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Alles nur ein FilmVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda
Minka (Mercedes Arcuri) liebt den Comte de Nangis (Luigi Boccia). Die Handlung ist dabei allerdings so konfus, dass man selbst beim mehrmaligen Lesen des Librettos Schwierigkeiten haben dürfte, die Verwicklungen nachvollziehen zu können. Da der Königsthron von Polen verwaist ist, wird Henri de Valois, der spätere französische König Henri III., zum König von Polen gewählt, der diesem Ruf nach Polen allerdings nur widerwillig folgt, da er lieber in seinem geliebten Frankreich bleiben möchte. Auch die polnische Aristokratie ist von dieser Wahl alles andere als begeistert und plant unter der Leitung des Grafen Laski eine Verschwörung gegen den neuen König. Als Lockvogel soll die schöne Sklavin Minka den Königspalast ausspionieren, verliebt sich aber in den Comte de Nangis, einen engen Vertrauten des Königs, und vertraut ausgerechnet Henri, der seine Identität verschweigt, das Komplott an. Henri beschließt daraufhin, sich selbst als Nangis auszugeben und an der Verschwörung zu beteiligen, um Polen verlassen zu können, zumal er in Alexina eine junge Dame erkennt, mit der in Venedig eine kurze und heftige Romanze mit Folgen hatte und die nun ausgerechnet mit seinem Kammerherren, dem italienischen Duc de Fritelli, verheiratet ist. Der Versuch, Nangis durch Verhaftung aus dem Weg zu räumen, schlägt fehl, so dass Henri den von den Verschwörern gefangenen Nangis kurzerhand als König ausgibt. Laski fordert nun den Tod des Königs. Als Henri daraufhin behauptet, selbst der König zu sein, wird ihm keinerlei Glauben geschenkt, zumal Minka mittlerweile Nangis zur Flucht verholfen hat. So gibt Henri an, den vermeintlichen König verfolgen und anschließend töten zu wollen, um allerdings insgeheim mit Nangis aus dem Land zu fliehen. Die Flucht wird dadurch vereitelt, dass der Erzherzog von Österreich, der den Thron nun auf Wunsch der Polen übernehmen soll, genauso wenig Lust hat, über Polen zu regieren wie Henri, so dass letzterer sich nach weiteren Verwicklungen schließlich doch bereit erklärt, gegen seinen Willen den polnischen Thron zu besteigen. Alexina (Nathalie Paulin) ist unglücklich mit dem Duc de Fritelli verheiratet. Das Regie-Team um Thaddeus Strassberger vertritt die Ansicht, dass die mit den historischen Begebenheiten doch recht großzügig umgehende Handlung so irreal ist, dass man sie nur als überzeichnete Fiktion auf die Bühne bringen kann. Deswegen scheint es sich bei der Inszenierung um einen Film zu handeln, der gedreht wird und im Großen und Ganzen von Basile, dem Besitzer eines Wirtshauses, der gemäß Libretto eigentlich erst im letzten Akt auftaucht, in seinem heimischen Sessel betrachtet wird. So sieht man während der Ouvertüre eine Leinwand in der Mitte des Vorhangs, die zunächst den Blick aus dem Fernseher in Basiles Sessel zeigt. Basile setzt sich nun vor diesen Fernseher und schlummert hin und wieder genüsslich ein, bevor dann wie in einem Heimatfilm der 50er Jahre der Vorspann des nun folgenden Filmes mit den Hauptpersonen eingeblendet wird. Der zweite Akt beginnt mit einer Fernseh-Show im Stil eines Volksmusikabends, bei dem Laski auf dem Bildschirm als Showmaster fungiert, dem Minka und eine weitere Dame als stereotype Assistentinnen zur Seite gestellt werden. Basiles angedeutetes Wohnzimmer befindet sich nun auf der rechten Bühnenseite, und wenn der Fernseher nicht gerade eine Bildstörung hat, wird das Geschehen auf der Bühne auf seinen Bildschirm projiziert. Im dritten Akt befindet sich dann das angedeutete Wohnzimmer auf der Bühne, da Basile ja nun Teil der Handlung wird. Alexina (Nathalie Paulin) und Henri de Valois (Liam Bonner) träumen von ihrer glücklichen Zeit in Venedig. Das Bühnenbild von Kevin Knight besteht dabei aus einem riesigen dunkelblauen Kasten, der im ersten Akt wohl einen Filmset vor dem Aufbau darstellen soll. In großen Holzkisten davor befinden sich auf der linken Seite die Höflinge in traditionellen Rokoko-Kostümen und auf der rechten Seite eine Gesellschaft in feiner Abendgarderobe, die eher aus einem Spielcasino in Monte Carlo eingeflogen zu sein scheint. Dazwischen springen Dienstmädchen im aufreizendem Outfit mit kurzen Röcken herum, deren ständiges Rauchen allerdings etwas nervt. Im zweiten Akt filmen dann Kameras das Geschehen auf der Bühne und projizieren die Bilder auf Basiles Fernseher. Große Prospekte sind dabei über den blauen Kasten gehängt, die zunächst ein volkstümliches Bild aus einer osteuropäischen Kleinstadt präsentieren und anschließend den Kitsch mit einer Winterlandschaft und einem