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Rossini Opera Festival

Pesaro
10.08.2012 - 23.08.2012


Ciro in Babilonia

Dramma con cori in zwei Akten
Libretto von Francesco Aventi
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Kooperation mit dem Caramoor International Music Festival in New York und dem Museo Nazionale del Cinema in Turin

Premiere im Teatro Rossini in Pesaro am 10. August 2012
(rezensierte Aufführung: 16.08.2012)


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Rossini Opera Festival

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Biblische Geschichte als monumentaler Kinofilm

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)


Nachdem man beim Rossini Opera Festival 2011 in der Adriatic Arena eine auf die aktuelle Situation im Nahen Osten bezogene Deutung von Rossinis Mosè in Egitto erleben konnte, widmet man sich in diesem Jahr Rossinis erster ernsten Oper, die ebenfalls auf einem biblischen Stoff basiert. Dabei gingen zur damaligen Zeit die Meinungen über den Erfolg und die Qualität von Ciro in Babilonia ein wenig auseinander. Rossini selbst bezeichnete viele Jahre später in den von dem Musikpädagogen Ferdinand Hiller veröffentlichten Plaudereien mit Rossini dieses Werk als ein "Fiasko", auch wenn er direkt nach der Premiere in einem Brief an seine Mutter von einem großen Erfolg gesprochen hatte. Kritik wurde vor allem am Libretto wegen der langen Rezitative und des Aufbaus der einzelnen Nummern geäußert, wobei bemerkt werden muss, dass der Librettist Francesco Aventi zwar ein gebildeter und belesener Mann war, dessen Berufung aber eher eine militärische als eine literarische Karriere war, so dass er auf diesem Gebiet eher wie ein Amateur agierte. Folglich verschwand das Werk nach Rossinis Abschied von der Opernbühne recht schnell von den Spielplänen, gehört heute zu den eher selten gespielten Opern des Pesaresen und ist meistens nur bei irgendwelchen Festspielen zu erleben.

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Ciro (Ewa Podleś) als Stummfilmstar

Die Handlung geht zurück auf das frevelhafte Gastmahl des babylonischen Königs Baldassare (Belsazar), von dem im fünften Kapitel des Propheten Daniel im alten Testament berichtet wird, und wird verknüpft mit der bei Herodot und Xenophon berichteten Eroberung Babylons durch den persischen König Ciro (Kyros II.). Um die Geschichte noch opernwirksamer zu machen, werden zwei Liebesgeschichten eingeflochten. So entführt Baldassare aus dem Lager der vor den Toren lagernden Persern Ciros Ehefrau Amira, seinen Sohn Cambise und die Dienerin Argene und verliebt sich in Amira, die allerdings seine Avancen selbst unter Androhung des Todes zurückweist. Der babylonische General Arbace liebt Argene und beschließt daher, die Gefangenen zu befreien. Zu diesem Zweck schleust er Ciro getarnt als Botschafter in den Palast. Baldassare durchschaut jedoch den Schwindel und lässt Ciro in den Kerker sperren. Als beim folgenden Gastmahl unter Donner und Blitz der geheimnisvolle Spruch von unbekannter Hand an die Wand geschrieben wird, weissagt der Prophet Daniello (Daniel) Baldassares baldigen Tod. Dieser versucht, ihn abzuwenden, indem er plant, Ciro mit Frau und Kind zu opfern. Doch dazu kommt es nicht mehr. Den Truppen der Perser gelingt es, in die Stadt einzudringen und Ciro zu befreien. Baldassare und seine Familie werden zum Tode verurteilt, Ciro ist wieder glücklich mit Frau und Kind vereint und Arbace darf auf Argenes Liebe hoffen.

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Ciro (Ewa Podleś, hinten links) erscheint als Botschafter getarnt im Palast des Königs Baldassare (Michael Spyres, hinten rechts). Amira (Jessica Pratt, vorne links) ist irritiert, Zambri (Mirco Palazzi, Mitte) misstrauisch (im Hintergrund und vorne: Chor).

