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Biblische Geschichte als monumentaler KinofilmVon Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)
Ciro (Ewa Podle ś) als StummfilmstarDie Handlung geht zurück auf das frevelhafte Gastmahl des babylonischen Königs Baldassare (Belsazar), von dem im fünften Kapitel des Propheten Daniel im alten Testament berichtet wird, und wird verknüpft mit der bei Herodot und Xenophon berichteten Eroberung Babylons durch den persischen König Ciro (Kyros II.). Um die Geschichte noch opernwirksamer zu machen, werden zwei Liebesgeschichten eingeflochten. So entführt Baldassare aus dem Lager der vor den Toren lagernden Persern Ciros Ehefrau Amira, seinen Sohn Cambise und die Dienerin Argene und verliebt sich in Amira, die allerdings seine Avancen selbst unter Androhung des Todes zurückweist. Der babylonische General Arbace liebt Argene und beschließt daher, die Gefangenen zu befreien. Zu diesem Zweck schleust er Ciro getarnt als Botschafter in den Palast. Baldassare durchschaut jedoch den Schwindel und lässt Ciro in den Kerker sperren. Als beim folgenden Gastmahl unter Donner und Blitz der geheimnisvolle Spruch von unbekannter Hand an die Wand geschrieben wird, weissagt der Prophet Daniello (Daniel) Baldassares baldigen Tod. Dieser versucht, ihn abzuwenden, indem er plant, Ciro mit Frau und Kind zu opfern. Doch dazu kommt es nicht mehr. Den Truppen der Perser gelingt es, in die Stadt einzudringen und Ciro zu befreien. Baldassare und seine Familie werden zum Tode verurteilt, Ciro ist wieder glücklich mit Frau und Kind vereint und Arbace darf auf Argenes Liebe hoffen. Ciro (Ewa Podle ś, hinten links) erscheint als Botschafter getarnt im Palast des Königs Baldassare (Michael Spyres, hinten rechts). Amira (Jessica Pratt, vorne links) ist irritiert, Zambri (Mirco Palazzi, Mitte) misstrauisch (im Hintergrund und vorne: Chor).Die dramaturgischen Schwächen des Librettos liegen vor allem im zweiten Akt, der mit der Kerker-, Gastmahl- und Befreiungsszene inhaltlich überfrachtet ist. Dass im Stück trotzdem keine Längen entstehen, ist vor allem dem durchdachten Regiekonzept des Inszenierungsteams um Davide Livermore zuzuschreiben. Livermore inszeniert die Geschichte als alten Monumentalfilm aus den Anfangsjahren des Kinos, in denen historische Streifen mit aufwendigen Kostümen und Kulissen Hochkonjunktur hatten. In diesem Kontext wirken die detailreich gestalteten Kostüme von Gianluca Falaschi keineswegs museal, sondern sind erforderlich, um die Illusion des Films aufrechtzuerhalten und das Publikum regelrecht in den Bann der Geschichte zu ziehen. Dies geschieht auch mit Teilen des Chors und Statisten, die zur Ouvertüre in schicken Abendgarderoben längst vergangener Zeiten die Bühne wie eine Art Kinosaal betreten und zunächst an der Bühnenrampe sitzend auf eine riesige Leinwand schauen. Erst ist es nur ein kleiner Junge, der die Grenze zur Fiktion überschreitet und als Ciros Sohn Cambise Teil der Handlung wird, während seine Mutter im Verlauf des Stückes immer wieder verzweifelt versucht, ihren Sohn zurückzubekommen. Nach und nach vermengen sich aber auch die anderen Zuschauer mit den Figuren des Stückes und werden Teil der Geschichte. So wird zwischenzeitlich eine Projektion des Zuschauerraums des Theaters zur Spielfläche, um aufzuzeigen, dass das Publikum inmitten des Geschehens steht. Romantische Szene im Kerker: Ciro (Ewa Podle ś) und Amira (Jessica Pratt)Nicolas Bovey gestaltet die Bühne mit antik anmutenden, verschiebbaren Podesten, auf denen die Figuren auf die Bühne und wieder herunter gefahren werden können. Die Kulissen werden dabei von D-Wok als Videoprojektionen an die Wand geworfen. Dabei entstehen beispielsweise fantasievolle Bilder eines Palastes und die Einsamkeit einer weiten Wüste. Ständig flimmernde Streifen, eingeblendete Zwischentexte und Großaufnahmen von Ciro, Amira und Baldassare erinnern in ihrer Machart an die Stummfilmzeit, in der das fehlende gesprochene Wort durch übertrieben expressive Mimik und Gestik kompensiert werden musste. Auch dies wirkt im Rahmen des Gesamtkonzeptes nicht karikierend, sondern korrespondiert mit der Musik und dem