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Algerien im Comic-FormatVon Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival (studio amati bacciardi)
Mustafà (Alex Esposito, Mitte) schwimmt dank seiner Ölquellen im Geld (auf der linken Seite von links: Zulma (Raffaella Lupinacci) und Elvira (Mariangela Sicilia), auf der rechten Seite: Statisterie). Die Handlung soll auf der wahren Geschichte der Mailänderin Antonietta Frappoli basieren, die 1808 Berühmtheit erlangte, als es ihr aus nicht genau geklärten Gründen gelang, aus der Gefangenschaft im Harem des Beys von Algier über Venedig in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Der Bey in der Oper, Mustafà, wahrscheinlich eine Anspielung auf Mustafa II., der von 1798 bis 1805 als osmanischer Statthalter über die Provinz Algier herrschte, ist seiner Frau Elvira überdrüssig und glaubt, dass nur eine Italienerin seinen Bedürfnissen nach der "idealen Frau" entsprechen kann. Diese erscheint in Gestalt der schönen Isabella, die in Begleitung ihres ältlichen Verehrers Taddeo von Livorno aufgebrochen ist, um ihren Geliebten Lindoro zu suchen, der als Sklave in Algier gefangen gehalten wird. Mit List und Charme gelingt es ihr, sich den Bey gefügig zu machen. So ernennt sie ihn beispielsweise zu einem Pappataci, dessen einzige Beschäftigung darin besteht, zu essen, zu trinken und zu schweigen, und bricht währenddessen mit Lindoro und Taddeo zurück nach Italien auf. Zu spät erkennt Mustafà den Betrug und bittet seine Gattin Elvira demütig um Verzeihung. Isabella (Anna Goryachova, Mitte) bezirzt in aufreizendem Outfit den Bey von Algier (rechts und links: Statistinnen). Davide Livermore verlegt die Handlung in die späten 60er Jahre des letzten Jahrhunderts und kreiert mit dem Videodesigner-Team D-Wok Bilder, die an trashige Cartoons dieser Zeit erinnern. Das Bühnenbild von Nicolas Bovey nimmt mit seinen zur damaligen Zeit hypermodernen Formen in sterilem Weiß Bezug zu alten James-Bond-Filmen, wobei die beiden Statistinnen, die permanent die klinisch weißen Wände putzen mit ihren auftoupierten Haaren und den lasziven Bewegungen an Bond-Girls früherer Jahre erinnern. Mustafà ist kein orientalischer Bey mehr, sondern ein Öl-Milliardär, der in seinem Reichtum mit Goldkettchen und knallbuntem Outfit eigentlich schon ganz auf der westlichen Welle schwimmt. Da ist es kein Wunder, dass er das Interesse an seiner Frau Elvira verloren hat, die mit ihren Lockenwicklern im Haar und dem langen orientalisch angehauchten Gewand mit aufgedruckten Kamelen eine Zeit repräsentiert, die er bereits hinter sich gelassen hat. Folglich kommt ihm die moderne Isabella gerade recht, die von einer Agentin à la Emma Peel aus The Avengers (Mit Schirm, Charme und Melone) zu einer Amazone à la Barbarella mit gehörigem Sex-Appeal mutiert. Finale des ersten Aktes: von links: Zulma (Raffaella Lupinacci), Elvira (Mariangela Sicilia), Lindoro (Yijie Shi), Isabella (Anna Goryachova), Mustafà (Alex Esposito), Taddeo (Mario Cassi) und Haly (Davide Luciano) Auch wenn die Inszenierung mit ihren ständig wechselnden Bildern keine Langeweile aufkommen lässt, ist nicht jeder Regie-Einfall gelungen. Ob Lindoro beispielsweise in seiner ersten Kavatine "Languir per una bella", wenn er voller Qualen an seine Geliebte Isabella denkt, die er fern in Livorno wähnt, ein Haifischbecken reinigen und sich dabei auch noch mit einem riesigen Haifisch anlegen muss, ist sicherlich ein bisschen zu viel des Guten und lenkt doch gewaltig von der Musik ab. Auch die ständigen versehentlich abgegebenen Schüsse des Beys, denen jeweils ein Soldat zum Opfer fällt und mit denen er auch das Flugzeug zur Bruchlandung