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Musikfest Berlin 2013

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Isabelle Faust, Violine
Günther Groissböck, Bass
Estnischer Nationaler Männerchor
Marek Janowski, Leitung

Musik von Bartók, Hartmann und Schostakowitsch

5. September 2013 in der Philharmonie Berlin  


Berliner Festspiele
Musikfest Berlin

(Homepage)  

Bekenntnismusik

Von Christoph Wurzel

Bewegt von der  „Sorge um die Welt und den Menschen darin“ sei seine Musik stets gewesen, so der Regisseur und Opernlibrettist Heinz von Cramer über den auch heute immer noch viel zu wenig bekannten Karl Amadeus Hartmann. Sein Violinkonzert mit dem programmatischen Titel Concerto funebre gibt davon eindrucksvoll Zeugnis. Es entstand 1939 in unmittelbarer zeitlicher Nähe des von den Nazis entfesselten Krieges. Angesichts der braunen Herrschaft sah sich der nicht einmal dreißigjährige Komponist ab 1933 in die Innere Emigration verbannt, als „Entartete Musik“ waren seine Werke aus deutschen Konzertsälen gedrängt. Hartmann musste weitgehend für die Schublade schreiben, aber sein Violinkonzert konnte 1940 in der Schweiz uraufgeführt werden. Beim Musikfest setzte Marek Janowski es in die Mitte des Konzerts mit dem RSB. Isabelle Faust, die mit ihrem Repertoire nicht selten verkannte Schätze der Violinliteratur auch gerade der neueren Musik eindrucksvoll zu bergen weiß, widmete sich auch diesem Werk mit höchster musikalischer Empathie. In dem von jeder virtuosen Äußerlichkeit fernen Konzert wurde ihre Geige zur Vox humana, zur Repräsentantin des leidenden und klagenden Menschen, ganz im Sinne der humanistischen Aussage von Hartmanns Musik. Schon wie sie der vokal anmutenden Linie der kurzen Einleitung mit natürlicher Schlichtheit, aber zarter Empfindsamkeit einen anrührend traurigen Klang verlieh, gab dem ganzen Konzert einen Grundton von Erschütterung und Mitgefühl, der diese Musik mit großer Würde bis zum Schluss trug. Aus demselben Geist leitete Marek Janowski die sensibel spielenden Streicher des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin.

Ebenfalls Bekenntnismusik, weniger zwar im politischen Sinne, doch aber in künstlerischer Hinsicht sind zweifelsohne auch Béla Bartóks Vier Stücke für Orchester, die er 1912 in einer Klavierfassung konzipierte, wegen der heftigen Angriffe auf seine Musik in dieser Zeit im heimischen Ungarn aber bis 1921 ruhen ließ. Erst dann arbeitete er sie in einer Fassung für großes Orchester aus. In vielfacher Hinsicht bildet diese Musik ein Bindeglied zwischen der Verbundenheit mit der Tradition und der Orientierung am künstlerischen Fortschritt im Schaffen Bartóks. Die nahezu impressionistisch wirkende Klangsprache des ersten (Preludio) und vor allem der wie im Zwielicht schillernde Mischklang des vierten Satzes (Intermezzo) mit seinem anmutig geheimnisvollen Siciliano-Rhythmus kam in dem klangfarbenreichen Spiel des RSB – vor allem in der Gruppe der Holzbläser – delikat zur Wirkung. Und die expressionistischen Ausbrüche im Scherzo, mit denen Bartók sich an seine wilden Ballettmusiken der zwanziger Jahre anlehnt (Der wunderbare Mandarin stand im Rahmen des Musikfestes auf dem Programm eines Konzerts des Deutschen Sinfonieorchesters), wurden von Janowski auch in ihrer provokativen Schroffheit gezeigt. Der beschließende Trauermarsch, in dem sich die Musik in düsterer Schwermut bis zum resignativen Schlusspunkt voranschleppt, bildete einen zwingenden Übergang zum folgenden Concerto funebre von Hartmann.

