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28.
Tage Alter Musik in Regensburg

25. bis 28. Mai 2012


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Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Die Vielfalt Alter Musik als Programm

Von Ingo Negwer

Die 28. Tage Alter Musik Regensburg wurden, einer guten Tradition folgend, von den Regensburger Domspatzen eröffnet. Ihnen zur Seite stand wieder einmal die Akademie für Alte Musik Berlin, die zu Beginn in der Basilika St. Emmeram Franz Schuberts Sinfonie h-Moll "Die Unvollendete" spielte. Ohne Dirigenten, vom Konzertmeisterpult (Georg Kallweit) geleitet, interpretierten die Berliner das wohlbekannte Orchesterstück mit ungewohnt herbem Grundton präzise und transparent. Nach der Pause nahmen sich die Domspatzen unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Schuberts Messe Nr. 5 As-Dur mit erstklassiger Stimmkultur auf beherzte Weise an. Das ebenfalls ausgezeichnete Solistenquartett bildeten Deborah York (Sopran), Dorothée Rabsch (Alt), Florian Neubauer (Tenor) und Christof Hartkopf (Bass).

Vergrößerung in neuem Fenster La Compañia gab noch ein Zusatzkonzert auf dem Haidplatz
(Foto: Ingo Negwer)

Das Regensburger Pfingstfestival bot auch in diesem Jahr ein facettenreiches Konzertangebot mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik. So konnte man sich allein am Samstag von der stilistischen Vielfalt der Tage Alter Musik überzeugen. Am Morgen gab La Compañia - The Renaissance Band in der Minoritenkirche ihr Europa-Debüt. Unter der Leitung des Zinkenisten Danny Lucin spielte La Compañia Musik der Stadtpfeifer aus Spanien und Italien. Die Matinée war alles in allem ein sehr beachtliches Lebenszeichen der historischen Aufführungspraxis Australiens und beeindruckte vor allem durch das durchweg hohe Niveau der Instrumentalisten. Auch Siobhan Stagg ließ mit stilsicherem, klarem Sopran aufhorchen. Jedoch konnten die Interpreten vor allem im ersten, den spanischen Ministrels gewidmeten Teil eine gewisse Monotonie nicht vermeiden. Gemessen an Ensembles wie Piffaro - The Renaissance Band (USA, 2008 zuletzt in Regensburg) oder Capella de la Torre (Deutschland, 2010 in Regensburg) musizierte La Compañia insgesamt zu brav.

Vergrößerung in neuem Fenster Rachel Podger (4. v. l.) und das Ensemble Brecon Baroque
(Foto: Ingo Negwer)

Nach der Matinée mit Renaissancemusik folgte am Nachmittag in St. Oswald ein barockes Programm mit Werken von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann. Das von der Geigerin Rachel Podger gegründete Ensemble Brecon Baroque steht ganz in der Tradition der renommierten britischen Ensembles. Virtuose Souveränität, gepaart mit einer leicht unterkühlten Präzision zeichnen auch Brecon Baroque aus. Insbesondere in Bachs Violinkonzerten a-Moll, E-Dur und A-Dur (eine Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1055) präsentierten sich die sieben Musiker, allen voran Rachel Podger, als kleine exquisite Minimalbesetzung. Auch der Cembalist Marcin Swiatkiewicz wusste im Konzert d-Moll BWV 1052 eindrucksvoll zu überzeugen. Einen erfrischenden Kontrast im Reigen der Bachschen Musik bildete Telemanns Konzert F-Dur für drei Violinen, Streicher und Basso continuo aus der "Tafelmusik" mit den drei Geigern Rachel Podger, Bojan Cicic und Johannes Pramsohler als Solisten.

Geistliche Musik von Mozart und Palestrina stand am Abend im Fokus: In der prächtigen Alten Kapelle hatten sich mit dem Collegium Vocale Gent und Anima Eterna Brugge zwei belgische Spitzenensembles vereinigt. Im ersten Teil ihres Konzerts erklang die "Grabmusik" KV 42, eine Passionskantate in Dialogform für Sopran, Bass, Chor und Orchester, die Mozart im Alter von elf Jahren komponiert und später noch einmal revidiert hatte. Andrea Lauren Brown sang den Engel, Thomas Bauer die Seele. Das Jugendwerk verbindet traditionelle, quasi barocke kirchenmusikalische Elemente mit jenen der Oper und zeugt vom experimentellen Ringen seines Schöpfers um die eigene Tonsprache, vom Messen der eigenen Kräfte. In Verbindung mit dem reiferen, später hinzugefügten Schlusschor gleicht die "Grabmusik" einem meisterlichen Fragment, so wie das späte Requiem d-Moll KV 626 ein fragmentarisches, von fremder Hand vollendetes Meisterwerk ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Jos van Immerseel
(Foto: Ingo Negwer)

