Flirt mit dem Tod
Von Thomas Molke
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Fotos von Jesús Vallinas
Don Juan ist eines
der ersten Ballette, das den Tanz von einem bloßen Divertissement zu einer
kompletten dramatischen Handlung verändert hat. Der Choreograph Gasparo Angiolini
schuf zur Musik von Christoph Willibald Gluck damit eine neue Gattung, die den
Tanz ebenso reformieren sollte wie Glucks Opern das Musiktheater. Bis in die
zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Drama um den berühmten
Verführer zu den meistgespielten Balletten und ist auch im 20. Jahrhundert durch
Michel Fokine, einen Choreographen der Ballets Russes und Gründer des modernen
Balletts, noch mehrfach erneuert worden. Berühmtheit erlangte vor allem Don
Juans Höllenfahrt, eine Chaconne, die Gluck später als "Air des Furies" in seine
Pariser Fassung von Orphée et Eurydice für Orphées Abstieg in die
Unterwelt übernahm und die für einen Regisseur der Oper mit die größte
Herausforderung in der Inszenierung darstellen dürfte. In der ersten
Aufführungsserie des Ballettes 1761 führte das veranstaltete Höllenfeuer in der
dritten Woche zu einem verheerenden Brand, dem das Wiener Kärntnertor-Theater
komplett zum Opfer fiel.
Don Juan (Ravael Rivero) und seine Opfer, die
Frauen (Ensemble). Auch wenn Goyo Monteros
Choreographie als Beitrag zu den diesjährigen Internationalen
Gluck-Opernfestspielen gedacht ist, inszeniert er nicht Glucks dreiaktige
Fassung, sondern erarbeitet musikalisch eine Version, die neben Gluck
zahlreiche andere Komponisten beinhaltet, die vom Barock bis zur
zeitgenössischen Musik reichen. Für die Handlung greift er nicht nur auf Tirso
di Molinas Drama El Burlador de Sevilla y convidado de piedra, die erste
klassische Fassung des Mythos, zurück sondern auch auf José Zorrilla y Morals
Don Juan Tenorio aus dem 19. Jahrhundert, in dem Don Juans Verführungstaten
durch eine Wette motiviert werden, Don Juan jedoch von wahrer Liebe zu
der Novizin Inés erfasst wird und voller Reue an ihrem Grab Vergebung im
Jenseits erlangt. Montero kombiniert die Idee der Wette mit Johann Wolfgang
Goethes Faust und lässt Don Juan mit dem personifizierten Teufel, der
hier M genannt wird, um seine Seele spielen, die M, anders als im Faust
am Ende auch gewinnt. Dabei kommt dem gesprochenen Text neben der Musik eine
entscheidende Bedeutung zu, so dass eine Crossover-Arbeit zwischen Theater und
Tanz entsteht.
M (Julia Bartolome, rechts) hilft als Äbtissin Don Juan (Rafael Rivero), Doña Inés (Ana Baigorri) gefügig zu machen.
Die Musik kommt leider nur vom Band, wofür sich
zwei Gründe anführen lassen. Zum einen hätten Tom Waits' "Temptation" und Cakes
Cover-Version von "I will survive" sowieso eingespielt werden müssen, zum
anderen hätte es bei dem Einsatz der Bühnentechnik überhaupt keine Möglichkeit
gegeben, irgendwo ein Orchester zu positionieren. Denn auch die Bühne ist in
ständiger Bewegung und nutzt die technischen Möglichkeiten des Hauses komplett
aus. So wird eine riesige Drehbühne nach vorne und hinten gefahren, und Abgründe
tun sich auf, wenn der Bühnenboden in mehreren Ebenen emporgefahren wird, so
dass die Tänzer in die Tiefe springen bzw. stürzen oder auf einer Schräge
regelrecht in den Abgrund rollen. Auch das Lichtdesign von Olaf Lundt und Goyo
Montero erzeugt mit düsteren Bildern eine unheimliche Stimmung. Schon beim
ersten Auftritt von M ist es erstaunlich, wie der Teufel quasi aus dem Nichts
auf der schwarzen Bühne erscheint und in unterschiedlichen Lichtstimmungen fast
wieder unsichtbar wird. Auch die Schattenspiele hinter einem weißen Vorhang, die
eine Frau immer größer werden lassen, bis sie den ganzen Vorhang ausfüllt,
spiegeln Don Juans Gedankengänge glaubhaft wider.
