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Sacré Sacre du Printemps

Tanzperformance vonLaurent Chétouane
Musik von Igor Strawinsky und Leo Schmidthals

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Uraufführung in PACT Zollverein, Essen, am 27. September 2012

Logo: Ruhrtriennale 2012

Kinder, lasst uns Sacre spielen

von Stefan Schmöe

Nein, eine neue Choreographie von Strawinskys Le sacre du printemps ist das nicht . Die Tanzperformance Sacré Sacre du Printemps von Laurent Chétouane, letzte große Premiere dieser Ruhrtriennale, setzt sich zwar sehr intensiv mit Strawinskys Skandalballet aus dem Jahr 1913 auseinander, sucht aber nicht nach einer tänzerischen Umsetzungsform für diese Musik, die sich als Alternative zu den Choreographien von Nijinsky, Béjart oder Pina Bausch verstehen wollte. Im Programmheft klingt das so: „In einem dreiteiligen Abend […] entwirft Chétouane die Vision einer Entwicklung, die das Zusammenleben mit dem Fremden erlaubt und gerade auf der Basis von dessen Unintegrierbarkeit und Unrepräsentierbarkeit ermöglicht: die Opferung von Le Sacre du Printemps als ein neues Ritual für das fremd-belassene Fremde.“

Sieben Tänzer – vier Frauen, drei Männer – betreten nach und nach die leere, von weißen Stellwänden begrenzte Bühne (Patrick Koch). Sie tragen dunkle Shirts, eine Art Boxershort und Socken, und das sieht aus wie – nun ja, wie sieben junge Menschen in Unterwäsche und Socken eben (Kostüme: Sophie Reble), ein bisschen piefig und so ziemlich das Gegenteil zu dem, was man bei Strawinskys archaischer Musik erwartet. Sie bewegen sich geräuschlos und geschmeidig, blieben bodennah (vereinzelte Sprünge gibt's später auch, aber sehr selten), machen in leicht gehockter Haltung ausladende Bewegungen mit den Armen. Man nähert sich, bildet Gruppen, geht wieder auseinander. Fast nie aber kommt man sich näher, es gibt im ganzen Stück nur ungefährt anderthalb Duos – Einzelgänger oder Gruppe, das scheinen die Alternativen zu sein (wobei die Gruppe auch in kleinere Untergruppen aufgespalten wird, aber ein echtes Duett mit Berührung der Partner ist die absolute Ausnahme). Aus dieser Gruppendynamik ergeben sich große Formen – der Kreis wechselt zur Linie und wieder zurück, die Diagonale wird ausgefüllt und so weiter. Das klappt reibungslos und sieht deshalb auch schnell ein wenig lehrbuchartig aus, eben doch sehr gefällig.


Vergrößerung in neuem Fenster Sacre du Printemps? Sieht eher aus nach "Froh zu sein bedarf es wenig" (Ensemble).
Foto © Robin Junicke

Jeder der Tänzer hat einen kleinen Teil des Gesichts oder Halses bemalt, am deutlichsten der schwarz umrandete Mund von Senem Gökçe Oðultekin – Zeichen ihres Anders-Seins. Es gibt eine ausgedehnte Szene, in der die Gruppe einen einzelnen ausschließt. Gezählt habe ich nicht, aber es dürfte ganz korrekt jede(r) einmal an der Reihe gewesen sein, schließlich kann ja jeder (ergänze: von uns) der Fremde, der Andersartige sein. Oft verständigen sich die Tänzer per Blickkontakt, mit kleinen oder größeren Gesten, mit unhörbar gemurmelten Worten. Am Ende steht zum Glück nicht der ganz große Wir-haben-uns-alle-ganz-lieb-Gestus, aber ein aufgelockertes Miteinander in wechselnden Kleingruppen. Und was das Liebhaben betrifft, ist das ganz große Problem dieses durch und durch gewaltfreien Stücks: Dass sich sowieso alle jederzeit ganz lieb haben, dass das alles irgendwie nach einem fröhlichen Kindergeburtstag aussieht, und wenn einer ausgestoßen wird, dann darf er halt ein paar Minuten nicht mehr unser Freund sein und nicht mitspielen. Zur Erinnerung: Bei Strawinsky geht es um Tod. Hier droht im allerschlimmsten Fall ein kurzer Moment getrübter Laune.

Ach, und Musik (vom Band) gibt's auch dazu – eben Strawinskys Sacre du Printemps im Mittelteil, in miserabler Tonqualität und einer denkbar uninspirierten Aufnahme (oder liegt's daran, dass die in viel zu moderater Lautstärke abgespielt wird?) Vor allem gegen Ende scheint die Choreographie diese Musik bewusst zu ignorieren, sodass sie mehr und mehr stört. Für eine bewusste Verfremdung wirkt das wiederum zu schwach. Drumherum gibt es Musik des 1969 geborenen und in Hamburg lebenden Leo Schmidthals, die zunächst als polyrhythmische Struktur noch ganz interessant klingt, aber sich nach und nach zu einem von Elementen der minimal music unterwanderten New-Age- Wohlfühl-Kitsch wandelt (und das auch noch in sehr viel besserer Tonqualität als Strawinskys Musik).

Die Tänzerinnen und Tänzer geben viel, und wenn sie zum Schluss erschöpft da stehen, möchte man ihnen auf die Schulter klopfen und sagen: Da habt ihr euch alle aber ganz doll Mühe gegeben. Nein, es wird nicht schlecht getanzt; aber dieser Choreographie fehlt etwas, das den Tanz antreibt, unausweichlich macht, über das Gefällige heraus hebt. Erschöpfung, nur weil man viel tanzt, ist auf Dauer langweilig (so empfand es offenbar die Mehrzahl der Premierenbesucher). Es müsste etwas zu spüren sein, das diese Intensität erfordert. Hier legen die Tänzer sich nicht auf den Boden, weil es um alles geht, sondern weil es der Choreograph so gesagt hat (oder vielleicht noch schlimmer: Weil man das gemeinsam so erarbeitet hat). Um Le Sacre du Printemps zu opfern, braucht es da schon etwas mehr.


FAZIT

Gefällig, aber ziemlich belanglos: Allzu freundlich und harmlos kann die Produktion die selbst gesetzten Ansprüche nicht erfüllen. Das Unintegrierbare wird wohl auch weiter unintegriert bleiben.




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Produktionsteam

Choreographie
Laurent Chétouane

Künstlerische Mitarbeit
Anna Melnikova
Sigal Zouk

Bühne
Patrick Koch

Kostüme
Sophie Reble

Video
Tomek Jeziorski

Licht
Stefan Riccius

Dramaturgie
Leonie Otto



Tänzer

Matthieu Burner
Joris Camelin 
Kathryn Enright
Joséphine Evrard
Charlie Fouchier
An Kaler
Senem Gökçe Oðultekin




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