zugefrorenen See auf die Spitze treiben. Mit einem goldenen Fadenvorhang wird anschließend eine glitzernde Varieté-Welt gezeigt, in der die Ermordung des Königs in einem goldenen Käfig den Höhepunkt darstellen soll. Die Kostüme von Mattie Ullrich präsentieren in diesem Akt zum einen Lokalkolorit, das an alte Heimatfilme erinnert, zum anderen eine Show-Welt in glitzernden Roben und Revue-Kostümen. Im dritten Akt sieht man den blauen Kasten von der Rückseite, der aus Schlafzimmern besteht, die alle identisch aussehen, und in denen die Figuren des zweiten Aktes ausgiebig die Nacht durchgefeiert haben. Vielleicht hat Strassberger an dieser Stelle eine Äußerung Chabriers recht wörtlich genommen, wonach dieser geäußert haben soll, dass der Walzer des zweiten Aktes so stimulierend sein soll, dass die Leute auf der Bühne und im Publikum sofort übereinander herfallen. Jedenfalls scheint sich auch Fritelli in dieser Nacht ausgiebig amüsiert zu haben, wenn man seinen Auftritt in der Unterhose betrachtet, was aus dem gehörnten Ehemann einen ebenfalls untreuen Gatten macht. Die Dienstmädchen tragen nun nicht mehr die kurzen schwarzen Röckchen, sondern wirken in den rotblauen Kitteln durchaus bodenständiger. Nur die Zigaretten sind geblieben. Auch in der Personenregie setzt Strassberger auf Klamauk in jeder Beziehung, ob er nun den verwöhnten Henri beim ersten Auftritt unter einer Sonnenbank hereinschieben oder in einer riesigen Gondel mit einem klassischen Gondoliere bei Alexina und Henri Erinnerungen an ihre heiße Romanze in Venedig wach werden lässt. Nur im Schlussbild wird das scheinbar glückliche Ende ein wenig umgekehrt. Während alle den zurückgekehrten König feiern, nimmt Laski im oberen Stockwerk über der Feier mit zwei Schwertern eine bedrohliche Geste ein. Die Verschwörung ist für ihn keineswegs zu Ende und das Ziel noch nicht erreicht. Musikalisch ist vor allem der zweite Akt eine Goldgrube, die Assoziationen zu zahlreichen anderen Kompositionen erkennen lässt, ohne dass man Chabrier vorwerfen kann, diese Werke einfach nur kopiert zu haben. Da ist zum einen die traumhafte Barkarole aus dem zweiten Akt, in der Alexina und Henri ihren Erinnerungen an Venedig nachhängen, die zwar Offenbachs Hoffmann erkennen lässt, in ihrer schillernden Harmonik aber noch wesentlich ausgeprägter ist. Auch das polnische Fest zu Beginn des zweiten Aktes kann einen vergleichbaren Charme versprühen wie Borodins "Polowetzer Tänze" aus Fürst Igor. Ravel dürfte bei seiner Komposition von La Valse diese Melodie im Ohr gehabt haben. Auch Minkas Chanson Tzigane darf als ein musikalischer Leckerbissen bezeichnet werden, mit dem die Schwächen des Librettos mehr als ausgeglichen werden. Jean-Luc Tingaud arbeitet mit dem Orchester des Wexford Festival Opera die Vielschichtigkeit der Partitur sorgfältig heraus und belegt, dass dieser Komponist wirklich zu Unrecht vernachlässigt wird. Der Chor unter der Leitung von Gavin Carr setzt stimmlich überzeugend mit großer Spielfreude die Komik des Werkes um. Auch bei den Solisten bleiben keine Wünsche offen. Frédéric Gonçalvès ist optisch und stimmlich mit seinem Bariton eine Idealbesetzung für den Duc de Fritelli. Nathalie Paulin steht ihm als untreue, dabei allerdings sehr ehrgeizige Gattin Alexina in nichts nach, auch wenn Strassberger vielleicht mit seiner Zeichnung als Hochschwangere ein wenig übertreibt. Luigi Boccia gefällt als Comte de Nangis mit leuchtendem Tenor und gibt mit Mercedes Arcuri als Minka ein harmonisches Paar ab. Arcuri begeistert dabei mit einer voluminösen Mittellage und klaren Höhen und zeigt sich einerseits als verführerische Femme fatale, andererseits allerdings auch als beherzte Kämpferin, die sich für Nangis aufopfert. Liam Bonner verleiht dem König wider Willen mit seinem kräftigen Bariton eine gewisse Würde und glänzt ebenfalls durch komödiantisches Talent. Auch die weiteren kleineren Partien sind stimmlich gut besetzt und überzeugen durch große Spielfreude, so dass es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Es bleibt Chabrier zu wünschen, dass seinem Opernschaffen in Zukunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Produktion in Wexford leistet ihren Beitrag dazu.
Weitere Rezensionen zum Wexford
Festival Opera 2012 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJean-Luc Tingaud Regie Co-Regie Bühne
Kostüme Licht Choreographie Chorleitung Dramaturgie
Solisten
Henri de Valois
Comte de Nangis
Le Duc de Fritelli
Minka
Alexina Laski Basile Lincourt D'Elboeuf Maurigon Comte de Caylus Marquis de Villequier Ein Soldat Tänzerinnen und Tänzer
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- Fine -