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Wexford Festival Opera
24.10.2012 - 04.11.2012


L'Arlesiana

Lyrisches Drama in drei Akten
Libretto von Leopoldo Marenco nach Alphonse Daudet
Musik von Francesco Cilèa

In italienischer Sprache mit englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (zwei Pausen)

Premiere im O'Reilly Theatre im Wexford Opera House am 24. Oktober 2012
(rezensierte Aufführung: 02.11.2012)



 

 

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Zwischen starken Frauen

Von Thomas Molke / Fotos von Clive Barda


Als beim Wexford Festival Opera im letzten Jahr ein Ausblick auf die Produktionen des folgenden Jahres gegeben wurde, stand Cilèas Opernrarität noch nicht auf der Agenda. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch die Absicht, das Festival mit einer Ausgrabung von Saverio Mercadantes Francesca da Rimini zu beginnen. Warum man von diesen Plänen abrückte, kann nur gemutmaßt werden. Im Gespräch ist unter anderem, dass Riccardo Muti, der bereits 2011 Mercadantes Oper I due Figaro bei den Salzburger Pfingstfestspielen dem Vergessen entriss, auch bei Francesca da Rimini den Anspruch erheben soll, Wiederentdecker dieser weiteren Opernrarität Mercadantes zu werden. Folglich fiel die Ersatzwahl auf ein Werk, von dem zwar nahezu jeder namhafte Tenor die berühmte Arie "È la solita storia del pastore", die unter dem Titel "Federicos Lamento" zahlreichen Opernfans bekannt sein dürfte, auf CD eingespielt hat, das aber als vollständiges Werk so gut wie nie auf den Opernbühnen zu erleben ist und dessen Titel man eher mit zwei Orchester-Suiten von Georges Bizet verbindet: L'Arlesiana.

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Rosa Mamai (Annunziata Vestri) will, dass Vivetta (Mariangela Sicilia) das Herz ihres Sohnes gewinnt.

Die Geschichte basiert auf Alphonse Daudets gleichnamigem Schauspiel L'Arlésienne von 1872, zu dem Bizet die Schauspielmusik komponierte, die er anschließend zu den zwei auch heute noch aus den Konzertsälen bekannten Orchester-Suiten umgestaltete. Rosa Mamai lebt mit ihren beiden Söhnen auf dem Land in der Nähe von Arles. Während ihr jüngerer Sohn geistig zurückgeblieben ist und von allen L'innocente genannt wird, gilt ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem älteren Sohn Federico, der sich unsterblich in eine junge Frau aus Arles verliebt hat, die L'Arlesiana genannt wird. Rosa Mamai ist darüber nicht begeistert, da sie zum einen fürchtet, dass die fremde Frau ihr die Liebe ihres Sohnes rauben könnte. Zum anderen glaubt sie, dass Vivetta, ein unscheinbares Mädchen aus der Nachbarschaft, eine wesentlich bessere Partie für ihren Sohn darstellt, da Vivetta ihn aufrichtig liebt. Doch Federico hat nur Augen für L'Arlesiana und weist Vivetta barsch zurück. Erst als Metifio, der ebenfalls L'Arlesiana liebt, Briefe präsentiert, die sie in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen, will Federico sich doch Vivetta zuwenden. Allerdings kann er L'Arlesiana nicht vergessen, und als er zufällig erfährt, dass Metifio L'Arlesiana entführen will, verfällt er dem Wahnsinn, malt sich aus, wie L'Arlesiana gegen ihren Willen von Metifio auf einem Pferd davongetragen wird, und springt im Delirium aus dem Dachfenster des Heubodens.

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Doch Federico (Dmitry Golovnin) denkt nur an L'Arlesiana (Orla Shine mit Damen des Chors).

