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Bayreuther Festspiele 2013

Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 31.7.2013

Aufführungsdauer: ca. 6h 30' (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Die Kehrseite der Utopie

Von Roberto Becker, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Kann man dialektisch die Bewegungsform von Widersprüchen auf einen Bildnenner bringen und inszenieren? Klar kann man. Wenn man es kann. So wie Frank Castorf und sein kongenialer Bühnenbild-Erfinder Aleksandar Deni?! Und kann man damit im Jahre 2013 die Wagner-Gemeinde in Bayreuth noch aus der Fassung bringen? Und wie man das kann! Castorf stellte sich einer trillerpfeifenden Wut, über deren bornierte Verbissenheit man dann doch verblüfft war. Wurde doch da jemandem ein zu nahes Verhältnis zum Sozialismus unterstellt, der dessen gescheitertes Utopieversprechen gerade gnadenlos zerlegt hatte.

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1. Aufzug: Blutsbrüder Siegfried (Lance Ryan) und Gunther (Alejandro Marco-Buhrmester), rechts Hagen (Attila Jun)

Castorfs Gesten Richtung Kopf waren denn auch mehr eine Aufforderung zum Nachdenken als Verweis auf den berühmten Vogel. Er ließ ihnen fast zehn Minuten ihren Spaß und hielt stand. Leicht ist das sicher nicht. Selbst für einen kampferprobten Bühnenrecken wie den Ostberliner Volksbühnenchef. Doch da können sie im Saal noch so (dummes Zeug) brüllen - oder danach im Detail herunternörgeln, was sie wollen: Dieser Ring, und der war ja bei Castorfs Auftritt nach der Götterdämmerung im Ganzen gemeint, ist schon deshalb ein Volltreffer, weil ihn – wer so brüllt – nötig hat. Vor allem aber, weil er Diskurs ist und zum Diskurs provoziert. Und das als großes Theater mit starken Bildern, die man allesamt nicht vergisst. In und mit denen man, getreu dem Prinzip „Werkstatt Bayreuth“, in den Folgejahren auch noch weiter arbeiten kann, sollte und wohl auch wird. Besonders die Walküre ließe sich, zumindest um Johan Botha herum, noch trefflich dynamisieren. Und vielleicht findet sich ja auch noch ein anderer Weltklasse-Siegmund.

Zugegeben: beim Umgang des Publikums mit der Balance aus purer, oft detailliert ausgespielter Bühnen-Sinnlichkeit und intellektueller Entschlüsselungs-Herausforderung gibt es einen (kleinen) Ostbonus. Wenn sich etwa zu der wunderbaren Musik zu Siegfrieds Rheinfahrt auf der Drehbühne die Leuchtreklame „Plaste und Elaste aus Schkopau“ unter dem alten Logo „VEB Chemische Werke Buna“ an einer Fassade des wiederum fantastischen Bühnenbildwurfes von Aleksander Denić ins Blickfeld dreht, dann steigt einem Anwohner der auch an Schkopau vorbei fließenden Saale ein ziemlich arteigen strenger Gestank der Erinnerung in die Nase. Einem Großteil des Publikums müsste hier eigentlich erklärt werden, was „VEB“ und „Buna“ heißt und wo Schkopau eigentlich liegt. Aber wieso eigentlich? Zum Glück gilt das nicht für alle. Es gibt natürlich auch in Bayreuth genügend aufgeschlossene Wagnerianer mit Patrice Chéreau- und DDR-Erfahrung, die an der Verbindung von Bühne und Welt ihre Freude haben.


Vergrößerung in neuem Fenster 2. Aufzug: Hagen (Attila Jun) und Mannen

Da ist dieser Hinterhof, auf dem ein Stück Berliner Mauer, ein ärmlicher Obst- und Gemüsestand mit (natürlich) leeren Holzkisten und eine Döner-Bude vereint sind. Hier hat ein finster dreinblickender Hagen-Brutalo mit Irokesenkamm auf der Glatze und griffbereitem Baseball-Schläger das Sagen. Hier kreuzen aber auch ein Gunther mit Lederklamotten-Sexappeal und eine Gutrune mit Vorliebe für schicke Kleider und ihren neuen Minikleinstwagen immer mal auf.
Vorher, im ersten Bild, geisterten Nornen wie wandelnde Müllberge herum. Der Kellerraum unterm Werks-Treppenhaus, in dem sie ihren Wahrsager-Voodoo-Zauber veranstalten, ist auch bei Hagen beliebt. Wobei der sich als Boss einer Gang fühlt, die er freilich mit einigen Paletten Büchsenfreibier bei Laune halten muss, damit sie brav jubeln und Fähnchen (der Alliierten) schwenken, wenn Gunther mit der frisch entführten Brünnhilde auftaucht. Was ihm aber nicht so recht gelingt. Man hindert sich zwar gegenseitig am Abhauen, nimmt aber dann doch beinahe die Döner-Bude auseinander.

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2. Aufzug: Siegfried (Lance Ryan) und Guthrune (Allison Oakes), daneben Brünnhilde (Catherine Foster)

Brünnhilde und ihr Siegfried sind jetzt die gelangweilten Nutzer des Wohnwagens, den wir schon aus den vorangegangenen Teilen kennen. Inzwischen ist er mit etwas Metallschrott zum Kunstwerk veredelt. Das Monstrum könnte – wenigstens in Brünnhildes Augen – ihr Ross Grane sein. Oder besser noch ein Kunst-Verwandter der Börsenstiere. Denn als die Christo nachempfundene Fassadenverhüllung (vor der der Wagen steht) dann im letzten Aufzug fällt, kommt die New Yorker Börse zum Vorschein. Dieses Walhall geht natürlich nicht in Flammen auf (obwohl Brünnhilde einen Kanister Benzin verschüttet) oder als Bau spektakulär unter. Sie bleibt, was sie ist: Die Fassade einer geschundenen Welt, in der man offenbar nur überlebt, wenn man bereit ist, sich zu verkaufen.