Das Requiem folgte im zweiten Teil des Konzerts in einer Darbietung, die zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals zählt und sicher lange in Erinnerung bleiben wird. Unter der Leitung von Jos van Immerseel musizierten Collegium Vocale Gent und Anima Eterna Brugge mit durchweg frischen Tempi. Das "Dies irae" geriet zu einem dramatisch zugespitzten Totentanz, das zupackende "Domine Jesu" zu einem eindringlichen, quasi fordernden Gebet. Das vorzügliche Solistenquartett mit Andrea Lauren Brown (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Markus Schäfer (Tenor) und Harry van der Kamp (Bass) fügte sich bruchlos in die von Chor und Orchester vorgegebene Idealbesetzung ein. Auf solch hohem Niveau, als ergreifendes Flehen um göttliche Gnade dargeboten, darf man Mozarts letztes Werk nur ganz selten live erleben!

Im anschließenden Nachtkonzert stand Giovanni Pierluigi da Palestrinas Missa Papae Marcelli im Zentrum, aufgeführt vom italienischen Vokalensemble Odhecaton unter der Leitung von Paolo da Col. Umrahmt von geistlichen Motetten bildete die wohl berühmteste Messe des 16. Jahrhunderts einen meditativen, gleichwohl ebenfalls auf höchstem Niveau dargebotenen Ruhepol in der nächtlichen Dominikanerkirche. Odhecaton, mit vier Countertenören, fünf Tenören, einem Bariton und vier Bässen besetzt, entfaltete klangprächtige Spannungsbögen und wahrte zugleich ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Mit dem zwölfstimmigen "Laudate Dominum" endete der zweite Festivaltag zu mitternächtlicher Stunde.

Vergrößerung in neuem Fenster Midori Seiler in der Spitalkirche St. Katharinen
(Foto: Ingo Negwer)

Der Pfingstsonntag begann in kammermusikalischer Atmosphäre in der Spitalkirche St. Katharinen. Die Barockgeigerin Midori Seiler verfügt zweifellos über das notwendige technische und gestalterische Rüstzeug, um sich kompetent mit dem überaus anspruchsvollen Solowerk Johann Sebastian Bachs auseinanderzusetzen. In ihrer Regensburger Matinee interpretierte sie die Partiten h-Moll und d-Moll und ließ dabei mit klarer, sauberer Phrasierung, gepaart mit hoher Virtuosität kaum Wünsche offen.

Am Nachmittag führte Le Concert Brisé sein Publikum auf "Umwegen zu Bach" – so das Motto des Konzerts im Reichssaal. Musik vergangener Epochen wird leichter zugänglich, wenn man sie in eine fiktive Geschichte verpackt und dem heutigen Zuhörer in unterhaltsamen, appetitlichen Häppchen serviert. Dies mag sich auch das französische Ensemble bei der Konzeption seines Programms gedacht haben. Also blickte man zurück in das Jahr 1733: In einer Leipziger Schenke spielen ein weit gereister spanischer Musiker und einheimische Stadtpfeifer Musik aus verschiedenen Ländern und Epochen in diversen Arrangements. Da wurde, nach anfänglichen Unsicherheiten im Kyrie der Missa sine nomine von Palestrina, hoch virtuos und sehr ausgewogen musiziert. Die Besetzung mit Violine, Oboe, Zink, Posaune, Viola da Gamba, Fagott, Laute, Orgel und Cembalo in immer neuen Kombinationen sorgte für reichlich Abwechslung. William Dongois (Zink und Leitung) führte charmant moderierend durch das Programm. Dennoch ließ die eine oder andere Interpretation den Zuhörer wenig befriedigt und etwas irritiert am Wege zurück, wenn etwa Telemanns Jugendwerk "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen" statt mit Tenor, Violine und Basso continuo nur instrumental als Duett für Orgel und Cembalo erklang.

Nach dem solistischen Auftakt am Morgen und dem kammermusikalischen Intermezzo im Reichssaal gipfelte der Pfingstsonntag am Abend im Konzert des Ensemble 1700 Lund. Unter der Leitung von Göran Karlsson (Cembalo) gab das schwedische Barockorchester in der St.-Oswald-Kirche seine überzeugende Deutschlandpremiere mit Musik von Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel und einer Suite aus den "Drottningholmsmusiken" des schwedischen Komponisten Johan Helmich Roman. Letztere ist eine überaus unterhaltsame Festmusik in der Nachfolge Händels und, so wie vom Ensemble 1700 Lund mit viel Spielwitz vorgetragen, eine schöne Bereicherung des barocken Orchesterrepertoires.

