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Rossini Opera Festival

Pesaro
10.08.2012 - 23.08.2012


Matilde di Shabran

Melodramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Giacomo Ferretti
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h (eine Pause)

Premiere der Wiederaufnahme in der Adriatic Arena in Pesaro am 11. August 2012
(rezensierte Aufführung: 14.08.2012)


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Rossini Opera Festival

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Die Zähmung des Widerspenstigen

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)


Rossinis letzte Opera semiseria, die 1821 auch gleichzeitig seine letzte Komposition für Rom markierte, hat, wie es bei den Werken des Pesaresen häufig der Fall war, eine recht abenteuerliche Entstehungsgeschichte. Dass Rossini mit seinen Kompositionsaufträgen in enormen Zeitdruck geriet und damit die Verantwortlichen der Theater, die seine Opern zur Uraufführung bringen wollten, häufig verzweifeln ließ, war nichts Ungewöhnliches. Im Falle der Matilde di Shabran wurden die Verzögerungen aber nahezu auf die Spitze getrieben. Nachdem Rossini schon aufgrund der verschobenen Premiere seiner Oper Maometto II bereits mit einem Monat Verspätung aus Neapel nach Rom kam, musste er feststellen, dass das Libretto, dem wahrscheinlich das französische Drama Mathilde von Jacques-Marie Boutet de Monvel zugrunde lag, überhaupt nicht Rossinis Vorstellungen entsprach, und wandte sich an Giacomo Ferretti, der ihm bereits schon einmal mit dem Libretto zu La Cenerentola aus der Patsche geholfen hatte. Ferretti, der allerdings gerade an zwei anderen Libretti arbeitete, versprach auf Rossinis Drängen, ein Melodramma zu adaptieren, an dem er bereits vorher gearbeitet hatte: Corradino il terribile. Da der Titel für Rossinis künftige Oper jedoch bereits bekannt gegeben war, wurde die weibliche Heldin aus Ferrettis Libretto, Isabella Shabran, kurzerhand in Matilde di Shabran umbenannt. Hinzu kam, dass Rossini keinerlei Möglichkeit sah, die Komposition rechtzeitig fertigzustellen, so dass er zum einen seinen Kollegen Giovanni Pacini bat, einige Teile des zweiten Aktes zu komponieren, und zum anderen auf Auszüge aus seinen früheren Opern Eduardo e Cristina und Ricciardo e Zoraide zurückgriff, die in Rom relativ unbekannt gewesen sein dürften. Für die Wiederaufnahme des Werkes im November desselben Jahres überarbeitete er allerdings die Oper, indem er die Kompositionen Pacinis und die eigenen Auszüge aus früheren Werken durch neue Kompositionen ersetzte. In Pesaro wird nun als Wiederaufnahme aus dem Jahr 2004 diese überarbeitete zweite Fassung gespielt.

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Matilde (Olga Peretyatko) bittet den herzlosen Corradino (Juan Diego Flórez, rechts) um Gnade (auf dem Stuhl: Ginardo (Simon Orfila), im Hintergrund: Mitglied des Chors).

Die Handlung spielt auf einem antiken spanischen Schloss, auf dem der als grausamer Herrscher gefürchtete Corradino, der den Beinamen Eisenherz trägt, regiert. Dieser droht nicht nur jedem, der sich ohne Einladung dem Schloss nähert, mit der Todesstrafe, sondern gibt sich auch als ein Frauenhasser, da das weibliche Geschlecht seines Erachtens die Entschlossenheit und Moral eines Kämpfers beeinträchtigt. Folglich ist er auch nicht begeistert, dass er aus Ehrerbietung vor einem von ihm hochgeschätzten gefallenen Krieger dessen Tochter Matilde auf seinem Schloss aufnehmen muss. Matilde hingegen betrachtet die Ablehnung Corradinos als Herausforderung und ist fest entschlossen, mit weiblicher Verführungskunst Corradinos Herz zu gewinnen. Dabei zeigt sie sich auch recht erfolgreich, da Corradino sich kaum gegen seine Gefühle für die schöne junge Frau wehren kann. Allerdings hat sie die Rechnung ohne die intrigante Contessa d'Arco gemacht, der Corradino schon vor langer Zeit, um den Frieden zu sichern, ein Eheversprechen geben musste. Diese befreit den Gefangenen Edoardo und lässt Corradino in dem Glauben, dass Matilde dafür verantwortlich ist. Empört fordert Corradino seinen Hofpoeten Isidoro auf, Matilde hinzurichten und von einer Klippe zu stürzen. Als Edoardo zurückkehrt, um die Intrige der Contessa aufzuklären, will Corradino Matilde verzweifelt in den Tod folgen. Doch Isidoro hat als Mann des Wortes Matilde nicht wirklich hingerichtet. So bewahrt sie Corradino vor dem Selbstmord, fordert jedoch zur Wiedergutmachung die Freilassung Edoardos und die Aussöhnung mit dessen Vater Raimondo. Corradino lenkt ein, und die Oper endet mit einem Hohelied auf die Liebe und die Macht Frauen.

