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Kein Zauber in der Zauberflöte Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper Wenn er sie in Baden-Baden aufführt, werde er die Zauberflöte zum ersten Mal in seiner Karriere dirigieren, hatte Simon Rattle bekannt, als vor Jahresfrist das Programm der ersten Osterfestspiele in der Kurstadt veröffentlicht wurde. Als nun das Vorhaben endlich herangereift ist, wird aufmerksame Erwartung gleich mit inszeniert. Zur Ouvertüre schlendern die Mitglieder des Chors aus dem Zuschauerraum zum Orchestergraben vor, um den herum eine begehbare Brüstung gebaut ist, nehmen darauf gemütlich Platz und schauen erwartungsvoll Dirigent und Orchester bei ihrer Arbeit zu. Geklärt ist damit auch, dass diese Inszenierung auf irgendeine Illusion von Realismus verzichtet und uns hier ein Spiel erwartet. Etwas uneindeutig aber bleibt, was dieses Spiel bedeutet. Robert Carsen erzählt in seiner Inszenierung die Handlung der Zauberflöte genau, reichert sie aber mit Rätseln an, deren Sinn sich nicht sofort erschließt, deren Bedeutung bisweilen sogar quer zur Handlung zu stehen scheint. Er unterlegt der Oper in Andeutungen einen zweifachen Subtext. Dessen eine Dimension führt in die Sphäre von Eros und Thanatos, die andere in Richtung Elternschaft, Elternablösung, Erwachsenwerden. Bezaubernd schönes Bild: Kate Royal als Pamina und Pavol Breslik (Tamino) Vor der Folie „Leben“, symbolisiert durch ein auf die ganze Breite der Hinterbühne projiziertes, je nach Stimmungslage die Jahreszeiten wechselndes Waldfoto, entwickelt sich die Handlung. Das Todesmotiv, an sich schon mit der Bedrohung durch die Schlange verbunden, wird noch dadurch verstärkt, dass Tamino vor der Gefahr aus einem grabähnlichen Schacht flüchtet. Durch einen Schuss dort hinein retten die drei Damen ihm das Leben, ihre erotischen Avancen können den Bewusstlosen vorerst allerdings nur unbewusst erreichen. Den Eros in ihm erweckt dann die Königin nach dem Auftrag zur Befreiung Paminas mit einem sinnlichen Kuss. Paminas Bild erscheint ihm überlebensgroß als Projektion ihres innere Bewegung verratenden Gesichts. Der Gedanke „Tod“ zieht sich weiter über die Charakterisierung der Figur des Monostatos als Totengräber. Die Szenen in Sarastros Hallen sind in einer Art Gruft angesiedelt, einem Raum mit Särgen vollgestellt. Wir sehen damit in den Innenraum des Grabes, aus dem im ersten Akt Tamino vor der Schlange geflohen war, also aus Todesgefahr ins Leben. Durch die singspielhaften Elemente der Papageno-/Papagenahandlung wird dem Todesgedanken nur ein wenig die Schwere genommen. Insgesamt herrscht szenisch eher Düsterkeit vor. „O, zittre nicht!" (Ana Durlovski als Königin der Nacht) Die zweite Sphäre realisiert die Regie mittels teilweise weniger schlüssig wirkender Bilder. Die Königin der Nacht erscheint in ihrem ersten Auftritt als trauernde Mutter (wie auch die drei Damen in Trauerbekleidung auftreten), ihre Gegnerschaft zu Sarastro deutlich zeigend. Aber im zweiten Akt findet sie sich (mit den drei Damen) im Priesterchor unter dem Gefolge Sarastros wieder und tauscht mit diesem sogar Gesten der Zärtlichkeit aus. Kurz darauf will sie Pamina zum Mord an Sarastro anstacheln, führt aber dann einträchtig mit ihm Pamina und Tamino zusammen. Als Zuschauer darf man rätseln, was es mit der merkwürdigen Koalition der Königin der Nacht mit dem Herrn des Sonnenkreises wohl auf sich hat. Erst das Schlussbild legt eine Antwort nahe. Auf einer Art Paradieswiese sind alle, einschließlich Königin, Damen und Monostatos, friedlich zusammengeführt. Aber so restlos stimmig scheint dieser Gedanke nicht. Was ist aus den „Heuchlern“ geworden, von denen im Text gesungen wird und was aus deren „zernichteter Macht“? Als überzeugender, wenn auch nicht neuer Gedanke aber bleibt, dass Sarastro als eine Art Lehrmeister und Übervater die beiden Liebenden zusammenführt und dass ihre Liebe erst wachsen kann, wenn sie jeweils zu sich gefunden haben. Dies akzentuiert die Regie, indem sie diesen Selbstfindungsprozess