Die Vielfalt Alter Musik als Programm
Von Ingo
Negwer
Die 28. Tage Alter Musik Regensburg wurden,
einer guten Tradition folgend, von den Regensburger Domspatzen eröffnet.
Ihnen zur Seite stand wieder einmal die Akademie für Alte Musik
Berlin, die zu Beginn in der Basilika St. Emmeram Franz Schuberts
Sinfonie h-Moll "Die Unvollendete" spielte. Ohne Dirigenten, vom
Konzertmeisterpult (Georg Kallweit) geleitet, interpretierten die
Berliner das wohlbekannte Orchesterstück mit ungewohnt herbem Grundton
präzise und transparent. Nach der Pause nahmen sich die Domspatzen
unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Schuberts Messe
Nr. 5 As-Dur mit erstklassiger Stimmkultur auf beherzte Weise an. Das
ebenfalls ausgezeichnete Solistenquartett bildeten Deborah York
(Sopran), Dorothée Rabsch (Alt), Florian Neubauer (Tenor) und Christof
Hartkopf (Bass).
La
Compañia gab noch ein Zusatzkonzert auf dem Haidplatz
(Foto: Ingo Negwer)
Das Regensburger
Pfingstfestival bot auch in diesem Jahr ein facettenreiches
Konzertangebot mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik. So konnte
man sich allein am Samstag von der stilistischen Vielfalt der Tage
Alter Musik überzeugen. Am Morgen gab La Compañia - The Renaissance
Band in der Minoritenkirche ihr Europa-Debüt. Unter der Leitung des
Zinkenisten Danny Lucin spielte La Compañia Musik der
Stadtpfeifer aus Spanien und Italien. Die Matinée war alles in allem
ein sehr beachtliches Lebenszeichen der historischen Aufführungspraxis
Australiens und beeindruckte vor allem durch das durchweg hohe Niveau
der Instrumentalisten. Auch Siobhan Stagg ließ mit stilsicherem, klarem
Sopran aufhorchen. Jedoch konnten die Interpreten vor allem im ersten,
den spanischen Ministrels gewidmeten Teil eine gewisse Monotonie nicht
vermeiden. Gemessen an Ensembles wie Piffaro - The Renaissance Band
(USA, 2008 zuletzt in Regensburg) oder Capella de la
Torre (Deutschland, 2010 in Regensburg) musizierte La Compañia
insgesamt zu brav.
Rachel
Podger (4. v. l.) und das Ensemble Brecon Baroque
(Foto: Ingo Negwer)
Nach der Matinée mit
Renaissancemusik folgte am Nachmittag in St. Oswald ein barockes
Programm mit Werken von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp
Telemann. Das von der Geigerin Rachel Podger gegründete Ensemble Brecon
Baroque steht ganz in der Tradition der renommierten britischen
Ensembles. Virtuose Souveränität, gepaart mit einer leicht unterkühlten
Präzision zeichnen auch Brecon Baroque aus. Insbesondere in
Bachs Violinkonzerten a-Moll, E-Dur und A-Dur (eine Rekonstruktion nach
dem Cembalokonzert BWV 1055) präsentierten sich die sieben Musiker,
allen voran Rachel Podger, als kleine exquisite Minimalbesetzung. Auch
der Cembalist Marcin Swiatkiewicz wusste im Konzert d-Moll BWV 1052
eindrucksvoll zu überzeugen. Einen erfrischenden Kontrast im Reigen der
Bachschen Musik bildete Telemanns Konzert F-Dur für drei Violinen,
Streicher und Basso continuo aus der "Tafelmusik" mit den drei Geigern
Rachel Podger, Bojan Cicic und Johannes Pramsohler als Solisten.
Geistliche Musik von Mozart und
Palestrina stand am Abend im Fokus: In der prächtigen Alten Kapelle
hatten sich mit dem Collegium Vocale Gent und Anima Eterna
Brugge zwei belgische Spitzenensembles vereinigt. Im ersten Teil
ihres Konzerts erklang die "Grabmusik" KV 42, eine Passionskantate in
Dialogform für Sopran, Bass, Chor und Orchester, die Mozart im Alter
von elf Jahren komponiert und später noch einmal revidiert hatte.
Andrea Lauren Brown sang den Engel, Thomas Bauer die Seele. Das
Jugendwerk verbindet traditionelle, quasi barocke kirchenmusikalische
Elemente mit jenen der Oper und zeugt vom experimentellen Ringen seines
Schöpfers um die eigene Tonsprache, vom Messen der eigenen Kräfte. In
Verbindung mit dem reiferen, später hinzugefügten Schlusschor gleicht
die "Grabmusik" einem meisterlichen Fragment, so wie das späte Requiem
d-Moll KV 626 ein fragmentarisches, von fremder Hand vollendetes
Meisterwerk ist.
