ihrer ersten Arie, in der sie um Jason fürchtet, der gerade mit den Feuer speienden Stieren und den Drachenzähnen das Feld pflügen muss. Ihr weicher Sopran steht in einem deutlichen Kontrast zur Zauberin Medea, macht dabei aber auch stimmlich klar, wieso Jason diese Frau nicht verraten kann. Jean-Sébastien Bou verfügt als Jason über einen kräftigen Bariton, dem man den mythischen Helden durchaus abnimmt. Dabei kann seine Stimme es auch mit dem fulminant aufspielenden Orchester aufnehmen und sich gegen den Chor der Argonauten durchsetzen. In ihrem relativ kurzen Auftritt als große Sybille begeistert Jennifer Borghi mit klarer Diktion und intensivem Ausdruck, so dass ihre Prophezeiung im dritten Akt einen weiteren Höhepunkt der Oper darstellt. Auch die beiden Ensemble-Mitglieder Hrachuhí Bassénz und Martin Nyvall überzeugen als Medeas Schwester Calliope und Jasons Gefährte Arcas.

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Medea (Marie Kalinine) mit Le Concert Spirituel und dem Opernchor des Staatstheater Nürnberg

Star des Abends ist Marie Kalinine als Medea, die mit einem großartigen Mezzo die Vielschichtigkeit der Figur in jeder Nuance ausleuchtet. So überzeugt sie sowohl als verzweifelt liebende Frau, deren Töne aber nicht so weich klingen wie die Hissiphiles, weil sie als Zauberin einfach wesentlich mächtiger ist, als auch als rächende Furie, die teilweise selbst über ihre Grausamkeit und Härte erschrickt. Kalinines Stimme verfügt über ein Potenzial, diese ganze Bandbreite der Obsessionen kongenial zum Ausdruck zu bringen. Ihre größten musikalischen Momente hat sie im zweiten Akt, wenn sie das Unwetter heraufbeschwört und anschließend Hissiphile auf der Argo ersticht, und im dritten Akt, wenn sie, nachdem sie Jason vor den Riesen gerettet hat, ihn regelrecht demütig anfleht, sie mit nach Iolkos zu nehmen. Bei solchen Paradestücken für eine Sängerin bleibt zu hoffen, dass diese Oper nach dieser Aufführung nicht wieder vollständig in der Versenkung verschwindet. Das Publikum jedenfalls dankt den Solisten und dem Orchester mit lang anhaltendem und frenetischem Applaus, der auch dann noch nicht enden will, als selbst die Musiker schon die Bühne verlassen haben.

FAZIT

Diese Ausgrabung stellt sicherlich musikalisch den Höhepunkt der diesjährigen Gluck-Opern-Festspiele dar. Es bleibt zu hoffen, dass die CD dieser Aufnahme dieses Werk bald einem breiteren Publikum zugängig machen und vielleicht das eine oder andere Opernhaus überlegen lassen wird, dieses Werk einmal auf den Spielplan zu setzen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hervé Niquet

Chor
Tarmo Vaask

 


Opernchor des
Staatstheater Nürnberg

Le Concert Spirituel


Solisten

Medea
Marie Kalinine

Calliope, ihre Schwester
Hrachuhí Bassénz

Hissiphile, Königin von Lemnos
Judith van Wanroij

Jason, Anführer der Argonauten
Jean-Sébastien Bou

Arcas
Martin Nyvall

Die große Sybille
Jennifer Borghi

Zwei Sybillen
Franziska Kern
Dominique Lepeudry


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



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