Die dramaturgischen Schwächen des Librettos liegen vor allem im zweiten Akt, der mit der Kerker-, Gastmahl- und Befreiungsszene inhaltlich überfrachtet ist. Dass im Stück trotzdem keine Längen entstehen, ist vor allem dem durchdachten Regiekonzept des Inszenierungsteams um Davide Livermore zuzuschreiben. Livermore inszeniert die Geschichte als alten Monumentalfilm aus den Anfangsjahren des Kinos, in denen historische Streifen mit aufwendigen Kostümen und Kulissen Hochkonjunktur hatten. In diesem Kontext wirken die detailreich gestalteten Kostüme von Gianluca Falaschi keineswegs museal, sondern sind erforderlich, um die Illusion des Films aufrechtzuerhalten und das Publikum regelrecht in den Bann der Geschichte zu ziehen. Dies geschieht auch mit Teilen des Chors und Statisten, die zur Ouvertüre in schicken Abendgarderoben längst vergangener Zeiten die Bühne wie eine Art Kinosaal betreten und zunächst an der Bühnenrampe sitzend auf eine riesige Leinwand schauen. Erst ist es nur ein kleiner Junge, der die Grenze zur Fiktion überschreitet und als Ciros Sohn Cambise Teil der Handlung wird, während seine Mutter im Verlauf des Stückes immer wieder verzweifelt versucht, ihren Sohn zurückzubekommen. Nach und nach vermengen sich aber auch die anderen Zuschauer mit den Figuren des Stückes und werden Teil der Geschichte. So wird zwischenzeitlich eine Projektion des Zuschauerraums des Theaters zur Spielfläche, um aufzuzeigen, dass das Publikum inmitten des Geschehens steht.

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Romantische Szene im Kerker: Ciro (Ewa Podleś) und Amira (Jessica Pratt)

Nicolas Bovey gestaltet die Bühne mit antik anmutenden, verschiebbaren Podesten, auf denen die Figuren auf die Bühne und wieder herunter gefahren werden können. Die Kulissen werden dabei von D-Wok als Videoprojektionen an die Wand geworfen. Dabei entstehen beispielsweise fantasievolle Bilder eines Palastes und die Einsamkeit einer weiten Wüste. Ständig flimmernde Streifen, eingeblendete Zwischentexte und Großaufnahmen von Ciro, Amira und Baldassare erinnern in ihrer Machart an die Stummfilmzeit, in der das fehlende gesprochene Wort durch übertrieben expressive Mimik und Gestik kompensiert werden musste. Auch dies wirkt im Rahmen des Gesamtkonzeptes nicht karikierend, sondern korrespondiert mit der Musik und dem gesungenen Text. So zeigt eine Großaufnahme von Ciro, während Arbace ihm mitteilt, wie er ihn in die Stadt schleusen will, einen Bezug zu dem von Arbace besungenen Plan. An anderen Stellen kommt es immer dann zum "Filmriss", wenn die Figuren aufgrund der Situation so durcheinander sind, dass sie keinen klaren Gedanken fassen können. Besonders gelungen wirkt auch das Schlussbild, in dem auf ein hochkant stehendes Bühnenelement ein antiker Streitwagen projiziert wird, auf dem Ciro mit seiner Frau siegreich in Babylon einzuziehen scheint.

