Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Rossini Opera Festival

Pesaro
10.08.2013 - 23.08.2013


Guillaume Tell

Opéra in vier Akten
Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis
Musik von Gioachino Rossini

In französischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 5 h 10' (zwei Pausen)

Koproduktion mit dem Teatro Regio di Torino

Premiere in der Adriatic Arena in Pesaro am 11. August 2013
(rezensierte Aufführung: 14.08.2013)


Homepage

 

Rossini Opera Festival

Homepage

 

Rütli-Schwur an umgelegten Pferden

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)


Der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell hat derzeit auf den Opernbühnen Hochkonjunktur. Nachdem sich die Opéra Royal de Wallonie in Liège im Juni André-Modeste Grétrys selten gespielter Oper gewidmet hat, haben sich sowohl das Rossini Opera Festival in Pesaro als auch das Belcanto-Festival Rossini in Wildbad in diesem Jahr für Rossinis letzte Oper entschieden, die nicht nur mit Arnold Melcthal eine der anspruchsvollsten Tenorpartien enthält, für die man lange suchen muss, um einen geeigneten Interpreten zu finden, sondern auch in der Länge die Ausmaße einer Wagner-Oper annimmt und daher schon zu Lebzeiten des Komponisten zahlreichen Kürzungen unterzogen wurde. Bis 1856 hielt sich sogar eine dreiaktige Version im Repertoire, die Rossini kurz nach der Uraufführung erstellt hatte und in der der komplette vierte Akt mit Ausnahme der großen Arie des Arnold gestrichen worden war. Auch wenn diese Version in einem furiosen Finale das berühmte Allegro der Ouvertüre wieder aufnimmt und zu einem Chor erweitert, hat sich auf den Spielplänen dennoch die ursprüngliche Variante mit der Schlussapotheose, in der die Schweizer ihre Befreiung und den Tod des Tyrannen bejubeln, durchgesetzt.

Während man in Bad Wildbad anlässlich des 25-jährigen Festspiel-Jubiläums damit geworben hat, den "ungekürzten Tell" zu präsentieren, gewinnt man in Pesaro nicht den Eindruck, dass hier Striche am Stück vorgenommen worden sind. Zwar dauert die Aufführung in Pesaro "nur" fünf Stunden und 10 Minuten im Gegensatz zu sieben Stunden und 15 Minuten in Bad Wildbad. Dafür gibt es in der Adriatic Arena allerdings auch nur zwei Pausen, wohingegen in Bad Wildbad nicht nur nach jedem Akt eine Pause eingelegt worden ist, sondern auch die mittlere Pause nach dem 2. Akt über zwei Stunden dauerte. So dürfte sich die reine Spieldauer kaum unterscheiden. Ob man sich nun in Bad Wildbad und Pesaro bei diesem Vorhaben in irgendeiner Form abgesprochen hat, lässt sich nicht beurteilen. Ein Blick auf die Besetzungsliste in Pesaro zeigt als möglichen Zusammenhang eigentlich nur Celso Albelo, der ursprünglich auch in Bad Wildbad für die Partie des Fischers Ruodi vorgesehen war. Auch dass Michael Spyres, der Arnold in Bad Wildbad, für ein Belcanto-Konzert und die konzertante La donna del lago in Pesaro weilt, mag Zufall sein.

Bild zum Vergrößern

Arnold Melcthal (Juan Diego Flórez) liebt die Habsburger Prinzessin Mathilde (Marina Rebeka).