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Wird Matilde (Olga Peretyatko) Corradino (Juan Diego Flórez, vorne) verzeihen (im Hintergrund rechts: Raimondo (Marco Filippo Romano), links: Mitglieder des Chors)?

Das Bühnenbild von Sergio Tramonti wird von zwei riesigen Wendeltreppen in der Mitte der Bühne dominiert, die auf zwei Kreisscheiben einzeln gedreht werden können und sich somit scheinbar ineinander verschlingen können. Diese beiden Treppen fordern den Solisten zwar einerseits durch die zahlreichen Stufen enormen körperlichen Einsatz ab, ermöglichen andererseits aber auch eindrucksvolle Bilder, wenn beispielsweise Matilde im Schloss ankommt und die eine Treppe emporschreitet, während die Contessa sie missgünstig von der anderen Treppe aus beobachtet und diese hinabsteigt. Der Rest des Schlosses ist mit den hohen Wänden eher nüchtern gehalten, was dem Charakter Corradinos durchaus entspricht. Hinter den Wendeltreppen befindet sich noch eine weitere große Treppe, die den Weg in Corradinos Schloss markiert. Auf der linken Seite ist ein längliches Holzpodest aufgestellt, das nach vorne bis zum Orchestergraben gefahren werden kann, so dass kurz vor Ende des zweiten Aktes der Eindruck entsteht, dass Corradino sich aus Verzweiflung über seine Tat von einer Klippe ins Meer stürzen will. Ursula Patzak hat für die Figuren historisierende Kostüme geschaffen, wobei Corradinos schwarzes Kostüm seinem menschenverachtenden Charakter und Matildes leuchtend rotes Kleid ihrer Liebe und Wärme entsprechen. Der Regisseur Mario Martone findet in den Ensembles eindrucksvoll choreographierte Bilder, bei denen jeder Schritt und jeder Standort genau auf die Musik abgestimmt ist, was sowohl für den von Lorenzo Fratini homogen einstudierten Chor des Teatro Comunale di Bologna als auch für die Solisten zutrifft, die bei ihrem ausdrucksstarkem Spiel sichtlich Spaß haben.

Die musikalische Besonderheit dieses Werkes liegt darin, dass die Oper über insgesamt nur drei Arien im eigentlichen Sinne verfügt, die noch nicht einmal den eigentlichen beiden Hauptfiguren Matilde und Corradino zukommen. Corradinos Arie "Anima mia, Matilda" kurz vor Ende des zweiten Aktes, in der er den vermeintlichen Tod der unschuldig verurteilten Matilde beklagt, wurde von Rossini bei der Überarbeitung des Werkes für Neapel durch ein Duett zwischen Corradino und Edoardo ersetzt, da die ursprüngliche Arie dem Publikum aus Ricciardo e Zoraide zu bekannt gewesen sein dürfte. Die eigentlichen Höhepunkte stellen in dieser Oper vielmehr die Ensembles in Form eines Quartetts und Quintetts im ersten Akt und eines Sextetts im zweiten Akt dar, die durch die hochkarätige Besetzung das Publikum in der Adriatic Arena in so lang anhaltenden frenetischen Applaus mit Händen und Füßen ausbrechen lassen, dass die Solisten nicht nur endlos lange in der jeweiligen Pose verharren müssen, sondern auch aus den ursprünglich für den Abend angekündigten drei Stunden und vierzig Minuten vier Stunden werden.

