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Festival Aix en Provence 2013

Elektra

Tragödie in einem Akt
Libretto von Hugo von Hofmannsthal Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit französischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: 1h 45' (keine Pause)

Koproduktion des Festival d'Aix-en-Provence, der Mailänder Scala, der MET, der Nationaloper Helsinki, des Gran Teatre del Liceu Barcelona und der Deutschen Staatsoper unter den Linden Berlin
Premiere am 10. Juli 2013 im Grand Théâtre de Provence, Aix-en-Provence


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Festival Aix en Provence
(Homepage)

Im Palasthof gefangen

Von Roberto Becker / Foto von © Patrick Berger / Artcomart

Noch bevor es so richtig laut wird im Grand Théâtre de Provence und aus dem Graben jene gewaltigen Tonmassen aufsteigen, die den Höhepunkt im exzessiven Teil des  Schaffens von Richard Strauss markieren und die Wende zum Rosenkavalier vorbereiten, hört man die Mägde beim Putzen auf der Bühne. Man hört, wie die Besen über den Fußboden streichen. Man sieht, wie sie zwischen den hohen Mauern dieses Palast-Innenhofes Wasser versprengen. Das ist eine typische Richard-Peduzzi-Bühnenarchitektur. Gewaltig. Der Archaik der Geschichte entwachsen. Historisch konkret und zugleich auch so abstrakt, dass sie eine Assoziation zur Gegenwart zulässt. Links gibt es ein großes Schiebetor. In der Mitte, mit Podest davor, kein prächtiger, aber ein eindrucksvoller Eingang in den Palast, bei dem man einmal sogar darüber staunen kann, dass sich die ganze Wand, und nicht nur die Tür, wie von Zauberhand bewegt. Bevor die königliche Herrin des Hauses diesen Hof betritt, werden erst einmal Teppiche ausgerollt. Wenn Elektra durch das Tor hereingestürmt kommt, dann hat sie so was wie einen vorzeitlichen Schlafsack dabei. Auf dem Hof liegen auch noch zwei Opfersteine herum. Die offenbar fleißig genutzt wurden.


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Sie haben sich nicht sofort wieder erkannt: Elektra (Evelyn Herzlitizus) und ihr Bruder Orest (Mikhail Petrenko)

Der ganze Putzeifer des Auftaktes dieser Elektra signalisiert auch ohne einen Tropfen Theaterblut, dass es hier ziemlich blutig zugeht. Und da wir erst am Beginn sind, wissen wir auch, dass es noch viel blutiger werden wird. Was da bisher vergossen wurde, war das Blut von geopferten Tieren. Am Ende ist es das Blut von Elektras, Chrysothemis' und Orests Mutter Klytämnestra und das ihres Liebhabers, das fließt. Diese exemplarischen Rachemorde vollziehen sich in Patrice Chéreaus Neuinszenierung, entgegen dem Libretto und der allgemeinen Bühnen-Praxis, auf offener Bühne. Orest bringt die Mutter für alle Welt sichtbar in Rampennähe um. Und sein alter Pfleger, also der, der mit ihm kam und ihm wohl sein ganzes Leben lang nicht von der Seite gewichen ist, der sticht den Aegisth ab. So, als wollte er sagen: Junge, ein Mord reicht, um Dich für den Rest Deines eh schon verkorksten Lebens zu traumatisieren. Orest stürmt dann am Ende auch, verstört und wie ferngesteuert, durch das offene Tor nach draußen. Wohin, das wird er nicht wissen. Nur weg will er. Diese Flucht vor dem Grauen, und wohl auch vor sich selbst, nimmt Elektra gar nicht mehr zur Kenntnis. Sie flieht nach innen, wahrscheinlich in einen Zustand des Wahnsinns.


Vergrößerung in neuem Fenster Inmitten der Mägde, doch in ihrer Verzweifulung allein: die Elektra der überragenden Evelyn Herzlitzius

Dass die Leiche Aegisths gleich neben der von Klytämnestra zu liegen kommt, hat durchaus etwas von einer makaber bitteren Pointe. Sieht aus wie nach einem Liebestod. Freilich einem der diabolischen Art. Wobei es das Paar, das Agamemnon ermordete, in seiner wahrscheinlich höllischen Ewigkeit in gewisser Hinsicht wohl besser hat, als die übrig gebliebenen Kinder. Für die wird ihr restliches Leben zur Hölle werden: Für Orest, weil er unter dem Erwartungsdruck der patriarchalischen Werteordnung zum Mutter-Mörder werden musste. Für Elektra, die ihrer Mutter mit abartigem Genuss das eigene Blutopfer imaginiert hat, sowieso. Und auch Chrysothemis kann ihren Traum vom normalen Weiberleben mit Kindern abhaken. Hier ist nichts mehr zu machen. Hier ist alles zu Ende.

Dass Richard Strauss diesem exemplarischen Endstoff noch eine Dimension hinzufügt, die ihn nicht nur rational über den Verstand, sondern eben auch emotional über die Musik und den Gesang (wobei es gar nicht darauf ankommt, jedes einzelne Wort auch zu verstehen) zum Ereignis macht, ist das besondere dieses Werkes.  