zwingt, in dem Isabella ankommt, wirken extrem übertrieben. Was die beiden Stewardessen sollen, die dem Flugzeug entsteigen und einen Großteil der folgenden musikalischen Nummern durch rhythmische Bewegungen unterstützen, bleibt ebenfalls fraglich. Auch auf die dicke italienische Touristin, die ständig durch die Szene stapft und auch noch den Papagei des Beys in einem Staubsauger verschwinden lässt, hätte man gut verzichten können. Die Flucht aus Algier: an der Leiter: Isabella (Anna Goryachova) und Lindoro (Yijie Shi), rechts daneben von links: Taddeo (Mario Cassi), Mustafà (Alex Esposito), Haly (Davide Luciano, dahinter), Elvira (Mariangela Sicilia), Zulma (Raffaella Lupinacci) und Statisterie, auf der rechten Seite: Chor) Keine Abstriche lassen sich hingegen bei der musikalischen Umsetzung machen. Anna Goryachova kann sowohl stimmlich als auch darstellerisch als eine Idealbesetzung für die Titelpartie bezeichnet werden. In ihren diversen Kostümen, die vom hochgeschlossenen Hosenanzug bis zum aufreizenden Badeanzug reichen, macht sie optisch eine sehr gute Figur, was durchaus nachvollziehen lässt, dass der Bey den Reizen dieser Europäerin verfallen ist. Hinzu kommt ein großartiger Mezzo, der in den Koloraturen regelrecht sprudelt und mit einer Leichtigkeit daherkommt, die ihresgleichen sucht. Großartig gelingen ihre Auftrittsarie "Cruda sorte!", in der sie den Gefahren der Reise aus Liebe zu ihrem Lindoro trotzt, und ihr Rondo "Pensa alla patria" im zweiten Akt, in dem sie ihren Landsleuten für die bevorstehende Flucht Mut zuspricht. Mariangela Sicilia gibt mit leuchtendem Sopran eine Elvira, die ernsthaft bemüht ist, von dieser Europäerin zu lernen, wobei ihre durchaus komödiantischen Versuche, bei denen sie auch zweimal regelrecht akrobatisch eine Treppe hinunterrollt, erst ganz am Ende vom Bey gewürdigt werden, wenn er demütig zu ihr zurückkehrt. Raffaella Lupinacci rundet als Sklavin Zulma mit sattem Mezzo das hervorragende Damen-Trio ab. Alex Esposito ist die Buffo-Partie des Mustafà regelrecht auf den Leib geschrieben. Mit großem Spielwitz mimt er den Öl-Multi, für den kein Luxus zu teuer ist, und lotet auch stimmlich mit absolut beweglichem Bass die Partie großartig aus. Yijie Shi hält als Lindoro mit strahlendem Tenor dagegen, der auch in den Höhen eine enorme Durchschlagskraft besitzt. Mario Cassi gibt mit komödiantischem Spiel und kräftigem Bariton einen Taddeo, der erkennen muss, dass er vergeblich auf Isabellas Zuneigung gehofft und nur als Mittel zum Zweck gedient hat. Am Ende entscheidet er sich schweren Herzens dazu, lieber mit Isabella und Lindoro als fünftes Rad am Wagen Algier zu verlassen als womöglich vom Bey doch noch gepfählt zu werden. Auch Davide Luciano gefällt in der Partie des Haly, obwohl nicht ganz klar wird, welche Beziehung der Anführer von Mustafàs Korsaren eigentlich zu dem tuntigen Eunuchen hat, dessen Bedeutung in der Inszenierung zwar wie bei den übrigen Statisten schwammig bleibt, der aber dennoch über eine enorme Bühnenpräsenz verfügt. Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von José Ramón Encinar begeistert mit einem flotten Rossini-Sound, so dass es am Ende für die musikalische Umsetzung verdienten Applaus gibt.
FAZIT Davide Livermores gelingt mit einem hervorragenden Solisten-Ensemble eine peppige und kurzweilige Umsetzung des Stückes, auch wenn manches Regie-Mätzchen vielleicht den Bogen überspannt.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2013 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJosé Ramón Encinar Regie Bühne und Licht
Kostüme Videodesign Chorleitung
Solisten
Mustafà
Elvira
Zulma
Haly
Lindoro
Isabella
Taddeo
|
- Fine -