ganz auf der individuellen Ebene belässt und allgemeine Faktoren ausblendet. Priesterchor mit Frauen: Szene aus dem 2. Akt (Chor mit Tamino) Damit scheint aber auch die Problematik dieses Ansatzes auf. Sie verzichtet auf kritische Einsprüche, z.B. gegen das frauenfeindliche Geschwätz des Sprechers. Ja, Carsen lässt sogar auch Frauen unter der Priesterschaft auftreten, verurteilt sie dadurch aber zugleich zum Schweigen - wahrlich kein emanzipatorischer Gedanke! Ansonsten bietet die Regie nur wenig neue Einfälle. Die Papagenoszenen wirken wie déjà-vu-Erlebnisse aus zahllosen anderen Inszenierungen. Immerhin ist genügend Aufmerksamkeit auf die Charakterisierung der Figuren gelegt. Auch sind die Sängerdarsteller so gut, dass ein lebendiges Spiel entsteht. Tatsächlich hat sich ein gutes Ensemble versammelt. Für die erkrankte Simone Kermes ist als Königin Ana Durlovski kurzfristig eingesprungen und agiert psychologisch eindrücklich. Sie verfügt über viel Ausdruck in der Stimme, doch wirken die Koloraturen (in der ersten Arie) stellenweise angestrengt. Unpathetisch, zugleich aber etwas neutral, bleibt Dimitry Ivashchenko als Sarastro, wogegen José van Dam einen eindrücklich deklamierenden Sprecher gibt. Für den Tamino bietet Pavol Breslik optimale Strahlkraft auf und trifft die Facetten der Partie in ganzer Breite. Bei Kate Royal als Pamina scheint die Identifikation mit der Rolle am weitesten zu gehen, sie singt emphatisch und strahlend schön. Als Naturbursche Papageno, der hier mit Campinggepäck und Melodica (kakophon!) unterwegs ist, bringt Michael Nagy, später zusammen mit der eminent spielfreudigen Regula Mühlemann als Papagena, die ersehnte Vitalität in das über weite Strecken doch sehr gemessene Geschehen. Hochkarätig sind die drei Damen besetzt. Annick Massis, Magdalena Kozená und Nathalie Stutzmann werten die Rollen zu profilierten Charakteren auf. Auch die beiden Priester sind mit Andreas Schager und Jonathan Lemalu sängerisch markant besetzt, ebenso die zwei Geharnischten mit Benjamin Hulett und David Jerusalem. Als Monostatos bleibt James Elliott ein wenig leichtgewichtig. Nicht zuletzt die drei couragierten Jungen der Aurelius Sängerknaben aus Calw, einem Knabenchor, der sich seit 2008 an die Spitze vergleichbarer Ensembles gearbeitet hat: David Rother, Cedric Schnitt und Joshua Augustin singen die drei Knaben glockenrein und sind darstellerisch präsent. Sie wären gern mit ihm allein: die drei Damen (v.l.: Magdalena Kozená, Annik Massis, Nathalie Stutzman) mit Tamino (Pavol Breslik) Worauf sich aber die Aufmerksamkeit besonders richtet, ist Rattles Debut mit dieser Oper. Sein Dirigat ist uneinheitlich. Mal nimmt er sehr zügige Tempi, mal verlangsamt er überraschend. Oft ist der Klang sehr schlank, an anderen Stellen eher voluminös. Von historischer Informiertheit jedenfalls bleibt die musikalische Interpretation doch sehr entfernt. Aber die Philharmoniker spielen in gewohnt eleganter Qualität. Exzellent die solistischen Partien: Flöte, Oboe, die tiefen Streicher, die Posaunen (stellvertretend für viele). Diese Stellen modellierte Rattle großartig heraus, was andernorts so nur selten erlebt wird. FAZIT Mit dieser Inszenierung ist niemandem wehgetan, aber kaum einer kann damit glücklich sein. Die inhaltlichen Probleme des Stücks werden nicht gelöst. Die Pole Ernst und Komik sind kaum ausbalanciert. Der Vorzug (Verzicht auf Pathos) ist zugleich der Nachteil (matte Szenerie). Am schönsten noch sind die klangliche Brillanz der Philharmoniker und einige gesangliche Höhepunkte. Zur Rezension der Zauberflöte für Kinder
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ProduktionsteamMusikalische LeitungSir Simon Rattle Inszenierung Robert Carsen Bühnenbild Michael Levine Kostüme Petra Reinhardt Licht Robert Carsen Peter van Praet Video Martin Eidenberger Chorleitung Simon Halsey Dramaturgie Ian Burton
Berliner Philharmoniker |
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E-Mail: oper@omm.de
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