gesungenen Text. So zeigt eine Großaufnahme von Ciro, während Arbace ihm mitteilt, wie er ihn in die Stadt schleusen will, einen Bezug zu dem von Arbace besungenen Plan. An anderen Stellen kommt es immer dann zum "Filmriss", wenn die Figuren aufgrund der Situation so durcheinander sind, dass sie keinen klaren Gedanken fassen können. Besonders gelungen wirkt auch das Schlussbild, in dem auf ein hochkant stehendes Bühnenelement ein antiker Streitwagen projiziert wird, auf dem Ciro mit seiner Frau siegreich in Babylon einzuziehen scheint. Während das Flackern der Bilder stets an einen alten Stummfilm erinnert, werden bei der Kerkerszene im zweiten Akt die Möglichkeiten der modernen Computer-Animation eindrucksvoll vor Augen geführt. Aus dem Wüstensand entwickelt sich Stein für Stein der Kerker, in dem Ciro gefangen gehalten wird, während dieser an Ketten ein großes Podest auf die Bühne zieht. An der rechten Seite ist ein Fenster angebracht, durch das in einer geschickten Lichtgestaltung der Mond regelrecht hineinzuleuchten scheint. Hier träumen sich Ciro und Amira in eine schönere Zukunft, während Amira in einer Projektion auf einer Mondsichel durch einen Sternenhimmel schwebt. Bewegend gelingt auch der Auftritt des Propheten Daniello, der Baldassare seinen baldigen Untergang prophezeit. Livermore lässt kurz vor dem Finale dann zwei in einem großen Drachenmaul geopferte Mädchen in schwarzen Skelett-Kostümen wieder auftreten und Baldassare in die Tiefe stürzen. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf sehr hohem Niveau. Carmen Romeu verfügt als Argene über einen warmen, voll tönenden Mezzo, der den der Uraufführungsbesetzung um Längen übertroffen haben dürfte. In einer Anekdote hatte Rossini nämlich einmal kundgetan, dass die Sängerin der Dienerin bei der Uraufführung so eine beschränkte Stimme gehabt habe, dass er ihre ganze Arie "Chi disprezza gl'infelici" im zweiten Akt, wenn sie noch voller Furcht der geplanten Hinrichtung Ciros entgegensieht, auf den einem Ton komponiert habe, den sie beherrscht habe. Robert McPherson stattet Argenes Geliebten Arbace mit kräftigem Tenor aus. Raffaele Costantini gefällt in der recht kleinen Rolle des Propheten Daniello mit markantem Bass. Auch Mirco Palazzi stattet den königstreuen Prinzen Zambri mit wohligem Bass aus. Michael Spyres überzeugt als Bösewicht Baldassare mit höhensicherem und beweglichem Tenor und verleiht dem babylonischen König in seiner Arie "Qual crudel, qual trista sorte", wenn er verzweifelt überlegt, wie er dem fatalen Orakelspruch entgehen könne, beinahe schon bemitleidenswerte Züge. Jessica Pratt begeistert als Amira mit sauberen Koloraturen und macht die Leiden der entführten Frau sehr glaubhaft. Höhepunkt des Abends ist Ewa Podle ś in der Titelpartie, die mit ihrer faszinierenden Stimme über ein gewaltiges Register verfügt, das zum einen in unglaubliche Tiefen hinabreicht, zum anderen aber auch dramatische Ausbrüche in die Höhen zulässt. Mit welcher Beweglichkeit sie zwischen Höhen und Tiefen changiert, löst beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme aus, so dass nach ihrer Auftrittskavatine "Ahi! come il mio dolore", in der sie den Verlust der geliebten Amira beklagt, Rufe laut werden, die Kavatine zu wiederholen. Sehr eindringlich gelingt ihr auch das Duett mit Pratt in der Kerkerszene des zweiten Aktes. Nach ihrem jubelnden Schlussgesang hält es das Publikum kaum noch auf den Sitzen. Der von Lorenzo Fratini einstudierte Chor und das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Will Crutchfield runden den Abend hervorragend ab, so dass auch diese Produktion neben der hervorragenden Matilde di Shabran - Inszenierung in der Adriatic Arena Zeugnis für die hohe Qualität des Festivals ablegt.
FAZIT Davide Livermores Konzept, die Handlung als monumentalen Kinofilm zu präsentieren, geht auf. Hinzu kommt eine sängerische Hochleistung, die keine Wünsche offen lässt.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2012 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungWill Crutchfield Regie Bühne und Licht
Kostüme Videodesign Chorleitung
Solisten
Baldassare
Ciro
Amira
Argene
Zambri
Arbace
Daniello
|
- Fine -