Castorf verweigert schließlich auch jede Erlösungshoffnung. Er konfrontiert uns vielmehr mit einer Diagnose. Und er tut keinen Moment so, als hätte er eine Lösung. Bei ihm ist im Rheingold die Route 66 ein erledigter Traum von Freiheit, wird in der Walküre die Kombination aus Sowjetmacht und Öl zu einem aserbaidschanischen Vorhof der Hölle, sind im Siegfried die Säulenheiligen des Weltkommunismus in Stein erstarrt und ist die Weltzeituhr am Alexanderplatz der Treffpunkt der Desillusionierten der Wende, um in der Götterdämmerung einen erbarmungslos klaren Blick auf und hinter die finanzkapitalistische Fassade zu werfen. Am Ende zündelt Brünnhilde dann doch nicht, sondern drückt den Rheintöchtern den Ring in die Hand. Nach einigem Zögern werfen die dann das Schmuckstück bewusst ins Feuer, das aus einem Fass lodert.


Vergrößerung in neuem Fenster 3. Aufzug: Brünnhilde (Catherine Foster), dahinter die Rheintöchter (Okka von der Damerau, Mirella Hagen, Julia Rutigliano)

Dieser Ring knüpft in seinem intellektuellen Habitus durchaus an die epochemachenden kapitalismusanalytischen Ring-Würfe von Joachim Herz (in Leipzig) und Patrice Chéreau (in Bayreuth) aus den 70er-Jahren an. Er ist ästhetisch nicht so geschlossen, bezieht aber in grandiosen Teilbildern den Untergang des Sozialismus ein und ist global gedacht. Und er macht aus dem Ring wirklich 'mal wieder ein hochaktuelles, zeitrelevantes Kernstück in Richard Wagners Schaffen. Auch wenn Castorf nicht die erste Wahl der Wagner-Schwestern Katharina und Eva war – jetzt zeigt sich: Er war genau die richtige Wahl. Hoffentlich hat er Opernblut geleckt und macht weiter. Mit diesem Ring und mit der Oper überhaupt.

Zumal auf diesem musikalischen Fundament! Wenn Kirill Petrenko bald seinen Chefposten in München antritt, dann kann er das mit dem Rückenwind eines gefeierten Bayreuther Helden. Seine Lesart war stets analytisch und sinnlich, immer mit den Sängern, manchmal in Polemik mit der Szene, dann wieder atemberaubend mit ihr im Gleichklang. Bei der Waltrauden-Erzählung etwa hört man im Graben die Träne fallen, die Wotan in einer der im Ganzen kongenial passenden Videoeinblendungen fast vergießt. Petrenko kann in diesem Graben alles, was er will, sogar den Mischklang auffächern, den man bei ihm plötzlich gar nicht vermisst.

Bei den Sängern gab es in der Götterdämmerung Licht und Schatten. Mit etwas mehr Einschränkungen als in den anderen Ring-Teilen. Lance Ryan (Siegfried) und Attila Jun (Hagen) bekam sogar ein paar Buhsalven ab. Wobei Ryan tatsächlich deutlich hinter seinem Jung-Siegfried zurückblieb, nicht nur gleichförmiger und angestrengter als im Siegfried wirkte, sondern manchmal auch Intonationsprobleme hatte. Da versöhnte auch sein wieder schönes Erinnern an Brünnhilde im Sterben nicht wirklich. Attila Jun war als Hagen erstaunlich diffus und undeutlich, überzeugte darstellerisch weit mehr als vokal. Martin Winkler komplettierte seinen Alberich eindrucksvoll und Alejandro Marco-Buhrmester fühlte sich mit seinem Gunther in Lederkluft offensichtlich wohl. Bei den Frauen rundete Catherine Foster ihren Brünnhildenerfolg überzeugend ab, sang auch an den exponierten Stellen noch mit schöner Stimme. Claudia Mahnke gehörte auch als Waltraute zu den Aktivposten des Ringensembles und Allison Okaes war eine auftrumpfende Gutrune.


FAZIT

Frank Castorf musste nach der Götterdämmerung einen gewaltigen Buhsturm aushalten; er hat den Bayreuther Festspielen gemeinsam mit Kirill Petrenko einen spannenden, hochpolitischen Ring mit Sprengkraft beschert. Das Wagner-Jahr hat damit seinen Höhepunkt, und das obendrein in Bayreuth!


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Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2013



Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko

Inszenierung
Frank Castorf

Bühnenbild
Aleksandar Denić

Kostüme
Adriana Braga Peretzki

Licht
Rainer Casper

Video
Andreas Deinert
Jens Crull

Chor
Eberhard Friedrich

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Siegfried
Lance Ryan

Gunther
Alejandro Marco-Buhrmester

Alberich
Martin Winkler

Hagen
Attila Jun

Brünnhilde
Catherine Foster

Gutrune
Allison Oakes

Waltraute
Claudia Mahnke

1. Norn
Okka von der Damerau

2. Norn
Claudia Mahnke

3.Norn
Christiane Kohl

Woglinde
Mirella Hagen

Wellgunde
Julia Rutigliano

Floßhilde
Okka von der Damerau





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