Jos van
Immerseel
(Foto: Ingo Negwer)
Das Requiem folgte im zweiten
Teil des Konzerts in einer Darbietung, die zu den Höhepunkten des
diesjährigen Festivals zählt und sicher lange in Erinnerung bleiben
wird. Unter der Leitung von Jos van Immerseel musizierten Collegium
Vocale Gent und Anima Eterna Brugge mit durchweg frischen
Tempi. Das "Dies irae" geriet zu einem dramatisch zugespitzten
Totentanz, das zupackende "Domine Jesu" zu einem eindringlichen, quasi
fordernden Gebet. Das vorzügliche Solistenquartett mit Andrea Lauren
Brown (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Markus Schäfer (Tenor) und Harry
van der Kamp (Bass) fügte sich bruchlos in die von Chor und Orchester
vorgegebene Idealbesetzung ein. Auf solch hohem Niveau, als
ergreifendes Flehen um göttliche Gnade dargeboten, darf man Mozarts
letztes Werk nur ganz selten live erleben!
Im anschließenden Nachtkonzert
stand Giovanni Pierluigi da Palestrinas Missa Papae Marcelli im
Zentrum, aufgeführt vom italienischen Vokalensemble Odhecaton
unter der Leitung von Paolo da Col. Umrahmt von geistlichen Motetten
bildete die wohl berühmteste Messe des 16. Jahrhunderts einen
meditativen, gleichwohl ebenfalls auf höchstem Niveau dargebotenen
Ruhepol in der nächtlichen Dominikanerkirche. Odhecaton, mit
vier Countertenören, fünf Tenören, einem Bariton und vier Bässen
besetzt, entfaltete klangprächtige Spannungsbögen und wahrte zugleich
ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Mit dem zwölfstimmigen "Laudate
Dominum" endete der zweite Festivaltag zu mitternächtlicher Stunde.
Midori
Seiler in der Spitalkirche St. Katharinen
(Foto: Ingo Negwer)
Der Pfingstsonntag begann in
kammermusikalischer Atmosphäre in der Spitalkirche St. Katharinen. Die
Barockgeigerin Midori Seiler verfügt zweifellos über das notwendige
technische und gestalterische Rüstzeug, um sich kompetent mit dem
überaus anspruchsvollen Solowerk Johann Sebastian Bachs
auseinanderzusetzen. In ihrer Regensburger Matinee interpretierte sie
die Partiten h-Moll und d-Moll und ließ dabei mit klarer, sauberer
Phrasierung, gepaart mit hoher Virtuosität kaum Wünsche offen.
Am Nachmittag führte Le
Concert Brisé sein Publikum auf "Umwegen zu Bach" – so das Motto
des Konzerts im Reichssaal. Musik vergangener Epochen wird leichter
zugänglich, wenn man sie in eine fiktive Geschichte verpackt und dem
heutigen Zuhörer in unterhaltsamen, appetitlichen Häppchen serviert.
Dies mag sich auch das französische Ensemble bei der Konzeption seines
Programms gedacht haben. Also blickte man zurück in das Jahr 1733: In
einer Leipziger Schenke spielen ein weit gereister spanischer Musiker
und einheimische Stadtpfeifer Musik aus verschiedenen Ländern und
Epochen in diversen Arrangements. Da wurde, nach anfänglichen
Unsicherheiten im Kyrie der Missa sine nomine von Palestrina, hoch
virtuos und sehr ausgewogen musiziert. Die Besetzung mit Violine, Oboe,
Zink, Posaune, Viola da Gamba, Fagott, Laute, Orgel und Cembalo in
immer neuen Kombinationen sorgte für reichlich Abwechslung. William
Dongois (Zink und Leitung) führte charmant moderierend durch das
Programm. Dennoch ließ die eine oder andere Interpretation den Zuhörer
wenig befriedigt und etwas irritiert am Wege zurück, wenn etwa
Telemanns Jugendwerk "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen" statt mit
Tenor, Violine und Basso continuo nur instrumental als Duett für Orgel
und Cembalo erklang.
Nach dem solistischen Auftakt am
Morgen und dem kammermusikalischen Intermezzo im Reichssaal gipfelte
der Pfingstsonntag am Abend im Konzert des Ensemble 1700 Lund.
Unter der Leitung von Göran Karlsson (Cembalo) gab das schwedische
Barockorchester in der St.-Oswald-Kirche seine überzeugende
Deutschlandpremiere mit Musik von Georg Philipp Telemann, Georg
Friedrich Händel und einer Suite aus den "Drottningholmsmusiken" des
schwedischen Komponisten Johan Helmich Roman. Letztere ist eine überaus
unterhaltsame Festmusik in der Nachfolge Händels und, so wie vom Ensemble
1700 Lund mit viel Spielwitz vorgetragen, eine schöne Bereicherung
des barocken Orchesterrepertoires.
Im Nachtkonzert, wiederum in der
ehrwürdigen Dominikanerkirche, wurde schließlich des 400. Todestags von
Andrea Gabriel gedacht. Das belgische Ensemble Oltremontano und
das Gesualdo Consort Amsterdam entfalteten in dem großen
Sakralbau die prächtige Mehrchörigkeit des venezianischen Meisters.