Während das Flackern der Bilder stets an einen alten Stummfilm erinnert, werden bei der Kerkerszene im zweiten Akt die Möglichkeiten der modernen Computer-Animation eindrucksvoll vor Augen geführt. Aus dem Wüstensand entwickelt sich Stein für Stein der Kerker, in dem Ciro gefangen gehalten wird, während dieser an Ketten ein großes Podest auf die Bühne zieht. An der rechten Seite ist ein Fenster angebracht, durch das in einer geschickten Lichtgestaltung der Mond regelrecht hineinzuleuchten scheint. Hier träumen sich Ciro und Amira in eine schönere Zukunft, während Amira in einer Projektion auf einer Mondsichel durch einen Sternenhimmel schwebt. Bewegend gelingt auch der Auftritt des Propheten Daniello, der Baldassare seinen baldigen Untergang prophezeit. Livermore lässt kurz vor dem Finale dann zwei in einem großen Drachenmaul geopferte Mädchen in schwarzen Skelett-Kostümen wieder auftreten und Baldassare in die Tiefe stürzen.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf sehr hohem Niveau. Carmen Romeu verfügt als Argene über einen warmen, voll tönenden Mezzo, der den der Uraufführungsbesetzung um Längen übertroffen haben dürfte. In einer Anekdote hatte Rossini nämlich einmal kundgetan, dass die Sängerin der Dienerin bei der Uraufführung so eine beschränkte Stimme gehabt habe, dass er ihre ganze Arie "Chi disprezza gl'infelici" im zweiten Akt, wenn sie noch voller Furcht der geplanten Hinrichtung Ciros entgegensieht, auf den einem Ton komponiert habe, den sie beherrscht habe. Robert McPherson stattet Argenes Geliebten Arbace mit kräftigem Tenor aus. Raffaele Costantini gefällt in der recht kleinen Rolle des Propheten Daniello mit markantem Bass. Auch Mirco Palazzi stattet den königstreuen Prinzen Zambri mit wohligem Bass aus. Michael Spyres überzeugt als Bösewicht Baldassare mit höhensicherem und beweglichem Tenor und verleiht dem babylonischen König in seiner Arie "Qual crudel, qual trista sorte", wenn er verzweifelt überlegt, wie er dem fatalen Orakelspruch entgehen könne, beinahe schon bemitleidenswerte Züge. Jessica Pratt begeistert als Amira mit sauberen Koloraturen und macht die Leiden der entführten Frau sehr glaubhaft. Höhepunkt des Abends ist Ewa Podleś in der Titelpartie, die mit ihrer faszinierenden Stimme über ein gewaltiges Register verfügt, das zum einen in unglaubliche Tiefen hinabreicht, zum anderen aber auch dramatische Ausbrüche in die Höhen zulässt. Mit welcher Beweglichkeit sie zwischen Höhen und Tiefen changiert, löst beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme aus, so dass nach ihrer Auftrittskavatine "Ahi! come il mio dolore", in der sie den Verlust der geliebten Amira beklagt, Rufe laut werden, die Kavatine zu wiederholen. Sehr eindringlich gelingt ihr auch das Duett mit Pratt in der Kerkerszene des zweiten Aktes. Nach ihrem jubelnden Schlussgesang hält es das Publikum kaum noch auf den Sitzen. Der von Lorenzo Fratini einstudierte Chor und das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Will Crutchfield runden den Abend hervorragend ab, so dass auch diese Produktion neben der hervorragenden Matilde di Shabran - Inszenierung in der Adriatic Arena Zeugnis für die hohe Qualität des Festivals ablegt.

FAZIT

Davide Livermores Konzept, die Handlung als monumentalen Kinofilm zu präsentieren, geht auf. Hinzu kommt eine sängerische Hochleistung, die keine Wünsche offen lässt.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2012



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Crutchfield

Regie
Davide Livermore

Bühne und Licht
Nicolas Bovey

Kostüme
Gianluca Falaschi

Videodesign
D-Wok

Chorleitung
Lorenzo Fratini



Chor und Orchester des
Teatro Comunale di
Bologna


Solisten

Baldassare
Michael Spyres

Ciro
Ewa Podle
ś

Amira
Jessica Pratt

Argene
Carmen Romeu

Zambri
Mirco Palazzi

Arbace
Robert McPherson

Daniello
Raffaele Costantini

 


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