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Rigoletto

Melodramma in drei Akten (vier Bildern)
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Versdrama Le roi s'amuse (1832) von Victor Hugo
Musik Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper am 15. Dezember 2012

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 24.07.2013) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Voyeuristische Männergesellschaft

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Nachdem der diesjährige Jubilar Richard Wagner bereits bei den letzten Festspielen mit Andreas Kriegenburgs Neudeutung des Rings im Zentrum stand, setzt man in diesem Jahr den Schwerpunkt eher auf Giuseppe Verdi, dessen Geburtstag sich ebenfalls zum 200. Mal jährt. So kann man im Rahmen der Festspiele neben der sogenannten "Trilogia popolare", bestehend aus Rigoletto, Il trovatore und La traviata, auch noch fünf weitere Werke des Standardrepertoires erleben. Bei drei dieser Produktionen handelt es sich um Neuinszenierungen der sich dem Ende neigenden Spielzeit, wobei die Premiere von Il trovatore die diesjährigen Festspiele eröffnet hat. Nun leiden allerdings Regisseure häufig unter dem zwanghaften Drang, eine neue Sichtweise auf ein Werk zu präsentieren, um sich von allen vorherigen Deutungen abzuheben, was sich bei häufig gespielten Opern als äußerst schwierig erweist. Auch Árpád Schillings Ansatz zu Rigoletto will nicht so recht in jedem Punkt aufgehen, wenn er den Standesunterschied zwischen dem Herzog und Gilda außer Acht lässt und auf das Schicksal als treibende Kraft setzt.

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Rigoletto (Andrzej Dobber, rechts) und der Herzog (Joseph Calleja, links)

Der Herzog ist so wie alle Männer, was Márton Ágh in den beigefarbenen Kostümen ausdrückt, die die Höflinge wie eine undifferenzierte Masse wirken lassen, von der sich auch Rigoletto und später Sparafucile optisch nicht unterscheiden. Ágh hat eine hohe Holztribüne errichtet, auf der die Männer im ersten Akt mit weißen Masken sitzen und vorübergehende Frauen wie Ware begutachten. Auch ist Rigoletto hier kein Buckeliger, weil Schilling den Hofnarren nicht als körperlichen, sondern seelischen Krüppel betrachtet, dessen Hässlichkeit in seinem Inneren liegt, da er die Spielchen des Herzogs auf Kosten der anderen Höflinge mitmacht und in seiner Kompromisslosigkeit keinen Deut besser als sein Herr ist. Das passt zwar nicht immer zum gesungenen Text, stört aber den weiteren Verlauf nicht unbedingt. In diese Gesellschaft bricht nun Monterone mit seinem Fluch ein, wobei bei seinem Auftritt die Holztribüne in zwei Teile zerlegt wird. Interessant ist dabei Schillings Ansatz Monterone und Sparafucile nicht nur von dem gleichen Sänger darstellen zu lassen, sondern auch optisch im gleichen Anzug auftreten zu lassen. Schließlich vollzieht sich in Sparafuciles Mord an Gilda Monterones Fluch. Eine vergleichbare Parallele baut Schilling auch zwischen Giovanna und Maddalena auf, wobei die beiden Figuren sich optisch schon unterscheiden. So wie Giovanna Gilda in die Arme des Herzogs und damit ins Verderben treibt, gibt Maddalena letztendlich den Ausschlag dafür, dass ihr Bruder nicht den Herzog, sondern Gilda tötet.

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Rigoletto (Andrzej Dobber) mit seiner Tochter Gilda (hier: Patricia Petibon)

Wenn Gilda das erste Mal erscheint, befindet sich die Holztribüne mit den Männern noch im Hintergrund der Bühne. Die von Rigoletto erwünschte Privatsphäre existiert folglich nicht. Da nützt es auch nichts, dass der Narr versucht, seine Tochter mit einem dünnen weißen Vorhang den Blicken der Männer zu entziehen. Warum Ágh Gilda in einen derart unattraktiven ausgewaschenen Pullover mit Blue Jeans kleidet, bleibt unverständlich. Soll es Rigolettos Versuch sein, seine Tochter vor den voyeuristischen Blicken der anderen Männer zu schützen? Wenn ja, wäre der Herzog dann überhaupt auf Gilda aufmerksam geworden? Im Verlauf von Gildas großer Arie "Caro nome" verschwindet nicht nur der weiße Vorhang in den Schnürboden und gibt das Mädchen offen den Blicken der auf den beiden Teiltribünen sitzenden Männer preis, sondern Gilda klettert auch auf die Tribüne und bewegt sich zwischen den Männern. Mit ihrer Liebe für den vermeintlichen armen Studenten ist sie folglich der Isolation des Hauses entflohen, und es ist für die Höflinge ein Leichtes, das junge Mädchen zu entführen. Bei diesem Ansatz lässt sich Rigolettos Mitwirkung bei der Entführung allerdings kaum rechtfertigen.

Im zweiten Akt verzichtet Schilling auf die Holztribüne und baut die Höflinge als Masse vor dem weißen Vorhang auf, hinter dem wohl Gilda dem Herzog zugeführt wird. Wie Rigolettos Flehen an dieser teils missgünstigen Masse abprallt ist gut in Szene gesetzt, zumal man nach dem Verhalten des Hofnarren im ersten Akt durchaus nachvollziehen kann, dass die Höflinge ihre Rache genießen. Wenn Gilda dann erscheint und mit Unverständnis und einer gewissen Furcht die regungslosen Männer betrachtet, die jetzt keinerlei Notiz von ihr zu nehmen scheinen, geht die ansonsten recht kühle Inszenierung doch unter die Haut. Was allerdings die riesige Pferdestatue hinter dem weißen Vorhang soll, die zum Ende des Aktes, wenn der Hauptvorhang geschlossen wird, nach vorne geschoben wird, erklärt sich nicht einmal ansatzweise. Hatte man dieses durchaus schön anzusehende Bühnenrequisit noch aus einer anderen Produktion übrig?