Rossinis Oper weist einige gravierende Unterschiede zu Schillers Drama auf, das in einer französischen Übersetzung von Henry Merle D'Aubigné zwar sicherlich die Hauptvorlage, allerdings nicht die einzige Quelle für die Librettisten Étienne de Jouy und Hippolyte Bis gewesen sein dürfte. So fehlen beispielsweise bei Schiller die Hochzeitsfeierlichkeiten im ersten Akt, die bei Antoine-Marin Lemierre (1766) in einer französischen Bearbeitung des Tell-Mythos und in Grétrys gleichnamiger Oper von 1791 zu finden sind. Auch die Figuren der Mathilde und des Arnold kommen in Schillers Drama in der Form nicht vor. In letzterem kombiniert Rossini den Sohn des alten Melcthal und Ulrich von Rudenz. Während ersterer bei Schiller eher als eine Randfigur auftritt und letzterer zunächst auf der Seite der Habsburger steht und sich erst durch den Einfluss Berta von Brunecks den Schweizer Eidgenossen anschließt, ist es bei Rossini die Habsburger Prinzessin Mathilde, in die Arnold verliebt ist und für die er sogar in das Habsburger Heer eingetreten ist. Erst als sein Vater, der alte Melcthal, von Geslers Soldaten ermordet wird, verbündet er sich im legendären Rütli-Schwur mit den Schweizer Eidgenossen gegen die Besatzer. Bei diesem Schwur ist in Rossinis Oper Tell übrigens anders als bei Schiller nicht nur anwesend, sondern übernimmt auch eine federführende Rolle. Die Ermordung Geslers erfolgt bei Rossini als reiner Akt der Notwehr, da Tell nach seiner Flucht aus dem Boot von Gesler verfolgt wird, während Tell bei Schiller Gesler in der berühmten hohlen Gasse auflauert.

Bild zum Vergrößern

Guillaume Tell (Nicola Alaimo, rechts), Arnold (Juan Diego Flórez, Mitte) und Walter Furst (Simon Orfila, rechts) verbünden sich gegen die Habsburger Tyrannei.

Für Graham Vicks Inszenierung hat Paul Brown einen gewaltigen asymmetrischen weißen Einheitsraum geschaffen, der in der Grundstruktur in allen vier Akten gleich bleibt und dessen Decke weit in den Zuschauerraum ragt (ist diese bauliche Maßnahme der Grund dafür, dass es keine Übertitel gibt?). Auf der linken Seite befindet sich hinter zwei Schiebewänden ein weiterer kleiner Bühnenraum, der mal als Tells Wohnstube, mal als Saal der Habsburger fungiert. Darüber befindet sich eine Ebene, von der aus die Habsburger das unterdrückte schweizerische Volk bei der Arbeit überwachen können. Auf der rechten Seite ist in großen weißen Lettern "EX TERRA OMNIA" eingestanzt, was vielleicht für den Machtanspruch der Habsburger stehen könnte, die hier alles auf (und aus) der Erde für sich beanspruchen. So sind die mondänen Kostüme der Habsburger High Society ebenfalls in Weiß gehalten, während die einfachen dunklen Kostüme der unterdrückten Schweizer für das Naturverbundene stehen. Von Habsburger Soldaten wird das Volk im ersten Akt dazu angetrieben, die dunkle Erde, die überall den Bühnenboden bedeckt, fortzuwischen, damit alles in sterilem Weiß glänzt. Natur gibt es hier nur als Postkartenidylle, die mit Kameras und Scheinwerfern zu Werbezwecken eingefangen wird, wenn beispielsweise der Fischer Ruodi mit einer jungen Habsburgerin in seinem Boot vor einer aufgemalten Bergidylle posiert. Erst im Verlauf des Stückes setzt sich im Hintergrund auf der rechten Seite in einer Projektion die Schweizer Bergwelt durch, und die weißen Wände bekommen blutrote Flecken. Der als Bühnenvorhang fungierende Prospekt mit einer weißen Solidaritätsfaust auf rotem Hintergrund passt thematisch gut, auch wenn für die Faust mit Blick auf die Assoziation des weißen Bühnenraums mit den Habsburgern vielleicht eine dunklere Farbe hätte gewählt werden sollen.

Bild zum Vergrößern

Arnold (Juan Diego Flórez, mit dem Chor im Hintergrund) steht nun auf der Seite der Schweizer Freiheitskämpfer.