Rosetta Cucchi zeigt kein großes Vertrauen in die eigentliche Handlung der Oper und stülpt dem Geschehen deshalb einen psychoanalytischen Ansatz über, der mal mehr, mal weniger den Inhalt trägt. Zu Beginn eines jeden Aktes zeigt sie zum Orchestervorspiel auf der linken Seite der Bühne durch ein kleines schwarzes Fenster im herabgelassenen schwarzen Bühnenvorhang eine kurze Szene, die jeweils Federicos Innenleben beschreibt. Während der Ouvertüre sieht man ihn zunächst allein in einem schwarzen Raum stehen, während unerkannte Gestalten versuchen, durch die Wände Einlass zu finden. Noch weiß man nicht, wer diese Gestalten sind, doch die späteren Szenen deuten an, dass es sich dabei um Rosa Mamai, Vivetta und den Hirten Baldassarre handeln könnte. Kurz darauf sieht man Federico friedlich auf einer Wiese liegen. Eine schöne Frau nähert sich von hinten und legt sich zu ihm. Doch diese Idylle wird gestört, als Metifio auftritt und der Frau die Kehle durchschneidet. Von nun an ist Federico nicht mehr Herr seiner Sinne. Das Vorspiel des zweiten Aktes zeigt ihn in einem Behandlungsstuhl, während Rosa Mamai, Vivetta und Baldassarre ihn als Ärzte untersuchen. Vor dem letzten Akt sind es Rosa Mamai und Vivetta, die wie zwei drohende Instanzen hinter ihm stehen und ihn seiner Freiheit berauben.

Auch die Bühne von Sarah Bacon unterstützt den Ansatz des Eindringens in Federicos Psyche, indem sie von Akt zu Akt tiefer wird und scheinbar eine Schicht nach der nächsten freilegt. Während der erste Akt eine ländliche, recht veristisch anmutende Hausfassade zeigt, die von großen Fenstern dominiert wird, sieht man im zweiten Akt eine in blau gehaltene Wand eines Gebäudes, von dem zahlreiche Türen mit kleinen Fenstern weiter nach hinten führen. Dabei sind die Fenster in beiden Bildern jeweils von besonderer Bedeutung. Im ersten Akt befindet sich hinter einem Fenster fast die ganze Zeit ein Alter Ego von Federico, das vielleicht bereits andeutet, dass Federico im letzten Akt aus diesem Fenster in den Tod springen wird. Auch das Gesicht der L'Arlesiana erscheint häufig in den kleineren Fenstern der Türen und weckt in Federico den verzweifelten Wunsch, die geliebte Frau wiederzufinden. Auf der linken Seite befindet sich in einer Art Tunnel der Raum, der für die Szenen während der Vorspiele genutzt wird.

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Vivettas (Mariangela Sicilia) Versuche bleiben bei Federico (Dmitry Golovnin) leider erfolglos.

Während das Geschehen bis dahin noch in gewissem Sinn nachvollziehbar bleibt, wirft der dritte Akt doch einige Fragen auf. Auf der rechten Seite befindet sich nun ein Gitter, das an eine Gefängniszelle erinnert. Hinter diesem Gitter führt eine Treppe zu einer weiteren Ebene, auf der Federicos Alter Ego unter einer bisweilen flackernden Lampe sitzt. Vor dem Gitter stehen zahlreiche weiße Stühle und Tische und ein weißer Kinderwagen. Soll das Gitter andeuten, dass Federico sich nun ganz von der Außenwelt verschlossen hat? Oder ist es ein Käfig, in dem er gefangen gehalten wird? Steht dieser Käfig in einem Zusammenhang zu der durchsichtigen Kiste, die Vivetta in den ersten beiden Akten mit sich herumträgt und deren Inhalt sie liebevoll umhegt? Will sie Federico wie ein Haustier in diese Kiste stecken, damit er bei ihr bleibt? Bei seinem Selbstmord am Ende öffnet sie jedenfalls diese Kiste und lässt den kompletten Inhalt herausfallen.