Nele Gramß (Sopran), Marnix De Cat (Altus), Julian Podger, Harry van
Berne und Volker Arndt (Tenor) sowie Harry van der Kamp (Bass)
präsentierten sich als ausgezeichnetes Vokalensemble, das zusammen mit Oltremontano
in stets wechselnden vokal-instrumental gemischten Chören zu sechs bis
achtzehn Stimmen musizierte.
Hidemi
Suzuki (Violoncello)
(Foto: Ingo Negwer)
Alexis
Kossenko (Traversflöte)
(Foto: Ingo Negwer)
Von zwei Konzerten des letzten
Festivaltags soll abschließend berichtet werden. Die Holland
Baroque Society arbeitet stets projektbezogen mit renommierten
Musikern zusammen, die als musikalische Leiter dem Barockorchester
stets neue kreative Impulse mit auf den Weg geben. Für das Regensburger
Konzert haben sich die Niederländer der Mitarbeit gleich zweier
außergewöhnlicher Solisten versichert. Zusammen mit Hidemi Suzuki
(Violoncello) und Alexis Kossenko (Traversflöte) hielten sie am
Montagnachmittag in der St.-Oswald-Kirche ein hörenswertes
musikalisches Plädoyer für Carl Philipp Emanuel Bach. Im Cellokonzert
a-Moll Wq 170 zeigt sich der Sohn des berühmten Thomaskantors als
Vorbote der Wiener Klassik. Dramatische Kontraste und ein hochvirtuoser
Solopart, den Hidemi Suzuki souverän und mit feiner Klanggestaltung
meisterte, zeichnen das Werk aus. Es folgte die außergewöhnliche, weil
nur zweisätzige Triosonate für Traversflöte (A. Kossenko), Violine
(Stefano Rossi) und Basso continuo, ehe man mit der Sinfonie Nr. 4
A-Dur, dirigiert von Alexis Kossenko, in die Pause ging. Anschließend
spielte die Holland Baroque Society, nun vom Cello aus von
Hidemi Suzuki geleitet, die Sinfonie Nr. 3 C-Dur. Im abschließenden
Konzert für Traversflöte, Streicher und Basso continuo d-Moll
brillierte noch einmal Kossenko mit modulationsfähigem, sensiblem Ton
und in den Ecksätzen perlend virtuosem Spiel.
Die Tage Alter Musik gingen mit
einer szenischen Aufführung der komischen Oper "Il Marito indolente –
Der gleichgültige Ehemann" des Dresdener Hofkomponist Joseph Schuster
(1748–1812) zu Ende. Das Barockorchester La Ciaccona um
Konzertmeisterin Ulla Baur und Dirigent Jörg Straube hat sich seit
seiner Gründung im Jahr 2000 in besonderem Maße um das Werk des
Zeitgenossen Mozarts und ehemals weithin berühmten Opernkomponisten
bemüht. Bei den Tagen Alter Musik Regensburg 2004 hatte La Ciaccona
bereits dessen "Amor und Psiche" aufgeführt. Schusters Werk
ist heute, zweihundert Jahre nach seinem Tod, nahezu vergessen. Dabei
ist die Musik zu "Il Marito indolente" durchaus qualitätsvoll und
hörenswert. Das Libretto von Caterino Mazzolà spielt unterhaltsam und
kurzweilig mit konventionellen Figurenkonstellationen: Die Ehe zwischen
Tranquillo und Metilde ist in die Jahre gekommen. Er sucht sein Heil in
der Literatur, sie bei anderen Liebhabern. Wer, wie in Mozarts "Nozze
di Figaro", Tiefgründiges oder gar die Abgründe der menschlichen Seele
suchte, wurde allerdings enttäuscht. Aber als komödiantisches
Bühnenspiel ist Schusters Oper durchaus gelungen.
Constanze
Backes und Thomas Stimmel
(Foto: Ingo Negwer)
Thomas
Lichtenecker und Katja Stuber
(Foto: Ingo Negwer)
Dominik Wilgenhaus, der auch
die amüsanten Übersetzungen der Rezitative besorgt hatte, gelang eine
stimmige Inszenierung, die mit einfachen Mitteln, poetischen Gesten und
einer gehörigen Portion Situationskomik überzeugte. Die Protagonisten
setzten das Regiekonzept engagiert und mit Spielwitz um. Auch stimmlich
war die Aufführung bestens besetzt: Constanze Backes und Thomas Stimmel
als entfremdetes Ehepaar, Markus Flaig als Fulgenzio, Andreas Post als
Metildes Kavalier Graf Belsospiri und Andrea Letzing als Kammerjungfer.
Besonders zu erwähnen sind Katja Stuber, die mit jugendlich frischem
Sopran die Rolle der Lucinda (Tranquillos Schwester) bravourös
ausfüllte und der "Leutnant" Thomas Lichtenecker mit einem in den Höhen
eindrucksvoll hellen Altus.
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