Im Nachtkonzert, wiederum in der ehrwürdigen Dominikanerkirche, wurde schließlich des 400. Todestags von Andrea Gabriel gedacht. Das belgische Ensemble Oltremontano und das Gesualdo Consort Amsterdam entfalteten in dem großen Sakralbau die prächtige Mehrchörigkeit des venezianischen Meisters. Nele Gramß (Sopran), Marnix De Cat (Altus), Julian Podger, Harry van Berne und Volker Arndt (Tenor) sowie Harry van der Kamp (Bass) präsentierten sich als ausgezeichnetes Vokalensemble, das zusammen mit Oltremontano in stets wechselnden vokal-instrumental gemischten Chören zu sechs bis achtzehn Stimmen musizierte.

Vergrößerung in neuem Fenster Hidemi Suzuki (Violoncello)
(Foto: Ingo Negwer)

Vergrößerung in neuem Fenster Alexis Kossenko (Traversflöte)
(Foto: Ingo Negwer)

Von zwei Konzerten des letzten Festivaltags soll abschließend berichtet werden. Die Holland Baroque Society arbeitet stets projektbezogen mit renommierten Musikern zusammen, die als musikalische Leiter dem Barockorchester stets neue kreative Impulse mit auf den Weg geben. Für das Regensburger Konzert haben sich die Niederländer der Mitarbeit gleich zweier außergewöhnlicher Solisten versichert. Zusammen mit Hidemi Suzuki (Violoncello) und Alexis Kossenko (Traversflöte) hielten sie am Montagnachmittag in der St.-Oswald-Kirche ein hörenswertes musikalisches Plädoyer für Carl Philipp Emanuel Bach. Im Cellokonzert a-Moll Wq 170 zeigt sich der Sohn des berühmten Thomaskantors als Vorbote der Wiener Klassik. Dramatische Kontraste und ein hochvirtuoser Solopart, den Hidemi Suzuki souverän und mit feiner Klanggestaltung meisterte, zeichnen das Werk aus. Es folgte die außergewöhnliche, weil nur zweisätzige Triosonate für Traversflöte (A. Kossenko), Violine (Stefano Rossi) und Basso continuo, ehe man mit der Sinfonie Nr. 4 A-Dur, dirigiert von Alexis Kossenko, in die Pause ging. Anschließend spielte die Holland Baroque Society, nun vom Cello aus von Hidemi Suzuki geleitet, die Sinfonie Nr. 3 C-Dur. Im abschließenden Konzert für Traversflöte, Streicher und Basso continuo d-Moll brillierte noch einmal Kossenko mit modulationsfähigem, sensiblem Ton und in den Ecksätzen perlend virtuosem Spiel.

Die Tage Alter Musik gingen mit einer szenischen Aufführung der komischen Oper "Il Marito indolente – Der gleichgültige Ehemann" des Dresdener Hofkomponist Joseph Schuster (1748–1812) zu Ende. Das Barockorchester La Ciaccona um Konzertmeisterin Ulla Baur und Dirigent Jörg Straube hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2000 in besonderem Maße um das Werk des Zeitgenossen Mozarts und ehemals weithin berühmten Opernkomponisten bemüht. Bei den Tagen Alter Musik Regensburg 2004 hatte La Ciaccona bereits dessen "Amor und Psiche" aufgeführt. Schusters Werk ist heute, zweihundert Jahre nach seinem Tod, nahezu vergessen. Dabei ist die Musik zu "Il Marito indolente" durchaus qualitätsvoll und hörenswert. Das Libretto von Caterino Mazzolà spielt unterhaltsam und kurzweilig mit konventionellen Figurenkonstellationen: Die Ehe zwischen Tranquillo und Metilde ist in die Jahre gekommen. Er sucht sein Heil in der Literatur, sie bei anderen Liebhabern. Wer, wie in Mozarts "Nozze di Figaro", Tiefgründiges oder gar die Abgründe der menschlichen Seele suchte, wurde allerdings enttäuscht. Aber als komödiantisches Bühnenspiel ist Schusters Oper durchaus gelungen.

Vergrößerung in neuem Fenster Constanze Backes und Thomas Stimmel
(Foto: Ingo Negwer)

Vergrößerung in neuem Fenster Thomas Lichtenecker und Katja Stuber
(Foto: Ingo Negwer)

Dominik Wilgenhaus, der auch die amüsanten Übersetzungen der Rezitative besorgt hatte, gelang eine stimmige Inszenierung, die mit einfachen Mitteln, poetischen Gesten und einer gehörigen Portion Situationskomik überzeugte. Die Protagonisten setzten das Regiekonzept engagiert und mit Spielwitz um. Auch stimmlich war die Aufführung bestens besetzt: Constanze Backes und Thomas Stimmel als entfremdetes Ehepaar, Markus Flaig als Fulgenzio, Andreas Post als Metildes Kavalier Graf Belsospiri und Andrea Letzing als Kammerjungfer. Besonders zu erwähnen sind Katja Stuber, die mit jugendlich frischem Sopran die Rolle der Lucinda (Tranquillos Schwester) bravourös ausfüllte und der "Leutnant" Thomas Lichtenecker mit einem in den Höhen eindrucksvoll hellen Altus.


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