Schlüssig hingegen erscheint es, L'innocente in dem gleichen Kostüm wie Federico auftreten zu lassen. Während L'innocente nämlich am Anfang der Oper noch zurückgeblieben ist, gesundet er im weiteren Verlauf in dem gleichen Maße, in dem Federico allmählich dem Wahn verfällt. Die beiden haben also die Rollen getauscht. So kann Rosa Mamai am Ende auch L'innocente die Aufmerksamkeit schenken, die sie ihm zu Beginn der Oper verweigert hat. Auch die Damen des Chores alle in dem gleichen Kostüm auftreten zu lassen, in dem L'Arlesiana in der Traumsequenz der Ouvertüre Federico erscheint, um anzudeuten, dass sie für ihn allgegenwärtig ist, ist als Regieeinfall gelungen. So nimmt er die anderen Figuren in seinem Wahn gar nicht mehr wahr, weshalb Cucchi sie kurz vor Federicos Tod auf der Bühne einfrieren lässt, was als Bild ebenfalls beeindruckt. Aber wieso muss sich Federico am Ende die Kehle durchschneiden? Soll das eine Anspielung auf die Ouvertüre sein, in der Metifio L'Arlesiana auf die gleiche Weise tötet? Der Sinn erschließt sich bei dieser Anspielung nicht. Oder soll man hinter den Handlungen eines Wahnsinnigen vielleicht gar keinen Sinn suchen?

Musikalisch lässt diese Oper an mehreren Stellen aufhorchen und bedauern, dass sie so selten auf der Bühne zu erleben ist, da sie wesentlich mehr zu bieten hat als die oben genannte berühmte Tenorarie. David Angus führt das Orchester des Wexford Festival Opera sehr geschmeidig durch die veristische Partitur, die es durchaus mit Mascagni und Leoncavallo aufnehmen kann. Der von Gavin Carr einstudierte Chor überzeugt durch große Homogenität. Dmitry Golovnin verfügt für die Partie des Federico über einen respektablen Tenor, der die Höhen sauber aussingt und für sein Lamento großen Szenenapplaus erhält, auch wenn es bei der Werk-Einführung vielleicht nicht gerade förderlich für ihn ist, die Arie in einer legendären Interpretation von Tito Schipa einzuspielen. Mariangela Sicilia stattet die Partie der Vivetta mit einem sehr lyrischen Sopran aus, der in den Höhen enorme Durschlagskraft besitzt. Christopher Robertson verleiht dem Hirten Baldassarre optisch und stimmlich mit seinem kräftigen Bariton große Autorität. Quentin Hayes und Andrew Greenan überzeugen als Metifio und Marco ebenfalls mit kräftigem Bass-Bariton.

Höhepunkt des Abends ist Annunziata Vestri als Rosa Mamai. Mit voluminösen Tiefen und grandiosen dramatischen Ausbrüchen gestaltet sie die Partie zu einer regelrechten Übermutter, der man einerseits entfliehen möchte aber nicht kann, von deren Zuneigung man aber gleichzeitig regelrecht abhängig ist. Großartig gelingt ihr die Arie im dritten Akt, in der sie die Probleme einer Mutter besingt und bei der sie permanent einen Kinderwagen fest umschlungen hält. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch die Regisseurin Rosetta Cucchi einreiht.

FAZIT

Rosetta Cucchi bürstet das Stück zwar nicht gegen den Strich, hätte aber ruhig auf die Schlüssigkeit der Handlung vertrauen können. Der musikalische Genuss nimmt allerdings durch die Inszenierung keinen Schaden.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Angus

Regie
Rosetta Cucchi

Co-Regie
Stefania Panighini

Bühne
Sarah Bacon

Kostüme
Claudia Pernigotti

Licht
Simon Corder

Chorleitung
Gavin Carr

 



Chor und Orchester des
Wexford Festival Opera


Solisten

Rosa Mamai
Annunziata Vestri

Federico
Dmitry Golovnin

Vivetta
Mariangela Sicilia

Baldassarre
Christopher Robertson

Metifio
Quentin Hayes

Marco
Andrew Greenan

L'innocente
Eleanor Jean Greenwood

Tänzerin und Tänzer
Orla Shine
Ryan O'Neill

 


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