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Glückliches Schlussbild: Matilde (Olga Peretyatko) und Corradino (Juan Diego Flórez) (im Hintergrund: Mitglieder des Chors)

Da ist natürlich zunächst einmal Juan Diego Flórez zu nennen, für den die Rolle des Corradino eine ganz besondere Rolle in seiner Karriere spielen dürfte. Sein Einspringen für einen erkrankten Kollegen in einer Produktion Ende der 90er Jahre in Pesaro markierte nämlich mehr oder weniger den Beginn seiner Weltkarriere. Folglich schlüpfte er auch bei der Neuproduktion 2004 in diese Rolle und ließ es sich auch nicht nehmen, bei der Wiederaufnahme acht Jahre später erneut als Corradino aufzutreten. Obwohl er keine eigenständige Bravourarie in dieser Oper hat, gestaltet er den grausamen Herrscher mit einer grandiosen Intensität, singt scheinbar mühelos die zahlreichen hohen Töne und begeistert dabei auch noch mit komischem Talent, wenn sein Menschenhass beim Anblick Matildes ins Wanken gerät und er sich in einen verliebten Geck verwandelt, der auch mal in Schwindel erregender Höhe an dem Geländer der Wendeltreppe baumelt. Unglaublich ist auch seine sportliche Kondition. So rennt er die endlos langen Treppen hinauf und hinab und verfügt trotzdem noch über genügend Luft, die folgenden musikalischen Bögen ohne Mühen zu singen. Dass er auch tragische Töne glaubhaft anschlagen kann, stellt er in dem großen Duett "Da cento smanie, e cento" mit Edoardo unter Beweis, wenn er das Gefühl hat, Matilde unschuldig verurteilt zu haben, und sich aus Verzweiflung anschließend ebenfalls das Leben nehmen will. Dass der Abend nicht zu einer One-Man-Show wird, liegt an den anderen Solisten, die mit dem hohen Niveau in jeder Hinsicht mithalten können.

Für den Buffo-Bass Paolo Bordogna ist der Hofdichter Isidoro erneut eine Paraderolle, die er mit zahlreichen Slapstickeinlagen glänzt, wie man es von ihm aus den Vorjahren in Pesaro in Rollen wie Germano in La scala di seta und Don Magnifico in La Cenerentola bereits gewohnt ist. Auch hier ist er wieder voll in seinem Element, wenn er entweder die Schläge Corradinos einstecken muss oder sich als Fahnenträger beim Einzug in die Schlacht in der Fahne verheddert. Mit Simon Orfila als stimmgewaltigem Wächter Ginardo präsentiert er auch ein tänzerisches Kabinettstückchen, wenn die beiden mit einem roten umgebundenen Vorhang Matilde und Corradino beim Tanz imitieren. Nicola Alaimo stellt mit seinem profunden Bass als Corradinos Hausarzt Aliprando einen sympathischen ruhenden Gegenpol dar, der es geschickt versteht, den Zorn seines Herrn im Zaum zu halten und in dem anrührenden Duett "Di capricci, di smorfiette" Matildes Überzeugung dämpft, Corradinos Herz gewinnen zu können. Chiara Chialli gibt mit dunkel eingefärbtem Mezzo eine durch und durch intrigante Contessa d'Arco, die in furioser Gestik und Mimik ihrer Eifersucht auf Matilde freien Lauf lässt. Anna Goryachova lässt als Edoardo mit ihrem warmen Mezzo ihre beiden Arien zu weiteren Höhepunkten des Abends werden, wenn sie sich in "Piange il mio ciglio" mit großem Stolz weigert, sich vor Corradino zu verneigen, oder in "Sazia tu fossi alfine" fürchtet, den Vater für immer verloren zu haben.

Olga Peretyatko gestaltet die Titelpartie mit keckem Spiel und strahlendem Sopran, der im Schlussrondo "Tace la tromba altera" mit perlenden Koloraturen zur Höchstform aufläuft und dem Stück einen fulminanten Abschluss gibt. Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Michele Mariotti rundet die großartige sängerische Leistung kongenial ab, so dass das rundum begeisterte Publikum aufgrund des lang anhaltenden und teilweise orkanartigen Applauses erst nach Mitternacht die Adriatic Arena verlässt.

FAZIT

Diese Wiederaufnahme zählt in dieser Besetzung sicherlich zu den besten Produktionen, die in den letzten Jahren beim Rossini Opera Festival zu erleben waren.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Regie
Mario Martone

Bühne
Sergio Tramonti

Kostüme
Ursula Patzak

Licht
Pasquale Mari

Chorleitung
Lorenzo Fratini



Chor und Orchester des
Teatro Comunale di
Bologna


Solisten

Matilde di Shabran
Olga Peretyatko

Edoardo
Anna Goryachova

Raimondo Lopez
Marco Filippo Romano

Corradino
Juan Diego Flórez

Ginardo
Simon Orfila

Aliprando
Nicola Alaimo

Isidoro
Paolo Bordogna

Contessa d'Arco
Chiara Chialli

Egoldo
Giorgio Misseri

Rodrigo
Ugo Rosati /
Luca Visani

 


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