Julia Bartolome (links) als M mit Marina Miguélez
(Mitte) als Schatten von Doña Inés und Macarena González (rechts)
als verschleierte Braut
Mit der Schauspielerin Julia Bartolome als M und dem Gastsolisten Rafael Rivero
verfügt die Produktion über zwei Künstler, die auch den gesprochenen Text auf
der Bühne zu einem Erlebnis machen. Bartolome begeistert durch ihre akzentuierte
Diktion und die Diabolik, die in ihrer recht dunklen Stimme mitschwingt. Dabei
präsentiert sie sich absolut wandlungsfähig und schlüpft problemlos in die Rolle
der Äbtissin, die der unbekümmerten Inés Don Juan als ehrlichen Liebhaber anpreist. Rivero spricht
seine Texte auf Spanisch und macht mit dem musikalischen Klang seiner Stimme den
Schwerenöter mehr als glaubwürdig. Besonders gelungen ist die Szene, in der Inés
seinen Brief liest. Während Rivero den Text spricht, hallt er von einer
Frauenstimme vom Band wider, was zeigt, wie sich die Worte in Inés' Gedanken
einbrennen. Auch dass sich Bartolome und Rivero in unterschiedlichen Sprachen
unterhalten, stört durch die Übertitelung der spanischen Passagen nicht weiter,
da so das gesprochene Wort bei beiden größere Authentizität erhält.
Don Juan (Rafael Rivero, rechts) fühlt sich schuldig und bereut (links: Ensemble).
Das Ensemble überzeugt in seinem modernen Ausdruckstanz durch große
Wandlungsfähigkeit. Während die Tänzer im ersten Barockstück noch die Ehemänner
der Damen zu sein scheinen, die versuchen, ihre Frauen vor Don Juan zu schützen,
werden sie im weiteren Verlauf des Stückes selbst auch zum Verführer, um so zu
zeigen, dass Don Juan entweder absolut wandlungsfähig ist oder ein Stück von ihm
in jedem Mann stecken könnte. Beeindruckend gelingt der Höllentanz, in dem die
Tänzer Don Juan immer wieder einkreisen und mit sich nehmen wollen, Rivero
jedoch in einer Art Kickboxen die anderen niederkämpft, bis er schließlich doch
in die Tiefe hinab gezogen wird. Riveros Energie in dieser Szene ist geradezu
unbeschreiblich. Auch zu Lera Auerbachs "Stabat Mater" gelingen Montero
bewegende Bilder, wenn Don Juan auf Inés' Schatten trifft und ihn ein Gefühl der
Reue überkommt. Auch hier hat die Beleuchtung wieder eine enorme Wirkung, da die
Tänzer mit Lampen unter schwarzen Tüchern die Frauen in weißen Kostümen
regelrecht eingesponnen haben. Rivero trägt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr
seinen dunkelroten Anzug, wahrscheinlich um die Läuterung der Titelfigur anzudeuten. Der
Schluss erklärt sich dann jedoch musikalisch nicht. Während alle Tänzer das
schwarze Kostüm des Teufels angelegt haben, wird Don Juan in Inés' Grab zu den
Klängen von "I will survive" gelegt. An dieser Stelle überlebt Don Juan ja
gerade nicht. Montero begründet es mit der Unkenntnis über die Hölle.
Aber auch diese Verwirrung am Schluss beeinträchtigt nicht den frenetischen
Applaus, mit dem das Publikum am Ende das Ensemble und den Choreographen feiert,
auch wenn der Abend mit Gluck nicht allzu viel zu tun hat.
FAZIT
Wer nicht erwartet, eine Choreographie von Glucks erstem Handlungsballett zu
sehen, wird bei diesem kurzweiligen und eindringlichen Tanzabend voll auf seine
Kosten kommen.
Weitere Rezensionen zu den
Internationalen Gluck-Opern-Festspielen 2012
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Produktionsteam
Choreographie und Inszenierung
Goyo Montero
Bühne
Verena Hemmerlein,
Goyo Montero
Kostüme
Angelo Alberto,
Goyo Montero
Lichtdesign
Olaf Lundt,
Goyo Montero
Solisten
Don Juan
Rafael Rivero
M
Julia Bartolome
Doña Inés
Ana Baigorri
Schatten von Doña Inés
Marina Miguélez
Doña Ana
Simone Elliott Asasello
Saúl Vega
Ensemble Damen
Sophie Antoine
Ana Baigorri
Julia Cortés
Macarena González
Sayaka Kado
Hannah Lagerway
Marina Miguélez
Marina Sánchez
Natsu Sasaki
Ensemble Herren
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