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Sie belauern sich: Klytämnestra (Waltraud Meier) geht zu ihrer Tochter (Evelyn Herzlitzius) auf den Hof

Schon der Rahmen, die Wucht der Optik und die exzellenten Stimmen, die man sich in Aix-en-Provence für diese  Koproduktion mit der Scala, der Met, den Opern in Helsinki, Barcelona und der Lindenoper in Berlin geleistet hat, machen das zu einem großen Teil auch wirklich zum Ereignis. Dabei hat Chéreau die darstellerischen Ausnahmequalitäten vor allem der drei zentralen Frauen auf interessante und partiell sogar überraschende Weise genutzt und zum Blühen gebracht. Am konventionellsten ist die wunderbar leuchtkräftige Adrianne Pieczonka als Chrysothemis. Aber auch sie ist nicht der mitunter kolportierte Ausbund an unterdrückter Sinnlichkeit, sie umweht hier eher ein melancholischer Zug. Waltraud Meier könnte natürlich eine Klytämnestra-Furie von Rang sein. Die größere Leistung freilich ist ihre zurückgenommene, in jeder Phase wirklich singende, geradezu elegant leidende Klytämnestra. Eine Frau, die vor Gericht gestellt, mit der Geschichte über das Beinahe-Abschlachten ihrer Tochter Iphigenie durch ihren kriegsversessenen Gatten sicher Eindruck machen würde. Bei Evelyn Herlitzius schließlich hat Chéreau deren unbändigem Gestaltungswillen keine Zügel angelegt. Man hat das Gefühl, dass ihre verrückt tanzenden Bewegungen aus ihr kommen und die einzige Möglichkeit sind, den Druck auszuhalten, unter den ihr Leben geraten ist. Die Herlitzius ist überhaupt die Sensation dieser Produktion. Man dachte schon vor zwei Jahren in Salzburg: Ja, die Färbersfrau in der Frau ohne Schatten, das ist die Rolle ihres Lebens. Aber mir ihrer Elektra übertrifft sie sich selbst jetzt noch einmal. Vokale Kraft, die eigenartige Schönheit ihrer Stimme, die Fähigkeit zu klarer Artikulation stellt sie ohne Distanz in den Dienst eines körperlichen, mit der ganzen Person durchlebten Rollenporträts. Mit ihrer  Elektra (ab Januar wird sie die Partie auch in Dresden singen) verschaffte die Sängerin dem 65. Festspieljahrgang in Aix-en-Provence ein Gesicht.


Vergrößerung in neuem Fenster Elektra (Evelyn Herzlitzius) leuchtet Aegisth (Tom Randle) heim

Chéreau hat sich noch etwas anderes geleistet. Er hat nämlich zwei Sänger seiner legendären Bayreuther Ring-Inszenierung eingeladen. Und so ist sein Wotan von damals (höchst wiedererkennbar) Donald McIntyre (78) ein alter Diener am Hofe und sein damaliger Gunter Franz Mazura (89) der Pfleger des Orest. Wenn die beiden sich bei der Heimkehr des Orest (den Mikhail Petrenko solide verströmt) in die Arme fallen, ist das ein anrührender Moment, den tatsächlich nur Chéreau mit seiner Sonderstellung im französischen Regiebetrieb bewerkstelligen kann. Ansonsten bleibt seine Personenführung ein solides Erzählen der Geschichte, das vom Charisma des Ensembles profitiert.

Auch wenn da Tom Randall als Aegisth etwas abfällt oder die Mägde es wie immer schwer haben, sich zu profilieren, was Renate Behle als Aufseherin natürlich dennoch gelingt, ist da ein wahrhaft festspielwürdiges Ensemble beisammen. Das profitiert natürlich von seiner Vertrautheit mit dem Regisseur. Für den Elektra-Neuling (also a priori mit Luft nach oben hin agierenden) Esa-Pekka Salonen am Pult des auch nicht jeden Tag in Sachen Strauss unterwegs befindlichen Orchestre de Paris waren im allgemeinen Jubel einige Buhs auszumachen. Er hatte sich tatsächlich von der Optik inspirieren lassen, immer Raum füllend aufgedreht, manches zugedeckt, was man schon analytischer und transparenter gehört hatte. Dennoch trug auch er zum Erfolg dieses Abends bei.


FAZIT

Mit einer herausragenden Evelyn Herlitzius als Elektra ist Chéreaus Inszenierung der Höhepunkt des Festivals in Aix-en-Provence.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Esa-Pekka Salonen

Inszenierung
Patrice Chéreau

Künstlerische Mitarbeit Regie
Thierry Thieû Niang

Bühne
Richard Peduzzi

Kostüme
Caroline de Vivaise

Licht
Dominique Bruguière



Coro Gulbenkian

Orchestre de Paris


Solisten

Elektra
Evelyn Herlitzius

Klytämnestra
Waltraud Meier

Chrysothemis
Adrianne Pieczonka

Orest
Mikhail Petrenko

Aegisth
Tom Randle

Der Pfleger des Orest
Franz Mazura

Ein junger Diener
Florian Hoffmann

Ein alter Diener
Sir Donald McIntyre

Die Aufseherin / Die Vertraute
Renate Behle

Erste Magd
Bonita Hyman

Zweite Magd / Die Schleppträgerin
Andrea Hill

Dritte Magd
Silvia Hablowetz

Vierte Magd
Marie-Eve Munger

Fünfte Magd
Roberta Alexander


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