Gesteigert wurde die musikalische Grundstimmung von Trauer und Mitgefühl an diesem Abend durch eine packende Aufführung von Schostakowitschs 13. Sinfonie. Es handelt sich auf den ersten Blick bei diesem Werk eher um einen Liederzyklus für Männerchor, einen solistischen Bass und großes Orchester. Schostakowitsch hat aber dem Werk eine innere Dramaturgie unterlegt, die auf große sinfonische Vorbilder (immer wieder auch Gustav Mahler) verweist. Den fünf Sätzen liegen Gedichte von Jewgeni Jewtuschenko zugrunde, die sich – wir befinden uns in der Periode des „Tauwetters“ in der Sowjetunion (1961/63) – kritisch mit Geschichte und Gegenwart der kommunistischen Macht auseinandersetzen.

Schon der erste Satz, zugleich auch der ausführlichste der ganzen Sinfonie, musste seinerzeit als Provokation ersten Grades gelten, rührte er doch an ein Tabu der sowjetischen Geschichte, deren immanente und  andauernde Judenfeindschaft. In Jewtuschenkos Versen identifiziert sich das Lyrische Ich mit dem Leiden des jüdischen Volkes in einer historischen Tour d’horizon von seiner ägyptischen Gefangenschaft, über die Diskriminierung des französischen Hauptmanns Dreyfus, bis hin zur Ermordung zigtausender Juden, aber auch Roma, Russen, Ukrainer, in einer Schlucht nahe Kiew. Dieses in der sowjetischen Geschichtsschreibung bis in die 60iger Jahre hinein verschwiegene Massaker durch die deutsche SS aber auch ukrainische Kollaborateure gab Schostakowitschs Sinfonie ihren Beinamen Babi Yar. Ergreifend illustriert Schostakowitsch mit dem Klangapparat eines großen Orchesters die erschütternden Worte des Dichters, und die Solostimme (an diesem Abend der ausdrucksstarke Günther Groissbröck) formuliert zusammen mit dem Männerchor eine aufrüttelnde Anklage gegen das Unrecht. Und dieses Motiv ist auch bestimmend für die folgenden Sätze des Werks: das sarkastische Scherzo über die Macht des (politischen) Witzes, in dem Schostakowitsch zugleich seine eigene Rolle in der sowjetischen Kulturszene gespiegelt haben mag, das düstere Adagio Im Laden, zugleich mitfühlende Musik über die inneren Widersprüche inmitten des sozialistischen Paradieses zwischen armen Leuten und den staatlichen Glücksversprechen, bis zum abschließenden Allegretto Karriere,  in dessen moritatenhaftem Text und der karikierenden Musik nach der wahren Bedeutung von Kunst und Wissenschaft gefragt wird. In einem zweiten Höhepunkt erzählt der vierte Satz von den einerseits verschwundenen Ängsten der Stalinzeit, die sich aber auch in neuester Zeit wieder durch die Hintertür in die Gesellschaft schleichen, in Form von Misstrauen, Verstellung oder Denunziation.

Nicht die Tatsache der Aufführung dieses beeindruckenden Werks an sich und seine schlüssige Einbettung in das Gesamtprogramm des Musikfestes allein war schon ein Ereignis, so trug obendrein die Interpretation durch das RSB unter Marek Janowski zu dem großartigen Eindruck entscheidend bei. Gewählt wurde eine Fassung in deutscher Sprache, was die Ausdruckskraft der Texte erheblich unterstrich und der Nationale Männerchor aus Estland unterstütze diese Wirkung mit makelloser sprachlicher Artikulation. So engagiert wie in den beiden Werken davor widmete sich das Orchester an diesem Abend auch diesem Werk. An der spürbaren Ergriffenheit des Publikums  ließ sich ablesen, dass Musik auch kathartische Wirkung zu entfalten vermag - und so manchen Gedanken auszulösen über die Lage im heutigen Russland.

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Das Programm

Béla Bartók
Vier Stücke für Orchester op. 12

Karl Amadeus Hartmann
Concerto funebre für
Solo-Violine und Streichorchester

Dimitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 13 b-Moll op. 113
für Bass, Männerchor und Orchester: „Babi Jar“

Isabelle Faust, Violine

Günther Groissböck, Bass

Estnischer Nationaler Männerchor

Einstudierung: Mikk Üleoja

Leitung: Marek Janowski





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