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Sparafucile (Dimitry Ivashchenko, hinten) bietet dem Herzog (Joseph Calleja) ein Quartier für die Nacht.

Der dritte Akt zeigt dann kein Lokal sondern erneut die beiden Holztribünen, wobei die eine Holztribüne von Maddalena und dem Herzog "bespielt" wird und auf der anderen Tribüne männliche Schaufensterpuppen sitzen, die das Geschehen zu beobachten scheinen. Das berühmte Quartett "Bella figlia dell'amore", in dem Rigoletto Gilda die Untreue ihres Geliebten vor Augen führt, kann szenisch nicht überzeugen, da hier jeder jeden sieht. Mögen die Gefühle des Herzogs gegenüber Gilda entgegen seiner Beteuerungen im zweiten Akt auch nicht echt sein, so scheint es doch übertrieben, ihn Maddalena direkt vor Gildas Augen verführen zu lassen. Selbst wenn beim Quartett eigentlich nur die Gesangslinien vom Herzog und Gilda zusammengeführt werden und die Partien von Maddalena und Rigoletto nur als Einwürfe fungieren, ist dieses Stück dennoch kein Duett zwischen dem Herzog und Gilda, wie Schilling es mit der Darstellung auf einem Podest an der Bühnenrampe anzudeuten versucht. Wieso der Sack, in den Gilda nach ihrer Ermordung gesteckt wird, ein Rollstuhl mit überdimensionalen Rädern ist, lässt sich ebenfalls schwer nachvollziehen. Soll die weiße Maske, die Sparafucile ihr aufsetzt, wirklich ausreichen, Rigoletto glauben zu lassen, dass er den toten Herzog vor sich hat? Und warum überschüttet Maddalena die Tote mit grauer Farbe? Sorgen diese Einfälle bei dem einen oder anderen Zuschauer auch für Unbehagen, stimmt das Ende dann doch wieder versöhnlich, wenn die beiden Tribünen verschwinden und der letzte Moment Rigoletto und seiner Tochter auf einer leeren Bühne gehört, wobei Gildas Seele mit ihren letzten Tönen gewissermaßen entschwebt.

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Der Herzog (Joseph Calleja) bandelt mit Maddalena (Nadia Krasteva) an.

Auch die musikalische Umsetzung lässt keinerlei Wünsche offen. Mit Joseph Calleja verfügt die Bayerische Staatsoper über einen Herzog, der stimmlich kaum besser besetzt sein könnte. Mit strahlendem Tenor und absoluter Leichtigkeit präsentiert er die zahlreichen Schmankerl, die zur ungemeinen Popularität des Werkes sicherlich einen entscheidenden Beitrag geleistet haben dürften. Wenn er "Questa o quella" oder "La donna è mobile" schmettert, kann man bei aller Hinterfragung des Inhalts dieser beiden Stücke durchaus nachvollziehen, warum diesem Charmeur die Frauen zu Füßen liegen. Bei aller Oberflächlichkeit des Charakters gelangt er aber im zweiten Akt in seiner Arie "Parmi veder le lagrime", wenn er sich um die entführte Gilda sorgt, zu einer bewegenden Innigkeit. Andrzej Dobber setzt ihm mit durchschlagendem Bariton einen Hofnarren entgegen, der glaubhaft zwischen kalter Verachtung für die Höflinge und besorgter Liebe zu Gilda changiert. Patricia Ciofi stattet die Gilda darstellerisch mit jugendlichem Charme aus, wobei ihr Sopran stellenweise für die Partie bereits zu schwer ist. Nadia Krasteva begeistert als Maddalena und Giovanna mit sattem Mezzo und laszivem Spiel, während Dimitry Ivashchenko mit schwarzem Bass sowohl Sparafucile als auch Monterone einen unheimlichen und bedrohlichen Ton verleiht. Der Chor der Bayerischen Staatsoper unter der Leitung von Stellario Fagone überzeugt ebenso wie das Bayerische Staatsorchester unter Marco Armiliato, der Verdis Musik aufblühen lässt, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn die Inszenierung einige Schwachpunkte aufweist, entschädigt die musikalische Umsetzung dafür umso mehr.

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2013

 


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabio Luisi /
*Marco Armiliato

Inszenierung
Árpád Schilling

Bühne und Kostüme
Márton Ágh

Licht
Christian Kass

Chöre
Stellario Fagone

Dramaturgie
Miron Hakenbeck

 

Bayerisches Staatsorchester

Chor der
Bayerischen Staatsoper

Statisterie der
Bayerischen Staatsoper


Solisten

*rezensierte Aufführung

Il Duca di Mantova
Joseph Calleja

Rigoletto
Franco Vassallo /
*Andrzej Dobber

Gilda
Patricia Petibon /
*Patricia Ciofi

Sparafucile / Il Conte di Monterone
Dimitry Ivashchenko

Maddalena / Giovanna
Nadia Krasteva

Marullo
Tim Kuypers

Borsa Matteo
Francesco Petrozzi

Il Conte di Ceprano
Christian Rieger

La Contessa di Ceprano
Iulia Maria Dan

Usciere
Goran Jurić

Paggio della Duchessa
Yulia Sokolik


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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