Ein Problem jeder Aufführung stellen die Balletteinlagen dar, die daher auch häufig den Strichen zum Opfer fallen, obwohl sie zumindest im dritten Akt dramaturgisch für den wachsenden Unmut der Schweizer über das Verhalten der Habsburger von Bedeutung sind. Ron Howell lässt die Hochzeitspaare im ersten Akt mit modernem Ausdruckstanz auftreten, der wohl die Naturverbundenheit der Schweizer zum Ausdruck bringen soll, allerdings eher an rituelle Tänze afrikanischer Naturvölker erinnert. Hier hätte man sich Bewegungen gewünscht, die doch mit der leicht folkloristischen Musik eher in Einklang zu bringen sind. Auch beim Pas de trois zum Chœur tyrolien im dritten Akt greift Howell ansatzweise auf leicht albern wirkende Bewegungen zurück, obwohl an dieser Stelle eigentlich die "braven" Bewegungen in folkloristischen Kostümen dominieren und somit genau das Bild präsentieren, was die Habsburger von den unterdrückten Schweizern haben. In den folgenden Divertissements wird die Arroganz der Besatzer von Graham Vick so schonungslos vorgeführt, dass für einen Teil des Publikums die Grenze des Erträglichen überschritten wird, was sich in Unmutsbekundungen äußert. Da wundert es nicht, dass die Schweizer diese Demütigungen ebenfalls nicht mehr ertragen können und es zur offenen Rebellion kommen muss. Gut umgesetzt wird der Apfelschuss. Vick lässt den Apfel auf Jemmys Kopf mehr oder weniger explodieren, als ob ein Pfeil durch ihn hindurch gegangen wäre und in mehrere Einzelteile zerlegt hätte.

Bild zum Vergrößern

Guillaume Tell (Nicola Alaimo) beim legendären Apfelschuss

Diskutabel bleiben die zahlreichen Pferde auf der Bühne im zweiten Akt. Während sie zu Beginn des Aktes für die Jagd der Habsburger noch Sinn machen - selbst wenn nicht klar ist, wieso hier Jagd auf kleine Kinder gemacht wird, die als "erlegte Beute" über die Bühne getragen werden - und auch Mathildes große Arie "Sombre fôret" und ihr anschließendes Duett mit Arnold in dieser Pferdekulisse durchaus pittoresk wirken, sind sie für die folgende Szene, in der die Schweizer sich unter der Leitung von Tell zum Rütli-Schwur versammeln im Weg. Also werden sie von den auftretenden Schweizern "umgelegt" und zu drei Türmen aufgestapelt, stellvertretend für die drei Schweizer Kantone, die sich hier zum Schwur versammelt haben. Währenddessen schreibt ein Schweizer in roter Farbe "Helvetiorum fidei ac virtuti" an die Rückwand, was zwar nichts mit dem eigentlichen Schwur zu tun hat, sondern als Inschrift über dem Löwendenkmal in Luzern an die am 10. August 1792 beim Tuileriensturm in Paris gefallenen Schweizer Gardisten erinnert, inhaltlich ("für die Treue und Tapferkeit der Schweizer") jedoch vor allem mit dem darüber angeführten "omnia" ("alles") durchaus zur Szene passt. Zur Schlussapotheose die Bühnendecke zu öffnen und in Form einer gewaltigen roten Treppe herabzulassen, auf der Tells Sohn Jemmy emporsteigt, sozusagen einer besseren Zukunft entgegen, mag etwas kitschig wirken, versöhnt aber szenisch mit anderen kleinen Ungereimtheiten der Inszenierung.

Sieht man von den akustischen Problemen der Adriatic Arena einmal ab - so werden die herrlichen Cello-Klänge der Ouvertüre vom lautstarken Knarren des Bodens beeinträchtigt, da scheinbar noch die letzten Zuschauer ihre Plätze suchen müssen -, ist die musikalische Umsetzung ein Hochgenuss. Zu nennen sind hier zunächst der von Andrea Faidutti großartig einstudierte Chor und das unter Michele Mariotti fulminant aufspielende Orchester des Teatro Comunale di Bologna, die beide deutlich machen, wieso Rossinis letzte Oper zu dem Besten gehört, was der Pesarese komponiert hat. Doch auch die Solisten-Riege lässt bis in die kleinste Partie keine Wünsche offen. Nicola Alaimo begeistert in der Titelpartie mit hervorragendem Bariton und schafft eine herrliche Balance zwischen entschlossenem Freiheitskämpfer und liebendem Vater, der nach dem Apfelschuss auf seinen Sohn durchaus auch einen Moment der Schwäche zeigt. Amanda Forsythe überzeugt als Tells Sohn Jemmy mit jugendlichem Spiel und herrlich frischen Koloraturen, die die Unbekümmertheit des jungen Tell wunderbar zum Ausdruck bringen. Luca Tittoto gibt mit dunklem Bass einen Gesler, der an Bosheit und Menschenverachtung kaum zu übertreffen ist. Auch Celso Albelo als Ruodi, Veronica Simeoni als Tells Ehefrau Hedwige, Simon Orfila als Walter Furst und Simone Alberghini als alter Melcthal überzeugen auf ganzer Linie.

Stars des Abends sind Marina Rebeka als Mathilde und natürlich Juan Diego Flórez als Arnold. Mit welchen Nuancen Rebeka ihre große Auftrittsarie im zweiten Akt "Sombre fôret" gestaltet, in der sie sich nach Arnold sehnt, und selbst die sanften Töne in der Adriatic Arena zum Klingen bringt, ist unbeschreiblich schön. Auch Flórez meistert die mörderische Partitur mit den zahlreichen Spitzentönen ohne irgendwelche Anzeichen von Schwäche. Im Duett gelingt den beiden stimmlich und darstellerisch eine Innigkeit, die unter die Haut geht. Höhepunkt ist natürlich seine große Arie im vierten Akt "Asile héréditaire", in der Arnold noch einmal in das Haus seines Vaters zurückkehrt und vergangenen Zeiten nachsinnt. Vick lässt dabei einen Videofilm ablaufen, in dem man einen Bauern sieht, der mit seinem Sohn das Land bestellt. Innigere Bilder kann man für Arnolds Erinnerungen an dieser Stelle wohl kaum finden. Entsprechend frenetisch ist auch die Zuschauerreaktion nach Flórez' Arie. Momente wie diese lassen die Schwachpunkte der Inszenierung vergessen und führen dazu, dass das Ensemble am Ende mit lang anhaltendem Jubel gefeiert wird.

FAZIT

Wenn man eine Parallele zwischen den beiden Tell-Inszenierung in Bad Wildbad und Pesaro ziehen kann, dann ist es vielleicht die hochkarätige musikalische Umsetzung, die beide Produktionen zu einem Höhepunkt dieses Festspielsommers macht. Was die Inszenierung betrifft, hat Jochen Schönleber in Bad Wildbad trotz der eingeschränkten Bühnenmöglichkeiten vielleicht ein bisschen die Nase vorn.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2013



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Regie
Graham Vick

Bühne und Kostüme
Paul Brown

Choreographie
Ron Howell

Licht
Giuseppe di Iorio

Chorleitung
Andrea Faidutti



Chor und Orchester des
Teatro Comunale di
Bologna


Solisten

Guillaume Tell
Nicola Alaimo

Arnold Melcthal
Juan Diego Flórez

Walter Furst
Simon Orfila

Melcthal
Simone Alberghini

Jemmy
Amanda Forsythe

Gesler
Luca Tittoto

Rodolphe
Alessandra Luciano

Ruodi, pêcheur
Celso Albelo

Leuthold / Un Chasseur
Wojtek Gierlach

Mathilde
Marina Rebeka

Hedwige
Veronica Simeoni

 


Zur Homepage vom
Rossini Opera Festival




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -